Große und kleine Tiere: Die Froude-Zahl
Wieso “entspricht” ein T. rex bei einer Geschwindigkeit einem Strauß bei einer anderen? Wie oben schon kurz erwähnt, kann man große und kleine Tiere nicht einfach so vergleichen, weil die Schrittlänge so unterschiedlich ist. Um einen “fairen” Vergleich zu bekommen, muss man die Beinlänge irgendwie herausrechnen. Wie? Dazu bedient man sich der Physik und fragt sich: Welche Naturkonstanten spielen beim Gehen oder Laufen eine Rolle?

Es ist hoffentlich naheliegend, dass hier nur die Schwerkraft in Frage kommt – beim Gehen “fällt” man ja immer nach Vorn, beim Laufen muss man sich gegen die Schwerkraft abstoßen. (Falls ihr mal auf irgendeinem Blog eines spitzfindigen Physikers mit Hang zum Sensationalismus (ist das ein Wort?) gelesen habt, dass es gar keine Schwerkraft gibt – stimmt schon, aber die Schwerkraft ist ein nützliches Modell.)
Die Schwerkraft an der Erdoberfläche (wo man ja normalerweise rumläuft) wird durch die Schwerebeschleunigung g bestimmt – diese hat den Wert 10m/s2; in einer Sekunde erhöht sich also die Geschwindigkeit eines fallenden Objekts um 10m/s.

Eine andere Naturkonstante gibt es nicht, die direkt etwas mit der Mechanik des Gehens zu tun hat. Um große und kleine Tiere zu vergleichen, muss man jetzt – das ist ein Standardtrick unter Physikerinnen – die zur Verfügung stehenden Größen so miteinander kombinieren, dass eine Zahl herauskommt, die keine Einheit mehr hat. Eine solche dimensionslose Größe ist dann von der Größe des Tieres unabhängig. Wir haben also g (Einheit m/s2), die Laufgeschwindigkeit v (Einheit m/s) und die Beinlänge L (Einheit m). Um daraus eine dimensionslose Größe zu bauen, müssen wir die Sekunde-Quadrat vom g mit der Sekunde von v loswerden, also brauchen wir v2/g, das hat dann die Einheit m. Damit wir den letzten Meter auch noch wegbekommen, teilen wir durch die Beinlänge und definieren die dimensionslose Froude-Zahl
Fr = v2 / gL (ja, für alle Pedantinnen: das L steht unter dem Bruchstrich, ich mach aber trotzdem keine Klammer).

Manche Leute ziehen nochmal die Wurzel aus dieser Zahl (also aufpassen, wenn ihr Bücher oder Artikel lest) – aber ich nehme sie in dieser Form.

Man kann sich die Froude-Zahl übrigens auch anders überlegen: Beim Laufen und Gehen spielen zwei Energien eine Rolle: Das eine ist die kinetische Energie (proportional zu m v2), das andere die Energie im Schwerefeld (proportional zu mgh, wenn man etwas um h nach oben oder unten bewegt). Damit die Bewegung zweier unterschiedlicher großer Läufer ähnlich aussieht, müssen sie beide ihren Schwerpunkt um eine Strecke auf- und abbewegen, die mit der Beinlänge zusammenhängt. Deswegen geht gL ein diese Energie ein. Und die Auf- und Abbewegung beim Laufen hängt natürlich mit der Vorwärtsbewegung zusammen, deswegen muss mv2 eine Rolle spielen. Teilt man die beiden, fällt die Masse weg und man hat eine dimensionslose Größe.

Mit der Froude-Zahl kann man jetzt unterschiedliche Läufer vergleichen. Der Übergang vom Gehen zum Laufen passiert so etwa bei einer Froude-Zahl von 0.5. Setzt man für einen erwachsenen Menschen ganz grob eine Beinlänge von 1Meter an, dann ergibt das eine Geschwindigkeit von etwas über 2m/s, also etwa 8km/h. Deswegen ist dies so etwa die Geschwindigkeit, bei der man vom Gehen ins Laufen verfällt (und tatsächlich vermeidet man genau diesen Geschwindigkeitsbereich meist, weil hier weder Gehen noch Laufen besonders effizient sind.).1 Ein Kind mit einer Beinlänge von vielleicht nur 50cm dagegen hat bei Fr=0.5 eine Geschwindigkeit von nur etwas über 5km/h (ich runde hier generell ziemlich grob, weil die 0.5 selbst nicht so genau sind) und muss deshalb schon laufen, wenn ein Erwachsener noch geht.

