Während des Klimagipfels in Marrakesch wurde an diesem Wochenende ein Rennen der Formel E ausgetragen. Die Batterie der Elektro-Rennwagen (hier eine Aufnahme aus dem Genfer Auto-Salon) hält ein halbes Rennen lang, so dass die Fahrer in einen frischen Wagen umsteigen müssen. (Foto: iStock/edaldridge)

Viele Menschen halten den Klimawandel für eine Bedrohung, unterstützen eine ökologisch ausgerichtete Politik und reduzieren sogar ihren persönlichen Beitrag zu den CO2-Emissionen. Aber in der Summe reichen die Anstrengungen nicht. Was empfehlen Sozialwissenschaftler, um die Motivation zu erhöhen?

 

Natürlich sind in Deutschland fast alle für einen anspruchsvollen Klimaschutz. Aber im vergangenen Jahr wurden hierzulande 340.000 SUVs zugelassen, 15 Prozent mehr als 2014. Und im Zeitraum Januar bis Oktober 2016 lag die Steigerung noch einmal bei 25 Prozent. Das beschreibt die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit recht deutlich. In der Politik ist es ähnlich: Als der Bundesrat kürzlich vorschlug, ab 2030 nur noch Elektroautos neu zuzulassen, sprach die Stuttgarter Zeitung in einem Kommentar von einer „De-Industrialisierung“ und „politischem Irrsinn“. Das Wuppertal-Institut schrieb hingegen in einer Stellungnahme: „Aus der politikwissenschaftlichen Innovationsforschung ist bekannt, dass genau solche erwartungssicheren Politiksignale klare Anreize für strategische Neuausrichtungen und Investitionen schaffen.“ Die Autoren fordern aber, nicht nur die Motoren auszutauschen, sondern auch den Verkehr zu reduzieren.

Greenpeace hat zusammengestellt, was Deutschland tun müsste, wenn es das Ziel des Weltklimavertrags von Paris ernst meint: den Temperaturanstieg auf deutlich unter zwei Grad – möglichst auf 1,5 Grad – zu begrenzen. Da steht für das 1,5-Grad-Ziel zum Beispiel: null Prozent Autos mit Verbrennungsmotor vor 2035. (Für das Zwei-Grad-Ziel hätte man 20 Jahre mehr Zeit.) Solche Ziele erscheinen unrealistisch, und der deutsche Klimaschutzplan, der am Montag von Merkels Kabinett verabschiedet werden soll, bleibt dahinter zurück. Aber die Ziele ergeben sich aus einem völkerrechtlich verbindlichen Vertrag, den Deutschland unterschrieben und im Verbund mit den anderen EU-Staaten ratifiziert hat. Man sollte sie nicht vom Tisch wischen.

„Die Euphorie schwindet“, sagt Maike Schmidt vom Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoffforschung Baden-Württemberg. „Vielleicht sollten wir stärker auf eine Vision setzen und zum Beispiel den Netzwerk-Gedanken fördern.“ Sie nennt ein Beispiel: „Der Ausbau der Fernwärme wird vor allem dadurch behindert, dass Hauseigentümer lieber ihre eigene Heizung im Keller stehen haben.“ Ihr Kollege Frithjof Staiß fügt hinzu, dass Deutschland schon lange kein Vorreiter mehr sei: „Inzwischen gibt es eine ganze Reihe von Ländern, die ihre Energiewende schneller und konsequenter vorantreiben.“ Dazu zählt er Norwegen, Schweden, die Schweiz, Costa Rica, Neuseeland und China.

Was können wir tun, um die Lust auf einen neuen Lebensstil und eine neue Wirtschaftsweise zu wecken? In diesem Beitrag trage ich einige Vorschläge aus den Sozialwissenschaften zusammen, wie man sich selbst und das Land zu mehr Klimaschutz motivieren könnte. Die Vorschläge stammen aus ganz unterschiedlichen Disziplinen, und ich werde die Liste in den nächsten Tagen noch ergänzen. Hier eine Übersicht:

  1. Moralische Motive
  2. Psychologie: Nudging
  3. Digitale Demokratie
  4. Fachübergreifende Forschung [folgt]
  5. Wissenschaftliche Qualitätsstandards [folgt]

1. Moralische Motive

Der Philosoph Dieter Birnbacher erläutert in seinem Buch „Klimaethik. Nach uns die Sintflut?“ das Konzept der uneigentlichen moralischen Motive. Moralisch ist aus seiner Sicht geboten, dass wir uns um die Menschenrechte der nachfolgenden Generationen kümmern. Wir dürfen nicht zulassen, dass ihre Gesundheit und ihr Leben durch Katastrophen bedroht werden, deren Risiko wir deutlich erhöhen. Birnbacher illustriert das mit einer Zeitbombe: Ob man den Zünder auf den nächsten Tag oder das nächste Jahrhundert einstellt, spielt bei der moralischen Bewertung keine Rolle. Aber die nachfolgenden Generationen stehen uns nicht gerade nah: Wir kennen sie nicht, fühlen nicht mit ihnen, und sie sind auch nicht in unseren Parlamenten vertreten.

