Über die Beschneidung ist ja bereits viel diskutiert worden. Hier möchte ich nicht die ganze Debatte noch einmal aufwärmen, sondern zwei Texte betrachten, die ich letzte Woche gelesen habe.

Vorneweg: Ich denke, sowohl Befürworter als auch Gegner sollten sich einig sein, dass die Frage, ob Eltern ihre Söhne beschneiden lassen dürfen, eine Abwägung verschiedener Rechtsgüter erfordert – das Recht auf körperliche Unversehrtheit des Kindes muss gegen das Recht auf Erziehung und Religionsfreiheit der Eltern abgewogen werden. Um das tun zu können, wäre es sicher gut, wenn die religiösen Befürworter Außenstehenden klar machen könnten, warum die Beschneidung für sie so wichtig ist.

(Keine Sorge, ich werde hier nicht versuchen, diese Abwägung juristisch durchzuführen, dazu ist man als Physiker wohl eher nicht kompetent… Einige Meinungen findet ihr in diesem ZEIT-Artikel.)

Für jemanden, der nicht religiös ist, sind religiöse Rituale wie andere Traditionen auch (auch die meisten Atheisten haben ja Rituale, beispielsweise bei Festen oder auch im Alltag): Sie geben dem Leben in bestimmten Situationen Struktur, schaffen ein Gefühl von Geborgenheit und Zugehörigkeit und sind sicherlich oft wertvoll – aber hoffentlich nicht so wertvoll, dass man bereit wäre, jemanden für seine Rituale leiden zu lassen. Es wäre also hilfreich, zu verstehen, warum religiöse Rituale mehr sind als das, warum jemand glaubt, dass ein allmächtiger Gott darauf beharrt, dass bestimmte Dinge getan werden, die letztlich ja keinen Nutzen haben (oder zu haben scheinen), und nicht zuletzt, warum einige der Rituale und Regeln, die in heiligen Schriften stehen, heute nicht mehr befolgt werden, andere aber schon.

Glücklicherweise (?) gab es letzte Woche in der ZEIT und in der Beilage “Chrismon -das evangelische Magazin” jeweils einen Artikel zur Beschneidung. Vielleicht darf man ja hoffen, hier zu erfahren, warum ein Ritual so eine große Bedeutung hat?

Schauen wir zunächst mal auf den Artikel im Chrismon. Hier schreibt Dr. Johannes Friedrich, Landesbischof A.D.. Seinen Artikel beginnt er so:

Wer wusste bei uns bis vor kurzem etwas über das Thema Beschneidung?…Und wer meinte, dass dies eine Körperverletzung sein könnte? Ich bin sicher: Es waren nicht viele.

Hmm, ein merkwürdiger Einstieg – warum regt ihr euch auf, habt ihr bisher ja auch nicht getan?

Das hat mit der Problematik natürlich gar nichts zu tun – wenn die Beschneidung heute ein Unrecht ist, dann war sie es auch letzte Woche oder letztes Jahr; schlimm genug, dass man sich nicht darüber aufgeregt hat. Ähnlich könnte jeder argumentieren, der ein bestehendes Unrecht verteidigen will: “Das war schon immer so.”

Zu den Konsequenzen eines Verbots lesen wir dann:

Damit wäre Deutschland, ausgerechnet Deutschland, nach meinen Recherchen das einzige Land in der Welt, in dem Juden ihrer religiösen Pflicht nicht nachkommen dürften.

Als erstes möchte ich gleich das vielzitierte Argument “Ausgerechnet Deutschland” angehen (zur Pflicht kommen wir später). Ja, Deutschland hat in der Vergangenheit den Juden Schreckliches angetan, das steht hoffentlich außer Frage und braucht nicht diskutiert zu werden. Und so etwas darf sich niemals wiederholen, auch darüber sind wir uns hoffentlich alle einig – es wird ja auch immer wieder beschworen.

Damit sich aber so etwas nie wiederholt, hat Deutschland sich ein Grundgesetz gegeben, das die Menschenrechte besonders stark schützt. Und dieses Grundgesetz enthält keine besondere Erwähnung der Juden – weil nämlich “so etwas” genau so gut beim nächsten Mal einer anderen Minderheit geschehen könnte. (Damals waren es die Juden.) Die Lehre, die das Grundgesetz aus dem Holocaust zieht, ist eben nicht “Juden brauchen besonderen Schutz”, sondern “alle Minderheiten brauchen besonderen Schutz”. Wenn eines Tages ein beschnittener Mann uns fragen sollte “Wie konntet Ihr das zulassen?” – sollen wir dann antworten “Wir konnten das Unrecht nicht abwenden, weil es von Juden begangen wurde”?

Wenn die Beschneidung ein Unrecht ist, dann ist sie es, und dann muss dagegen vorgegangen werden. Ob sie ein Unrecht ist, muss geklärt werden, aber wir können die Klärung nicht schon mit dem Argument “Aber es trifft doch Juden” als verboten erklären. (Ich bin mal gespannt, ob ich mir jetzt in den Kommentaren Antisemitismus vorwerfen lassen muss…)

Schauen wir also lieber, wie es argumentativ weiter geht. Wir erfahren, dass die Beschneidung in den USA “aus medizinischen Gründen” an 56% der Neugeborenen durchgeführt wird (wobei nicht darüber nachgedacht wird, wie viel hier Tradition und wie viel echte medzinische Evidenz beitragen) und von der WHO zur AIDS-Prävention empfohlen wird (dass das nur in Hoch-Risikogebieten gilt und natürlich letztlich Erwachsene betrifft, wird verschwiegen). Gut, die medizinische Seite wurde anderswo bis zum Abwinken diskutiert – sie spielt aber eigentlich für das Argument keine Rolle, denn hier geht es um ein religiöses Ritual. Wenn sich herausstellt, dass die medizinischen Gründe nicht haltbar sind, wäre Herr Friedrich dann gegen die Beschneidung? Wohl kaum. Religiöse Gründe sollten entscheidend sein. Die würde man schon gern besser verstehen, oder?

Oben wurde ja bereits das Wort “Pflicht” genannt. Dazu lesen wir

Es ist die erste Pflicht, die ein Vater gegenüber seinem Sohn hat, danach folgen die Pflichten, ihn die Thora zu lehren, ihm eine Frau zu geben und ihn ein Handwerk lernen zu lassen.

Wirklich? Auch heute noch suchen Väter für ihre Söhne die Frauen aus und “lassen sie ein Handwerk” lernen? Was ist mit einem Sohn, der nicht heiraten will (oder der homosexuell ist)? Was passiert, wenn der Sohn seinen Schulabschluss nicht schafft und keine Ausbildung macht? Ist er (oder der Vater) dann kein Jude mehr? Oder hat sich an der Interpretation dieser Pflichten des Vaters in den letzten 3000 Jahren vielleicht doch ein bisschen etwas verändert? Wenn ja, warum sollte dann das Beschneidungs-Ritual nicht veränderbar sein? Gerade da, wo der Erklärungsbedarf beginnt, endet die Erklärung – stattdessen kommt noch mal das “ausgerechnet Deutschland”-Argument, aber das hatten wir ja schon.

Konkreter Anlass der Debatte ist ja das Kölner Gerichtsurteil. Und dazu geht es auch weiter:

Die Urteilsbegründung des Kölner Landgerichts leuchtet mir nicht ein. Sie geht nur von der körperlichen Unver­sehrtheit aus, die nicht angetastet werden dürfe. Aber was ist mit der seelischen Unversehrtheit?

Nun, naiv würde ich annehmen, zur seelischen Unversehrtheit gehört das Recht, dass einem nicht grundlos Schmerzen zugefügt werden. Aber hier geht es natürlich um etwas anderes:

Ich meine damit die gesetzlich erzwungene Versagung eines Lebensrituals. Ich meine damit, dass einem jüdischen Sohn eine für seine religiöse Identität wichtige Tradition vorenthalten wird. Was bedeutet es für ­seine seelische Unversehrtheit, wenn er feststellen muss, dass sein Vater einer zentralen religiösen Pflicht nicht nachge­kommen ist und ihn dadurch seiner religiösen Heimat beraubt?

Ob ein Jude tatsächlich seiner religiösen Heimat beraubt wird, wenn er nicht beschnitten ist, ist ja gerade zu diskutieren und zu erklären. (Was passiert eigentlich, wenn z.B. ein Frühchen auf die Welt kommt? Wird das dann unter Lebensgefahr am 8. Tag beschnitten?) Angesichts der vielen religiösen Regeln, die wir in der Thora lesen und die heute missachtet werden, müsste eben schon erklärt werden, was an dieser Regel so besonders ist. Aber viel schwerer wiegt hier etwas anderes: Die implizite Annahme, dass Kinder der Religion ihrer Eltern angehören und angehören wollen. Was ist, wenn der Sohn sich eines Tages entscheidet, einer anderen Religion angehören zu wollen? Dann muss er den Rest seines Lebens mit einem Zeichen einer für ihn falschen Religionszugehörigkeit leben.

Es ist (das sehen einige auf den Scienceblogs wohl anders) meiner Ansicht nach das Recht der Eltern, ihre Kinder im Sinne ihrer Religion zu erziehen. Sie haben aber nicht das Recht, ihnen ihre Religion aufzuzwingen (und es gibt ja gute Gründe dafür, warum die Hürden für “homeschooling” in Deutschland wesentlich höher sind als anderswo). Was ist, wenn jemand einer Religion angehört, bei der Kinder in einem Initiationsritual tätowiert werden, erlauben wir das dann plötzlich doch, obwohl Eltern ihre Kinder normalerweise nicht tätowieren lassen dürfen? Oder ist es nicht sinnvoll, davon auszugehen, dass zum Jugendschutz eben generell dazugehört, dass Eltern ihren Kindern keine irreversiblen Zeichen einer Religionszugehörigkeit aufzwingen dürfen? Wer das anders sieht, ist eben in der Begründungspflicht, und der bloße Verweis auf “religiöse Pflicht” reicht hier nicht aus.

Dass hier abgewogen werden muss, geben ja selbst die Befürworter der Beschneidung zu, die sich von der Beschneidung (man sollte besser “Verstümmelung” sagen, das klingt nicht so harmlos) von Mädchen distanzieren und einen Vergleich der beiden Praktiken für unzulässig erklären. Die Argumente, die Herr Friedrich hier anführt, könnten aber für jedes religiöse Ritual bis hin zum Menschenopfer der Azteken angeführt werden. Offensichtlich ist hier eine Abwägung notwendig und es gibt einen Punkt, bei dem körperliches Leid schwerer wiegt als religiöse Pflicht. Dass es diesen Punkt gibt, darüber sind sich ja alle Beteiligten einig, die Frage ist eben, wo er liegt. Der Artikel von Herrn Friedrich trägt hierzu leider nichts bei.

Aber gut, als Christ hat Herr Friedrich vielleicht einfach nicht die guten Argumente parat. Schauen wir also, was Herr Gil Bachrach (TV-Produzent und Berater von Medienanstalten), dem man immerhin eine halbe Seite in der auflagenstarken ZEIT zur Verfügung gestellt hat, zum Thema zu sagen hat.

Zunächst einmal startet er mit vielversprechend ruhigem Ton – nein, er sieht kein Aufflammen von Antisemitismus. Dann aber kommt es ziemlich dick. Das erste Drittel seines Artikels besteht im wesentlichen aus Wörtern aus der Propaganda-Schublade: “Säkularfundamentalisten”, “selbst ernannten Retter der Unversehrtheit unserer jüdischen Kinder”,”selbstgefällige, mediengeile Urologen”, “spitzfindigen Argumentationen”, “ausgestattet mit diesem urdeutschen Gerechtigkeitswahn”, “rechthaberische Gutmenschenethik”. Da ist die Bullshit-Bingo-Karte schneller voll, als man “Bingo” rufen kann. Aber gut, man will ja kein spielverderbender “tone troll” sein, also sehen wir über diesen Teil einfach mal hinweg.

Auch hier lesen wir übrigens wieder das Argument “Bis vor wenigen Wochen hat kein Hahn nach der abgeschnittenen jüdischen Vorhaut gekräht.” – ja, “das war schon immer so”. Hatten wir schon, war eben auch schon ein schlechtes Argument.

Aber nachdem der Schaum vorm Mund vielleicht etwas getrocknet ist, können jetzt ja die Argumente kommen, oder?

Um es ganz klarzumachen: Jüdische Eltern lassen ihre Jungen seit vielen Tausend Jahren beschneiden, und sie werden dies auch noch in vielen Tausend Jahren tun. Am achten Tag nach der Geburt, medizinisch bedenkenlos, hygienisch einwandfrei und ohne Risiko für Wohl, Wehe und Lust des Jungen.

Dass die Beschneidung seit Tausenden von Jahren hygienisch einwandfrei sein soll, erscheint schon etwas unglaubwürdig. (Da wird traditionell mit dem Mund gesaugt und mit den extra langen Fingernägeln Gewebe abgeschabt – soll man wirklich glauben, dass das vor 2000 oder selbst 200 Jahren (oder selbst heute) keimfrei zu erledigen sei?) Und so ganz ohne Risiko für das Wohl des Jungen, der ja immerhin Schmerzen empfindet (dazu später mehr) ist sie wohl auch nicht. Man gewinnt aber immerhin den Eindruck, als habe Herr Bachrach zumindest darüber nachgedacht, ob eine Beschneidung sinnvoll ist, oder?

Leider ist dieser Eindruck falsch:

Die dramatische jüdische Geschichte hat jüdische Eltern die Notwendigkeit gelehrt, ihre Kinder zu unabhängigen, gebildeten Freigeistern zu erziehen. Jüdische Kinder sollen auf dem Boden ihrer jüdischen Tradition, verbunden mit ihrer jüdischen Geschichte, über die wichtigen Fragen in ihrem Leben unabhängig und eigenständig entscheiden können. Die Frage nach ihrer Beschneidung gehört nicht dazu.

Jüdische Kinder sind Freigeister, die selbst entscheiden können, außer in den Fragen, wo sie es nicht können? Da Herr Bachrach selbst ja auch mal ein jüdisches Kind war, bezieht sich diese Aussage wohl auch auf ihn – er kann also über die Frage nach der Beschneidung nicht unabhängig und eigenständig nachdenken? Tatsächlich, so ist es:

Die Beschneidung unseres Sohnes stand nie infrage (obwohl wir, wie in allen jüdischen Familien üblich, nichts mehr lieben als das Debattieren)

Ist “ich habe darüber noch nie nachgedacht” jetzt neuerdings ein Argument?

