Noch eine kurze Nachlese: Während meines Urlaubs haben Ärzt/innen im STERN am 5.9.2019 einen Appell „Rettet die Medizin“ veröffentlicht. Es geht dabei darum, der Versorgungsqualität wieder zu mehr Gewicht gegenüber betriebswirtschaftlichen Imperativen zu verhelfen. Sie haben drei Kernforderungen:

„1. Das Fallpauschalensystem muss ersetzt oder zumindest grundlegend reformiert werden.
2. Die ökonomisch gesteuerte gefährliche Übertherapie sowie Unterversorgung von Patienten müssen gestoppt werden. Dabei bekennen wir uns zur Notwendigkeit wirtschaftlichen Handelns.
3. Der Staat muss Krankenhäuser dort planen und gut ausstatten, wo sie wirklich nötig sind. Das erfordert einen Masterplan und den Mut, mancherorts zwei oder drei Kliniken zu größeren, leistungsfähigeren und personell besser ausgestatteten Zentren zusammenzuführen.“

Ob das „die Medizin“ rettet, sei einmal dahingestellt, aber auf jeden Fall spricht der Appell wichtige Reformbedarfe im stationären Bereich an. Der Pflege im Krankenhaus hätte man bei den Kernforderungen noch einen eigenen Punkt widmen können, weil auch hier grundlegender struktureller Reformbedarf besteht. Indirekt ist das aber in den drei Kernforderungen enthalten.

Der Appell macht zu Recht keinen pauschalen Konflikt zwischen Medizin und Ökonomie auf, die „Notwendigkeit wirtschaftlichen Handelns“ wird explizit hervorgehoben. Das Problem wird vielmehr an der Dominanz betriebswirtschaftlicher Kalküle im Krankenhausbereich und einer ungenügenden staatlichen Rahmenplanung festgemacht. Diese Differenzierung ist – auch aus meiner Sicht – wichtig.

Inzwischen haben zwei Dutzend Organisationen, darunter auch gewichtige Player im System, sowie mehr als 1.000 Einzelpersonen den Appell unterzeichnet. Ob er etwas bewirkt? Ein Statement von Gesundheitsminister Spahn habe ich auf die Schnelle nicht gefunden, aber zumindest hinter den Kulissen wird der Appell im Gesundheitsministerium gewiss zu Diskussionen führen.

Kommentare (13)

  1. #1 noch'n Flo
    Schoggiland
    14. September 2019

    Mit Punkt 1 und 2 kann ich mich problemlos anfreunden. Sorgen macht mir Punkt 3, denn die Vergangenheit hat leider gezeigt, dass bei solchen Massnahmen gerne mal die stationäre Grundversorgung in der Fläche hintenan bleibt.

  2. #2 Bbr
    Niedersachsen
    15. September 2019

    Tja, leider habe ich den Stern abbestellen. Nachdem dort ein Werbeartikel für Homöopathie erschien, der nicht als Werbung gekennzeichnet war, sondern als „Verlags-Sonderveröffentlichung“ oder so. Und der voller Lügen war.

    Klar, da kann die Redaktion nichts für, die macht gute Arbeit. Aber einen Verlag, der sowas tut, unterstützte ich nicht mehr.

  3. #3 Bridgeman
    15. September 2019

    Oh, die Ärzte appellieren. Sind das die Ärzte, die nur noch an 4 Stunden pro Woche Sprechzeiten haben, weil die keinesfalls mehr Patienten behandeln wollen, als die abrechnen können (diese dann aber in weniger als 2 Minuten abservieren). Oder sind es die Ärzte, die am Ende des Jahre üppige Geschenke in Form von Fernreisen Laptops etc. von den Pharmareferenten erhalten, damit die zukünftig auch weiter genug Gift verschreiben? Ganz nebenbei hört sich das so ziemlich genau so an wie die Aussagen eines bekannten und sehr fragwürdigem Think Tanks.

    • #4 Joseph Kuhn
      15. September 2019

      @ Bridgeman:

      Leiden Sie schon länger unter reflexartigen Aggressionen gegen Ärzte?

