Flüssigkristallanzeigen sind ja fast allgegenwärtig – man findet sie in Uhren, Taschenrechnern, Handys, Monitoren. Natürlich braucht man eine elektrische Spannung, um die Anzeige zu schalten – wenn ihr den Stecker am Monitor zieht, verschwindet das Bild. Jetzt ist es gelungen, eine Flüssigkristall-Anzeige zu bauen, die nicht mit Elektrizität, sondern mit Licht geschaltet wird.

Der Begriff “Flüssigkristall” klingt ja irgendwie widersprüchlich – wenn etwas flüssig ist, dann purzeln die Moleküle ja normalerweise irgendwie in der Gegend herum, während sie in einem Kristall wohlgeordnet auf einen Kristallgitter sitzen. Beides gleichzeitig geht irgendwie schlecht, oder?

Flüssigkristalle bestehen meist aus langen, fadenförmigen Molekülen. (Es gibt auch welche aus eher münzförmigen Molekülen, aber die ignoriere ich der Einfachheit halber.) In einer Flüssigkeit aus solchen Molekülen ist es natürlich energetisch günstiger, wenn sich die Fäden einigermaßen parallel zueinander anordnen als wenn sie alle wild durcheinanderpurzeln, weil ja zwischen den Molekülen Anziehungskräfte wirken. Dieses nette Bild von Wikipedia veranschaulicht das:

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By Kebes – Own work, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4170779

Bei sehr niedrigen Temperaturen wird das Material natürlich fest, die Moleküle ordnen sich brav in einem Kristallgitter an und sind auch schön parallel zueinander ausgerichtet. (Sie zittern allerdings immer ein bisschen um ihre Gleichgewichtsposition herum.) Erhöht man die Temperatur, dann werden die Moleküle beweglich, aber solange die Temperatur nicht zu hoch ist, sind energetisch günstige Zustände bevorzugt, also solche, bei denen die Moleküle trotzdem noch einigermaßen parallel zueinander ausgerichtet sind. (Das ist mal wieder ein Beispiel für die Macht der Entropie.)

Flüssigkristallanzeigen nutzen aus, dass längliche Moleküle mit Licht wechselwirken – dabei hängt die Wechselwirkung davon ab, ob das elektrische Feld der Lichtwelle entlang der Molekülachse orientiert ist oder quer dazu. Weil sich die Elektronen im Molekül parallel zur Achse leichter bewegen können, gibt es dort eine andere Wechselwirkung und entsprechend eine andere Lichtbrechung.

In einer Flüssigkristall-Anzeige (englisch LCD für “liquid crystal display”…) wie ihr sie vermutlich auf eurem Computerbildschirm habt (ich hoffe, niemand muss mehr an einem Röhrenmonitor sitzen), nutzt man das jetzt auf trickreiche Weise aus. Hier das Bauprinzip einer einfachen sogenannten TN-Zelle (technisch eingesetzte Zellen sind meist etwas komplizierter, aber das Prinzip ist dasselbe):

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User Panja-San CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1568630

Der Flüssigkristall befindet sich zwischen zwei Glasplatten, die mit Polymermolekülen überzogen sind, so dass sich die Moleküle direkt an der Glasplatte bevorzugt in einer Richtung ausrichten. Die Glasplatte unten und oben sind um 90 Grad gegeneinander verdreht, das sorgt dafür, dass sich die Orientierung der Moleküle ebenfalls dreht. (Deswegen heißt das Ding auch TN-Zelle, “T” für “twisted”, also “verdreht”, “N” für “nematisch”, also “Fadenförmig”).

Zusätzlich ist oben und unten noch ein Polarisationsfilter angebracht. Auch diese beiden Filter sind hier im 90 Grad verdreht.

Wenn jetzt Licht von unten kommt, lässt der erste Polarisationsfilter nur eine Schwingungsebene des Lichtes passieren, die parallel zu den Molekülen orientiert ist. Die verdrehten Moleküle haben jetzt gerade die Eigenschaft, so mit dem Licht wechselzuwirken, dass sie die Schwingungsebene des Lichts mitdrehen, so dass das Licht oben seine Polarisation um 90 Grad gedreht hat. Es kann damit auch den oberen Filter passieren, die Zelle erscheint hell.