Jüdische Eltern lieben ihre Kinder. Genauso wie nichtjüdische Eltern. Das ist ein Naturgesetz. Deswegen lassen aufgeklärte Gesellschaften die Eltern überall auf der Welt ihre Kinder eigenverantwortlich erziehen.

Niemand hat (hoffentlich) bestritten, dass jüdische Eltern ihre Kinder genauso sehr lieben wie christliche, atheistische oder shintoistische. Dass die Eltern im besten Glauben handeln, steht sicher außer Frage. Aber im besten Glauben hat man vor hundert Jahren auch Kinder “zu ihrem eigenen besten” geschlagen, und selbst diejenigen Mütter, die ihre Töchter beschneiden lassen (was ohne Frage unglaublich viel grausamer ist), lieben ihre Töchter genauso und glauben, zum besten ihrer Kinder zu handeln. Und genau deswegen ziehen aufgeklärte Gesellschaften der Freiheit der Eltern, ihre Kinder eigenverantwortlich zu erziehen, bestimmte Grenzen. Aufgabe einer Argumentation wäre es, aufzuzeigen, warum die Beschneidung von Jungen auf einer Seite dieser Grenze liegt, aber z.B. die Tätowierung von Kindern auf der anderen.

Anschließend wird uns die Abraham-Isaak-Geschichte erzählt – “die Tradition der Beschneidung als Zeichen des Bundes mit Gott”. Hier wird jetzt nur die “Tradition” beschworen, es ist noch nicht einmal von einer Pflicht die Rede (auch wenn die in 1 Moses, 17 (lohnt sich zu lesen!) ja drin steht). Das wäre doch jetzt genau der Moment, wo uns Herr Bachrach erklären könnte, warum gerade diese Tradition und dieses Ritual so wichtig ist – aber Fehlanzeige. Stattdessen wird auf subtile Weise die Schuld verschoben. Dass sich Menschen über die Beschneidung aufregen, liegt nämlich nur daran, dass sie keine Juden kennen: “Es gibt kaum Juden hier… Die meisten Leute kennen deshalb einfach keine jüdischen Traditionen.”

Doch, die Beschneidungs-Tradition wurde in den letzten Wochen hinreichend diskutiert und dürfte jedem bekannt sein. Was Herr Bachrach vermutlich sagen will ist, dass den meisten Deutschen eben nicht klar ist, wie selbstverständlich das Ritual für die Juden nun einmal ist – aber dass “wir denken nicht drüber nach” kein Argument ist, haben wir hoffentlich schon geklärt. Was den meisten Menschen vermutlich ebenfalls nicht klar ist, ist, warum das Ritual so wichtig ist – aber das bekommen wir nicht erklärt.

Stattdessen bekommen wir noch ein zweites “Argument” präsentiert: “Euch geht’s einfach zu gut – ihr habt sonst keine Probleme.” Ja, stimmt. Wenn wir hier gerade Krieg hätten oder ein AKW explodiert wäre, würden wir uns wohl nicht über Beschneidung unterhalten müssen. Auch das könnte man aber genauso gut für jede andere Tradition anführen – auch für solche, die Herr Bachrach nicht gutheißt. Und das Uralt-Argument “Warum regst du dich über X auf, Y ist doch viel schlimmer” wird auch durch Aufwärmen nicht besser.

Zusätzlich zum “Nicht-Nachdenken” verfolgt Herr Bachrach aber auch noch eine gekonnte Vogel-Strauß-Politik:

Kein jüdischer Mann, jedenfalls keiner, den ich kenne, ist wegen seiner Beschneidung traumatisiert.

Darf ich vorstellen: Google – Herr Bachrach, Herr Bachrach – google. Guckst du z.B. hier.

Aber schließlich erfahren wir doch noch etwas über die Vorteile der Beschneidung

Wenn überhaupt, sind es die jüdischen Mütter, die nach der Beschneidung ihrem Sohn ein Leben lang alles durchgehen lassen. Ob da ein kausaler Zusammenhang besteht, vermag ich nicht zu sagen. Tatsache ist, die Bereitschaft, seinen Sohn physisch leiden zu lassen, erscheint mit der Beschneidung aufgebraucht. Vielleicht gibt es ja auch deswegen viel mehr jüdische Nobelpreisträger als jüdische Olympiasieger

Äh, wie bitte? Jüdische Eltern lassen ihre Kinder also später im Leben weniger leiden und behandeln sie besser als nicht-jüdische, weil sie ihnen als Säuglinge Schmerzen zugefügt haben? [Citation needed] sagt man wohl in solchen Fällen. Vielleicht sollten wir Nicht-Juden unseren Neugeborenen gelegentlich mit Stöcken auf die Fußsohlen schlagen oder so? Das Zufügen von Schmerzen auch noch als positive Erziehungsmaßnahme zu verkaufen, zeugt jedenfalls schon von ziemlich viel Chuzpe. Das anschließende freie Fabulieren zu den Nobelpreisträgern ist zumindest amüsant.

Immerhin finden wir hier die klare Aussage, dass die Beschneidung tatsächlich Schmerzen verursacht. Wie war das noch? “Ohne Risiko für Wohl und Wehe”?

Besonders nett ist auch das Ende des Artikels:

Wenn sich allerdings die selbst ernannten Kreuzritter im Namen der Kinder dieser Erde mit der Forderung durchsetzen sollten, deutsche Kinder zukünftig zu allen, ihnen möglicherweise irreparable Schäden zufügenden elterlichen Entscheidungen vorher zu befragen, dann fragt sie bitte auch vorher, ob ihr euch scheiden lassen dürft.

Zum einen – viele Ehen bleiben sicher nur genau “wegen der Kinder” zusammen. Zum anderen sind bei einer Scheidung eben auch die Eltern betroffen und es ist das Leid der Kinder gegen das der Eltern abzuwägen (und ob Kinder in einer Familie mit dauerstreitenden Eltern nicht mehr leiden als bei einer Trennung, wäre wohl auch erst mal zu klären). Und genau diese Abwägung ist es, die notwendig ist – wie stark leiden Eltern unter dem Wissen, dass ihr Kind eine Vorhaut hat, und wiegt dieses Leiden den Schmerz des Kindes (und die Irreversibilität des Vorgangs) auf?

Auch der Artikel von Herrn Bachrach trägt dazu nichts bei.

Interessant ist noch etwas anderes: Medizinische Argumente werden hier im Artikel gar nicht erwähnt. Der Grund ist leicht einzusehen: Ein medizinisches Argument könnte sich ja auch (je nach Evidenz) gegen die Beschneidung richten – sich darauf einzulassen wäre also gefährlich, deswegen wird es lieber ausgeklammert. (Und ich wäre sehr dankbar, wenn wir das in den Kommentaren auch so halten könnten.)

Wie gesagt, man kann (und sollte) über die Güterabwägung bei der Beurteilung der Beschneidung sicher viel diskutieren. Dazu wäre es wichtig, die Bedeutung religiöser Rituale allgemein und im Speziellen zu diskutieren, damit ihr Stellenwert gegen den anderer Grundrechte abgewogen werden kann, denn über die prinzipielle Notwendigkeit einer solchen Abwägung sind sich ja alle Seiten einig (sonst müsste, wie gesagt, jedes religiöse Ritual für zulässig erklärt werden). Beide Artikel haben diese Chance vertan. Schade eigentlich, ich hätte gern versucht, es besser zu verstehen.

Kommentare (220)

  1. #1 HF
    22. September 2012

    “Hmm, ein merkwürdiger Einstieg – warum regt ihr euch auf, habt ihr bisher ja auch nicht getan?”
    Gar nicht merkwürdig. Hier soll der Wankelmut des Zeitgeists vorgeführt werden, dem die Ruhe der Gewissheit gegenübergestellt wird. Das ist gar nicht ungeschickt, und trägt zur Einstimmung und Selbsterbauung der Leserschaft bei. Hier ist ein Profi am Werk.

  2. #2 rolak
    22. September 2012

    Nur weil der Zeitgeist wankelt, etwas aktuell stärker thematisiert ist, kann noch nicht geschlossen werden, daß es vor Beginn der aktuellen Aufmerksamkeitsspanne gar nicht vorhanden war, HF, ein derartiges Argumentieren halte ich für dilletantisch.

    Schöner Artikel, MartinB, fehlt nur noch ein Rahmen. Doch, den kann mensch sich aufhängen.

  3. #3 Physiker
    22. September 2012

    Schöner Artikel. Ich kann mich der Kritik an den z.T. absurden Argumentation nur anschliessen.

    Allerdings denke ich, dass die Religionsgemeinschaften Ihre Forderung nach einer “Begründung” prinzipiell nicht liefern können, da es sich ja gerade um einen Glauben handelt. Könnten Sie sich denn irgendwelche Begründungen vorstellen, die Sie akzeptieren würden – oder beschränkt sich Ihre Forderung doch nur auf medizinische Begründungen, die Sie ausgeklammern haben wollen? Immerhin kritisieren Sie ja implizit am diskutierten Artikel, dass dort “Medizinische Argumente […] gar nicht erwähnt” werden.

    Kleine Korrektur zu Ihrer Aussage dass die WHO-Empfehlung “nur in Hoch-Risikogebieten gilt und natürlich letztlich Erwachsene betrifft”. Das ist nicht ganz richtig – die WHO befürwortet auch die Beschneidung von Säuglingen:

    Since neonate circumcision is a less complicated and risky procedure than circumcision performed in young boys, adolescents or adults, such countries should consider how to promote neonate circumcision in a safe, culturally acceptable and sustainable manner.

  4. #4 MartinB
    22. September 2012

    @Physiker
    Ich wäre ja schon dankbar, wenn mir jemand irgendwie rational begründen könnte, warum das Beschneidungsgebot eben wichtiger und zentraler sein soll als z.B. das Gebot, Leute in gewissen Situationen zu steinigen.
    Und wenn eben jemand, der beschneidungen befürwortet, mir sagt, wieso er die Grenze gerade so zieht, dass Bescneidungen von Jungen gehen, aber andere Rituale nicht gehen. Mit anderen Worten: Es wäre schön, wenn man zumindest den Eindruck hätte, hier würde ernsthaft nachgedacht und nicht nur eine schon getroffene Entscheidung gerechtfertigt. Denn das würde ich in einem Rechtsstaat für noteendig halten.

    Was die WHO-Empfehlung angeht – deswegen habe ich extra “betrifft” geschrieben. Wenn sich z.B. jemand später entschließt, enthaltsam oder strikt monogam zu leben, trifft ihn die AIDS-Problematik ja nur wenig oder gar nicht.

    Aber wie gesagt, die medizinische Debatte hat hier nichts verloren, denn die Befürworter befürworten ja eben das Ritual als religiöses.

  5. #5 Catio
    https://nesselsetzer.wordpress.com/
    22. September 2012

    Wirklich gute Begründungen für eine Beschneidung habe ich bis jetzt noch nicht gelesen, dafür aber viele gute Argumente dagegen. Insofern neige ich dazu, das Heraufsetzen des Beschneidungsalters auf wenigstens 14 Jahre zu befürworten.
    Und zu “ausgrechnet Deutschland” ist lediglich zu sagen: gerade wegen der historischen Verantwortung herrscht hier jetzt das Rechtsstaatsprinzip!
    Ansonsten sehr treffender Artikel zu diesem Thema, auf den ich schon einige Zeit gehofft habe…

  6. #6 Wolf
    22. September 2012

    Ach Physiker, lassen Sie doch bitte nicht den entscheidenden Teil weg:

    “Because the HIV-related benefits of circumcision only arise in the context of sexual activity, and because male circumcision is an irreversible procedure, parents may consider that the child should be given the option to decide for himself when he has the capacity to do so.”

    Dann der Teil in Box 4:
    “[…]Initiates must be at least 18 years old. If an initiate is younger than 21 years, his parent or guardian must sign a consent form agreeing to allow him to be circumcised.[…]In this example, the law prescribes an age below which circumcision is not permitted (18
    years), as well as an age of consent (over 21 years). These are arguably limitations on
    the human right to bodily autonomy and to choose (give informed consent) to undergo
    medical treatment. But, it is important to remember that the context for this law is one
    where circumcision is part of a cultural ritual marking coming of age—and, in addition
    to its focus on the safety of the surgical procedure, the law is intended to protect
    adolescents and young men from being coerced into male circumcision for customary
    (or non-therapeutic) reasons.”

  7. #7 HF
    22. September 2012

    Die Textkritik führt die Schwäche der Argumentation sehr gut vor, würdigt aber m.E. zu wenig, dass hier Meister der Rhetorik am Werk sind.

  8. #8 MartinB
    22. September 2012

    @HF
    Na komm, wenn das “Meister der Rhetorik” sind, dann müssten ihre Konstruktionen doch weniger leicht zu zerpflücken sein. Und ein “Meister der Rhetorik” sollte auch nicht die ganzen Unworte aus der Troll-Kiste herausziehen (wiewäre es mit einer Variante von Dodwin’s law: Wer “Gutmensch” sagt, hat automatisch verloren?)

  9. #9 Physiker
    22. September 2012

    @MartinB:

    Ich wäre ja schon dankbar, wenn mir jemand irgendwie rational begründen könnte, warum das Beschneidungsgebot eben wichtiger und zentraler sein soll als z.B. das Gebot, Leute in gewissen Situationen zu steinigen.

    Das bestätigt meine Vermutung: Sie fordern eine “rationale” Begründung von Glaubens-Vorschriften. Das ist eine absurde Forderung. Oder ist neuerdings Glaube rational begründbar? Rationale Gründe die für eine Operation sprechen, können doch nur wissenschaftliche d.h. im weitesten Sinne medizinische sein. Aber genau die rationalen Gründe wollen Sie aus der Diskussion ausklammern…

  10. #10 Bjoern
    22. September 2012

    @Physiker:

    Sie fordern eine “rationale” Begründung von Glaubens-Vorschriften.

