Die Saturnringe stellen die Astronomen seit Jahrhunderten vor ein Rätsel: Woher kommen sie? Warum bestehen sie fast nur aus Eis? Warum hat nur der Saturn solche Ringe? Neue Modellrechnungen zeigen einen verblüffend einfachen Weg, wie der Saturn seine Ringe bekommen haben könnte.


Die Saturnringe bestehen vor allem aus Eis, mit geringen Beimengungen von gestein. Der innerste Ring umkreist den Saturn in einem Abstand von nur 7000 km von der Oberfläche (also mit einem Durchmesser von 134000 km), der Äußerste ist mit einem Durchmesser von knapp einer Million Kilometer wesentlich größer (Bild von Wikipedia, aktualisiert):

PIA08361 Ring World.png
Von NASA/JPL/Space Science Institute – https://photojournal.jpl.nasa.gov/catalog/PIA08361, Gemeinfrei, Link

Seit der Entdeckung der Ringe rätseln die Astronomen, wie sie entstanden sind.

Im 19. Jahrhundert erkannte Edouard Roche, dass ein Mond, der seinem Planeten zu nahe kommt, durch die Gezeitenkräfte zerrissen werden würde: Die Seite des Mondes, die dem Planeten näher ist, wird stärker angezogen als die planetenabgewandte Seite des Mondes. Dadurch wird der Mond in die Länge gezogen. Weitere Kräfte ergeben sich dadurch, dass bei einer geringeren Entfernung vom Planeten die Umlaufbahn ja schneller durchlaufen werden muss, um stabil zu sein. Diese kleine Bildsequenz (für einen flüssigen Satelliten, bei dem das Zerreißen natürlich einfacher ist), zeigt, wie man sich das vorstellen kann:

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(Bilder von Wikipedia, Original: Theresa Knott at the English Wikipedia
SVG: Hazmat2 – Diese Datei wurde von diesem Werk abgeleitet:  Roche limit (ring).PNG, CC BY-SA 3.0, Link, animiert mit gifsicle)

Roche hatte also die Idee, dass die Saturnringe einst ein Mond waren, der dann (beispielsweise durch Gas oder Staub abgebremst) dem Saturn zu nahe kam und zerbrach. Als Idee ganz gut, aber leider mit einem kleinen Nachteil: Wenn das so war, dann müssten die Ringe aus typischem “Mondmaterial” bestehen, also aus Eis und Gestein. Tatsächlich bestehen sie aber nahezu nur aus Eis. Wenn die Roche-Theorie stimmt, wo ist dann das ganze Gestein hin?

Andere Modelle, die aber auch nicht recht überzeugen konnten, nahmen an, dass die Ringe gemeinsam mit dem Saturn entstanden oder dass ein Mond durch Kollision mit einem anderen Himmelskörper zerbrach und die Ringe zurückließ.

In der letzten Ausgabe von nature wurde nun eine Abwandlung der Roche-Idee veröffentlicht, die das Gesteinsproblem umgeht und gut zu den Eigenschaften der Saturnringe passt. Robin Canups Modell beginnt mit einem großen Mond außerhalb der Roche-Grenze. Dieser Mond müsste etwa die Größe des größten Saturnmonds Titan und einen Gesteinskern mit einem dicken Eismantel außen drum gehabt haben. Er wurde durch Staub und Gase, die den Saturn umgaben, langsam abgebremst und wanderte dabei immer dichter an Saturn heran, weil sein Drehimpuls dabei abnahm. Schließlich erreichte er die Roche-Grenze.

Canup zeigt mit Modellrechnungen, dass die Gezeitenkräfte den Mond dabei nicht unbedingt vollständig zerreißen müssen, sondern zunächst vor allem seinen Eispanzer angreifen. Während der Mond also langsam weiter gebremst wird und nach innen wandert, verliert er mehr und mehr von seinem Eis, das sich als Ring um den Saturn legt. Schließlich stürzt der Mond auf den Saturn. Dieses Modell erklärt damit auf einfache Weise, warum die Saturnringe nur aus Eis bestehen.

Anfänglich waren die Ringe dabei wesentlich massiver als heute, vermutlich etwa 1000 mal. (Das hätte ich gern gesehen!) Im Laufe der Zeit ging Ringmaterial verloren, weggerissen zum Beispiel durch äußere Einflüsse wie Kometen und Asteroiden, aber auch dadurch, dass ein Teil des Ringmaterials nach Außen wanderte. Sobald er die Roche-Grenze verließ, konnte er sich zu Monden zusammenballen. In ihrem Modell macht Canup plausibel, dass zumindest die beiden inneren Monde Mimas und Enceladus auf diese Weise entstanden sein könnten (Mimas besteht größtenteils aus Wassereis, Enceladus hat einen felsigen Kern, enthält aber ebenfalls viel Eis.) Sie berechnet auch die Abnahme der Ringmasse über die Zeit und kommt zu Werten, die den heute gemessenen entsprechen.