1Falls Ihr mal die “Schnellgeher” bei der Olympiade gesehen habt – die erreichen deutlich höhere Gehgeschwindigkeiten. Allerdings machen sie auch ziemliche Verrenkungen mit der Hüfte, um die “effektive” Beinlänge zu verändern und damit die Froude-Zahl zu manipulieren, und sie gehen in einem Geschwindigkeitsbereich, in dem Laufen effizienter wäre. Den genauen Unterschied zwischen gehen und Laufen erkläre ich später noch genauer.

1 / 2 / 3 / 4

Kommentare (22)

  1. #1 zulu
    25. April 2011

    Super Artikel, danke.

  2. #2 Anke Bebber
    25. April 2011

    Wunderbar! Sehr gut zu lesen und wirklich hochinteressant!

  3. #3 Florian Freistetter
    25. April 2011

    Wie ihr seht, ist es gar nicht so einfach, die Laufgeschwindigkeit von ausgestorbenen Tieren abzuschätzen.

    Wie – du meinst die Sendung die ich letztens auf SuperRTL gesehen habe und wo sie nen T-Rex auf ein Laufband gestellt haben um seine Laufgeschwindigkeit zu messen war nicht wissenschaftlich? 😉

  4. #4 Christian A.
    25. April 2011

    Kann mich meinen Vorschreibern nur anschließen: Toller Artikel, und super Cliff-Hanger!

    Was mich irritierend fasziniert (gibts da ein gutes Wort, was die beiden zusammenfasst?), ist dass man so eine einfache Zahl (die Froude-Zahl) nehmen kann, um damit Vergleichbarkeit herzustellen. Ich meine, das wird zwar viel auch in anderen Bereichen gemacht und ist super und sehr sinnvoll, aber ich kanns immer kaum verstehen, dass das funktioniert! Damit umgeht man ja die detaillierte Betrachtung des Systems (des Tiers) und extrahiert quasi “ratenderweise” die zugrunde liegenden Prinzipien.

    Auch ein Strauß würde vermutlich nicht überleben, wenn er stolpert;

    Stimmt das wirklich? Oder kann man das nur vermuten, weil noch nie ein stolpernder Strauß beobachtet worden ist? 😉

  5. #5 Dr. Webbaer
    26. April 2011

    (…) was passieren würde, wenn ein T. rex mit einer Geschwindigkeit von 70km/h stolpern und hinfallen würde. Ihr Fazit: er würde sich die Knochen brechen und den Sturz vermutlich nicht überleben.

    Das Argument scheint gar nicht so schlecht, denn Stolpern könnte ein Gebrauchsfall gewesen sein für das gute Tier.
    Dagegen gilt aber auch, dass in Bäumen lebende Affenarten regelmäßig Ausfälle durch Abstürze zu verkraften haben, d.h. sich zu Tode stolpernde T-Rexe könnten, nun, …, natürlich gewesen sein.

    Mal ganz laienhaft zum Strauss-Dino-Vergleich angemerkt, benötigt so ein T-Rex bei vielleicht 6t Masse nicht ein wesentlich muskulöseres [1] Fortbewegungssystem und gibt es für diese Muskelbildung keine natürlich-physikalischen Grenzen?

    MFG
    Dr. Webbaer

    PS: Wieder ein guter Artikel!, natürlich.

    [1] mu, mus, musk, …, nee, ‘Muskel’ nicht im Artikel gefunden – gerade noch auf die Schnelle gefunden: https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,184572,00.html

  6. #6 Dr. Webbaer
    26. April 2011

    Einen Meilenstein in diesen Berechnung erreichten John Hutschinson und Mariano Garcia mit ihrem Nature-paper “Tyrannosaurus was not a fast runner”. Das schauen wir uns im zweiten Teil an…

    Aja, SR, hat sich dann wohl erledigt…

    MFG
    Dr. Webbaer

  7. #7 MartinB
    26. April 2011

    @FF
    Sooo schlecht war die Sendung gar nicht (hatte ich vor ein paar Jahren mal zumindest in teilen geguckt), die biomechanischen Grundlagen stimmten einigermaßen.

    @ChristianA
    Dass die froudezahl einigermaßen gut klappt, ist für viele lebende Tiere empirisch nachgeprüft. Einige Dinge (wie der Übergang gehen-Laufen) hängen an relativ fundamentalen Prinzipien; das wird im zweiten Teil vielleicht noch klarer werden.
    All zu genau sind solche Zahlen aber natürlich nicht – da sind schon einige zehn Prozent Spielraum drin.

