Gegen die Formulierung, Homöopathika seien unwirksam, ist vor einiger Zeit bekanntlich der Pharmakonzern Hevert juristisch mit Unterlassungserklärungen vorgegangen. Gegenüber dem Pharmakologen Gerd Glaeske und dessen zu pauschaler Formulierung war Hevert aufgrund einer besonderen Sachlage im Arzneimittelrecht erfolgreich, gegenüber der Ärztin Natalie Grams und dem Journalisten Bernd Kramer, die von Wirksamkeit im Vergleich zu Placebo gesprochen hatten, nicht. Glaeskes Formulierung war aufgrund einer arzneimittelrechtlichen Wirksamkeitsunterstellung bei zugelassenen Homöopathika angreifbar.

Jetzt gibt es einen offenen Brief von alternativmedizinischen Verbänden an den Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, in dem sich die Verbände gegen dessen Forderung wenden, die Kassenfinanzierung der Homöopathie zu beenden.

Gassen sei verpflichtet, alle Ärzte zu vertreten, also auch die homöopathisch tätigen, wird in dem Brief argumentiert. Die KBV ist eine Körperschaft des Öffentlichen Rechts. Sie hat u.a. die Aufgabe, die Interessen der Ärzte gegenüber den Krankenkassen zu vertreten. Ob das aber einschließt, auch wissenschaftlich überholte Therapieverfahren in der Kassenfinanzierung zu halten, darf bezweifelt werden. Denn zu den Aufgaben der KBV gehört auch die Qualitätssicherung in der kassenärztlichen Versorgung. Dazu ist der Rekurs auf den Stand der Wissenschaft unverzichtbar, die ärztliche Berufsordnung verlangt das im Übrigen auch.

Im Brief der Verbände wird, man ist sich dieser Schwachstelle der eigenen Argumentation vermutlich bewusst, explizit auf jene schon von Hevert in Anspruch genommene Wirksamkeitsunterstellung rekurriert:

„Es gibt im Übrigen auch eine Reihe vom BfArM, im Rahmen des Zulassungsverfahrens wirksamkeitsgeprüfter homöopathischer Arzneimittel!“

Süffisant folgt die Frage:

„Bezweifeln Sie neuerdings die fachliche Qualifikation der deutschen Zulassungsbehörde zur Wirksamkeitsbeurteilung von Arzneimitteln?“

Und auch hier scheint den Briefeschreibern die Subtilität der Sachlage sehr wohl bewusst:

„Das deutsche Arzneimittelgesetz kennt zwar für die Zulassung homöopathischer Arzneimittel ein abgestuftes System der Wirksamkeitsprüfung, keinesfalls wird aber bei der Zulassung homöopathischer Arzneimittel gänzlich auf eine Wirksamkeitsprüfung verzichtet. Ihre Aussage zum fehlenden Wirksamkeitsbeleg homöopathischer Arzneimittel steht damit auch im Widerspruch zur Zulassungspraxis des BfArM.“

Das ist formal korrekt. Aber hier wird der Binnenkonsens, der dazu führt, dass sich in der Kommission D des BfArM die Homöopathie die Wirksamkeit ihrer Mittel selbst attestiert, mit dem Wirksamkeitsnachweis im wissenschaftlichen Sinne vermengt, also der Zulassung von Arzneimitteln auf der Grundlage von Wirksamkeitsstudien. Dazu das BfArM öffentlich im Jahresbericht 2017/18, Seite 41:

„Bislang wurde jedoch noch kein homöopathisches Arzneimittel durch das BfArM zugelassen, bei dem sich der Antragssteller auf eine zum Beleg der Wirksamkeit geeignete Studie berufen hätte.“

In Zeiten, in denen die Wirksamkeit von Arzneimitteln nach klaren wissenschaftlichen Kriterien zu bewerten ist, ist die Zulassungspraxis des BfArM für Homöopathika als vorwissenschaftlich zu bewerten, die arzneimittelrechtlich definierte Wirksamkeit zugelassener homöopathischer Mittel als Rechtsfiktion, die Berufung darauf unter wissenschaftlicher Perspektive als Wirksamkeitsmythos. Mythen sind allerdings, wie man weiß, wirkmächtige Erzählungen.

Die Briefeschreiber bitten Gassen um ein zeitnahes Gespräch. Ich bin gespannt, wie er sich danach in Sachen Homöopathie positioniert.

Kommentare (14)

  1. #1 RPGNo1
    17. September 2019

    Der Brief der Hufelandgesellschaft ist, abgesehen von den Verweis auf die Paragraphen, eine Aneinanderreihung von längst widerlegten Argumenten pro Alternativmedizin wie unsachliche Positionen zur Homöopathie, Wunsch der Deutschen (Umfrage […] zum Thema Homöopathie und komplementäre Medizin im Auftrag der DHU (2018)), vernachlässigbare Kosten der Homöopathika.

    Eine Schallplatte mit Sprung, ein Magnetband in Dauerschleife.

  2. #2 RPGNo1
    17. September 2019

    Die ÄrzteZeitung befasst sich ebenfalls lang und breit über den Klagebrief der komplementärmedizinisch tätigen Kolleginnen und Kollegen.

    https://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/berufspolitik/article/996324/offener-brief-homoeopathen-enttaeuscht-kbv-chef.html

  3. #3 Ernst der Lage
    17. September 2019

    Wow, da ist endlich mal jemand in der Position, die Homöopathie aus der Kassenfinanzierung ausschließen zu können und zieht dies auch ernsthaft in Erwägung? Klar wird der Herr Gassen jetzt erst mal nach allen Regeln der Kunst von diesen Scharlatanen bearbeitet. Hoffentlich, hoffentlich ist der Herr Gassen nicht doof! Dieser Schritt wäre so wichtig!

