Es ist immer wieder faszinierend, was Paläontologen und Paläontologinnen alles aus ein paar Knochen herauslesen können. Sie knobeln nicht nur heraus, wie ausgestorbene Tiere ausgesehen haben, sondern oft sogar, wie sie sich verhalten haben. Schaut mensch sich beispielsweise die Knochen von Flugsauriern an, kann mensch sogar etwas über ihre Brutpflege herausknobeln.

Lange Zeit gingen PaläontologInnen davon aus, dass Flugsaurier sich intensiv um ihre Jungen gekümmert haben, ähnlich wie heutige Vögel. Damals nahm man an, dass Flugsaurier wechselwarme Tiere wie die meisten heutigen Reptilien waren (inzwischen wissen wir ja, dass das höchstwahrscheinlich nicht der Fall war, weil Flugsaurier ein Fell hatten), aber die Analogie zu heutigen Vögeln legte für viele trotzdem die Vermutung nahe, dass sich die Flugsaurier um ihre Jungen kümmerten. Einen Beleg gab es hierfür allerdings zunächst nicht, es war lediglich Spekulation.

Einen Dämpfer bekam diese Idee im letzten Jahr. Da wurde ein versteinerter Darwinopterus mit einem Ei gefunden, das noch im Körper lag und vermutlich kurz davor war, gelegt zu werden. (Ein schönes Bild findet ihr hier.) Das Ei hatte eine eher weiche Schale wie bei vielen heutigen Reptilien. Das spricht dafür, dass das Ei in weichem Boden vergraben wurde. Das Ei war auch relativ klein und hätte beim Schlüpfen vermutlich nur etwa 12 Gramm gewogen. Verglichen mit dem ziemlich großen Muttertier, das wohl eher um 100-200 Gramm gewogen hätte, ist das ziemlich klein und entspricht ebenfalls den Verhältnissen bei heutigen Reptilien, die viele Eier legen und sich nicht um ihre Jungen kümmerten. Daraus wurde geschlossen, dass Darwinopterus sich vermutlich nicht um seine Jungen kümmerte.

Ein bekannter Flugsaurier aus der Jurazeit in Deutschland ist der Rhamphorynchus:

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By ДиБгд at Russian Wikipedia – Originally from ru.wikipedia; description page is/was [1]., Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=51956434

Von ihm kennen wir einige Fossilien, von sehr kleinen mit einer geschätzten Flügelspannweite von 30 Zentimetern bis hin zu großen Exemplaren mit Spannweiten von etwa 1,5 Metern. Bei den kleineren Exemplaren dürfte es sich also um Jungtiere handeln.

Um etwas über die Lebensbedingungen des Rhamphorynchus herauszubekommen, können wir seine Knochen analysieren. Knochen ist ja ein ziemlich spannendes Material, das in ganz unterschiedlichen Strukturen vorliegen kann, das habe ich neulich sehr ausführlich erklärt. Für uns ist hier wichtig, dass es eine Knochensorte gibt, die sehr schnell wächst, den fibrolamellaren (oder auch plexiformen) Knochen, der im Querschnitt etwa so aussieht:

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Eine zweite Knochenform ist der primär-lamellare Knochen, der wächst deutlich langsamer:

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Leider sind die Knochenbilder der Flugsaurier nicht ganz so klar zu erkennen wie diese frischen Knochen (“Bist 150 Millionen Jahre du alt, wirst aussehen du nicht gut…”), aber mit etwas Mühe lassen sich die Knochen dennoch einordnen.

Hier erst einmal ein Oberschenkelknochen eines sehr jungen Rhamphorhynchus mit 30 Zentimeter Flügelspannweite:

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Aus Prondvai et el., s.u.

Mit etwas Mühe erkennt mensch, dass es sich um eine fibrolamellare Struktur handelt, der junge Rhamphorynchus ist also tendenziell schnell gewachsen.

Bei einem älteren Tier mit Flügelspannweite von knapp 70 Zentimetern (also immer noch ein Jungtier) sieht der Knochen dagegen deutlich anders aus:

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Aus Prondvai et el., s.u.

Weil das Tier gewachsen ist, ist der Knochen jetzt logischerweise größer geworden. Da Flugsaurierknochen hohl sind (und höchstwahrscheinlich mit Luftsäcken gefüllt waren), wurde beim Wachsen Knochenmaterial innen abgebaut. Vom ursprünglichen fibrolamellaren Knochen ist nicht mehr viel übrig geblieben – ganz innen sehen wir eventuell noch Überreste davon. (Im paper steht “Only a small portion of the oldest, innermost parallel-fibred layer with high vascularization degree is retained”, ich vermute aber, dass das ein Druckfehler ist – der Knochen sieht eher fibrolamellar aus und der ursprüngliche Knochen war ja nicht parallel-lamellar (eine andere Formulierung für primär-lamellar, wenn ich mich nicht irre – eventuell verwenden die ForscherInnen parallel-lamellar auch als Oberbegriff für beide Formen, den fibrolamellaren und den primär-lamellaren, so richtig eindeutig geregelt ist diese Knochen-Nomenklatur meines Wissens nicht (Falls ihr mehr wisst, spendiert mir doch gern einen Kommentar)).(Oh, prima, wieder mal LISP-artige Klammer-Strukturen.))

An diese innere Schicht grenzen einige Linie, die im Bild mit LAG gekennzeichnet sind. Das steht für “lines of arrested growth”, also für Linien im Knochen, die dann entstehen, wenn das Knochenwachstum zwischenzeitig langsam war oder ganz stoppte (ein bisschen wie die Jahresringe von Bäumen). Außen ist dann langsam wachsender primär-lamellarer Knochen mit vergleichsweise wenig Blutgefäßen. Auch in einem ausgewachsenen Exemplar gibt es vor allem solchen primär-lamellaren Knochen mit wenigen Blutgefäßen darin.

