Fast alle Tiere haben Muskeln – egal ob Vogel, Seestern, Kreuzspinne oder Fadenwurm. Ist ja auch kein Wunder , denn irgendwie müssen die meisten Tiere sich ja bewegen. Und egal ob ihr die Muskeln von Fischen oder Quallen anguckt, sie sehen ziemlich gleich aus und bestehen auch aus den gleichen Bestandteilen. Es ist also ganz logisch, anzunehmen, dass sich die Muskeln beim gemeinsamen Vorfahren all dieser Tiere einmal entwickelt haben. Logisch ja – nur leider falsch.
Werfen wir erst mal einen ganz kurzen Blick darauf, wie Muskeln überhaupt funktionieren. Muskeln (ich rede hier nur von Skelettmuskeln – es gibt auch andere, beispielsweise in unseren Blutgefäßen) bestehen aus langen Muskelzellen. Jede dieser Zellen wiederum besteht aus vielen hintereinandergeschalteten Bausteinen, den Sarkomeren. Hier mal ein Bild eines solchen Sarkomers:
By User:Sameerb – en:WP; Author User:Sameerb in English WP, Copyrighted free use, Link
Es hat an den beiden Enden Z-Linien, von denen die so genannten dünnen Filamente ausgehen. Zwischen den dünnen Filamenten liegen die (oh, Überraschung) dicken Filamente. Diese Filamente können sich gegeneinander verschieben, damit der Muskel kontrahiert. (Muskeln können ja nur Zugkräfte aufbringen und kontrahieren. Deswegen gibt es für fast jeden Muskel einen Gegenspieler, der für die Gegenbewegung zuständig ist – zu (fast) jedem Beugemuskel gehört ein Streckmuskel. (20 Hier-Wohnen-Drachen-Taler für jeden, der eine Ausnahme im Tierreich kennt, mir fallen zwei ein.))
Schaut man etwas genauer hin, dann sieht man die Hauptbestandteile des Sarkomers:
By David Richfield (User:Slashme)
When using this image in external works, it may be cited as follows:
Richfield, David (2014). “Medical gallery of David Richfield“. WikiJournal of Medicine 1 (2). DOI:10.15347/wjm/2014.009. ISSN 2002-4436. – Own work, CC BY-SA 3.0, Link
Die dünnen Filamente bestehen vor allem aus Actin, die dicken aus Myosin. Myosin ist der eigentliche Motor des Muskels: Die Myosin-Moleküle haben kleine Köpfe, die sich mit dem Actin verbinden können. (Dazu wird Kalzium benötigt) Dann wird ein ATP-Molekül (Adenosin-Triphosphat, gewissermaßen die Batterie der Zellen) zerlegt; dabei wird Energie frei, die den Bindungswinkel am Myosin umklappen lässt – es ruckt nach hinten und wie beim Tauziehen zieht es das Actin-Filament mit:
Zufuhr von neuem ATP löst die Bindung wieder und dann kann der Zyklus von neuem beginnen. Auch wenn ihr einen Muskel angespannt haltet, verbraucht er dennoch ständig Energie, weil sich die Bindungen eben immer wieder lösen und neu knüpfen müssen – ein bisschen so, als würde man beim Tauziehen verbieten, das Tau länger als für ein paar Sekunden festzuhalten, es muss immer wieder neu zugepackt und gezogen werden. (Wenn kein ATP mehr zugeführt wird, dann bleiben die Myosinköpfe im Eingriff – das passiert bei der Leichenstarre.)
Nach diesem kurzen Ausflug in die Funktion der Muskeln zurück zu ihrer Evolution. Hier seht ihr die Muskeln eines Fisches und einer Qualle im Mikroskop – so angefärbt, dass das Actin fluoresziert (ihr seht sehr schön die Bänder im Sarkomer):
(Quelle: Steinmetz et al. s.u.)
Die Ähnlichkeit der beiden Bilder ist sehr groß, die Muskeln sind anscheinend ganz ähnlich aufgebaut. Schaut man sich an, wie Quallen und Fische evolutionär verbunden sind, dann wird deutlich, warum es plausibel erscheint, dass beide über evolutionär identische Muskeln verfügen:
(Quelle: Hejnol, s.u.)
Man sollte nach dieser Grafik annehmen, dass Muskeln sich beim gemeinsamen Vorfahren von Quallen und den “symmetrischen Tieren” (Bilateria) entwickelten. (Zu den Viechern rechts sage ich später noch etwas, die ignorieren wir mal kurz…)
Doch eine detaillierte Analyse der Gene, die für die einzelnen Moleküle im Muskel verantwortlich sind, zeigt ein anderes Bild. Wichtige Gene, wie etwa das für Titin (an das sind die Myosin-Moleküle gebunden, siehe das Bild oben), fehlen bei den Quallen völlig, und das Gen-Repertoir unterscheidet sich auch sonst drastisch zwischen Quallen und den Bilateria. Obwohl sich die Muskeln also sehr ähnlich sind, haben sie sich also vermutlich unabhängig entwickelt – markiert durch die Sternchen. (Ich muss hier leider gestehen, dass die Feinheiten des Nature-Papers an mir vorbeigegangen sind – es enthält ein bisschen zu viel genetischen Fachjargon.)
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