Deshalb schlägt Birnbacher die uneigentlichen moralischen Motive als Ersatz vor: Sie sollen uns stärker motivieren und letztlich zu einem ähnlichen Ergebnis führen wie der direkte Einsatz für die Menschenrechte künftiger Generationen. Ein Beispiel für eine solche indirekte Wirkung ist die Fürsorge für die eigenen Kinder: Wenn sich Eltern für ihre Kinder einsetzen, und dies den Kindern später als Vorbild dient, hat das vielleicht sogar einen stärkeren Effekt auf die Generation der Enkel als das direkte Engagement für die übernächste Generation. Man müsste hier allerdings noch einen Punkt hinzufügen, denke ich, denn Eltern tun ja schon viel für ihre Kinder. Sie vermitteln Bildung und ein Gefühl der Geborgenheit – und fahren die Kinder trotzdem im SUV zum Musik- und Sportunterricht. Es reicht also nicht, dass sie sich für die Kinder einsetzen. Sie müssten auch anerkennen, dass es wichtig ist, den Kindern eine saubere Welt zu vererben – also beispielsweise anerkennen, dass die Kinder womöglich nicht mehr zum Urlaub an den Strand fliegen können, wenn sie es heute zu oft tun.

Als weiteres Beispiel für uneigentliche moralische Ziele nennt Birnbacher „das menschliche Bedürfnis nach übergreifenden Zielen, die über die eigene Person, den eigenen Lebensumkreis und die eigene Lebenszeit hinausreichen“. Das Sorgen um künftige Generationen könnte unserem Leben einen zusätzlichen Sinn verleihen und uns in unserem Selbstwert bestätigen, schreibt Birnbacher. Gemeinsam geht das natürlich besser. Allerdings sind wir noch weit davon entfernt, sondern sprechen sogar abschätzig von „Gutmenschen“. Ich lese immer wieder, dass wir den Menschen nicht vorschreiben sollen, wie sie zu leben haben – das macht es schwierig, seinem Leben auf diese Weise einen neuen Sinn zu verleihen. Auf der anderen Seite lese ich aber auch, dass sich viele in der globalisierten Welt unsicher fühlen und nach Orientierung sehnen. Nachhaltig zu leben und zu wirtschaften könnte diesen Werterahmen bieten.

2. Psychologie: Nudging

Als „Nudging“ (Englisch: Anstupsen) werden Versuche bezeichnet, Entscheidungen zu manipulieren, ohne den Leuten irgendetwas vorzuenthalten. Vielmehr nutzt man psychologische Phänomene aus. Wenn man zum Beispiel in der Kantine Obst in Augenhöhe präsentiert und die Schokolade im untersten Fach, dann werden die Mitarbeiter häufiger zum gesunden Nachtisch greifen. Vielen ist das suspekt, da es trotz der guten Absicht eine Form der Manipulation ist. Dieses Problem kann man durch Transparenz vermeiden: Man klärt die Leute über die Manipulation auf oder lässt sie sich selbst nudgen. Dass das funktionieren kann, zeigt dieses Experiment von einem internationalen Team um Hendrik Bruns von der Universität Hamburg: Die Versuchsleiter gaben den Probanden für die Teilnahme an einem anderen Versuch zehn Euro und fragten sie, ob sie davon einen Teil für einen Klimaschutzfonds spenden wollten. Die Probanden gaben durchschnittlich 1,70 Euro (und das Geld ging anschließend in den Klimaschutz). Wenn aber acht Euro als Vorschlag voreingetragen waren, erhöhte sich die Bereitschaft auf 3,20 Euro. Und wenn man die Probanden auf diese sanfte Manipulation hinwies, waren es immer noch 2,90 Euro.

Eine Forschergruppe unter der Leitung des Ökonomen Reimund Schwarze von der Europa-Universität in Frankfurt an der Oder hat die Fachliteratur zum Nudging gesichtet und kommt zu einer ähnlichen Empfehlung. Die Forscher halten bestimmte Kombinationen von Nudges für besonders wirksam, die auf beide Systeme des Denkens zielen: das intuitive, schnelle Entscheiden und das langsame Abwägen. (Die beiden Systeme hat der Nobelpreisträger Daniel Kahneman in seinem Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“ einem breiten Publikum bekannt gemacht.) Auf das Abwägen zielen beispielsweise die Effizienzklassen von Kühlschränken, weil sie Eigenschaften des Produkts hervorheben, auf die Kunden beim Kauf achten sollten. Warum nicht auch die effizienten Kühlschränke in einem gesonderten, geschickt gestalteten Raum präsentieren? Das Ambiente zählt schließlich.

