Die Entwicklung bei den SARS-CoV-2-Infektionen ist im Moment recht positiv. 353 neue Fälle hat das RKI heute ausgewiesen. Auch mit Dunkelziffer ist man jetzt wieder in einem Bereich, der die Kontrolle der Infektionsketten wahrscheinlicher erscheinen lässt als vor ein paar Wochen. Die Kehrseite dieses Erfolgs ist, dass es in der Bevölkerung kaum Immunität gibt. Daher ruhen derzeit viele Hoffnungen auf einer künftigen Impfung gegen SARS-CoV-2. Dieses Thema erhitzt die Gemüter – und so etwas ist immer auch ein Signal dafür, dass eine ethische Dimension im Spiel ist, über die es nachzudenken lohnt.

Heute hat das Kompetenznetz Public Health Covid-19 einen Policy Brief zu solchen ethischen Fragen einer künftigen Impfung gegen SARS-CoV-2 veröffentlicht. Das Papier ist das Ergebnis einer internationalen Zusammenarbeit, es zielt aber auf die deutsche Diskussion. Im Fokus steht die Priorisierungsfrage, die zu beantworten ist, wenn anfangs der Impfstoff knapp ist und man die Entscheidung darüber, wer geimpft werden soll, nicht allein dem Markt überlassen will. Hintergrund dieser Schwerpunktsetzung ist die Beauftragung der STIKO durch das Bundesgesundheitsministerium, ein risikobasiertes Impfkonzept zu entwickeln. Das ist nicht einfach, wenn man noch gar nicht weiß, wie der künftige Impfstoff aussieht und wie seine Wirksamkeit und seine Nebenwirkungen einzuschätzen sind.

Das gilt dementsprechend auch für ethische Überlegungen dazu. Der Policy Brief formuliert nun eine Reihe grundlegender Entscheidungskriterien, die auch über die Priorisierungsfrage hinaus bedeutsam sind, z.B. das Ziel einer Maximierung des gesundheitlichen Nutzens, Gerechtigkeit beim Impfmanagement, Respekt vor der Autonomie der Menschen (Stichwort Impfpflicht), eine sorgfältige Abwägung von Nutzen und Risiken oder die transparente Kommunikation dazu. Bleibt zu hoffen, dass die STIKO das Papier in ihre Überlegungen einbezieht.

Dieses Papier wird wohl nicht das einzige zur Impfethik bleiben. Sobald absehbar ist, welcher Art die Impfung ist, werden weitere Fragen diskussionsbedürftig, möglichweise wird sich dann auch der Deutsche Ethikrat zu Wort melden.

Kommentare (19)

  1. #1 Stephan
    29. Mai 2020

    Ich werde zwei Tage, bevor die Impfung zur Verfügung steht, im Zelt vor der Tür meines Arztes biwakieren.
    Ich denke nicht, daß das Thema Impfen bzw. Impfpflicht, weil es die Gemüter erhitzt, ethische Dimensionen hat, über die es sich zudem noch lohnt zu diskutieren.
    Sowohl als auch ist das Gegenteil ist der Fall.

  2. #2 user unknown
    https://demystifikation.wordpress.com/2020/05/27/coronakita/
    29. Mai 2020

    Ich schätze, auf eine Impfpflicht wird man verzichten können. Wenn man nur 60-70% für die Herdenimmunität braucht, werden wir das wohl mit freiwilliger Impfung erreichen können, außer die Stimmung kippt unerwartet.

    Abhängig allerdings auch von Risiken und Nebenwirkungen – vordrängeln wollte ich mich bei einem ganz neuen Impfstoff eher nicht.

    • #3 Joseph Kuhn
      29. Mai 2020

      @ user unknown:

      Vor allem mit Blick auf eine Impfpflicht muss, wie man es auch bei den Masern ernsthafter als Spahn hätte tun sollen, eine Abwägung gegenüber weniger drastischen Mitteln erfolgen. Bei Corona sollten z.B. andere Arbeitsverhältnisse bei Schlachthöfen, eine bessere Durchsetzung der Basishygiene in Krankenhäusern und Heimen, die dauerhafte Stärkung des ÖGD usw. vorrangig sein.

      Zumal man vermutlich für die Unterdrückung der Epidemie gar nicht auf 60 – 70 % Immunität abzielen muss. Diese Zahl ergab sich ja aus der Basisreproduktionszahl. Ob das Virus dieses Potential ausschöpfen kann, hängt aber von vielen Voraussetzungen ab. Inzwischen ist man recht sicher, dass Superspreadings bei Corona eine wichtige Rolle spielen. Wenn man solche Superspreadings schneller erkennt und abschirmt, könnte daher auch bei niedrigeren Immunitätsraten viel gewonnen sein. Wobei hohe Impfquoten natürlich auch wiederum die Auswirkungen von Superspreadings abschwächen.

  3. #4 Karl-Heinz
    29. Mai 2020

    Ein bisschen off topic aber ne coole Grafik.
    https://public.flourish.studio/visualisation/2562261/

    • #5 Joseph Kuhn
      29. Mai 2020

      @ Karl-Heinz:

      Coole Grafik, aber ob das z.B. mit Alkohol wirklich stimmt, oder mit Hunger? Man soll die Zahl der Coronatoten nicht künstlich klein rechnen, aber man soll sie auch nicht größer erscheinen lassen, als sie ist.