    Öh, nein. Eine rationale Begründung dafür zu fordern, warum man sich an eine Glaubensvorschrift halten soll, an andere dafür nicht, ist nicht dasselbe wie zu fordern, dass man eine Glaubens-Vorschrift rational begründen soll.

  11. #11 Physiker
    22. September 2012

    @Bjoern:
    O.K. das mag nicht das Selbe sein – läuft aber in beiden Fällen auf das Gleiche hinaus: Die Glaubensvorschriften an die festgehalten wird definieren die Religion. Da gibt es keine rationalen Begründungen.

  12. #12 Joseph Kuhn
    22. September 2012

    @ Physiker:

    Das Verhältnis von Rationalität und Glauben ist eine komplexe Sache und auch für die Religionsgemeinschaften durchaus Anlass für Reflexionen, hier sei nur an die berühmte Papstrede in Regensburg 2006 erinnert.

    Für die Aussage, die Beschneidung sei der Kern des jüdischen oder moslemischen Glaubens, oder der Religionsausübung, oder der Pflichten gegenüber Gott, darf man in der Tat eine Begründung fordern. In meinem Blogbeitrag im Juli hatte ich gefragt, warum diesem Gebot von manchen Vertretern der Religionsgemeinschaften ein höherer Rang zugesprochen wird als z.B. dem Tötungsverbot. Darauf habe ich bisher keine Antwort gehört. Es wird argumentiert, die Beschneidung trage den Bund mit Gott. Aber wer sagt das? Es steht in der Bibel. Da stehen auch die 10 Gebote. Wer legt sie also so aus, dass das Beschneidungsgebot diesen unantastbaren Rang erhält, die 10 Gebote aber eher als Empfehlungen behandelt werden? Ich denke, man wird das letztlich respektieren müssen (mit gewissen Verfahrensregelungen), weil man kulturell so tief verwurzelte Überzeugungen nicht einfach von heute auf morgen verbieten kann, aber auf das Einfordern von Begründungen, d.h. von Reflexion, darf man nicht verzichten. Das würde die Tabuisierung der Unanstastbarkeit der Beschneidungspraxis auch noch von der säkularen Seite her unterstützen.

  13. #13 Joseph Kuhn
    22. September 2012

    @ Physiker:

    Ein längerer Kommentar von mir scheint im Spam-Filter festzuhängen. Die Kurzfassung: Auf Begründungen zu verzichten, bedeutet die Unantastbarkeit der Beschneidungspraxis zu unterstützen und fällt hinter das zurück, was in den Religionsgemeinschaften selbst als theologische Reflexion durchaus vorhanden ist. Auf den Link zur Regensburger Papstrede verzichte ich mal, damit dieser Kommentar nicht auch im Spamfilter landet.

  14. #14 MartinB
    22. September 2012

    @Physiker
    Nein, ich fordere keine rationale Begründung der Glaubensvorschrift per se.

    Ich hätte gern eine Erklärung, warum die Beschneidung als Ritual und religiöse Pflicht einen anderen Stellenwert hat als z.B. die religiöse Pflicht, Homosexuelle zu steinigen oder keine zweierlei Stofffasern zu tragen oder was es da sonst noch so gibt. Diese Begründung darf auch gern innerhalb des religiösen Systems liegen (“die Beschneidung ist so wichtig, weil 1 Moses einen höheren Stellenwert hat als Leviticus, was in folgender Bibelstelle begründet ist…”)

    Weiterhin hätte ich gern eine Erklärung, wie genau die Abwägung religiöse Pflicht vs. Rechte des Kindes in den augen eines Befürworters so funktioniert, dass dabei eine Erlaubnis der Beschneidung von jüdischen und muslimischen Jungen, aber ein Verbot der Beschneidung von Mädchen in anderen Religionen herauskommt. Diese Begründung kann (da sie sich auf mehrere Religionen bezieht) logischerweise *nicht* innerhalb des religiösen Systems liegen, sonst wäre alles erlaubt. Trotzdem müssen die (wie Bachrach) , die sich darüber empören, dass diese Dinge verglichen werden, ja irgendwie begründen können, warum der Vergleich nicht passt, und wie genau die Grenzziehung ihrer Ansicht nach in einem Staat mit Religionsfreiheit verlaufen soll. (Denn die Begründung kann ja nicht einfach sein “Die abrahamitischen Religionen sind halt besser als andere”.)

    Jetzt klarer?

  15. #15 Joseph Kuhn
    22. September 2012

    @ MartinB: Ich hätte schon gerne auch eine Begründung der Glaubensvorschrift per se. Wer hat sie erlassen? Wirklich unmittelbar Gott? Oder Menschen (idealerweise im Glauben, das sei Gottes Wille)? Falls Letzteres, was bedeutet das für die Unabänderlichkeit dieser Tradition?

  16. #16 MartinB
    22. September 2012

    @Joseph
    Dass es (für die Gläubigen) unmittelbar Gott ist, davon ging ich bisher aus – aber so oder so ist eben u erklären, warum manche Regeln wichtiger sind als andere.

  17. #17 rolak
    22. September 2012

    Wo sind nur die diskussionserprobten Rabbiner oder die seit ewig und drei Tagen dafür berüchtigten Scholastiker, wenn mensch sie einmal braucht…

    Zumindest mir würde eine saubere in-system-Argumentation für den Anfang reichen, zum ‘per se’, also mehr zur Metareligion kann nach Klärung der Interna ja immer noch übergegangen werden. Gefährliches Pflaster, da kann schnell der eine Glaube als wahrer durchscheinen als der andere.
    Zumindest sind die Beschneidungs-Formalitäten der beiden Hauptbetroffenen doch deutlich unterschiedlich, wäre ja peinlich, wenn sich eine Variante als richtiger herauskristallisieren sollte. Falls jedoch nicht, ist das Procedere offensichtlich unwichtig (ist ja immerhin ein und derselbe Gott).

  18. #18 Joseph Kuhn
    22. September 2012

    @ rolak: Beide Ebenen hängen zusammen. Wenn ein Gebot Gottes unbedingt gilt, ein anderes nicht, stellt sich die Frage danach, wer darüber bestimmt.

  19. #19 rolak
    22. September 2012

    /zusammen/ Klar, Joseph, nicht einmal bei einem vertrockneten Teebeutel hätte ich es gewagt, ihn vom Gegenteil überzeugen zu wollen. Allerdings würde mich die eriwaneske ‘Im Prinzip alles gleich wichtig, aber <dodge>’-Show eine gewisse Zeitlang sicherlich gut unterhalten.

    /wenn-dann/ Nun, das menschliche Bewerten, analog zum ‘Näheres wird durch Gesetz geregelt’ in der Form von vielleicht ‘Relevanz kann durch Zeit / lokalen Priester / Mehrheitsentscheid /.. neu eingestuft werden’, erlaubte ich mir auszuschließen, da dann doch von Anfang an eine Anpassung an die lokale Gesetzgebung als im Bereich des Möglichen angesiedelt angesehen werden muß. Bleibt also nur das Transzendente, hinführend höchstwahrscheinlich zu einer Neuauflage der #Engel-auf-Nadelspitze-Diskussion.

    A propós Neuauflage: Schade, daß Gotli{e}b nicht mehr unter uns weilt, ein “God’s Club”-Teil-2 passend zu dem Thema wäre sicherlich ein Hammer (nicht Thors).

  20. #20 Alderamin
    22. September 2012

    @MartinB

    Toller Artikel, Gratulation zur messerscharfen Analyse.

  21. #21 thiassos
    22. September 2012

    Religionsfreiheit kann nicht den Übergriff auf die Gesundheit Anderer beinhalten.So gesehen sollte die Sache eigentlich recht klar sein. Nur hat bis dato der Staat dazu viel zu lange geschwiegen. Und es ist gut dass sich das jetzt ändert. Sonst kommt noch einer auf die Idee wieder Menschenopfer einzuführen im Namen seines Gottes.

  22. #22 Wolf-Dieter
    https://home.arcor.de/satyr54/htm/Ereignisse/Der_Greis_im_Zug.htm
    23. September 2012

    Es macht Spaß, die Argumentation elegant zerlegt zu sehen (denn ich finde Beschneidung auch zum Knochenkotzen) …

    … aber die inhaltliche Analyse der Argumente ist weniger interessant als die “Meta-Argumentation”. Gemeint ist: treten wir einen Schrit zurück und betrachten, wie und vor allem warum einigermaßen gescheite Menschen solchen Stuss reden.

    Denn die ganze Argumentation ist ergebnisorientiert: das Resultat muss die Beschneidung gutheißen. Anstelle vernünftiger Gründe dafür (denn es gibt schließlich keine) werden Gegenargumente diskreditiert, notfalls auch erzeugt, um sie anschließend zu diskreditieren.

    Vor einigen Tagen lief in Arte der (genial gute) Spielfilm “Danke, dass Sie Rauchen” nach dem gleichnamigen Roman, in dem ein Tabak-Lobbyist exemplarisch vorführt, wie das geht.

  23. #23 MICHAEL ROLOFF
    SEATTLE
    23. September 2012

    A lso, Sie haetten auch eine Zukunft in dem Rechtswesen und der Logik Herr Baeker. Als jemand der einmal kurz mit Quarks gearbeitet hat machen ich Ihnen das Leben Neutrinoleicht. Jude wird man durch die Geburt von einer Jüdischen Mutter oder durch Konversion
    https://www.welt.de/print/die_welt/debatte/article108847257/Die-Vorhaut-des-Herzens.html

    https://www.tagesspiegel.de/meinung/andere-meinung/gastkommentar-zur-beschneidungsdebatte-danke-deutschland/7160872.html

    Die Beschneidung ist Überbleibsel des Opfer Rituals zur Steinzeit.
    Scheinbar hilft sie bei dem Verhuetung von Aids wenn Männer sowie Frauen vorsichtigen Sex auf hygienische Art ausüben. Die Ultra Orthodoxen
    Juden so wie Islamer bestehen auf diesem Ritual, diesem Brauch,
    da sie auf diese Art das Patriarchat in der Hand behalten.

    Hier der Link zu dem Archiv für die ganze Debatte
    https://analytic-comments.blogspot.com/2012/08/the-circumcision-debate-links-and.html

    https://www.facebook.com/mike.roloff1?ref=name

    https://www.roloff.freehosting.net/index.html

    Member Seattle Psychoanalytic Institute and Society

    Dieser Kommentar hing im Spamfilter. Warnung an alle: Das Klicken auf die Links verursacht Augenkrebs… MartinB

  24. #24 Ludger
    23. September 2012

    Juden mussten sich Jahrtausende vor Assimilation schützen. Befremdliche Dinge wie die Regeln zum koscheren Essen und auch die Beschneidung von männlichen Säuglingen gehören dazu. Außerdem geht die Beschneidung auf einen direkten wörtlich mitgeteilten Auftrag von Gott selber an den Gründungsvater Abraham zurück. Wörtliche Reden von Gott selber sind in der hebräischen Bibel eine Rarität und daher besonders wichtig. Insofern ist das Beschneidungsgebot für die jüdische Identität essentiell, das Steinigungsgebot für samstägliche Rasenmäher nicht. (PS.: Ich muss leider jetzt arbeiten und werde heute wohl nicht antworten können.)

  25. #25 rolak
    23. September 2012

    in der hebräischen Bibel eine Rarität

    Sicher, Ludger? Die bewußten Stellen sind doch recht deutlich markiert. Ok, diese Liste müßte noch auf den Tanach beschränkt werden, doch es sei mir erlaubt, auf den unteren Rand hinzuweisen: “Seite 1 von 277”.

  26. #26 Joseph Kuhn
    23. September 2012

    @ Ludger: In allen Religionsgemeinschaften gibt es historisch-kritische Auslegungen der heiligen Schriften, nicht nur wortgetreue Lesarten. Wer also bestimmt darüber, dass als wörtlich dargestellte Aufträge Gottes wirklich solche sind und nicht nur als solche dargestellt wurden? Abgesehen davon gelten auch die 10 Gebote und damit das Sabbatgebot als direkte Rede Gottes.

  27. #27 MartinB
    23. September 2012

    @Ludger
    Mein böser Verdacht ist ja immer, dass bei Religionen durch komplizierte Rituale ein “cognitive bias” ausgenutzt wird, so eine Art von
    https://en.wikipedia.org/wiki/Escalation_of_commitment
    Wenn ich erst mal dies und das und jenes im Namen der Religion getan habe, dann stärkt das automatisch meine Neigung, diese Religion für die Richtige zu halten, weil ich sonst zugeben müsste, dass meine “Investitionen” nutzlos waren.

  28. #28 Joseph Kuhn
    23. September 2012

    @ MartinB: Ich glaube nicht, dass solche quasirationalen Entscheidungskalküle hier eine große Rolle spielen. Eher dürfte das mit kulturellen Selbstverständlichkeiten zu erklären sein, in denen man aufwächst und die wie ein Rhizom das Denken und Fühlen vielfach vor- bzw. unbewusst anleiten. Nichts desto trotz bleibt die Frage, warum rituelle Gebote oft einen höheren Stellenwert haben als ethische Gebote. Ludger hat zu Beginn seines Kommentars ja eine Erklärung gegeben: Rituale sichern den Zusammenhalt einer Gemeinschaft.

  29. #29 rolak
    23. September 2012

    Darf ich annehmen daß Du den Verdacht deswegen ‘böse’ nennst, weil Du einen aktiven und um den Effekt wissenden Ausnutzenden argwöhnst, MartinB? Ok, mag in einigen Fällen, insbesondere bei jungen Kulten so sein, doch spätestens nach einigen Generation dürfte dieses Moment verebbt sein, hat sich der Ablauf verselbstständigt. So eine Art transzendiertes “Right or wrong, my country”.

    Nichtsdestotrotz dürfte der Effekt des sich selber den Ausweg Erschweren unbestreitbar sein, insbesondere bei solch starken Aktionen, die selbst öffentliche Bekenntisse locker ausstechen.
    Zur Ergänzung noch eine Hypothese: Daß Liebe blind macht, ist ja sprichwörtlich, daß Pflichtbewußtsein drastische Folgen zeigen kann, ebenfalls; mit der Intensität ansteigend (Milgram). Und was soll denn bitte stärker sein als das Pflichtbewußtsein vor einem Gott oder die Liebe von Eltern zum Kind — da liegt imho die Gefahr von Exzessen auf der Hand. Gott will es und es ist zu Deinem Besten.