Nudges gelten zwar als nicht nachhaltig. Es sind Verkaufstricks, die ihren Zweck erfüllt haben, sobald der Kunde sich entschieden hat. In der Kombination mit Anregungen für das langsame Denken, so die Forscher um Reimund Schwarze, könnte daraus aber eine Gewohnheit entstehen. Wenn ich zum Beispiel mein Fahrrad nicht für jede Fahrt aus dem Keller holen muss, sondern vor der Haustür anschließe, mache ich es mir einfacher, darauf umzusteigen (Nudge für das schnelle Denken). Rechnet mir außerdem eine App aus, wie viel Kohlendioxid ich mit den Fahrradfahrten gegenüber dem Auto einspare (Nudge für das langsame Denken), könnte das meine Lebensweise nachhaltig ändern. Vielleicht schaffen wir es sogar, dass Treibhausgase als Dreck angesehen werden und abstoßend wirken. Dazu könnten Label beitragen, die den CO2-Anteil eines Produkts (etwa eines Steaks) deutlich machen. Doch die Politik traut sich nicht.

3. Digitale Demokratie

In letzter Zeit hört man wenig Gutes über das Internet. Trolle vergiften mit ihren Kommentaren die Stimmung und große Konzerne legen die Regeln der Kommunikation fest. Auf der Tagung Republica in Berlin, die ich im Mai besucht habe, kamen mir die Besucher und Referenten besorgt vor. Die Hoffnung auf eine muntere Debatte unter selbstbewussten Bürgern, eine Demokratie 2.0, scheint sich zerschlagen zu haben. Der Physiker und Sozialwissenschaftler Dirk Helbing sieht das jedoch anders: Aus seiner Sicht hat man die richtigen digitalen Werkzeuge bloß noch nicht ordentlich verbreitet. Er plädiert für dezentrale Systeme, in die – nach Art von Wikipedia – möglichst viele Menschen, Verbände, Behörden und Firmen ihre Ideen einbringen.

Eins von Helbings Studienobjekten ist die Ampelsteuerung in Städten. Wenn der Verkehr von einem Zentralcomputer aus gesteuert wird, so Helbing, muss die Realität im Computermodell immer vereinfacht werden, um berechenbar zu sein. Legt man hingegen einige gute Regeln fest, nach denen jede Ampel auf den Verkehr an ihrer Kreuzung reagiert, lässt sich der Verkehrsfluss erhöhen. Denn dieses dezentrale System hat einen größeren Spielraum, um auf ungewöhnliche Situationen zu reagieren. Obendrein ist ein dezentrales System schwieriger zu manipulieren oder lahmzulegen als ein zentraler Computer. Digitale Plattformen der Sharing Economy, die Menschen mit passenden Bedürfnissen und Angeboten zusammenbringen und den direkten Austausch vereinfachen, sind für Helbing daher der richtige Ansatz, weil Ressourcen eingespart werden.

Auch die politische Diskussion könnte seiner Ansicht nach pluralistischer laufen: mit geeigneten Diskussionsforen. Beim Optimieren, schreibt Helbing, gebe es oft viele zweitrangige Lösungen, die zwar nicht optimal sind, aber trotzdem ziemlich gut. Sie sind oft auch nicht-optimale, aber gute Lösungen für andere Probleme, so dass man mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen kann. Warum also nicht bei parlamentarischen Entscheidungen Spielräume einplanen oder mehrere Lösungen erlauben, damit Kommunen und Unternehmen die für sie beste Variante umsetzen?

Die kollektive Intelligenz ist zwar in Verruf geraten, aber das liegt auch an den Systemen. Die Likes auf Facebook sind zum Beispiel nicht der einzig denkbare Mechanismus, um Nachrichten nach Wichtigkeit zu ordnen. Likes gibt es vorrangig für die netten Dinge des Lebens, weshalb viele Katzenbilder in der Timeline auftauchen. Besser funktionieren die Empfehlungen bei spezialisierten Diensten wie Hotel-Buchungssystemen: Dort berichten Nutzer, die ein Hotel besucht haben, und man kann sich ihre Bewertungen für Geschäfts- oder Familienreisen getrennt anzeigen lassen. Viele denken auch mit Schaudern an die Kommentare unter Online-Artikeln, doch auch das ließe sich verbessern: durch das automatisierte Herausfiltern illegaler Äußerungen (dazu gibt es Projekte der Künstlichen Intelligenz) und das Zusammenführen von Meinungsäußerungen über kurze Umfragen statt ausführlichen Kommentaren von einer Minderheit.