Legt man eine elektrische Spannung an, dann orientieren sich die Moleküle um – rechts im Bild dargestellt. Dann drehen sie die Polarisationsebene des Lichts nicht mit und die Zelle erscheint dunkel. (Helligkeitsabstufungen erreicht man dadurch, dass man eine kleinere Spannung anlegt, so dass nur einige Moleküle sich ausrichten, aber nicht alle.)

Nimmt man die Spannung wieder weg, ordnen sich die Moleküle wieder in der verdrehten Orientierung an, weil das energetisch günstiger ist. Das dauert natürlich einen Moment (die Anzeige hat sozusagen ein “Gedächtnis” – nein, das hat nichts mit Homöopathie zu tun), deswegen findet ihr bei LCD-Monitoren auch immer Angaben zur Schaltzeit.

Kleien Anekdote am Rande: Laut Wikipedia wurde das Patent für die TN-Zelle vom Deutschen Patentamt wegen “mangelnder Erfindungshöhe” abgelehnt – tja, so kann man sich irren.

Dass solche LCDs unglaublich praktisch sind, sehen wir daran, dass sie inzwischen so ziemlich überall verwendet werden. Sie brauchen aber natürlich Strom. (Es gibt auch einfache LCDs, die temperaturempfindlich sind, die man beispielsweise manchmal als Thermometer an Aquarien oder als sehr einfache Fieberanzeiger sieht, aber das ist eher eine Nischenanwendung.)

Jetzt ist es aber gelungen, Flüssigkristalle herzustellen, die auf Licht reagieren. Das funktioniert so, dass das verwendete Molekül normalerweise keinen Flüssigkristall bildet, aber unter Lichteinstrahlung seine Form ändert:

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Aus Kosa et al., s.u.

Licht mit einer Wellenlänge von 365 oder 405 Nanometern kann vom Molekül absorbiert werden. Daraufhin öffnet sich der Ring rechts oben, in dem das Sauerstoffatom (mit “O” gekenzeichnet) sitzt, so dass das Molekül etwas länglicher wird. Jetzt kann es einen Flüssigkristall bilden.

Wird das Molekül nicht mehr bestrahlt, dann kehrt es nach kurzer Zeit (wenige Minuten) wieder in die Ausgangsstruktur zurück. (Eine ganz ähnliche Reaktion, allerdings ohne Flüssigkristalleigenschaften, gibt es auch bei uns im Auge: Einfallendes Licht führt dazu, dass das “Sehpurpur” (Rhodopsin) zerfällt und dann nicht mehr lichtempfindlich ist. Nach einigen Minuten ohne Licht bildet sich das Rhodopsin wieder neu, ist jetzt wieder lichtempfindlich und kann so sensitiv auf Lichtreize reagieren. Damit wird die Anpassung an die Dunkelheit erreicht – ohne einen Mechanismus, der das Rhodopsin bei hoher Lichteinstrahlung ausschaltet, würden wir bei Tageslicht ständig durch die Helligkeit geblendet werden.)

Packt man jetzt so ein Molekül in eine TN-Zelle, dann ändert sich die Durchsichtigkeit der Zelle, wenn sie mit kurzwelligem Licht bestrahlt wird. Dieses Bild zeigt, wie eine vorher undurchsichtige Zelle plötzlich durchsichtig wird, wenn man sie an einigen Stellen mit Licht bestrahlt:

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Aus Kosa et al., s.u.

Noch schöner könnt ihr es auf diesem Video sehen (allerdings einige Megabyte groß…). Wie ihr erkennen könnt, verschwindet das Signal innerhalb von Sekunden – was ein bisschen im Widerspruch zu der Aussage in der Arbeit steht, dass die Rückbildung der offenen in die geschlossene Form typischerweise einige Minuten dauert. Ich vermute, dass thermische Fluktuationen die “verdrehte” Struktur schnell zerstören, wenn nicht immer wieder neue Moleküle nachgebildet werden, aber das steht leider nicht in der Arbeit. (Vermutlich ist das ExpertInnen auf diesem Sektor sofort klar…)

Solche lichtempfindlichen Zellen könnten in unterschiedlichen Bereichen eingesetzt werden, beispielsweise in der Signalverarbeitung oder für neuartige optische Elemente. Auch eine Sonnenbrille aus so einem Material wäre sicher schick.