Insgesamt legen diese Untersuchungen nahe, dass Rhamphorynchus am Anfang seines Lebens sehr schnell gewachsen ist und sich dieses Wachstum dann verlangsamte, wenn er etwa 30-50% der Flügelspannweite eines erwachsenen Tieres erreichte. (Zur Zeit ist nicht eindeutig klar, ob das Wachstum deterministisch war, also irgendwann aufhörte wie bei heutigen Säugetieren, oder ob Rhamphorhynchus immer weiter wuchs, so wie etwa Krokodile es tun.)

Welche Schlüsse können wir nun daraus ziehen? Sehr schnell wachsende Jungtiere finden wir heute vor allem bei Tieren, die sich um ihre Jungen kümmern. Wenn die Kleinen im wesentlichen im Nest hocken und fressen, dann können sie einen größeren Teil ihrer Nahrung (die dann auch eher reichlicher ausfallen dürfte) in Wachstum umsetzen, statt sie gleich wieder bei der Futtersuche zu verbrennen. Das spricht dafür, dass junge Rhamphorhynchi (Rhamphorhynchusse? Rhamphorhynchoi?) von ihren Eltern versorgt wurden.

Es ist allerdings auch möglich, dass sie selbst jagten – allerdings ohne ihre Flügel zu benutzen. Fliegen ist eine sehr energieaufwändige Fortbewegungsweise (wenn mensch den Aufwand pro Zeit berechnet, pro Strecke ist Fliegen vergleichsweise effizient, weil fliegende Tiere meist sehr schnell sind, (hmm, ich wittere ein Thema für einen Blogpost)). Die einzigen heutigen Vögel, die direkt nach dem Schlüpfen fliegen können, sind die Großfußhühner. Diese schlüpfen, wenn sie bereits recht groß sind und wachsen anschließend sehr langsam. Es ist deshalb sehr unwahrscheinlich, dass Rhamphorhynchus nach dem Schlüpfen schon fliegen konnte.

Denkbar ist allerdings, dass die Rhamphorhynchus-Küken im Gebüsch herumkletterten (und sich vielleicht auch als Gleitflieger betätigten) und ihre Nahrung selbst suchten. Wir können also nicht ganz sicher sein, dass Rhamphorhynchus sich um seine Jungen kümmerte, plausibel ist es aber schon, zumal es für die kleinen Flugsaurier sicherlich schwierig gewesen wäre, selbst genügend Nahrung für ein schnelles Wachstum heranzuschaffen.

Und was ist mit Darwinopterus? Sprechen dessen Eier nicht dafür, dass er sich nicht um seine Jungen kümmerte? Doch, das tun sie. Das ist aber kein Widerspruch. Wir kennen etwa 70 Gattungen von Flugsauriern, und natürlich muss das, was für den einen gilt, nicht auch auf alle anderen zutreffen. Auch bei heutigen Tieren finden wir ja solche, die sich intensiv um ihre Jungen kümmern, und andere, oft sogar relativ eng verwandte, die das nicht tun. Beispielsweise vergraben die meisten Schlangen ihre Eier einfach, aber Pythons bebrüten sie (wozu sie extra Wärme erzeugen). Es wäre sehr naiv, anzunehmen, dass alle Flugsaurier gleich waren, nur weil sie aus 100 Millionen Jahren Entfernung alle so ähnlich aussehen.


Prondvai, E., Stein, K., Ősi, A., & Sander, M. (2012). Life History of Rhamphorhynchus Inferred from Bone Histology and the Diversity of Pterosaurian Growth Strategies PLoS ONE, 7 (2) DOI: 10.1371/journal.pone.0031392

Lü J, Unwin DM, Deeming CD, Jin X, Liu Y, et al. (2011) An egg-adult association, gender, and reproduction in pterosaurs. Science 331: 321-324.

Kommentare (7)

  1. #1 nihil jie
    14. Mai 2012

    abgesehen davon, dass der Artikel mal wieder interessant war, habe ich womöglich wieder eine Schoki gewonnen 😉 Großfußhühner ist das Stichwort… mir ist nur der Name entfallen als ich in einem Gespräch mit einem Freund von mir behauptete, dass es Vögel gibt die so ziemlich bald, nach dem schlüpfen, fliegen könnten. also jetzt kann ich auch die Schokolade zurück verlangen die ich fälschlicherweise verlor nur, weil ich mich an den Namen nicht erinnern konnte… großartig… vielen dank Martin *breitgrins*

  2. #2 MartinB
    15. Mai 2012

    @nihil je
    Tja, wozu so ein Blog alles gut ist…

  3. #3 Georg Hoffmann
    15. Mai 2012

    Super Beitrag. Tatsaechlich. Allein der Name. Grossfusshuehner. Fantastisch.

  4. #4 MartinB
    15. Mai 2012

    Die heißen auch zoologisch Megapodae

  5. #5 nihil jie
    15. Mai 2012

    @MartinB

    ja… solche Blogs sind nicht nur informativ sondern lösen manchmal so einige Rätsel 😉

  6. #6 Rainer
    15. Mai 2012

    Wirklich spannend, diese Entdeckungen.

    Das Buch “Leben in der Urzeit” von Spinar/Burian, mit den damals bahnbrechenden Illustrationen habe ich als kleiner Junge geschenkt bekommen (und finde es immer noch schön).
    Schon faszinierend wie sich der Wissensstand seitdem entwickelt hat.

  7. #7 MartinB
    15. Mai 2012

    “finde es immer noch schön”
    Jupp, das Buch war einer der Gründe, dass ich dinophil wurde. Die Bilder sind immer noch toll.