  30. #30 MartinB
    23. September 2012

    @Joseph
    Nein, ich meinte das auch nicht so, dass das eine bewusste Entscheidung irgendwelcher finsteren Oberpriester mit hässlichem “muhaha”-Lachen und dunklen Disney-Schurken-Augenbrauen gewesen ist, sondern eher so, dass jemand, der selbst viel in seinen Glauben investiert hat und in diesem Glauben eine wichtige, tonangebende Rolle spielt, dazu neigen wird, auch andere dazu zu bringen, ebenfalls viel zu investieren; um seine eigene Rolle zu stärken und auch für den Zusammenhalt und ein Geborgenheitsgefühl(das steht ja schon ganz oben im Artikel).
    Seltsame Initiationsriten, wie in amerikanischen Unis (z.B. Club der Toten Dichter), fallen vermutlich in ähnliche Kategorien.

  31. #31 MartinB
    23. September 2012

    @rolak
    Du hingst mal wieder im Filter fest (zwei links sind anscheinend schon zu viel).
    Ich glaube, den anderen Teil habe ich mit meinem Kommentar an Joseph schon geklärt, oder?

  32. #32 Ludger
    23. September 2012

    Ludger:” in der hebräischen Bibel eine Rarität”

    rolak 23. September 2012:
    Sicher, Ludger? Die bewußten Stellen sind doch recht deutlich markiert.[…]

    Die von Dir gefundenen Stellen sind fast ausnamslos von Propheten formulierte religiöse Grundaussagen, die mit der Floskel “spricht der Herr” als solche kenntlich gemacht wurden, deswegen auch Benutzung des Präsens.Die von mir gemeinten Textpassagen sind aber wie eine Reportage aufgebaut. Man hätte Datum und Uhrzeit dazu nennen können. Zum Beispiel:

    Da sprach der HERR zu Kain: Wo ist dein Bruder (1. Mose – Kapitel 4)Abel?

    oder

    Gott sprach zu Mose: ICH WERDE SEIN, DER ICH SEIN WERDE. (2. Mose – Kapitel 3)

    Dagegen ist der Koran komplett ein Diktat Gottes, so wie es auch das Buch Mormon für sich beansprucht. Problematisch wird es nur, wenn daraus Rechte gegenüber anderen abgeleitet werden. Dagegen hilft nur ein

    sapere aude ( https://de.wikipedia.org/wiki/Sapere_aude)

    Wir können die Errungenschaften der Aufklärung nicht hoch genug einschätzen.

  33. #33 rolak
    23. September 2012

    /anscheinend/ oh ja… das Ding heißt nicht aus Zufall ‘Ein Schicksal’.
    /oder?/ oh ja klar, bei Deinem personifizierten Gegenteil habe ich einen Imperator-Ming-Typen vor Augen, Kali-Tempel wie die aus der Eschnapur-Reihe, Orgien wie die Ischtar gewidmete aus ‘Intolerance’ (offensichtlich 60/70er-Prägung)
    (und hinter das ‘ebenfalls’ sollte eigentlich noch ein ‘bekannt’ (habe ich gerade unter dem Tisch gefunden) – doch der Text liest sich auch so)

  34. #34 Joseph Kuhn
    23. September 2012

    @ Ludger: Das Beschneidungsgebot für Moslems begründet sich, wenn man Wikipedia hier vertrauen darf, nicht aus dem Koran, sondern aus der Sunna. Demnach wäre es auch für gläubige Moslems nicht ganz so unantastbar, aber das müssten (islamische) Theologen kommentieren und vermutlich gibt es auch da wie so oft viele Meinungen. Im Christentum haben übrigens genauso rituelle Eigenheiten, die nicht direkt von Gottes Wort her abgeleitet werden, hohen Stellenwert, z.B. der Zölibat in der katholischen Kirche.

  35. #35 MartinB
    23. September 2012

    @rolak
    Hey, cool, ich kann selbst bestimmen, mit wie vielen links ein Kommentar festgehaltenwird. Ich habe die Grenze mal auf 4 hochgesetzt.

  36. #36 Ponder
    23. September 2012

    Der Denkfehler besteht nach meiner Einschätzung darin, dass nicht berücksichtigt wird, wie ein Ritual (egal welches) psychologisch “funktioniert”:

    es drückt auf nichtsprachliche, intuitive, implizite Weise etwas aus, was durch Worte und rational-argumentativen Diskurs nicht oder nur bruchstückhaft fassbar ist.
    Es ist von Anfang an emotional aufgeladen und trägt unbewusst Erfahrungen, Gefühle und Historie vieler Generationen in sich bzw wird dadurch noch weiter emotional aufgeladen.
    Deshalb kann man ein Ritual nicht durch Einsicht oder Appell an die Vernunft verändern, und demnach geht auch die Forderung nach besseren Begründungen für das Beibehalten des Rituals irgendwie am Thema vorbei.

    Das folgende Bild ist schief (weil es gegenüber einem Ritual eine rein negative Konnotation hat), aber einen Spinnenphobiker kann man auch nicht mit Argumenten überzeugen, seine Phobie aufzugeben.

  37. #37 Joseph Kuhn
    23. September 2012

    @ Ponder: Das sehe ich anders. Das ganze Projekt der Aufklärung hat darauf vertraut, dass sich früher oder später Argumente gegen tradierte Selbstverständlichkeiten durchsetzen. Das Diskursfähigmachen solcher Selbstverständlichkeiten ist nicht einfach – hier greift Ihr Vergleich mit der Spinnenphobie durchaus – aber es ist auch nicht aussichtslos. Da war der Papst in der oben verlinkten Regensburger Rede weiter als Sie 😉

  38. #38 MartinB
    23. September 2012

    @Ponder
    Wenn das so wäre, dann müssten die Anhänger religiöser pflicht aber eben *jedes* Ritual als gleich gültig anerkennen. Das tun sie aber nicht – einige werden abgeschwächt, einige komplett ignoriert.
    Mir ist schon klar, dass ein Anhänger der Religion X natürlich nur seine Rituale wirklich für bindend und korrekt hält, aber in einem säkularen Staat muss er eben entweder auf dem Standpunkt stehen, dass jedes religiöse Ritual automatisch zulässig ist (was anscheinend niemand tut) oder erklären, wie seiner Ansicht nach der Staat die Entscheidung, welche Rituale zulässig sind, treffen soll, und *diese* Begründung kann eben nicht innerhalb seiner Religion sein, es sei denn, man bevorzugt eine Religion von Staats wegen. Das hat aber auch niemand gefordert.

  39. #39 Ponder
    23. September 2012

    @ Joseph Kuhn:

    Na ja – reden kann der Papst viel.
    Nur leider hat das keinerlei Auswirkungen auf die rituelle und sonstige Praxis der katholischen Kirche – seit den Zeiten Luthers jedenfalls nicht. Das zweite Vatikanum hat sich auch nicht durchgesetzt, im Gegenteil.
    Das Beispiel Papst ist extrem gut geeignet, um die große Diskrepanz zwischen theoretisch-rationaler/rationalisierender und praktisch-irrrationaler Haltung in “Glaubens”-Fragen zu demonstrieren.
    Psychologisch ist der katholische Klerus ein hoch interessanter Betrachtungsgegenstand, was Rationalisierungen angeht…

    Die Mühen der Verhaltenstherapie/ des kognitiven Umstrukturierens bieten doch genügend Anschauungsmaterial für die Hartnäckigkeit von mittels Limbischem System gesteuerten Gewohnheiten (die Vorläufer von Ritualen), und nicht ohne Grund wird das EMDR bei Traumata als recht wirkungsvoller nonverbaler und bewusst nicht analytisch-deduktiver Zugang eingesetzt.

    Ich begrüße uneingeschränkt den rationalen Primat der Aufklärung.
    Auch Protestantische Denker (z.B. Comenius) haben ganz wesentlich aufgeklärtes Denken/Bildung in die Gesellschaft und fortlaufend bis heute in die christliche/evangelische Theologie getragen.
    Dennoch wissen Sie als Psychologe doch am besten, dass der Mensch kein durch und durch rationales Wesen ist, und dass aversive Gefühle der Einsichtsfähigkeit und dem Veränderungswillen massiv im Weg stehen.

    Ich erinnere daran, dass das Beschneidungsritual bisher EINMAL aus theologischen Gründen geändert wurde: damals entstand in der Konsequenz aus einer jüdischen Sekte das Christentum.

    Das Ritual wurde auch nicht einfach verworfen, sondern man fand eine “theologisch überzeugende”, aber nicht weniger emotionale und brisante Deutung:

    die Katastrophe der Hinrichtung des Rabbi Jesus wurde als stellvertretendes Opfer gedeutet, und die Taufe auf seinen Tod (“Beschneidung der Herzen”) konnte damals in der Konsequenz für den Einzelnen noch in der römischen Arena enden.

    Die intellektuelle Unaufrichtigkeit der derzeitigen Debatte besteht m.E. darin, so zu tun, als ob “wir”, wer immer das sein soll, die Aufklärung so verinnerlicht haben, dass wir nicht mehr anfällig für Irrationales sein könnten.
    Das ist ein gewaltiger blinder Fleck – auch aus diesem Grund wünschen wohl immer mehr Menschen, dass die irrational-apokalyptischen Gräuel des Nazi-Regimes doch endlich mal ad acta gelegt gehören, fürchte ich:
    Das Irrationale wird lieber verdrängt.

    “Wir” sind aber irrational ohne Ende:
    ob es die Nichtraucherschutzdebatte oder ein Tempolimit ist oder der Nutzen bzw die Erstattungsfähigkeit der Homöopathie.
    Oder die von mir schon mal scherzhaft erwähnte schwäbisch-alemannische Fasnet, die in einem aufgeklärten Land für eine ganze Woche die Hexen, Gnome und Teufel der archaischen Vorzeit auf die Straßen biederer Städte im “Ländle” schickt, und das nicht als politische Parodie wie etwa im rheinischen Karneval.
    In dieser Zeit kommen Schule und alle Produktivität zum Erliegen – ist das jetzt sonderlich aufgeklärt und irgendwie rational begründbar?

  40. #40 MartinB
    23. September 2012

    @Ponder
    “Die intellektuelle Unaufrichtigkeit der derzeitigen Debatte besteht m.E. darin, so zu tun, als ob “wir”, wer immer das sein soll, die Aufklärung so verinnerlicht haben, dass wir nicht mehr anfällig für Irrationales sein könnten.”
    Das sehe ich anders – ich denke, unser Grundgesetz ist genau dadurch begründet, dass man um die Irrationalität der menschen weiß und dieser zumindest in Menschenrechtsbelangen institutionalisierte Riegel vorschiebt, in gewisser Weise analog zur wissenschaftlichen Methode.

  41. #41 Ponder
    23. September 2012

    @Martin B.:

    Wenn das so wäre, dann müssten die Anhänger religiöser pflicht aber eben *jedes* Ritual als gleich gültig anerkennen. Das tun sie aber nicht – einige werden abgeschwächt, einige komplett ignoriert.

    Du bittest um einen Spaziergang durch die Kirchengeschichte? 😉

    Dass die Beschneidung von den frühen Christen durch die Taufe (Ganzkörpertaufe von i.d.R. Erwachsenen; mit Untertauchen) ersetzt wurde, habe ich erwähnt; den Kontext mit Begründung findet man im Bericht über das Apostelkonzil in Jerusalem:

    https://de.wikipedia.org/wiki/Apostelkonzil

    – damals gab es ein Dilemma hinsichtlich der Frage, ob man den griechischen/heidnischen Konvertiten auferlegen sollte, alle religiösen Bestimmungen des Judentums zu befolgen, was letztlich über eine theologische Exegese/ Begründung verneint wurde…

    Für das Judentum steht das Beschneidungsgebot hingegen an so bedeutender Stelle, dass es sogar andere zentrale Gebote außer Kraft setzt (etwa das Gebot, den Feiertag zu heiligen, verbunden mit dem Verbot, am Schabath eine” Arbeit”/Tätigkeit zu verrichten).

    Quer durch die Geschichte war ein Beschneidungsverbot praktisch immer mit Judenverfolgungen verbunden oder stellte einen Auftakt dazu dar. Auch in lebensbedrohlichen Situationen (KZ) haben gläubige Juden am Gebot der Beschneidung festgehalten – so viel zur von mir beschriebenen zusätzlichen emotionalen Aufladung dieses Themas.

    Da die Juden über lange Zeiträume weit verstreut über viele Länder in der Diaspora leben mussten (und auch ihre Sprache erst mit Gründung des Staates Israel “neu” gefunden haben), haben vermutlich Rituale noch einen besonderen identitätsstiftenden Charakter, der ihre Volkszusammengehörigkeit über alle kulturell aquirierten Gegensätze hinweg symbolisiert und den wir nicht ermessen können.

    Rituale (die mehr bedeuten als “Pflichten”, “Feste” oder “Gewohnheiten” – der symbolische Gehalt ist viel höher) werden quer durch die Kirchengeschichte immer dann von innen heraus (!) modifiziert, wenn auf irgendeine Weise das theologische “Konzept” erweitert oder abgelöst wird. Das ist eigentlich immer mit großen Zerreißproben hinsichtlich der Herkunftstradition verbunden gewesen.

    So proklamierte etwa Luther ein “allgemeines Priestertum aller Gläubigen”. Das bedeutete (noch vor der Kirchenspaltung) einen Wandel weg vom “magischen” Priesterverständnis – in der Folge fielen Zölibat und andere “Weihen” incl des pompösen Ornats, und der deutschsprachige Wortgottesdienst (“aufklärerisch”, denn die Bibel wurde erklärt und zeitgemäß ausgelegt) sowie Liedgut mit deutsch sprachigen religiösen Umtextungen von einschlägig bekannten “Gassenhauern” löste die stark ritualisierte und quasi magische lateinische Messfeier ab.
    In den protestantischen Kirchen wurden die Lettner (kunstvoll geschnitzte Abtrennungen des “heiligen” Altarraums – Symbol des jüdischen “Allerheiligsten”) entfernt – zum Zeichen eines uneingeschränkten und bedingungslosen Zutrittsrechts aller Menschen.

