Im Extremfall einer verschwindenden Masse sind alle Werte von φ(0) gleichwahrscheinlich. Das passt auch physikalisch: In einem Quantenfeld mit verschwindender Masse hat ein konstanter Term keinen Einfluss, weil dann nur die Änderung des Feldes (im Ort oder in der Zeit) eingeht. (Das hatten wir seinerzeit schon gesehen, als wir Felder eingeführt haben – wir hatten unsere Gleichung um einen Extra-Term erweitert, der unser Feld im klassischen Grundzustand auf einen Wert von Null festlegt, und später gesehen, dass dieser Extra-Term die Masse ist.)

Für das bekannteste masselose Feld, das elektromagnetische Feld, passt das auch zu dem, was man aus der Elektrodynamik weiß: Das Feld, das man mit der Quantenfeldtheorie beschreibt, ist das Vektorpotential, zu dem man beliebige konstante Werte addieren kann, ohne dass sich die Physik ändert. (Ja, zu Photonen und dem Vektorpotential sollte ich auch mal was schreiben…)

Je größer andererseits k1 wird, desto unwahrscheinlicher werden große Werte von φ(k1), die Glockenkurve konzentriert sich also immer mehr um den Nullpunkt. (Und weil die Wahrscheinlichkeit für irgendeinen Wert insgesamt gleich 1 sein muss, wird der Wert bei φ=0 immer größer.) Dieses Bild – berechnet für eine Masse ungleich Null – soll das ein bisschen veranschaulichen:

i-4f6f0a0d955ed60be18893c527e05bba-vacuum1.png

Hier ist die Amplitude aufgetragen (nicht normiert, deswegen können auch Werte größer als 1 auftauchen), und zwar gegen den Wert von k, der gerade betrachtet wird (hinten im Bild ist k=0). Ihr könnt also z.B. beim Wert k=10 gucken, dort seht ihr dann für diesen k-Wert die zugehörige Wellenfunktion (also die Amplituden für unterschiedliche mögliche Werte von φ(k) ), die genauso aussieht wie beim Grundzustand des harmonischen Oszillators. Weil die Funktion für negative k-Werte genauso aussieht wie für positive, zeige ich nur eine Hälfte des Ganzen. Ihr könnt sehen, dass bei kleinen k die Verteilung breit ist und bei größeren schmaler wird. Sie ist immer symmetrisch um den Nullwert, was dazu passt, dass wir ja einen verschwindenden Vakuum-Erwartungswert haben. (Diese Darstellung ist zugegeben sehr ungewöhnlich – jedenfalls habe ich sie noch nie irgendwo gesehen – aber meiner Anschauung hat’s geholfen.)

Macht man die Masse kleiner (hier um einen Faktor 10), dann wird die Verteilung im Bereich bei kleinen k-Werten erwartungsgemäß breiter, bei großen k-Werten tut sich allerdings wenig:

i-c52b154cc55c20ad82bed1141f869c85-vacuum1LowMass.png

Umgekehrt wird die Verteilung bei einer sehr hohen Masse insgesamt schmaler und der Effekt von k wird schwächer (weil in k2+m2 der Einfluss von k relativ zu m geringer ist):

i-526b0c062b62391c615ccc2d91be5a7f-vacuum1HighMass.png

Für jede Fourierkomponente ist die Wahrscheinlichkeitsamplitude also eine Gaußkurve und sieht deshalb genau so aus wie die für den Grundzustand des harmonischen Oszillators. (Und ratet mal was beim nächsten Mal passiert, wenn wir angeregte Zustände betrachten…).

Man kann dieses Ergebnis auf zwei unterschiedliche Arten betrachten: Zum einen kann man sagen, dass der Vakuumzustand zusammengesetzt ist aus lauter Gaußkurven (wie beim Grundzustand des harmonischen Oszillators), die für jede einzelne Wellenlänge (also jedes k) die Verteilung der Wahrscheinlichkeitsamplitude angibt. In diesem Sinn ist das Vakuum sozusagen eine Überlagerung von unendlich vielen harmonischen Oszillatoren, einem für jede Wellenlänge.