Das lokale Aushandeln von Lösungen und das repräsentataive Diskutieren passen gut zum Weltklimavertrag von Paris, denn der sieht keine zentral verordneten Programme mehr vor. Vielmehr darf jedes Land selbst über seine Bemühungen entscheiden, es muss sie nur ehrlich präsentieren und sich mit den anderen Ländern vergleichen lassen.

Übrigens: hier geht’s zu einer kurzen Umfrage zum Thema Klimaschutz in Deutschland. Über die Ergebnisse werde ich an dieser Stelle berichten. Vielen Dank fürs Mitmachen!

Kommentare (5)

  1. #1 Tim
    13. November 2016

    Viele Menschen halten den Klimawandel für eine Bedrohung, unterstützen eine ökologisch ausgerichtete Politik und reduzieren sogar ihren persönlichen Beitrag zu den CO2-Emissionen

    Natürlich sind wir auf dem Papier alle gegen den Klimawandel, aber an den individuellen CO2-Emissionen kann man ablesen, wie sehr jemand tatsächlich an eine Klimakatastrophe glaubt.

    Fast niemand hat heute diesen Glauben. Bzw. genauer formuliert: Fast niemand hält die künftigen Nachteile der fossilen Energie für größer als ihre heutigen Vorteile.

    Woher soll eine Wende kommen? Immer neue Katastrophenszenarien werden nichts ändern.

  2. #2 Alexander Mäder
    14. November 2016

    Erste Zwischenergebnisse zur Umfrage (22 Teilnehmer – vielen Dank ihnen allen!): Fast alle Teilnehmer finden, dass Deutschland noch nicht genug für den Klimaschutz tut. Bei der Frage, ob sich das in den nächsten Jahren ändern wird, gibt es kein klares Meinungsbild. Die in diesem Blogpost vorgestellten Ansätze halten zwei Drittel für sinnvoll. Und die Frage, ob eine Umfrage wie diese die Kommentare gut ergänze, sagten knapp 60 Prozent Ja.

    Die Textantworten werde ich noch auswerten. Und es ist weiterhin möglich, an der Umfrage teilzunehmen.

  3. #3 Dr. Webbaer
    15. November 2016

    Die Situation, die klimatologische, die auf den anthropogenen “zusätzlichen” CO2-Ausstoß zentrierte, die sogenannte Klimasensitivität [1] meinend, ist halt dilemmatisch.

    Die Spieltheorie kennt u.a. hierzu das Gefangenendilemma, aber auch andere Dilemmata, die dazu anleiten nichts zu tun oder gar zu defektieren (das Fachwort).

    Hier – ‘Das lokale Aushandeln von Lösungen und das repräsentataive Diskutieren passen gut zum Weltklimavertrag von Paris, denn der sieht keine zentral verordneten Programme mehr vor. Vielmehr darf jedes Land selbst über seine Bemühungen entscheiden, es muss sie nur ehrlich präsentieren und sich mit den anderen Ländern vergleichen lassen.’ (Artikeltext) – steifen dann auch einige ab, bspw. bei der ‘Ehrlichkeit’ und dem ‘Sich-Vergleichen-Lassen’.

    Zusammen an CO2-Ausstoß gespart werden, wird wohl nicht, nicht sozusagen protestantisch, dies darf auf den Planeten Erde bezogen vielleicht vorab verraten werden.
    Mitigation, auch das sog. Geo-Engineering betreffend oder andere (auch) unilaterale (!) Maßnahme wird dagegen wahrscheinlicher.

    MFG
    Dr. Webbaer

    [1]
    Vgl. :
    -> https://de.wikipedia.org/wiki/Klimasensitivit%C3%A4t
    (Diese Klimasensitivität liegt etwa bei + 1,2 K bei Verdoppelung des atmosphärischen CO2-Gehalts, sozusagen im Sinne der Bauphysik;, zeitgenössische Klimatologen rechnen hier sog. pois. Feedbacks ein und kommen auf höhere Werte – ansonsten könnten auch neg. Feedbacks vorliegen, die den Entscheidern einen wesentlich größeren, zeitlichen Spielraum geben könnten – Ökosysteme balancieren ja, oder?)

  4. #4 Dr. Webbaer
    15. November 2016

    *
    im Sinne der Bauphysik;[] zeitgenössische Klimatologen rechnen hier sog. po[]s. Feedbacks

  5. #5 biotec4u
    24. Januar 2017

    … der Mensch ist so – auch Venedig ist auf Holzpfosten mit Raubbau aufgebaut – und die ganze Hansekogge mit ihren Flotte liegt auf Meeresgrund.

    Mensch gedenke KLIMA gibts nur hier – das UNIVERSUM IST VAKKUUM und LUFTLEER – biotec4u