Kosa, T., Sukhomlinova, L., Su, L., Taheri, B., White, T., & Bunning, T. (2012). Light-induced liquid crystallinity Nature, 485 (7398), 347-349 DOI: 10.1038/nature11122

Kommentare (9)

  1. #1 MJ
    17. Juni 2012

    Also, einmal frei drauf los phantasiert (und nein, ich weiß nicht, wovon ich rede):

    Das mit dem schnell verschwindenden Signal verstehe ich auch nicht. Ich habe den referenzierten Artikel gelesen, der die Diarylnaphthopyran-Kinetik untersucht, allerdings tauchen da eher noch mehr Fragen auf. Erstens ist gibt es eine Reihe von “offenen” Formen, die beiden stabilsten sind ein cis/trans-Isomerenpaar (die im Nature gezeigte ist eines dieser Isomere). Zweitens, und damit zusammenhängend, ist die tatsächliche Konversion nicht einfach zwischen “offen” und “geschlossen”, sondern beinhaltet eine Reihe von sowohl thermisch als auch photochemisch induzierten Konversionen zwischen verschiedenen offenen Formen (und damit es komplizierter wird natürlich nicht nur in Serie, sondern auch Ggwe zwischen offenen Formen). Dabei ist es wohl relevant, dass es sich dabei nicht einfach um irgendwelche “Übergangszustände” handelt, sondern (hoffentlich liest das FW nicht) “echte” Moleküle (ob isolierbar, ist eine andere Frage). Außerdem sind die offenkettigen Formen alle (hoffentlich liest…) “farbig”, was sich durch die breite Absorptionsbande äußert. Dass thermische Fluktuationen das Molekül “sofort” zerstören: es handelt sich immerhin um ein durchkonjugiertes Pi-System, Rotationsbarrieren sollten demnach relativ hoch sein – und selbst wenn, wie gesagt, sollten die Produkte einer thermischen Konversion nicht auch im Sichtbaren absorbieren, so lange sie “offen” und planar (für die Konjugierung) sind? Allerdings stelle ich mir die Frage, ob eventuell nur das im Artikel gezeigte offene Isomer genügend elongiert ist, um im bulk einen Flüssigkristall zu bilden (Könnte in so einem Fall ein Flüssigkristall andere Moleküle, mit denen seine konsituierenden Moleküle im Ggw stehen, schlicht inkorporieren, oder ist das eine Schnapsidee?) – das würde aber auch nur das Verschwinden der flüssigkristallinen Phase erklären, keine Entfärbung. Außerdem erforderte dies etwa eine sehr rasche (thermische) cis/trans Konversion, etwas, was ich aus den im Kinetik-Artikel angegebenen Geschwindigkeitskonstanten nicht ablesen kann, im Gegenteil. Letzte Möglichkeit, die mir einfällt: sind die Gruppen im “Nature”-Molekül (der Säureester und der stickstoffgebundene Heterocyclus) genau so gecrafted, dass die Kinteik wesentlich einfacher (wie im Artikel suggeriert) und außerdem wesentlich schneller als im allgemeinen Fall ist?

    Vielleicht liegt es einfach nur an meinem mangelndem Verständnis und meiner Unkenntnis dieses Gebietes – aber ist es möglich, dass die extreme Kürze von Nature- und Science-Artikel dazu führt, dass durchaus verständnisrelevante Informationen manchmal schlicht unterschlagen werden (müssen)?