Oder man kann umgekehrt eine bestimmte Feldkonfiguration φ(x) betrachten und fragen, wie groß ihre Wahrscheinlichkeitsamplitude insgesamt ist, wie groß also der Beitrag ist, den diese Feldkonfiguration zum Vakuumzustand leistet.

Dazu müssen wir dann folgendes tun:

  1. φ(x) hinschreiben:
    i-424dfd5bba5ed57833e455a2999152cd-phiBeispiel.png
  2. φ(x) fouriertransformieren zu φ(k)
    i-8efa99f791f6096c68a89b1f5063414c-phiBeispielFourier.png
  3. Für jedes φ(k) die Wahrscheinlichkeitsamplitude aus der Gaußkurve berechnen – dabei ist die Kurve um so schmaler (große Werte um so unwahrscheinlicher) je größer ω ist. Graphisch übertragen wir die φ(k)-Kurve in unser Bild für die Wahrscheinlichkeitsamplitude und lesen bei jedem k-Wert die zugehörige Amplitude ab:
    i-3f2e4f99e1c6647932e15d008967b600-vacuum1MitFunktion.png
  4. Alle diese Amplituden miteinander multiplizieren (denn Wahrscheinlichkeiten muss man ja multiplizieren, wenn mehrere Ereignisse gleichzeitig eintreten sollen).

Anmerkung: Der letzte Schritt ist mathematisch etwas gruselig – er involviert ein Produkt über alle möglichen k-Werte, also ein Produkt über alle reellen Zahlen. MathematikerInnen kriegen von so etwas nachts vermutlich Albträume, aber PhysikerInnen können das etwas lockerer sehen – wenn wir die unendlich dicht liegenden reellen Zahlen durch ein hinreichend feines Gitter aus einzelnen Zahlen approximieren, wird das schon keinen großen Unterschied machen. Ich mache mir über die involvierten Unendlichkeiten hier erst mal keine Sorgen (im Buch von Hatfield enthält die Rechnung einen schicken Faktor π. Wer weiß, eines Tages komme ich in dieser Serie vielleicht auch dahin, zu erklären, was es mit all den Unendlichkeiten in der QFT auf sich hat, aber das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden. (10 Hier-Wohnen-Drachen-Taler für alle, die dieses Zitat korrekt zuordnen können.)

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Kommentare (14)

  1. #1 Bjoern
    6. Juni 2012

    10 Hier-Wohnen-Drachen-Taler für alle, die dieses Zitat korrekt zuordnen können.

    Ach, dieses Zitat zuzuordnen wäre doch eine unendliche Geschichte… 😀

    Achtung, der Wiki-Link zum Casimir-Effekt ist nur bedingt gut, weil er von “kurzfristig aus dem Vakuum” erzeugten virtuellen Teilchen redet – das ist aber Kram, wie Ihr jetzt wisst.

    Da stimme ich beim Casimir-Effekt prinzipiell zu – um den zu erklären, braucht man in der Tat keine kurzfristig erzeugten virtuellen Teilchen.

    Aber der Vakuum-Zustand, den du hier beschreibst, ist ja der für eine “freie” Theorie, ohne Wechselwirkungen der Teilchen miteinander. Damit kurzfristig virtuelle Teilchen existieren können, braucht man ja aber eine wechselwirkende Theorie, oder?

    Beispiel QED: man nehme einen Elektron-Photon-Vertex, und schon bekommt man in niedrigster Ordnung ein Feynman-Diagramm, wo an einem Raumzeitpunkt ein Elektron, ein Positron und ein Photon entstehen, die sich an einem anderen Raumzeitpunkt dann wieder gegenseitig vernichten. In einer Theorie ohne Wechselwirkung der Teilchen wüsste ich sagegen nicht, wo diese virtuellen Teilchen herkommen sollten…