    Ein bis heute nicht gelöster interkonfessioneller Streit betrifft das Ritual des Abendmahls / der Kommunion.
    Lange Zeit war den katholischen Gläubigen der Kelch versagt bzw sie durften die Oblate mit etwas Wein benetzen. In den evangelischen Gemeinden dürfen auch Laien den Abendmahlskelch nehmen, oft sogar die “Einsetzungsworte” selbst sprechen und den Kelch einander reichen – wie es wohl ursprünglich in der Urgemeinde praktiziert wurde.

    Das ist in der katholischen Kirche dem Priester vorbehalten, weil nach katholischer Lehre tatsächlich eine “Wandlung” (in Fleisch und Blut Christi) geschieht – und zwar nur dann, wenn der Priester als der Gottgeweihte (…Magier…) die Worte/Gebete/Segen darüber spricht.

    Hier ist das magische Verständnis also noch voll im Gange, zumal gerade in diesem Jahr die Liturgie/das Gesangbuch auf Betreiben des Papstes eine entsprechende textliche Rück-Veränderung erfahren hat, welche eine gemeinsame Abendmahlsfeier wieder erschwert. Die Priester vor Ort sind (zu ihrer Bestürzung) explizit angewiesen, sich darüber nicht hinwegzusetzen.

    Ursprünglich geht das Abendmahls-Ritual auf das jüdische Seder-Mahl vor dem Passahfest zurück.
    Es ist überliefert, dass Jesus am Vorabend seiner Verhaftung die vorgeschriebene Liturgie (wie sie heute noch von den Juden praktiziert wird) zelebrierte und mit einigen Zusätzen erweiterte, d.h. dem geläufigen Ritual einen neuen Sinngehalt hinzufügte. Die Anweisung lautete wohl “Tut das zu meiner Erinnerung/Vergegenwärtigung”.

    Das im groben Überblick.
    Fazit:
    religiöse Rituale sind wandelbar, aber unter der Voraussetzung, dass sich das Glaubensverständnis gewandelt hat bzw. ein passenderes Ritual gefunden wurde. Dieses muss aber irgendwie “von innen heraus” geschehen und steht eher am Ende eines erfolgten Prozesses.

  42. #42 Aiko
    23. September 2012

    @MartinB
    Dazu wäre es wichtig, die Bedeutung religiöser Rituale allgemein und im Speziellen zu diskutieren, damit ihr Stellenwert gegen den anderer Grundrechte abgewogen werden kann, denn über die prinzipielle Notwendigkeit einer solchen Abwägung sind sich ja alle Seiten einig (sonst müsste, wie gesagt, jedes religiöse Ritual für zulässig erklärt werden).

    Du vermischst hier zwei völlig getrennte Sphären – die der religiösen Riten und die des bürgerlichen Gesetzes.
    Wenn du daran interessiert bist, den Sinn von Riten zu verstehen, dann empfehle ich Victor Turner – einfach mal googlen .
    Es ist m.E. nicht möglich Irrationales rational zu begründen. Man kann es aber versuchen. Letztlich beruht eine Handlung entweder auf Freiheit oder auf Zwang – betrachtet man die Extreme – und daher liefern heute Zwangshandlungen auch die passenden Beispiele um das Rituelle zu verstehen.
    Im Falle der Beschneidung ist es ja verständlich, wenn sich Juden, Christen und gelegentlich auch Muslime auf die Ebene der rationalen Begründung begeben, schließlich wollen sie ja auch ihre Religion als rational darstellen, was die Aufklärung irgendwie verlangt – aber was soll das? Ein Gebot Gottes steht eben über dem Gesetz der BRD – und wenn sich die BRD nicht mit einer Ausnahmeregelung befasst, dann müssen Juden und Muslime eben andere Wege finden, um ihre religiösen Gebote (Pflichten) durchzuführen. Also wird es ein Sondergesetz geben.

  43. #43 Ponder
    23. September 2012

    @Martin B.:

    Das sehe ich anders – ich denke, unser Grundgesetz ist genau dadurch begründet, dass man um die Irrationalität der menschen weiß und dieser zumindest in Menschenrechtsbelangen institutionalisierte Riegel vorschiebt, in gewisser Weise analog zur wissenschaftlichen Methode.

    Da sind wir uns einig. Die Herausforderung besteht ja aktuell darin, innerhalb einer neu zu formulierenden Rechtsprechung einen Weg zu finden, der diesen Konflikt prinzipiell gleichrangiger Grundrechte löst bzw in eine akzeptable Praxis umwandelt.

    Derzeit entsteht aufgrund der Heftigkeit der öffentlichen Debatte für die Betroffenen wohl der schiefe Eindruck, ihnen würde unterstellt, sie hätten 60 Jahre lang heimlich und womöglich vorsätzlich außerhalb des deutschen Grundgesetzes gelebt. Das ist doch absurd.

    Das ist natürlich – psychologisch betrachtet – auch keine gute Voraussetzung, um in Ruhe seine eigene Position neu zu definieren. Deswegen halte ich persönlich Signale der Wetschätzung momentan für wichtiger, als immer weiter (womöglich noch mit Anzeigen) Druck aufzubauen. Mir persönlich widerstrebt auch massiv, dass sich die Wahrnehmung von Juden und Muslimen irgendwie auf ein aus unserer Sicht anachronistisches Ritual einengt. Henryk Broder formulierte: “Alles starrt auf diese Vorhaut!”

    Im Mittelalter haben arabische Ärzte wesentlich unsere Medizin geprägt. Griechische Philosophen, allen voran Aristoteles, sind uns letztlich über arabische Quellen erhalten geblieben. Sehr viele berühmte Wissenschaftler und Aufklärer waren/sind Juden – ich möchte mal wissen, welcher Prozentsatz von Unbeschnittenen darunter ist.
    Aber das nur am Rande.

  44. #44 Joseph Kuhn
    23. September 2012

    @ Ponder: Wir sind uns vermutlich einig bei der Feststellung, dass Menschen nicht immer rational handeln (“rational” im Sinne einer der diskursiven Vernunft verpflichteten Rationalität), dass solches Handeln manchmal tief verankert sein kann und in seiner emotionalen Motivation der Reflexion dann nicht einfach zugänglich ist und dass viel davon bei religiösen Traditionen zu finden ist. Wir sind uns offensichtlich auch einig, dass sich rituelle Handlungen im Laufe der Zeit ändern können. Bleibt die Frage, ob diese Änderungen nur “irgendwie” von innen aus den Religionsgemeinschaften selbst angestoßen werden können oder auch durch den Dialog zwischen Religionsgemeinschaften bzw. mit säkularen Gruppen. Da bin ich, wie es scheint, optimistischer als Sie. Nicht, was die nächsten 5 oder 10 Jahre angeht, aber in einer längeren Perspektive. Das wird sich aber nur realisieren, wenn man auch hier und jetzt danach fragt, was man an solchen Ritualen nicht versteht (und was die Gläubigen vielleicht selbst auch nicht ganz verstehen, eben weil es ihnen so “selbstverständlich” ist).

  45. #45 MartinB
    23. September 2012

    @Ponder
    Dass das in der Kirchengeschichte so war, ist mir schon klar (auch wenn ich nicht alle Detail so gut kenne).
    Aber genau das begründet ja die Pflicht der Befürworter eines Rituals, zu erklären, wie die Abwägung zu tun ist.

    @Aiko
    “Du vermischst hier zwei völlig getrennte Sphären”
    Wenn die Sphären so schön getrennt wären, hätten wir das problem ja nicht.
    “Es ist m.E. nicht möglich Irrationales rational zu begründen. ”
    Das verlange ich ja auch nicht – habe ich oben im Kommentar an Physiker erklärt.

    @Ponder, Teil 2
    “sie hätten 60 Jahre lang heimlich und womöglich vorsätzlich außerhalb des deutschen Grundgesetzes gelebt”
    Wenn die Beschneidung gegen das Grundgesetz verstößt, dann tat sie das natürlich schon immer. Niemand unterstellt aber sicherlich, das wäre heimlich geschehen oder gar vorsätzlich; genauso wie man irgendwann gemerkt hat, dass man Kinder eben nicht schlagen darf oder Ehefrauen nicht vergewaltigen, und das dann entsprechend noch einmal in Gesetzform gegossen hat. (Ich bin kein Jurist, aber ich vermute mal, man hat genau deswegen ein extra Gesetz geschaffen, damit man nicht die Pflicht hat, diese Dinge rückwirkend zu verfolgen. Wenn die beschneidung Körperverletzung ist, dann müsste der Staat das ja rückwirkend tun, vielleicht ist das auch ein Grund, warum die politiker so bestrebt sind, so etwas zu vermeiden.)

    Aber generell kann ja ein “das war schon immer so” per se kein Recht begründen.

    ich habe wegen dieser Schwierigkeiten ja in diesem Artikel auch nicht gegen die Beschneidung Stellung bezogen sondern eben nur versucht deutlich zu machen, was bisher in meinen Augen an Argumenten fehlt und dringend geliefert werden müsste. Und das ist eben eine für einen säkularen Staat nachvollziehbare Begründung, wie die Abwägung zwischen den betroffenen Grundrechten so getroffen wird, dass Tätowierungen, Mädchenverstümmelungen etc. auf der einen Seite liegen, Jungebeschneidung auf der anderen.

  46. #46 Ponder
    23. September 2012

    @ Joseph Kuhn:

    Bleibt die Frage, ob diese Änderungen nur “irgendwie” von innen aus den Religionsgemeinschaften selbst angestoßen werden können oder auch durch den Dialog zwischen Religionsgemeinschaften bzw. mit säkularen Gruppen. Da bin ich, wie es scheint, optimistischer als Sie. Nicht, was die nächsten 5 oder 10 Jahre angeht, aber in einer längeren Perspektive. Das wird sich aber nur realisieren, wenn man auch hier und jetzt danach fragt, was man an solchen Ritualen nicht versteht (und was die Gläubigen vielleicht selbst auch nicht ganz verstehen, eben weil es ihnen so “selbstverständlich” ist).

    Mich deprimiert eigentlich hauptsächlich, dass durch einen ziemlich heftigen und unnötig polarisierenden Auftakt (nicht das Kölner Urteil, sondern seine, wie ich finde, teilweise militant propagandistisch-atheistische Instrumentalisierung) sehr viel emotionales Porzellan zerschlagen wurde. Natürlich sollen Gläubige ihre Praxis hinterfragen und sich dies v.a. auch von anderen gefallen lassen. Es ist aber schwierig für diejenigen, die sich unerwartet plötzlich in der Position vorfinden, sich einer Straftat schuldig gemacht zu haben – eine vermutlich ungewollte Auswirkung des Kölner Urteils.

    Vielleicht kann ja hier die katholische Kirche mal ein reformatorisches gesellschaftliches Signal setzen und beispielgebend vorangehen, indem sie auf den Zölibat verzichtet und Frauen zum Priesteramt zulässt.

    Das hätte sicher eine positive Signalwirkung:
    wenn so ein versteinerter Apparat und Symbol ehemaliger römisch-europäischer Werte-Vorherrschaft wider Erwarten doch noch über seinen Schatten springen kann, dann ist das doch eine schöne Einladung für Juden und Muslime, gleichzuziehen.

    Halten Sie das für möglich, Joseph Kuhn?

  47. #47 AT
    23. September 2012

    Ich fand diesen Beitrag sehr hübsch und schön argumentiert.
    Das Problem bei diesem Thema ist aber eben gerade, dass es völlig immun gegen rationale und logische Argumente ist. Es ist eine Tradition und noch dazu in Verbindung mit Religion, das kann man nicht logisch begründen. Da gibt es für die Anhänger ein starkes Bauchgefühl, dass das so richtig ist.
    Das Einzige, was man machen kann, ist Aufklärung. Und das dauert erfahrungsgemäß lange und ist für ältere Generationen meist nicht mehr umsetzbar. Wir werden noch lange an diesem Thema rumdiskutieren.

  48. #48 Joseph Kuhn
    23. September 2012

    @ Ponder:

    “Halten Sie das für möglich, Joseph Kuhn?

    Ja, der Zölibat ist ja in der Diskussion und ich vermute, in 100 Jahren wird es ihn nicht mehr geben (wenn ich mich irren sollte, bleibt mir diese Einsicht immerhin erspart).

  49. #49 Aiko
    23. September 2012

    @MartinB
    Also – es gibt kein rationales Argument FÜR eine Körperverletzung durch Beschneidung. Die in der ganzen Debatte wenig diskutierte Frage war die, nach den elterlichen Rechten. Da das leider mit der Religion vermischt wurde, sprang dann alles auf diesen Zug – aber eigentlich ging es den Juristen, wie Putzke nur um diese Frage – ob Eltern ein Recht auf Körperverletzung haben. Die Beschneidung ist hier lediglich ein gutes Beispiel – weil dieses Recht mit Religion vermischt wird.
    Hier liegt m.E. die einzige rationale Ebene – und die ist ja auch in einer der TV-Talks mal genannt worden, von Seyran Ates z.B. – es sind Gründe, die eine patriarchalische Ordnung tradieren und die daher auch von den Kirchen hier gestützt wird. Daher meine ich, dass man genau an dieser Ecke – der Elternrechts auf Körperverletzung weiter debattieren soll – .

  50. #50 Stefan W.
    24. September 2012

    Ein gelungener Artikel.

    @Ponder:
    Griechische Philosophen, allen voran Aristoteles, sind uns letztlich über arabische Quellen erhalten geblieben. Sehr viele berühmte Wissenschaftler und Aufklärer waren/sind Juden – ich möchte mal wissen, welcher Prozentsatz von Unbeschnittenen darunter ist.

    An dieser Argumentation verstehe ich folgendes nicht: Was würden wir von dieser Tradition aufgeben müssen, wenn wir das mit der Strafbarkeit der Körperverletzung bei jüdischen und muslimischen Kindern männlichen Geschlechts ernstnehmen würden?

    Oder schulden wir den Juden oder Muslimen in dieser Hinsicht was, und wenn ja, nur den beschnittenen und denen, die als Erwachsene die Beschneidung affirmativ bestätigen?