    Was den stolpernden Strauß angeht – ich weiß nicht, ob schon mal jemand einem Strauß bei 60km/h ein Bein gestellt hab, aber wenn man sich anguckt, was mit einem Menschen passiert, der bei dem Tempo vom Fahrrad oder Motorrad segelt, glaube ich eher nicht, dass der Strauß da einfach aufsteht und alles ist gut. Zumindest bei Pferden weiß man ja, dass die sich gern mal nen Bein vertreten und dann arge Probleme haben. Vermutlich stolpern Strauße einfach nicht sehr oft – das ist ja letztlich mein Punkt.

  8. #8 Bjoern
    26. April 2011

    @Martin: Sehr schöner Artikel! Da bekommt man direkt Lust auf Biophysik… 😉

    Ich meine mich zu erinnern, mal irgendwo gelesen zu haben, man könnte an Knochen noch die Angriffspunkte der Muskeln identifizieren und daraus Rückschlüsse zu ziehen, wie groß die Muskeln gewesen sind. Erinnere ich mich da falsch, oder wird das tatsächlich auch so gemacht? (von Muskeln hattest du ja bisher nichts erwähnt, wie schon Herr Wb bemerkte… kommt dann wohl im zweiten Teil?)

  9. #9 MartinB
    26. April 2011

    @Bjoern
    Ja, ihr ungeduldigen, die Muskeln kommen noch.
    Die Ansatzpunkte kann man tatsächlich an den Knochen sehen – die Kollagenfasern der Sehnen laufen ein wenig in den Knochen hinein und hinterlassen Rauigkeiten, die man auswerten kann.

  10. #10 Bjoern
    26. April 2011

    @MartinB: Danke! (und Kompliment – in dem Artikel hier hast du’s geschafft, mit maximal zwei Klammer-Ebenen auszukommen… 😉 )

  11. #11 Andreas P.
    27. April 2011

    Klasse Artikel, freu mich schon sehr auf die Fortsetzung.

    Den T-Rex mit 90 km/h kann ich mir trotzdem kaum vorstellen, weniger weil es nicht möglich sondern eher weil es für mich nicht wirklich sinnvoll ist.
    Mal abgesehen von den Hochgeschwindigkeits-Beutetieren die ich nicht kenne (was nix heisst, ich hab keine Ahnung) .. wenn so ein 4-Tonnen-Urvieh mit 90 Sachen durch die Pampa fegt, der kann doch nicht bremsen (zumindest nicht schnell), der hat einen riesen Wenderadius und vor allem: der kann doch keinen angreifen. Ob er jetzt hinfällt oder in ein Beutetier ‘reinläuft … da ist er mit hinfallen warscheinlich noch besser dran.

  12. #12 MartinB
    28. April 2011

    @AndreasP
    J, die 90km/h scheinen auch mir nicht besonders plausibel. Auf der anderen Seite – wenn es keine Raubkatzen gäbe, könnten wir ein Tier für plausibel halten, dass mit solchen geschwindigkeiten über die Steppe fegt und Gazellen zu Fall bringt? Ohne entsprechende Fossilien hätte auch niemand geglaubt, dass ein fliegendes Tier mit Flügelspannweiten über 10Metern möglich ist. Insofern bin ich immer ein bisschen vorsichtig mit dem, was “plausibel” ist.

  13. #13 stl
    28. April 2011

    Sehr gelungener Artikel …
    Hieß es nicht einmal, dass der T Rex eher ein Aasfresser gewesen sein könnte, eben weil zu groß und als Jäger deswegen nicht so gelungen? Wobei es auch einige sehr große Pflanzenfresser gab. Ich erinnere mich auch etwas von einigen Funden gelesen zu haben, wo Knochen eines Raubsauriers angebrochen waren und dass man annehmen konnte, dass es durchaus zu Sturzen kam, die fatal waren (finde es online nicht, ist wohl zu lange her). Ob auf der Jagd verletzt oder beim Kampf mit Artgenossen, konnte man nicht sagen, logisch.