    Ergibt es also nicht doch Sinn, zumindest den Vakuumzustand einer solchen wechselwirkenden Theorie in der Tat mit Hilfe kurzfristig existierender virtueller Teilchen zu beschreiben…? (ich darf raten: das alles wird in einem späteren Teil noch besprochen, richtig? 😉 )

  2. #2 MartinB
    6. Juni 2012

    @Bjoern
    Die Leiterplatten beim Casimir-Effekt tun ja nichts weiter, als die erlaubten k-Werte einzuschränken, ich sehe da keine Notwendigkeit für virtuelle Teilchen-Antiteilchen-Paare o.ä. In einer QED ohne Elektronen (rein photonische Theorie) wäre das Ergebnis dasselbe, soweit ich sehen kann. Sonst müsste ja auch eine Kopplungskonstante o.ä. in die Casimir-Kraft eingehen.

    “Ergibt es also nicht doch Sinn, zumindest den Vakuumzustand einer solchen wechselwirkenden Theorie in der Tat mit Hilfe kurzfristig existierender virtueller Teilchen zu beschreiben…?”
    Darüber bin ich mir ehrlich gesagt noch etwas unschlüssig. Denn auch in der wechselwirkenden Theorie ist das – ungemessene – Vakuum vollständig Lorentz-invariant. Warum soll sich also ein Teilchenpaar “hier” bilden und nicht “da”? Man kann das natürlich mit Feynman-Diagrammen zeichnen, aber am Ende muss man ja über alle Entstehungs- und Vernichtungsorte summieren. Man kann das andererseits vermutlich als eine Überlagerung all dieser Paare beschreiben (so wie ich hier eine Überlagerung aller möglichen phi(k)-Werte habe) – wen ich das hier akzeptiere, sollte ich das in der wechselwirkenden Theorie wohl auch tun.

    Einen echten Effekt der virtuellen Teilchen-Antiteilchen bekomme ich ja auf jeden Fall erst, wenn ich das Vakuum störe (mit einer Ladung, die sich dann mit einer Schale umgibt, oder bei der Hawking-Strahlung), aber dann ist auch die Lorentz-Invarianz weg.

    Kurz gesagt: Ich bin mir da mit meiner Anschauung noch nicht ganz sicher, vermutlich hast du aber recht.

    “ich darf raten: das alles wird in einem späteren Teil noch besprochen, richtig? ;-)”
    Im Moment bin ich etwas QFT-erschöpft – einen Teil gibt es noch (der ist fast fertig), dann muss ich erst mal sehen, wie es weitergeht.

  3. #3 Bjoern
    7. Juni 2012

    Hm, ich hatte doch schon gesagt, dass ich dir beim Casimir-Effekt zustimme…? Der Rest, den ich geschrieben hatte, hatte mit dem Casimir-Effekt nichts zu tun…

    Denn auch in der wechselwirkenden Theorie ist das – ungemessene – Vakuum vollständig Lorentz-invariant. Warum soll sich also ein Teilchenpaar “hier” bilden und nicht “da”?

    Wie du selbst sagst, hat man ja eine Überlagerung aller Diagramme zu allen möglichen Raum-Zeit-Punkten, deshalb ist das insgesamt dann wieder Lorentz-invariant, würde ich sagen.

    Kurz gesagt: Ich bin mir da mit meiner Anschauung noch nicht ganz sicher, vermutlich hast du aber recht.

    Danke für die Bestätigung – das wird nämlich auch in keinem der Bücher, die ich kenne, vernünftig erklärt…

  4. #4 MartinB
    7. Juni 2012

    “Hm, ich hatte doch schon gesagt, dass ich dir beim Casimir-Effekt zustimme…?”
    Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich dich da richtig verstanden hatte, deswegen habe ich es nochmal hingeschrieben.

    “das wird nämlich auch in keinem der Bücher, die ich kenne, vernünftig erklärt… ”
    Ebenso wie der Vakuum-Zustand selbst – oder steht das, was ich hier erklärt habe, irgendwo vernünftig drin und ich lese immer nur die falschen Bücher?