Dass die Ringe anfangs sehr massereich waren, erklärt zwanglos gleich noch etwas anderes: Im Laufe der Zeit sollten die Ringe eigentlich zunehmend felsiges Material ansammeln, weil Asteroiden von außen hinzukamen. Deswegen nahm man lange Zeit an, dass die Ringe wesentlich jünger sind als der Saturn selbst. Wenn die Ringe aber gleichzeitig viel Masse verlieren, dann können sie sehr alt sein und heutzutage immer noch vor allem aus Wassereis bestehen.

Insgesamt passt Canups Modell sehr gut zu den Beobachtungsdaten und hat den Vorteil, konzeptionell ziemlich einfach zu sein: Alles, was man braucht, ist ein großer Mond mit felsigem Kern und einer dicken äußeren Eisschicht dicht an der Roche-Grenze. Wenn das Modell sich bewährt, dann erscheint es nicht unplausibel, dass auch Planeten in anderen Sonnensystemen Ringe haben könnten.


Canup, R. (2010). Origin of Saturn’s rings and inner moons by mass removal from a lost Titan-sized satellite Nature DOI: 10.1038/nature09661

Kommentare (10)

  1. #1 KommentarAbo
    19. Dezember 2010

  2. #2 SCHWAR_A
    19. Dezember 2010

    Aber wie konnte denn das Eis den Anziehungsbereich des Rest-Gestein-Mondes derart verlassen, daß es sich um den Saturn verteilte? Gezeitenkräfte sind doch nicht derart stark, daß sie bis auf Fluchtgeschwindigleit beschleunigen!

  3. #3 MartinB
    20. Dezember 2010

    @SCHWAR_A
    soweit ich das verstehe, ist genau das der Fall: Die Gezeitenkräfte werden größer als die Gravitation und reißen den Planeten auseinander:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Roche-Grenze
    Hinzu kommen die “Kohäsivkräfte” – also die Bindungskräfte innerhalb des gesteins. Soweit ich das paper verstehe (habe aber nicht alles genau gelesen) wurden die mit berücksichtigt um zu sehen, dass eben das außen liegende Eis abgestreift werden kann, während der Gesteinskern zusammenbleibt, bis der Mond auf den Saturn stürzt.

  4. #4 Bullet
    20. Dezember 2010

    Wenns denn schnell genug geht. Gezeitenkräfte reißen auch Steine auseinander, wenn die zu groß sind und zu lange in der Gravitationspresse verweilen.

  5. #5 Benny
    20. Dezember 2010

    Wobei sich mir nun aber die Frage aufdrängt, warum gibt es dieses Phänomen nicht auch bei anderen Planeten in unserem Sonnensystem, sondern nur beim Saturn? Genügend Monde, denen das gleiche Schicksal bei anderen Planeten ereilen könnte, gibt’s ja 😉

  6. #6 klauszwingenberger
    20. Dezember 2010

    @ Benny:

    Saturn ist nicht der einzige Planet mit Ringsystemen. Nur der auffälligste.

  7. #7 SCHWAR_A
    20. Dezember 2010

    Würde durch derart große Kräfte die Temperatur des Mondes nicht soweit erhöht, daß das Eis sogar verdampft? Dann würde sich natürlich durch späteres Auskondensieren wiederum Eis bilden können, ohne Gestein dabei. Ist denn bekannt, wie ‘rein’ das Eis ist?

    Soweit ich weiß, sind die Ringe stark durch Resonanzen mit den anderen Trabanten verkoppelt. Könnte nicht notwendigerweise mindestens ein anderer, größerer Mond notwendig sein, um die Eisbrocken zwischen diesem und dem Saturn zu halten (Lagrange-Punkte etc.)?

  8. #8 MartinB
    20. Dezember 2010

    @Benny
    Aber der Mond muss groß genug sein und dicht an der Roche-Grenze entstehen und ind er Frühzeit (als noch tonnenweise Staub um den Planeten flog) soweit abgebremst werden, dass er in den Roche-Bereich reinkommt.
    Vielleicht hatten die anderen Planeten früher auch deutlichere Ringe (kleine Ringe haben ja Jupiter und Uranus, wenn ich mich recht entsinne), aber nur beim Saturn war halt ein großer Mond mit Eispanzer betroffen.
    Vielleicht haben ja unsere “Hausastronomen” noch was kluges zu sagen…

  9. #9 Name auf Verlangen entfernt
    20. Dezember 2010
  10. #10 MartinB
    21. Dezember 2010

    @MT
    Interessanter Link, danke.