  14. #14 MartinB
    28. April 2011

    @stl
    Die Aasfresserthese wird eigentlich nur von John Horner vertreten, und auch das nicht mehr sehr ernsthaft. (Böse Zungen behaupten, es war vor allem ein PR-Trick…)
    Es ist für ein großes, landlebendes Tier nahezu unmöglich, als reiner Aasfresser klarzukommen. Außerdem hat man Fossilien von verheilten Bisswunden an verschiedenen Pflanzenfressenden Dinos gefunden, die eigentlich nur von einem Tyrannosaurier stammen können.

  15. #15 stl
    28. April 2011

    @MartinB
    Danke schön, und ja, das ist plausibel.

  16. #16 Dr. Webbaer
    29. April 2011

    @MartinB

    J, die 90km/h scheinen auch mir nicht besonders plausibel. Auf der anderen Seite – wenn es keine Raubkatzen gäbe, könnten wir ein Tier für plausibel halten, dass mit solchen geschwindigkeiten über die Steppe fegt und Gazellen zu Fall bringt?

    Vor Allem, wenn das gute Tier einmal kräftig auf die Vorderbeine fällt und sich so richtig wehtut (mit bis zu tödlichen Folgen). – Ist die Funktion seiner Vorderbeine eigentlich gut verstanden?

    MFG
    Dr. Webbaer

  17. #17 MartinB
    29. April 2011

    @Wb
    Die Biomechanik ist ziemlich gut erforscht (dazu gibt es ein paper im Buch “Mesozoic vertebrate Life”) – die Funktion ist nicht klar, viele Leute glauben, dass auch derart kurze aber kräftige Vrderbeine helfen konnten, die Beute zum Beißen zu fixieren.

  18. #18 Hütte, Norbert
    30. August 2011

    Hallo, habe auf einem Acker einen versteinerten Fussabdruck eines Dreizehers gefunden, kann diesen aber keinem Dino zuordnen. Frage: wo kann man sich erkundigen ob diese Versteinerung echt ist und ob es sicvh um einen wertvollen Fund handelt? Bitte um Rückinfo, m. f. G. gez. Norbert Hütte, 37339 Worbis, Goetheweg 5

  19. #19 Hütte, Norbert
    30. August 2011

    Hallo, habe auf einem Acker einen versteinerten Fussabdruck eines Dreizehers gefunden, kann diesen aber keinem Dino zuordnen. Frage: wo kann man sich erkundigen ob diese Versteinerung echt ist und ob es sicvh um einen wertvollen Fund handelt? Bitte um Rückinfo, m. f. G. gez. Norbert Hütte, 37339 Worbis, Goetheweg 5

  20. #20 Hütte, Norbert
    30. August 2011

    Hallo, habe auf einem Acker einen versteinerten Fussabdruck eines Dreizehers gefunden, kann diesen aber keinem Dino zuordnen. Frage: wo kann man sich erkundigen ob diese Versteinerung echt ist und ob es sicvh um einen wertvollen Fund handelt? Bitte um Rückinfo, m. f. G. gez. Norbert Hütte, 37339 Worbis, Goetheweg 5

  21. #21 MartinB
    30. August 2011

    Hallo Herr Hütte,
    am besten lassen Sie den Fund so, wie er ist, machen ein paar möglichst gute Fotos aus unterschiedlichen Blickwinkeln (günstig ist vermutlich leicht streifender Lichteinfall) und wenden sich an das nächstbeste Naturkundemuseum (Braunschweig zum Beispiel ist ja vermutlich nicht zu weit weg). Die Wahrscheinlichkeit, einen Dinofussabdruck auf einem Acker zu finden, ist eher klein, aber wer weiß.
    Ich bin selber kein Experte und kann deshalb nicht weiterhelfen.

  22. #22 Zacharias Fögen
    Mainz
    23. September 2013

    Hallo, ich habe mal zwei Fragen dazu.

    Hat aber nichts mit Dinosauriern zu tun. 😉

    Heißt die Froude-Zahl FR=V²/gL, dass ich auf dem Mars (angenommen nur 1/3 der Erdbeschleunigung) nur langsamer, also maximal etwa halb so schnell laufen könnte wie auf der Erde?

    und zweitens, angenommen ich wäre ein Riese von 8 Metern mit identischer Anatomie, oder ein Zwerg von einem halben Meter mit ebenfalls gleicher Anatomie, dass ich dann doppelt so schnell laufen würde bzw. halb so schnell? Oder wäre das aus anderen gesichtspunkten total unplausibel?

    Verrückte Fragen, aber naja.

    Wäre begeistert eine fundierte Antwort zu bekommen.

    Freundliche Grüße!