  4. #5 Uli Schoppe
    15. September 2019

    4 Stunden pro Woche Sprechzeiten haben, weil die keinesfalls mehr Patienten behandeln wollen, als die abrechnen können

    Hallo,

    Wieviele Stunden gehst Du denn in Deinem Beruf für lau arbeiten?

  5. #6 ZappBrannigen
    15. September 2019

    Ich finde es gut, dass sich nun die Ärzte zu Wort melden und in diese Richtung etwas anstoßen, denn ändern muss sich zwingend etwas.
    Mir bereitet unser Gesundheitswesen jedenfalls schon sehr lange Kopfzerbrechen.

    Alles privatisiert, aber sowohl Krankenhäuser und ganz besonders die Pharmaindustrie haben aufgrund ihrer wirtschaftlichen Ausrichtung kein Interesse an gesunden Menschen, sondern nur an (möglichst dauerhaft) kranken.

    Der Staat ist das einzige Organ, welches prinzipiell Interesse schnell und günstig genesenden/gesunden Menschen hat. Daher sollte/bzw. muss es wenigstens rein staatliche Alternativen zu Pharmakonzernen und Krankenhäusern geben.

  6. #7 Maru
    15. September 2019

    Solange die Leidlinienmedizin die Wichtigkeit von Aminosäuren, Vitaminen und Spurenelementen negiert, hoffe ich auf ein massives Umdenken in der Bevölkerung in Richtung Prävention.
    Auch die chronishe Schwermetallbelastung wird von der Leidlinienmedizin negiert.

    Wieso misst man nicht einfach und WEISS ob Defizite da sind? Kosten?
    Das arrogante Gönnerhafte der meisten Mediziner kann man sich sparen, weil
    Heilinteresse -> Fehlanzeige.

    LG
    M

    PS: Die Notfall- und Akkutmedizin ist natürlich hier lobend zu erwähnen.

    • #8 Joseph Kuhn
      15. September 2019

      @ Maru:

      “Das arrogante Gönnerhafte der meisten Mediziner”

      Wie gut, dass Ihr Kommentar so ganz frei von Arroganz ist. Und so erfrischend witzig mit der “Leidlinienmedizin”. Ich nehme an, Sie verdienen Ihr Geld mit Nahrungsergänzungsmitteln?

  7. #9 noch'n Flo
    Schoggiland
    16. September 2019

    @ Maru:

    Solange die Leidlinienmedizin die Wichtigkeit von Aminosäuren, Vitaminen und Spurenelementen negiert

    Wo tut sie das denn? Also ich habe in meinem Medizinstudium jede Menge über deren Wichtigkeit gelernt. Allerdings nicht in dem Umfang, den die sog. “Orthomolekularmedizin” propagiert – wolltest Du evtl. auf die hinaus?

    Wieso misst man nicht einfach und WEISS ob Defizite da sind?

    Ich mache das regelmässig in meiner Praxis und behandle selbstverständlich auch festgestellte Defizite.

    Du scheinst nicht viel Ahnung von moderner Medizin zu haben, gelle?

  8. #10 noch'n Flo
    Schoggiland
    16. September 2019

    @ Bridgeman:

    Sind das die Ärzte, die nur noch an 4 Stunden pro Woche Sprechzeiten haben

    Also meine Sprechstunden summieren sich auf 36 Stunden pro Woche. Da kommt der ganze Papierkram, der nach Feierabend und am Wochenende erledigt wird. Und natürlich die Notfalldienste von 48 bzw. 72 Stunden.

    weil die keinesfalls mehr Patienten behandeln wollen, als die abrechnen können

    Das Problem ist nicht das Wollen, sondern das Können. In Deutschland sind bei Hausärzten 50 bis 60 Patienten pro Tag normal.

    (diese dann aber in weniger als 2 Minuten abservieren)

    In Deutschland sind es 8.6 Minuten – aber auch nur, weil die Ärzte einen Haufen unbezahlter Überstunden machen. Sonst wäre die durchschnittliche Sprechzeit tatsächlich kürzer.