    Ich habe jetzt, seit die Debatte läuft, mehrere Männer gehört, die nicht froh sind beschnitten zu sein. Wieso soll ich denen nicht verbunden sein? Ich möchte sagen, dass ich mich diesen, die ihrer Tradition zumindest kritisch gegenüberstehen, näher fühle als stumpfen Robotern, die froh sind das alles ist wie immer, und tapfer auch für ihre Kinder alles beibehalten wollen, wie es immer schon war.

    Es ist aber schwierig für diejenigen, die sich unerwartet plötzlich in der Position vorfinden, sich einer Straftat schuldig gemacht zu haben – eine vermutlich ungewollte Auswirkung des Kölner Urteils.

    Vielleicht kann ja hier die katholische Kirche … Zölibat … Frauen zum Priesteramt …

    Das klingt wie ein Deal, wie ein Zug-um-Zug.

    Zuerst aber sei gesagt, dass ja schon das Kölner Urteil erläutert, dass für bisherige Fälle zu berücksichtigen ist, dass die Beschneider nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt haben. Es war nicht geheim, dass Juden und Muslime ihren männlichen Kindern die Vorhaut amputieren, aber es wurde nicht verfolgt, und das seit Jahrzehnten.

    Mit später Verfolgung muss also kaum jemand rechnen – wenn doch, ist es an den Richtern die näheren Umstände zu berücksichtigen.

    Was aber die Katholiken jetzt in der Debatte sollen, dass diese erstmal in Vorleistung gehen sollen, verschiebt die Debatte von der Fragestellung, ob wehrlose Kinder vor Verstümmelung geschützt werden müssen oder nicht auf einen Wettbewerb, welche Religion die kruderen Traditionen hat, die reformiert gehören.

    Solange keine Grundrechte verletzt werden hat sich der Staat da rauszuhalten. Priester, die nicht heiraten dürfen, tun dies freiwillig. Entscheidet sich der Priester um, so kann er das jederzeit tun – der Staat legt ihm da keine Steine in den Weg.

    Wenn Frauen nicht Priester werden dürfen, so ist das auch nicht die Schuld des Staates. Ein Christentum, in dem sie dürfen, gibt es ja schon – wenn sie ein anderes wollen, etwa mit Frauen die Priester werden dürfen, aber auch mit Zölibat, müssen sie diese Religion doch nur gründen. Eine christliche Geschmacksrichtung mehr auf dem Planeten.

    Nur hilft das keinem kleinen Jungen. Denen soll Leid und Trauma erspart werden, und die Vorhaut erhalten bleiben, bis sie selbst entscheiden können, ob sie sie aufgeben wollen. Denen nützt es gar nicht, wenn die Katholiken auch weibliche Priester haben die heiraten dürfen.

    Mir ist auch eingefallen, dass es lange Zeit eine christliche Knecht-Ruprecht-Tradition gab, die vor allem aus Prügel, Angst und Dunkelheit bestanden hat, und die gibt es heute auch nicht mehr. Ich glaube auf dem Land wird sie teils noch praktiziert, und ist wegen der Schläge auch verboten.

    Es läuft am Ende auf eine Machtfrage hinaus, und das Christentum hat m.E. bislang gekniffen, wenn es eng wurde, und sich ins spirituelle verlegt.

    Die chr. Kirche fühlt sich auch der weltlichen Macht weit überlegen, proklamiert eine höhere Moral zu haben und ein Paradies zu versprechen gegenüber dem ein Lottogewinn abstinkt und überhaupt alles irdische schlicht das Jammertal ist. Man muss nur unter die Erde, um in den Himmel zu kommen.

    Aber praktisch stellt sie sich der weltlichen Macht nicht entgegen. In der Bibel steht, dass es nur einen Gott gibt, an den man glauben soll, während das Grundgesetz jedem Menschen das Recht zuspricht sich selbst aus freien Stücken auszusuchen, woran er glauben will.

    Wenn es hart auf hart kommt beugt sich der Christ dem Grundgesetz und verlagert alle Heilserwartung aufs Jenseits, Er rächt sich damit, dass er überall behauptet das Christentum hätte die Aufklärung erfunden, aber dass er Rückzugsgefechte liefert, dass hat er längst eingesehen.

  51. #51 Stefan W.
    24. September 2012

    Mir scheint den Juden und Moslems will nicht klarwerden, dass es neben der Feindschaft, die sie schon kennen, noch eine Form der Duldung gibt, die sich erlaubt ihnen klare Grenzen zu setzen, aber eben nicht um sie ungleich zu behandeln, sondern gleich.

    Ich fürchte Judentum und Islam werden von den Mitgliedern auch in einer chauvinistischen Voreingenommenheit als moralisch den anderen überlegen wahrgenommen, so dass es als besonders bitter empfunden wird, gerade da, wo man glaubt einen Heimvorteil zu haben – auf dem Gebiet der Moral – von einem ideologiearmen, ständig im Verdacht der Morallosigkeit agierenden Formation namens säkularer Staat belehrt zu werden.

    (Teil 1 hatte ich versehentlich abgeschickt bevor ich fertig war)

  52. #52 MartinB
    24. September 2012

    @Aiko
    Das reine Elternrecht allein genügt sicher nicht, zusätzlich kommt eben noch die Religionsfreiheit hinzu, soweit ich es verstehe. Da ich aber kein Jurist bin, halte ich mich bei diesen Fragen lieber zurück.
    Trotzdem bin ich der Ansicht, dass meine oben angeführten Argumente bezüglich der Abwägung gültig sind. Auch wenn Religionen im Kern nicht rational sind, muss es ja doch eine nachvollziehbare Begründung für gewisse Entscheidungen und Ansichten geben.

  53. #53 Michael F.
    24. September 2012

    Das erinnert mich an die Talk-Runden im Fernsehen. Die ganze Argumentation endet regelmäßig in emotionalem Gewäsch, gegenseitigen Schuldzuweisungen, empörter Verwahrung gegen derartige Unterstellungen u.s.w.

    Auch dort bleibt unter dem Strich wenig essentielles übrig. Das Frustrierende ist nur, daß die Mehrheit mit derartigem Mist nach wie vor zu beeindrucken ist.

  54. #54 Michael F.
    24. September 2012

    Nicht, daß mein Kommentar zu Mißverständnissen führt: Das war natürlich nicht auf die Kommentare hier gemünzt.

  55. #55 Physiker
    24. September 2012

    @MartinB:
    Und was wollen Sie dann mit dieser “nachvollziehbaren Begründung” machen? Was sind Ihre Kriterien, nach denen Sie diese – wohl historisch/dogmatischen – Begründungen gegen das Kindeswohl abwägen wollen?
    Diese Herangehensweise ist meiner Meinung nach von vornherein zum Scheitern verurteilt. Denn Religionsgemeinschaften haben die Deutungshoheit über ihren Glauben. Wenn man beurteilen wollte, welche Begründungen man akzeptiert und welche man verwirft – oder darüberhinaus Empfehlungen für Veränderungen der Glaubensvorschriften macht, dann schwingt man sich zum Religionsgelehrten auf. Und das wäre auch eine unangemessene Kompetenzüberschreitung.

    Ihr Wunsch nach einer nachvollziehbaren Begründung von Glaubensvorschriften ist ist nicht neu und sehr schön auf diesem Plakat thematisiert. Aber genau wie in diesem Fall, denke ich, dass ein Legitimationsversuch mit Berufung auf Tradition/Auslegung einer hl. Schrift/dogmatische Glaubensvorschriften/etc. scheitern muss. Was bleibt, ist lediglich Religionskritik.

  56. #56 MartinB
    24. September 2012

    @Physiker
    ich sehe das immer noch anders. Die Religionsgemeinschaften sind in unserer säkularen demokratie in der Pflicht, uns eine Begründung dafür zu liefern, warum und in welcher Weise ein beschneidungsverbot ihre Religionsfreiheit einschränkt, denn sie erwarten ja eine Abwägung von uns, bei der ihr Ritual zulässig ist, andere Rituale es nicht sind.
    Damit spreche ich ihnen ihre Deutungshoheit über ihren Glauben nicht ab, aber die gelieferte Begründung muss eine Form haben, die sich auch auf andere Religionen übertragen lässt.

  57. #57 Sepp
    24. September 2012

    Ich hatte neulich eine interessante Diskussion mit einem Anhänger des jüdischen Glaubens. Statt konkrete Gruppen zu benennen, welche durch diese angestoßene Diskussion angeblich antisemitisch sein würden, hieß es immer nur “die Deutschen”, “ihr Deutsche” und auch das oben bereits genannte Argument “gerade in Deutschland muss man auf das Judentum rücksicht nehmen”. Als dann irgendwann die Äußerung viel, dass bei den Deutschen der Antisemitisums noch unterschwellig vorhanden sei, wurde es mir wirklich zu bunt und habe die Frage einfach mal umgedreht:

    In Frankreich wäre es also in Ordnung, dass man die Beschneidung als Unrecht anerkennt? In Deutschland dürfe man das aber nicht, weil Deutsche Rücksicht nehmen müssen und noch immer Vorbehalte gegen Juden haben. Ich konntemir dann auch nicht verkneifen zu fragen, wer denn nun Vorurteile gegenüber einer ganzen Gruppe von Menschen hat: alle Deutschen oder doch vielleicht er selber, wenn er seine eigenen Äußerungen betrachtet.

    Eine sachliche Antwort habe ich darauf leider nicht mehr erhalten, danach kamen nur noch emotionale und geschichtliche Argumente.

  58. #58 MartinB
    24. September 2012

    @Sepp
    Seltsam, ich dachte immer, die Juden, die hier leben, wären auch Deutsche…

  59. #59 Sepp
    24. September 2012

    Ich gehe auch fest davon aus, dass viele es sind. Ich fand es am Anfang auch seltsam, dass ein offensichtlich deutscher Betroffener die “andere Seite” als “die Deutschen” bezeichnet, obwohl er selber darin enthalten ist. Als “Abgrenzung” finde ich es aber dann durchaus verständlich, da aus dem Kontext recht deutlich wird, wer in diese Gruppe gehört und wer nicht. Mir fällt ehrlich gesagt auch keine bessere Bezeichnung ein, ohne gleich mit Aufzählung zu kommen, welche Personen nun nicht mit in diese Gruppe gehören.

  60. […] Schlechte Argumente für die Beschneidung – zwei Textanalysen – Hier wohnen Drachen. […]

  61. #61 Ponder
    24. September 2012

    Hier die Einschätzung einer Rabbinerin und Urologin:

    https://a-r-k.de/britmila/

    …Kaum ein Ritual ist jedoch so identitätsstiftend für das Judentum wie die Brit Mila, die zudem vom medizinischen Standpunkt aus auch keinen Nachteil bringt. Dies unterstreicht der nachfolgende Text der Rabbinerin und Urologin Antje Yael Deusel. Es handelt sich dabei um das Resümee ihres Buches „Mein Bund, den ihr bewahren sollt“ (Herder 2012), das sich klar zur Beschneidung bekennt:

    “…Bedenken gegen die Brit Mila aus medizinischen Gründen läßt sich durch eine Durchführung der Zirkumzision nach dem jeweils aktuellsten chirurgischen Standard begegnen, unter Anwendung einer geeigneten Anästhesie. Hierbei ist nicht nur eine angemessene vorherige Aufklärung der Eltern über den Eingriff und seine möglichen Risiken einerseits sowie über die medizinischen Vorteile einer Beschneidung andererseits unerläßlich, sondern es muß auch eine korrekte Nachsorge erfolgen, um etwaigen Komplikationen entgegenzuwirken. Eine dem entsprechende, spezielle Ausbildung von Mohalim (vorzugsweise Ärzten) ist daher unverzichtbar.

    Über allen Debatten für oder wider eine rituelle jüdische Beschneidung ist jedoch zu bedenken, daß es sich bei der Brit Mila nicht um eine Angelegenheit handelt, über die jüdische Eltern für ihre Söhne bzw. erwachsene jüdische Männer für sich selbst nach freiem Belieben entscheiden, sondern daß sie eines der wichtigsten Gebote des Judentums darstellt – und damit eine Verpflichtung dem Ewigen gegenüber, als Zeichen des immerwährenden Bundes mit Seinem Volk. Damit ist die Brit Mila auch gegenüber der nicht-jüdischen Umgebung nicht verhandelbar, und Juden sind nicht verpflichtet, rationale Einwände oder gar Entschuldigungen zu suchen, um ihr Festhalten an der Halacha und damit an der Beschneidung als einem ihrer grundlegenden Bestandteile zu rechtfertigen…”

    @Sepp:

    In Frankreich wäre es also in Ordnung, dass man die Beschneidung als Unrecht anerkennt? In Deutschland dürfe man das aber nicht, weil Deutsche Rücksicht nehmen müssen und noch immer Vorbehalte gegen Juden haben.

    Gibt es denn derzeit überhaupt Länder, in denen die rituelle Beschneidung von Jungen juristisch als Körperverletzung gewertet wird? – Oder gibt es wenigstens aus anderen europäischen Ländern ein entsprechendes politisches Signal, hier mit Deutschland gleich ziehen zu wollen?
    Nach meiner Einschätzung bezieht sich die Formulierung “ausgerechnet Deutschland!” eher auf das Phänomen, dass bislang kein anderes Land hier einen Verstoß gegen die Kinderrechtskonvention gesehen hat und nun “ausgerechnet Deutschland” mit seiner unrühmlichen Vergangenheit sich auf dieses doch recht schwierige Terrain wagt.
    Welche Kompetenz hätte diesbezüglich zum Beispiel das Europäische Parlament?

  62. #62 MartinB
    24. September 2012

    @Ponder
    “Damit ist die Brit Mila auch gegenüber der nicht-jüdischen Umgebung nicht verhandelbar, und Juden sind nicht verpflichtet, rationale Einwände oder gar Entschuldigungen zu suchen, um ihr Festhalten an der Halacha und damit an der Beschneidung als einem ihrer grundlegenden Bestandteile zu rechtfertigen…”
    Genau dieser Satz steht aber im Gegensatz zu den Argumenten davor (medizinisch unbedenklich etc.). Entweder, dieses Ritual ist eben in keiner Weise verhandelbar (dann müsste man aber jedem Ritual dasselbe zugestehen und es auch einem Azteken erlauben, seine Tochter dem Sonnengott zu opfern) oder man sieht eben die Notwendigkeit der Abwägung zwischen religiösen Forderungen und anderen Rechten.
    Beides gleichzeitig ist logisch nicht möglich.