  2. #2 MartinB
    18. Juni 2012

    @MJ
    Danke für die Gedanken – ich muss zugeben, dass ich so gut in Chemie nicht bin, als dass ich dazu viel sagen könnte.
    “ist es möglich, dass die extreme Kürze von Nature- und Science-Artikel dazu führt, dass durchaus verständnisrelevante Informationen manchmal schlicht unterschlagen werden (müssen)?”
    Das ist nicht nur möglich, sondern fast sicher; die Paläontologen beschweren sich immer, dass wichtige neue Fossilien in Nature auf 4 Seiten veröffentlicht werden und man dann nichts detailliertes mehr erfährt. Manchmal gibt es was im supplementary material.

  3. #3 lok
    18. Juni 2012

    @MartinB
    Ich denke, Science + Nature sind nicht dazu da, einen 30-Seiten Artikel mit allen Details zu bringen. Wenn man wirklich was Neues hat, dann kann man es (auf das Wesentliche reduziert) dort rausbringen. Für die Details sind die Fachjournals da.

    Zu der Geschichte mit dem Deutschen Patentamt: Ich kann mich irren, aber bedeutet der Terminus “mangelnde Erfindungshöhe” nicht, daß schon mal jemand etwas sehr ähnliches erfunden/zum Patent angemeldet hat und das neue Patent schlicht nicht (mehr) innovativ genug ist?
    Anders ausgedrückt: “mangelnde Erfindungshöhe” bedeutet nicht, dass man das TN-Patent für unbedeutend hielt. Es hat halt zuvor schon mal jemand etwas sehr ähnliches gebracht.

  4. #4 MartinB
    18. Juni 2012

    @lok
    Das mit der Erfindungshöhe stimmt schon, aber in denmeisten anderen Ländern wurde das patent anerkannt, und mir ist auch nicht klar, welche ähnliche Erfindung das sein soll.

  5. #5 MJ
    18. Juni 2012

    @ MartinB

    Mehr als Gedanken sind es leider wirklich nicht – leider kenne ich mich mit dem Thema viel zu wenig aus, um überhaupt zu sagen, ob wenigstens etwas Brauchbares dabei war…

    @ lok

    Das verstehe ich schon, es will ja auch keiner, dass da nur full papers erscheinen (30 Seiten! Um Gottes Willen! Das wollen wir doch so oder so nicht hoffen!). Aber nicht jedes Thema lässt sich in gleicher Kürze darstellen – einfacher als es geht, geht es nicht. Wenn verständnisrelevante Informationen aufgrund einer Platzlimitierungs-Obsession fehlen oder sich sogar (wohl scheinbare) Widersprüche entwickeln, dann ist das suboptimal – dann ist es eben auf weniger als nur das Wesentliche reduziert.

  6. #6 M
    14. März 2014

    Hallo,
    gibt es so etwas schon zu kaufen? Habe nichts gefunden…

  7. #7 MartinB
    14. März 2014

    @M
    Die lichtempfindlichen Kristalle? Glaube ich nicht, dass das so schnel von der Veröffentlichugn zur Marktreife geht, aber im Zweifel vielleiucht mal auf der entsprechenden Forschungsseite gucken oder die AutorInnen kontaktieren.

  8. #8 M
    14. März 2014

    @MartinB
    Danke für die Info, ich dachte, Ihr Beitrag ist doch schon eine Weile her und vielleicht wissen Sie Bescheid. 😉

    Ist vielleicht eine blöde Frage aber wo finde ich die entsprechende Forschungsseite?

  9. #9 Theres
    14. März 2014

    Kosa, T., Sukhomlinova, L., Su, L., Taheri, B., White, T., & Bunning, T. (2012). Light-induced liquid crystallinity Nature, 485 (7398), 347-349 DOI: 10.1038/nature11122
    Dort steht der Originalartikel und die Worte ganz am Anfang sind die Autorennamen 😉
    Selbige stehen auf der Natureseite …
    https://www.nature.com/nature/foxtrot/svc/authoremailform?doi=10.1038/nature11122&file=/nature/journal/v485/n7398/full/nature11122.html&title=Light-induced+liquid+crystallinity&author=Tamas+Kosa
    und die zweite Emailform: https://www.nature.com/nature/foxtrot/svc/authoremailform?doi=10.1038/nature11122&file=/nature/journal/v485/n7398/full/nature11122.html&title=Light-induced+liquid+crystallinity&author=Timothy+J.+White