    Hier in der Schweiz habe ich im Schnitt 20 Minuten pro Patient – weil die Sprechzeit wesentlich besser vergütet wird und die Leute auch nicht so viel zum Arzt rennen (im Schnitt 3.6 Arztkontakte pro Jahr und Patient – in Deutschland sind es 18!).

    Dass wir hierzulande mehr Zeit für unsere Patienten haben, war für meine Frau und mich vor 11 Jahren einer der entscheidenden Gründe, von Deutschland hierher auszuwandern.

    Oder sind es die Ärzte, die am Ende des Jahre üppige Geschenke in Form von Fernreisen Laptops etc. von den Pharmareferenten erhalten, damit die zukünftig auch weiter genug Gift verschreiben?

    Pruuuust! Die Pharmafirmen dürfen heutzutage nicht einmal mehr Kugelschreiber oder Notizblöcke verschenken. Von Reisen o.ä. mal gar nicht zu sprechen.

    Junge, Du lebst im falschen Jahrhundert. Komm mal bitte in die Realität der Gegenwart.

  9. #11 Uli Schoppe
    16. September 2019

    @noch’n Flo
    Einen guten Hausarzt zu finden ist aber wirklich nicht einfach. Mein letzter hat immer gewußt das ich wenn ich vorbei komme auch wirklich krank bin, da war immer genug Zeit da. Bei den anderen Ärzten bei denen ich in den letzten Jahren war wurde ich eigentlich nur abgehandelt. Das ist schon bedenklich.

  10. #12 Dr. Hans-Werner Bertelsen
    Bremen
    16. September 2019

    @Bbr #2

    Die Reportagen von Bernhard Albrecht sind hervorragend recherchiert und auf den Punkt geschrieben. Besser kann das zur Zeit vermutlich niemand.

    Der Verlag Gruner + Jahr steckt aber offensichtlich in einer richtig fiesen Klemme. Der dienstverpflichtete, schwiegermutterschwarmige Dauerlächler Hirschhausen ist vertraglich gebunden, seine vereinfachtes und profanes Medizinbild an den Mann und vor allem: an die Frau ! zu bringen.
    Daher hat sich Hirschhausen bis dato noch nicht zu einer publikumswirksamen und menschenlebenrettenden aber umsatzgefährdenden Meldung durchringen können, wie z.B.:

    “Homöopathie ist gefährlich und, wenn indikationsgerechte Therapien aufgrund von Zuckerkugelromantik verpennt werden, potentiell tödlich!”

    Anstatt glasklar vor Homöopathie zu warnen und damit einen rapiden Nachfragesturz zu erzeugen, erzählt Onkel Hirschhausen lieber Bla-Bla in der “Gong” und umschifft (pfui-deibel!) das lästige Thema Homöopathie.

    Aber ich bin zuversichtlich. Bremen hat gerade mit kräftiger Hilfe der Münsteraner Kreis-Säge diese wirkungslose Scheintherapie aus seiner Weiterbildungsordung so stark verdünnt, bis kein einziges Wörtchen “Homöopathie” mehr nachweisbar war. Die anderen Bundesländer werden nun schnell folgen. Bis auf Ba-Wü und Bayern, die so hohe Steuereinnahmen mit der Scharlatanerie erwirtschaften, dass sie schlagartig auf Brandenburg-Niveau absacken, sollte das Geschäft mit der Scheinmedizin von bösen Kräften ausgebremst werden.

    Ich nehme an, dass, spätestens wenn es sich pekuniär lohnen könnte, dem Märchenonkel Hirschhausen sein Management erscheinen wird. Dann wird er die Homöopathie verlachen und anprangern müssen und ein gaanz witziges Buch darüber schreiben (lassen?) sollen.

    Sachzwänge halt.

  11. #13 RPGNo1
    16. September 2019

    @Bridgeman

    Sind das die Ärzte, die nur noch an 4 Stunden pro Woche Sprechzeiten haben,

    Dieses Argument ist genauso “valide” wie jenes, welches besagt, dass Lehrer nur vormittags arbeiten würden. Man kann es in die Tonne kloppen.