  5. #5 Bjoern
    8. Juni 2012

    Ebenso wie der Vakuum-Zustand selbst – oder steht das, was ich hier erklärt habe, irgendwo vernünftig drin und ich lese immer nur die falschen Bücher?

    Also, ich kenne auch keins, in dem das so drin stehen würde… ich hatte mal eine Vorlesung, in welcher der Dozent zumindest ein bisschen was über das Wellenfunktional und die Zustände geredet hat, das ging aber nicht so weit / tief, wie du es hier erklärst.

  6. #6 MartinB
    8. Juni 2012

    @Bjoern
    Stolz sei 🙂

  7. #7 stefan
    11. Juli 2012

    Betreff: “In diesem Sinn ist das Vakuum sozusagen eine Überlagerung von unendlich vielen harmonischen Oszillatoren, einem für jede Wellenlänge.” [MB]
    Frage: Darf ich mir das – in hinkender Analogie – ungefaehr so vorstellen wie dasjenige, was die Akustiker und Radiofunker in der klassischen Physik und Fernmeldetechnik ein “weisses Rauschen” nennen?

  8. #8 MartinB
    11. Juli 2012

    @stefan
    Ist als Analogie vielleicht nicht so schlecht, auch wenn es nicht perfekt passt (keine Zeitabhängigkeit im Vakuumzustand).

  9. #9 Karl Simon
    Burscheid
    15. Januar 2014

    Faszinierend.

    Eine so einleuchtende Betrachtung des Vakuumzustands habe ich noch nie gesehen.
    Hast du auch eine daraus folgende Beschreibung für das Higgsfeld?.

  10. #10 MartinB
    15. Januar 2014

    @Karl
    Danke für das Lob – es gebührt aber letztlich dem physicsforum und dem Buch von Hatfield, wo die notwendigen Formeln drinstehen.

    Ich habe einige male über das Higgsfeld geschrieben, allerdings mit etwas anderem Hintergrund. Am besten mal rechts oben Higgs in die Suchbox eintragen. Die ausführlichste Erklärung ist die hier (zwei Teile):
    https://scienceblogs.de/hier-wohnen-drachen/2011/12/17/wie-funktioniert-das-higgsteilchen/
    https://scienceblogs.de/hier-wohnen-drachen/2011/12/22/das-higgs-und-das-nix-das-vakuum-ist-auch-nicht-mehr-was-es-mal-war/

  11. #11 Jens Kluge
    Singapur
    26. November 2018

    Wenn man so von Vakuumfluktuationen hört drängt sich doch sofort der Gedanke auf, ob vielleicht der Kernzerfall davon ausgelöst wird und nicht wirklich ohne Ursache ist. Und tatsächlich gibt es eine Publikation dazu: “Effects of vacuum fluctuation suppression on atomic decay rates”, Ford, Roman, Annals of Physics 326 (2011) 2294–2306. Hier wird erstmal nur eine Experiment vorgeschlagen, noch nichts gemessen. Beim Gravitationswellendetektor soll eine Unterdrückung von Vakuumfluktuationen ja wohl demnächst technisch eingesetzt werden, wenn ich das richtig verstehe.

  12. #12 MartinB
    26. November 2018

    @Jens
    “Beim Gravitationswellendetektor soll eine Unterdrückung von Vakuumfluktuationen ja wohl demnächst technisch eingesetzt werden, wenn ich das richtig verstehe.”
    Davon habe ich noch nichts gehört, hast du dazu eine Quelle?

  13. #13 Niels
    27. November 2018

    @MartinB

    GEO600 und Advanced LIGO (A+) setzen “squeezed vacuum” ein.

    https://www.ligo.org/science/Publication-SqueezedVacuum/index.php

    https://en.wikipedia.org/wiki/Squeezed_coherent_state

    Hab ich mir aber noch nicht richtig angeschaut und momentan verstehe ich deswegen nicht richtig, was da eigentlich genau passiert.

  14. #14 MartinB
    28. November 2018

    @Niels
    Aha, danke. Details durchblicke ich auch gerade nicht, aber die Idee leuchtet schon ein.