  4. #6 rolak
    29. Mai 2020

    cool

    Nette Visualisierung der Dynamik haste da gefunden, Karl-Heinz!

    ~•~

    Während VollpfostenAktivisten schon DesinfoKampagnen gegen noch gar nicht Vorhandenes vom Zaune brechen, lassen andere Skepsis am schnellen Vorhandensein nagen.

  5. #7 hto
    29. Mai 2020

    Bevor ich mich mit dem doch sehr schnell entwickelten Stoff impfen lasse, möchte ich erstmal einen funktionierenden Antikörpertest.
    Vielleicht brauche ich die Impfung garnicht?

  6. #8 Sonnenschein
    29. Mai 2020

    Ist eine zeitnahe Impfung unter Einhaltung bewährter Standards bei der Zulassung von Impfstoffen überhaupt möglich? Normalerweise dauert so ein Verfahren imho einige Jahre. Wie man das Zeitfenster verkürzen kann ohne die Qualitätskriterien runterzuschrauben ist mir nicht klar.

  7. #9 ralph
    29. Mai 2020

    nach heutigem Wissensstand, wäre wohl naheliegend zuerst alle identifizierten “Superspreader” einschließlicher deren Umfeld zu Impfen. Danach alle potentiellen Superspreader in der Alten- und Krankenpflege, in Schulen, Kitas usw.

  8. #10 ralph
    29. Mai 2020

    Man sollte sich wohl keine allzu großen Hoffnungen auf einen baldigen Impfstoff machen. Selbst wenn man erfolgreich ist: die nächste Pandemie, möglicherweise aggressiver und mit einem anderen Virenstamm kommt bestimmt. Demnach geht es darum Sollbruchstellen in Infektionsketten zu schaffen, lokal und global. Zufälligerweise gibt es bei den notwendigen gesellschaftlichen Paradigmenwechseln jede Menge Synergieeffekte im Sinne einer Klima- und Ressourcenttechnisch- nachhaltigeren Kultur. Es geht doch um soviel mehr als das Eindämmen von Infektionskrankheiten.

  9. #12 rolak
    29. Mai 2020

    Hunger?

    Dürfte keinesfalls zutreffen, Joseph, klettert in der Animation die Zahl der Toten doch bis Ende Mai ‘nur’ auf gut 200.000 – obwohl “Jedes Jahr .. etwa 30–40 Millionen Menschen” betroffen sind. Derart asymmetrisch kann ich mir die Verteilung übers Jahr nicht vorstellen (ad.ig., ich weiß, sollte aber kein Argument sein).
    In zumindest einer der angegebenen Quellen, worldometers, sinds bis jetzt (immer noch Mai) bereits deutlich mehr, ebenso bei Alkohol.

  10. #13 uwe hauptschueler
    29. Mai 2020

    4,588,729People who died of hunger this year

    Q.:htttps://ww.worldometers.info/
    Wenn man auf “today” klickt springt es auf den Jahreswert.

  11. #14 Gerald Fix
    31. Mai 2020

    Mir fehlen in der Animation auch Verkehrstote und Selbstmorde (nach Harari die beiden größten Gruppen von gewaltsamen Todesfällen).

  12. #15 Fluffy
    31. Mai 2020

    Wenn dann ein Impfstoff da sein sollte, wird er erst mal nicht ausreichend vorandens ein. Es wäre deshalb unklug von einer allgemeinen Impfpflicht auszugehen. Man würde damit einen Großteil der Bevölkerung kriminalisieren.
    Das heißt, man muss eine partielle Impfpflicht proklamieren.
    Zuerst natürlich den Bundesgesundheitsminister, das heißt, nein, vorher natürlich noch die Kanzlerin. Schließlich gehört sie außerdem zur Risikogruppe.
    Und dann natürlich alle Bundestagsabgeordneten und alle Mitarbeiter des RKI für ihren herausragenden Beitrag bei der Bekämpfung der Pandemie.

  13. #16 ralph
    2. Juni 2020

    @Joseph Kuhn #11
    Vielen Dank für den Link. Das Paper ist in mehrfacher Hinsicht interessant. Es gäbe vieles darüber zu sagen, aber das passt überhaupt nicht in diesen Threat. Eigentlich sollte es für ein solch wichtiges, fast schon existentielles Thema ein moderiertes, semi-öffentliches Forum haben, damit viele Meinungen und Erfahrungen (KnowHow) einfliessen können, wobei die Verfasser Fragen beantworten oder Ideen und Kritik aufnehmen könnten. Das wäre doch ganz im Sinne einer fortschrittlichen Demokratie.

  14. #18 zimtspinne
    2. Juli 2020

    Eine Impflicht wäre sowieso völlig daneben, gibts ja bei Influenza auch nicht und die kann auch gefährlich werden.
    Solange der Impfstoff nicht ausreichend erprobt ist und seine Effizienz nachgewiesen, wäre es auch unverantwortlich, eine Impflicht über das Volk zu werfen.
    Nach wie vor halte ich Impfstoffe gegen Coronaviren auch nicht für wirklich zuverlässig; sollte das bei diesem neuen Coronavirus plötzlich ganz anders sein, ok… es gibt Erfahrungen in der Tiermedizin, die eben eher durchwachsen ausfallen.

  15. #19 noch'n Flo
    Schoggiland
    4. Juli 2020

    @ zimti:

    Die Erkenntnisse aus der Tiermedizin lassen sich aber auch oft nur begrenzt auf den Menschen übertragen.