  4. #4 Chris
    17. September 2019

    Unverantwortlich ist auch, was auf Amazon, Bestseller, als Wurmkur für Katzen verkauft wird.

    Bachblüten-Globuli….

    Bestseller.

    Da muss man schlucken.

  5. #5 Chris
    17. September 2019

    Man beachte die Produkt Bewertungen.
    Die üblichen Verdächtigen.
    XXXX

    [Edit: Satz gelöscht. Bitte die Netiquette beachten. Danke. JK]

  6. #6 RPGNo1
    17. September 2019

    @Chris

    Für Amazon gilt halt das alte lateinische Sprichwort: “Pecunia non olet.”

  7. #7 Chris
    17. September 2019

    Ja sicher.

    Was mich wundert, ist das Bestseller-Schildchen.
    Ein Produkt darunter beinhaltet zumindest Knoblauch und weitere Kräuter. Das wirkt unter Umständen tatsächlich gegen die ein oder andere Wurmart.

    Aber dass das homöopathische Mittel dort der Bestseller ist lässt mich schon stark am Verstand einiger Menschen zweifeln.

  8. #8 NullcoManix
    18. September 2019

    Warum wird das Modell des Binnenkonsens nicht viel öfter angewandt?

    Die Autoindustrie hätte doch locker einen Binnenkonsens darüber hinbekommen, dass bestimmte Funktionen von Motorsteuerungs-Software ganz im Sinne der Allgemeinheit sind. Und wie einfach wäre ein Binnenkonsens der Tabakindustrie zu bekommen, der dem Gesetzgeber manchen Eiertanz erspart?

    Auch Betreiber von Glücksspielhallen würden schnell darin übereinkommen, dass sie der Gesellschaft nur Gutes tun. Und muss das Gerangel um Pestizid-Grenzwerte wirklich sein? Täte es da nicht besser ein Binnenkonsens unter den Herstellern?

    Marktradikale aller Länder, schaut auf die deutschen Homöopathen!

  9. #9 RPGNo1
    18. September 2019

    “Spahn will Homöopathie auf Kassenkosten nicht antasten. […] Er habe sich entschlossen, es sei so okay.”

    https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/jens-spahn-will-homoeopathie-auf-kassenkosten-nicht-antasten-a-1287297.html

    Es geht ja “nur” um 20 Millionen. Peanuts.

  10. #10 bote
    18. September 2019

    NullcoManix
    Beim Binnenkonsens sind wir bei der Alkoholwerbung.
    Die Folgen des Alkoholmissbrauchs liegt bei 40 Mrd. €.
    https://www.google.com/search?q=volkswirtschaftlicher+Schaden+durch+Alkohol&ie=utf-8&oe=utf-8&client=firefox-b
    RPGNo1
    deine 20 Millionen sind dagegen Peanuts, gut erkannt !

  11. #11 2xhinschauen
    https://www.homöopedia.eu
    18. September 2019

    Neunmalkluge Frage … muss man hier nicht zwischen Zulassung (mit Wirksamkeits­nachweis, egal wie schwach, und Angabe der Indikationen) und Registrierung (mit nur behaupteter Wirksamkeit, Angabe einer Indikation nicht erlaubt) unterscheiden?

    • #12 Joseph Kuhn
      18. September 2019

      @ 2xhinschauen:

      “muss man hier nicht zwischen Zulassung … und Registrierung … unterscheiden?”

      Hier nicht. In diesem speziellen arzneimittelrechtlichen Kontext geht es ausschließlich um zugelassene Homöopathika.

  12. #13 Omnivor
    Am 'Nordpol' von NRW
    21. September 2019

    arzneimittelrechtlichen Wirksamkeitsunterstellung bei zugelassenen Homöopathika

    Nach meinem Sprachverständnis ist eine Unterstellung eine Behauptung falscher Tatsachen. Eine Wirksamkeitsunterstellung wäre also die fälschliche Behauptung einer Wirksamkeit.
    Das wird man doch wohl noch sagen dürfen

    • #14 Joseph Kuhn
      21. September 2019

      @ Omnivor:

      Eine “Unterstellung” in Ihrem Sprachverständnis wäre, den Briefeschreibern zu unterstellen, sie würden das Manipulative ihrer Wortwahl nicht sehen. Im hier diskutierten Fall geht es um etwas anderes, einen juristisch gesetzten Sachverhalt.

      Eine “Unterstellung” in Ihrem Sprachverständnis wäre es auch, Herrn Spahn bei seinem nonchalanten “ist okay” zur Kassenfinanzierung der Homöopathie zu unterstellen, er würde die Evidenzorientierung des neueren Kassenrechts ernstnehmen, oder seine Pflicht, mit Beitragsgeldern verantwortungsvoll umzugehen.

      Spahn hat vielmehr eine Haltung zu erkennen gegeben, die viele karriereorientierte Politiker als taktische Klugheit betrachten, de facto aber eine Form von moderner “l’état c’est moi-Willkür” sind.