  63. #63 Alderamin
    24. September 2012

    Zahlt bei uns eigentlich die Krankenkasse die Beschneidung?

    Ein interessanter Aspekt, die hier bei einigen Ländern zu lesen ist, ist derjenige, dass die Beschneidungsrate drastisch abnimmt, wenn die Eltern sie selbst zahlen müssen (könnte natürlich auch sein, dass dann genau die Angehörige jüdischen Glaubens übrig bleiben und viele andere sich nicht medizinisch ausgebildete, nicht erfasste Beschneider suchen).

  64. #64 Ponder
    24. September 2012

    @ Martin B:

    Ich kanns ja nicht ändern und bin selbst in dieser Angelegenheit Laie und vor allem ratlos.

    Die Dame ist Urologin und Rabbinerin. Sie verkörpert sicher eine eher moderne Position innerhalb des Judentums, und das zitierte Buch stellt eine Zusammenfassung ihrer rabbinischen “Examensarbeit” dar:
    https://a-r-k.de/rabbiner/#Antje%20YaelDeusel

    Wie wäre es denn, den Dialog aktiv zu suchen unddie Frau Dr. Deusel oder noch besser sie und auch die feministische Rabbinerin Elisa Klapheck zu bitten, eine moderne, nachvollziehbare Begründung als Diskussionsgrundlage für uns zu schreiben oder die beiden aktiv zum Diskurs hierher einzuladen?

    https://a-r-k.de/rabbiner/#ElisaKlapheck

    Frau Klapheck kommt aus einer ursprünglich atheistisch-feministischen Position und hat sich ihrer jüdischen Religion über lange Jahre zunächst im Selbststudium angenähert, wie sie in einer Autobiografie anschaulich beschreibt.
    Es ist ihr ein besonderes Anliegen, ihre religiöse Tradition durch einen modernen, vernunftgemäßen Zugang zeitgemäß lebbar zu machen.

    Aus meiner persönlichen Sicht kann ich eigentlich nur zusammenfassend sagen:

    Ein Ritual wird für Außenstehende vermutlich immer unverständlich und unerklärbar bleiben, weil es seinen emotionalen und seinen Bedeutungs-Gehalt nur innerhalb der Tradition entfaltet, in der es sich entwickelt hat.
    Dabei kann das archetypische Symbol aus sich selbst heraus so stark werden, dass es den ursprünglichen, längst vergangenen Kontext überdauert – und dennoch wird am Ritual festgehalten (siehe die schwäbisch-alemannische Fastnacht.)

    Ein Beispiel wäre auch die klassische Trauung mit weißem Brautkleid (Farbe der Reinheit und Jungfräulichkeit) und Schleier (der ursprünglich das Geschützte & Abgeschirmte der Braut signalisierte, zu dem nur der Bräutigam Zutritt erhielt).
    Trotz dieser altmodischen und unpassenden Symbolik dürfte es schwierig sein, einem romantischen jungen Mädel den Traum von “Ganz in Weiß” ausreden zu wollen.

    Das Judentum ist – im Gegensatz zum Christentum – wohl besonders eine “Religion der Tat”: eine Art ständiges “Re-Inacting”.
    So habe ich es jedenfalls durch das lesenswerte Buch von Elisa Klapheck verstanden.
    In diesem Sinne muss man gar keinen überhöhten Inhalt “glauben” (=> christliches Dogma), sondern man zelebriert vorrangig miteinander die überlieferten Bräuche. Aus diesem Grund kann man auch nicht das Ritual beliebig ändern, denn es ist, so wie es überliefert und durchgängig praktiziert wird, selbst die ausgeübte Konkretion der “Gottesbeziehung”.

    Zum Wesen von “Geboten” im Judentum gehört noch angemerkt: auf ihrer Erfüllung liegt eine Segenszusage:

    “…damit es dir wohlergehe und du lange lebest auf Erden” – “…so will ich dich segnen, dich und deine Nachkommen, bis in die tausendste Generation” – oder so ähnlich.

    Dieser Gedanke macht vielleicht verständlich, warum das Beschneidungsgebot (schon in seinem Ursprung an die Verheißung einer großen Nachkommenschaft für Abraham geknüpft) auf die gesunde und glückliche Zukunft der Kinder und Kindeskinder hin, also hauptsächlich zum WOHL der neuen Nachkommen, ausgelegt wird:
    für den gläubigen Juden liegt der Segen Gottes für das Kind und seine Nachkommen darauf.

    In diesem zentralen Aspekt ist die Aktion seltsamer Weise vom Sinngehalt her vielleicht sogar mit einer Impfung vergleichbar:
    man nimmt eine Verletzung in Kauf, weil das erhoffte Gute sich (im Vertrauen auf die Heilszusage) als größer erweisen wird.

    Wenn Eltern ihr Kind impfen, was ja sogar mehrfach nötig ist, dann können sie letztlich auch nur darauf vertrauen, dass der versprochene Nutzen für ihr Kind größer sein wird als die Schmerzen, die vielleicht heftige Impfreaktion, die theoretisch nicht auszuschließende Komplikation oder gar Unverträglichkeit.
    Nicht umsonst argumentieren ja auch Impfgegner bzw Vertreter der” individuellen Impfentscheidung” mit der körperlichen Unversehrtheit, den Persönlichkeitsrechten des Kindes und den Fürsorge-und Erziehungsrechten und -Pflichten der Eltern.
    Und ein gewissenhafter Arzt wird im Elterngespräch nicht nonchalant sagen können. “Da passiert schon nichts – alles wird gut!”, sondern hat die Pflicht, auch über seltene aber mögliche Risiken aufzuklären. Dass ernste Komplikationen statistisch betrachtet selten auftreten, tröstet im konkreten Fall eben leider auch nicht, wenn das eigene Kind betroffen ist.
    (Um nicht mißverstanden zu werden: ich halte Impfungen natürlich für sinnvoll und notwendig.)

  65. #65 MartinB
    24. September 2012

    @Ponder
    Die Erklärung mit dem ständigen “Re-Inacting” finde ich zumindest ein bisschen hilfreich. Den Aspekt des “Segnens” hatte ich so auch noch nicht gesehen, ist ein bisschen wie ein Zauber-Ritual

    Trotzdem bleibt der grundwiderspruch bestehen: Wenn jemand sagt, ein bestimmtes religiöses Ritual sei absolut unantastbar, obwohl es einem anderen Menschen Schmerz zufügt, dann stellt er sich in diesem Punkt gegen unsere Verfassung, die das Zufügen von Schmerz nur bei entsprechender Güterabwägung erlaubt. Insbesondere darf man sich dann nicht über diejenigen erheben, die andere (grausamere) Rituale verfolgen, aber ja auch nur das beste für ihre Kinder wollen.

  66. #66 Ludger
    24. September 2012

    <blockquote<MartinB (dann müsste man aber jedem Ritual dasselbe zugestehen und es auch einem Azteken erlauben, seine Tochter dem Sonnengott zu opfern) Das gilt nur bei einer qualitativen Gleichsetzung, weil beides ein schmerzhaftes und für Aussenstehende unverständliches religiöses Ritual handelt. Diese Gleichsetzung ist aber aus quantitativen Gründen absurd. Das atztekische Tötungsritual könnte man mit der Witwenverbrennung ( https://de.wikipedia.org/wiki/Witwenverbrennung )auf eine Stufe stellen (Tötung) und die Beschneidung eher mit einer Skarifizierung bei Naturvölkern. Das besondere Problem in Deutschland hat mit Juden oder Muslimen primär gar nichts zu tun. Seit Bismarck ist hierzulande jeder ärzutliche Eingriff eine Körperverletzung, die straffrei bleibt, wenn einige Bedingungen eingehalten werden. Diese Bedingungen werden halt bei einer rituellen Beschneidung nicht erfüllt, aber auch nicht, wenn ein Kind Ohrringe bekommt.

  67. #67 Ponder
    24. September 2012

    @ Martin B.

    Lad die beiden genannten Damen doch zum Gespräch ein – das könnte evtl. spannend werden 😉

    Nach meiner Einschätzung ist es gerade für die Juden in Deutschland derzeit ganz schwierig, sich in dieser Sache auf die Schnelle neu zu positionieren: es gibt einfach zu unterschiedliche Strömungen, die irgendwie zusammengehalten werden müssen, ganz zu schweigen von den osteuropäischen Einwanderern unter ihnen, die in vielerlei Hinsicht noch nicht integriert sind.

    Ich hab mich auf den Seiten der Allgemeinen Rabbinerkonferenz mal umgeschaut.
    Zu den Speisegesetzen (Koscheres Kochen) gibt es da einige interessante Aspekte, die deutlich machen, dass durchaus Bewegung im System ist.

    Anders als in der katholischen Kirche gibts hier aber keine “Ex Cathedra”-Erklärung, in derzentral und hierarchisch eine offizielle Linie vorgegeben wird, sondern es wird heftig diskutiert und um eine gemeinsame Basis gerungen – so stelle ich mir das jedenfalls vor.
    Dass dies eine längere Zeit der internen Auseinandersetzung braucht, ist nur zu verständlich.

    Wenn Joseph Kuhn für die Katholische Kirche innerhalb der nächsten 100 Jahre (!!) mit einer Abschaffung des Zölibats rechnet (seit Luther das “Priestertum aller Gläubigen” proklamiert hat, sind ja auch schon 500 Jahre vergangen…), dann müssen wir uns wohl etwas in Geduld üben.

  68. #68 Sepp
    24. September 2012

    @Ponder “Nach meiner Einschätzung bezieht sich die Formulierung “ausgerechnet Deutschland!” eher auf das Phänomen, dass bislang kein anderes Land hier einen Verstoß gegen die Kinderrechtskonvention gesehen hat und nun “ausgerechnet Deutschland” mit seiner unrühmlichen Vergangenheit sich auf dieses doch recht schwierige Terrain wagt.”

    Ich verstehe das “ausgerechnet Deutschland” eher im Kontext der historischen Verantwortung gegenüber Juden, bzw. Minderheiten im Allgemeinen. Zumindest wird es häufig in diesem Kontext verwendet. Und das führt meiner Meinung nach durchaus zu dem Gegensatz, dass in Deutschland eine Beschneidung erlaubt sein soll, in anderen Ländern könne man darüber aber diskutieren.

    Mir ist allerdings auch kein anderes Land bekannt, in dem über diese Thematik diskutiert wurde oder wird. Ich habe darauf allerdings vor dem Gerichtsurteil auch nie geachtet.

  69. #69 MartinB
    24. September 2012

    @Ludger
    “Diese Gleichsetzung ist aber aus quantitativen Gründen absurd”
    Genau das ist doch mein Punkt. Damit man etwas quantitativ vergleichen kann, muss man eben abwägen – damit fällt jeder Absolutheitsanspruch weg (der ja gerade sagt: “Dieses Gebot ist so absolut, dass nicht abgewogen werden darf”). Genau das ist der Widerspruch, den ich sehe.

    @Ponder
    “Lad die beiden genannten Damen doch zum Gespräch ein”
    Tu dir keinen Zwang an, kannst ihnen gern den Link zur Diskussion hier schicken (die ja immer noch erfreulich konstruktiv und unaufgeregt am Thema ist)

  70. #70 rolak
    24. September 2012

    Wie wäre es denn mit jemandes indirekter Beteiligung? ZB Michael Wolffsohn.

    Ist zwar mit fast einem Monat wwwtechnisch schon uralt, aber in keiner Weise uninteressant. Er kann auch aktueller

  71. #71 Joseph Kuhn
    24. September 2012

    @ Ponder

    “Es ist ihr ein besonderes Anliegen, ihre religiöse Tradition durch einen modernen, vernunftgemäßen Zugang zeitgemäß lebbar zu machen.”

    “Ein Ritual wird für Außenstehende vermutlich immer unverständlich und unerklärbar bleiben, weil es seinen emotionalen und seinen Bedeutungs-Gehalt nur innerhalb der Tradition entfaltet, in der es sich entwickelt hat.”

    Zwischen den beiden Zitaten besteht ein aufschlussreiches Spannungsverhältnis. Ein “vernunftgemäßer Zugang” zu einem Ritual bzw. seiner besonderen Bedeutung bedeutet auch, dass es “verständlich” in dem Sinne ist, dass Gründe dafür angegeben werden können. Die Gründe muss man nicht teilen und die Emotionalität, mit der ein solches Ritual von den Gläubigen erlebt wird, muss man auch nicht nachfühlen können, aber warum ein Ritual wichtiger ist als ein anderes, hat entweder einen mitteilbaren Grund oder nicht. Falls nicht, gilt das auch für die Gläubigen selbst, dann praktizieren sie etwas, was sie selbst nicht verstehen. Ich nehme an, dass das zwar bei nicht wenigen Gläubigen so ist (“es ist eben Tradition”), dass es aber in der jüdischen wie auch in der islamischen Theologie sehr wohl Begründungen für die Hervorhebung der Beschneidung gegenüber anderen göttlichen Geboten gibt. Und danach zu fragen, ist legitim. Genauso wie bei vielen – von außen gesehen -unverständlichen Dingen bei den christlichen Konfessionen.

    Insofern wäre eine Beteiligung der beiden Theologinnen an der Diskussion sehr interessant.

    @ Sepp: Auch in anderen Ländern wird die Beschneidung diskutiert, dazu gab es hier auf den Blogbeiträgen auf scienceblogs schon zahlreiche Hinweise.

  72. #72 Aiko
    24. September 2012

    @MartinB
    Das reine Elternrecht allein genügt sicher nicht, zusätzlich kommt eben noch die Religionsfreiheit hinzu, soweit ich es verstehe. Da ich aber kein Jurist bin, halte ich mich bei diesen Fragen lieber zurück.
    Trotzdem bin ich der Ansicht, dass meine oben angeführten Argumente bezüglich der Abwägung gültig sind. Auch wenn Religionen im Kern nicht rational sind, muss es ja doch eine nachvollziehbare Begründung für gewisse Entscheidungen und Ansichten geben.

    Ich sag’s mal so: Für die Beschneidung aus religiösen Gründen gibt es kein gutes Argument, das geeignet wäre das andere Argument – das Recht auf körperliche Unversehrtheit – aufzuwiegen. Es gibt also nur schlechte Argumente.
    Der Glaube braucht auch kein Argument.
    Das Elternrecht aus Art.6 umfasst auch die religiöse Erziehung – siehe Art. 7. Ich bin auch keine Juristin, aber ich meine, man kann das nicht trennen, wenn ein Mensch in eine jüdische Familie geboren wird, dann gibt es eben hier ein wesentliches Problem für den Staat und seine Gesetze.
    Für den Islam verhält es sich nicht genauso, da es im Koran keine gleiche Verpflichtung zur Beschneidung gibt, wie im 1. Buch Mose. Für das Judentum ist die Beschneidung ein Rechtsakt und die Fortsetzung des Bundes mit Gott, die am Säugling vollzogen wird. Die Körperverletzung hat hier dann auch eine entsprechende Bedeutung, die Religionswissenschaftler und Anthropologen bzw. Ethnologen sicherlich deuten können.
    Es gibt natürlich auch Diskussionen innerhalb des Judentums selbst und tatsächlich ist es eben schon ein Ausdruck einer patriarchalischen Gesellschaft, die damit eine bestimmte Struktur tradiert.
    Unser Recht ist aber nun auch nicht widerspruchsfrei, sondern jedes Gesetz kommt mit einem konkreten Fall zusammen, wie das auch beim Kölner Verfahren und sein Urteil ist. Da nun zwei Rechtssysteme hier entgegen stehen, ist es m.E. sinnvoll, dass hier eine praktische Lösung für die Juden und Muslime gefunden wird. Religiöse Beschneidung ist dann straffrei möglich, unter bestimmten Bedingungen, die dann aber auch nicht zu Hürden verkommen dürfen, wo kaum einer drüber kommt.
    Dazu brauche ich keine rationalen Argumente, sondern nur den Willen des Gesetzgebers unterschiedliche Traditionen zu zu lassen. So etwas wie die reine Lehre gibt es nämlich nicht im alltäglichen Leben.

    Leider gibt es die hier auch nicht, denn noch immer kann ich nicht meinen Beitrag nochmal korrektur lesen und auch Benachrichtigungen über neue Beiträge gibt es noch nicht.
    Wird das noch mal was?
    Technische Systeme sind ja ähnlich wie Gebote Gottes – rationalen Argumenten irgendwie nicht so zugänglich.

  73. #73 Aiko
    24. September 2012

    @Joseph Kuhn

    Ein nicht mitteilbarer Grund ist nicht das gleiche, wie nicht verstehen. Ein Ritual ist nämlich selbst mitteilend und es braucht nicht verstanden zu werden, weil es im Vollzug sich eben von selbst versteht – selbstverständlich ist.
    Es kann erklärt werden, doch dann wird es eben nicht vollzogen, sondern es wird “von außen” betrachtet.

  74. #74 Joseph Kuhn
    24. September 2012

    @ Aiko: Genau darum geht es, aber aus meiner Sicht mit anderer Konsequenz. Es geht darum, das, was “selbstverständlich” ist, nicht nur “einfach so” zu vollziehen (d.h. eigentlich: mit sich geschehen lassen), sondern es selbst zu verstehen, und das heißt, es dem bewussten, begründeten Handeln verfügbar und damit auch mitteilbar zu machen. Oder mit Freud formuliert: “Wo Es ist, soll Ich werden”. Das unverstandene Ritual ist die Unterwerfung unter eine fremde Macht. An dieser Stelle kreuzen sich soziologische (machttheoretische) und theologische Positionen.

  75. #75 Stefan W.
    25. September 2012

    @Aiko:

    Da nun zwei Rechtssysteme hier entgegen stehen, ist es m.E. sinnvoll, dass hier eine praktische Lösung für die Juden und Muslime gefunden wird. Religiöse Beschneidung ist dann straffrei möglich, unter bestimmten Bedingungen, die dann aber auch nicht zu Hürden verkommen dürfen, wo kaum einer drüber kommt.

    Ich glaube Du hast den Konflikt nicht verstanden. Es geht nicht um das Recht von Nichtjuden und Nichtmuslims den anderen etwas zu verbieten, sondern es geht um das Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit, dass nach unserer Rechtsordnung auch jüdischen Säuglingen und muslimischen Kindern zukommt.

    Es ist das Recht dieser Juden und Muslime über ihren Körper selbst frei zu bestimmen.

    Dieses Recht aufgrund der Religion der Eltern aufzukündigen widerspricht unserer Kultur, die das Individuum in die Mitte stellt und es nicht als Sakrileg betrachtet, wenn ein Jude oder Moslem entweder keiner mehr sein will, oder zwar einer sein will, aber mit Vorhaut.

    Nur, wenn seine Möglichkeit darüber Auskunft zu geben und sich frei zu entscheiden mit 18 Jahren gegeben ist, und die Vorhaut ist weg, dann stellt sich die Frage, wie das sein darf. Haben die Eltern das Recht da einfach ihre Tradition anzuwenden.

    Kann man dem jüdischen oder muslimischen Jungen sagen, dass es aber 9 von 10 männliche Nachkommen in Ordnung finden? Nicht nur wird heute das Individuum höher gewertet als das Kollektiv, auch das Kollektiv der Familie; nein, es kommt auch häufiger vor, dass Kinder später ihr eigenes Ding durchziehen.

    ===

    Die Diskussion dessen, was das Ritual ist, ist ja unverzichtbar um die Grenzen des Rituals festzulegen. Etwa, ob Narkose und welche zwingend nötig ist. Da gibt es ja offenbar in der jüdischen Gemeinde divergierende Ansichten, unter anderem die, dass Narkose nicht in Betracht kommt, sondern dass man seit Jahrtausenden beste Erfahrungen damit gemacht hat, dass der Säugling ein in Wein getränktes Stück Stoff in den Mund bekommt. Auch das ist für manch einen nicht verhandelbar.

    Die Frage ist eben, ob die Religionen sich in Zukunft ihre Gesetze selbst machen, und nur Juden und Moslems, oder wieso nicht alle, inkl. Religionen die erst noch erfunden werden. Und hält es bei Körperverletzung, und wird es ausschließlich gegen Jungs erlaubt und wieso?

    ===
    @Ponder:

    Trotz dieser altmodischen und unpassenden Symbolik dürfte es schwierig sein, einem romantischen jungen Mädel den Traum von “Ganz in Weiß” ausreden zu wollen.

    Der Vergleich ist misslungen weil es nicht darum geht eine Tradition deswegen anderen zu verbieten, weil sie willkürlich ist, sondern sie ist verboten, weil dabei ein wehrloses Kind verletzt wird.

    Ein träumendes, junges Mädel – wie alt sollen wir uns das vorstellen? Wenn es in ein Heiratsritual selbstbestimmt zustimmt dann ist es wohl 18. In dem Alter sollte auch jeder junge Mann entscheiden dürfen, sich beschneiden zu lassen.

    ===
    Die Frage in welchem anderen Land die Beschneidung hinterfragt wird ist auch nicht neu, aber dem Wesen nach transportiert sie den Rassismus, den sie vorgibt aufdecken zu wollen.

    Abgesehen davon dass bereits x-mal darauf verwiesen wurde, dass es ähnliche Diskussionen in den USA, in Israel, in Österreich und anderen Ländern gibt wird eine Diskussion ja nicht dadurch falsch, dass sie hier geführt wird oder nicht geführt wird.

    Solche Argumente sind ja zutiefst antirational – als ob es Länder gäbe, die eine Idee nicht zuerst oder früh diskutieren könnten, als ob das an der Nationalität hinge oder der Religionszugehörigkeit, und nicht am Argument selbst.

  76. #76 Aiko
    25. September 2012

    @Joseph Kuhn
    Ja darum geht es. Ein Ritual, das verstanden wird, hört auf Ritual zu sein – es ist dann nur Theater oder Vorstellung.
    Victor Turner hat das in seiner Theorie auch gezeigt – das Ritual ist ein soziales Drama, das in einer bestimmten Form – z.B. dem Freitagsgebet oder dem Ritus der Taufe – vollzogen wird. Man kann es aber auch aus seiner religiösen Form lösen und hat dann das Fußballspiel mit anschließenden Krawallen oder das Verbrennen der Fahnen als Empörungsritual. Die Mysterienkulte waren auch solche Riten. Wenn man das versteht, kann man nicht mehr sich darin verlieren und sich entgrenzen und das ist dann auch das Ende des Symbolischen und Magischen oder Mystischen. Alles eine Folge der Rationalität und Aufklärung. Und genau das wissen auch die, die um die religiöse Macht kämpfen. Nur es gibt leider kein Macht-Vakuum und deshalb wird Religion auch gewaltätig. Das ist das, was grade geschieht.
    Oder sie wird als Spiritualität in Fläschchen verhökert und lullt die Leute dann ein, die ja schon vorher keinen klaren Kopf hatten, sonst würden sie nicht auf diese leeren Versprechen rein fallen. Oder die Leute nehmen sich das Ritual als ein schmückendes Beiwerk – wie die Hochzeitszeremonien in Japan, Korea, die im Gesamtpaket von Hotelketten verkauft werden. Und es gibt natürlich jede Menge von Kultpersonal, die die Riten dann auch liefern.

    Deshalb ist es eben auch wichtig, dass sich die Dinge beruhigen und das auch langfristige Prozesse sind, die am Ende die Religion entmachten – das muss aber aus dem Freiheitsstreben der Menschen selbst kommen und nicht als Befreiung durch andere.
    Dazu brauchen wir aber eine Perspektive – und eine möglichst sichere und hohe Altersversorgung ist es nicht – mit so einer Perspektive schaffst du es gleich in die Depression.
    Noch was zu Freud – die Hirnforschung stellt Freud’s Ich gerade mal völlig infrage. Was ich auch richtig finde – wir handeln nämlich aus einem Antrieb und der Verstand ist es nun mal nicht – der macht nur die nachträgliche Rechtfertigung oder Rationalisierung. Es gibt nämlich kein Ich. Das ist eine notwendige Zuschreibung, damit das Recht ein Subjekt hat. Und das ist dann auch letztlich das Wesentliche des Rituals – es ist die reine Handlung, die ohne Subjekt vollzogen wird. Funktion.

  77. #77 Joseph Kuhn
    25. September 2012

    @ Aiko: Ob die Hirnforschung Freuds Ich wirklich infrage stellt, wäre eine eigene Diskussion, das Ich ist ja nur die psychische Instanz, die von Gründen (ggf. auch Rationalisierungen) bestimmt ist, wie auch immer sie hirnphysiologisch repräsentiert sein mag. Wenn man diese Ebene suspendiert, hat nicht nur das Recht kein Subjekt mehr, sondern dann fehlt auch jeder vernünftigen, mit Gründen operierenden Rede die psychische Repräsentanz. Dann kann man jedes Argumentieren bleiben lassen, diese Diskussion hatten wir schon mehrfach, zuletzt bei https://www.scienceblogs.de/naklar/2012/07/der-freie-wille-und-die-physik.php.

    Ein Ritual, das verstanden wird, ist ein Ritual, das verstanden wird. Es hört nicht auf, ein Ritual zu sein. Das Ritual, Menschen zu beerdigen und von ihnen Abschied zu nehmen, kann gut begründet werden. Es bleibt ein Ritual. Aber nicht jedes Ritual “überlebt” seine Aufklärung.

    MartinB hat zudem viel bescheidener gefragt: Er möchte ja nur wissen, warum die Beschneidung einen höheren Rang hat als andere Gebote. Wenn das nur “ohne Subjekt vollzogen” wird, ist Aufklärung gefragt, aber ich glaube nicht, dass das nur vollzogen wird.

  78. #78 Aiko
    25. September 2012

    @Joseph Kuhn

    Ein Ritual wird erst dann dazu, wenn es einen konkreten Handlungsablauf beinhaltet, der exakt und unabhängig von den beteiligten Personen vollzogen wird. Die meisten Beerdigungen sind das nicht (mehr). Sie sind Abschiede, vernachlässigen aber die irrationalen Ängste, die nach solchen Verlusten auftauchen – dann sucht man Hilfe beim Psychotherapeuten. Beerdigungsrituale waren auch Aufnahmerituale, die die Gestorbenen in die Gemeinschaft der Lebenden aufgenommen hatten. Deshalb wird in den Religionen auch dieses Ritual vollzogen – Totengedenken, Gräbersegnung oder die Steine auf den jüdischen Gräbern.
    Ebenso gehört der Ort – der Friedhof – zum Ritual.

    MartinB hat bescheiden festgestellt, dass es schlechte Argumente gibt – jedenfalls er hat keine guten gefunden –
    für die Beschneidung.
    Für einen Juden hat der Bund mit Gott den höchsten Rang und stellt jedes andere Gesetz an die zweite Stelle. Und das ist ein Prinzip des Judentums.
    Wenn die Beschneidung hier unverzichtbar ist – also auch in der Form als Körperverletzung – dann ist das so. Da steht dann Gesetz gegen Gesetz – und dann muss man entscheiden. Als Jude und als deutsches Gericht. Deshalb ist die Debatte auch zu Ende und es geht jetzt nur noch um die Frage, wie regeln wir das, dass Beschneidung möglich ist.
    Aufklärung ist eben nicht alles.

  79. #79 Ponder
    25. September 2012

    @ Joseph Kuhn:

    MartinB hat zudem viel bescheidener gefragt: Er möchte ja nur wissen, warum die Beschneidung einen höheren Rang hat als andere Gebote.

    Diese Frage läßt sich vermutlich recht klar beantworten und wurde auch schon mehrfach von Vertretern des jüdischen Glaubens und von säkularen Vertretern der jüdischen Ethnie beantwortet:
    Die Zeremonie ist rechtlich gesehen das Aufnahmeritual für den männlichen Nachkommen (und den männlichen Konvertiten) ins Judentum. Symbolisiert oder re-inacted wird das, was lt Überlieferung der Stammvater Abraham als “Bundeszeichen” seinem Gott gegenüber tat – als Antwort auf die gegebene Verheißung.
    Man könnte nun darüber philosophieren, wieso die Verheißung einer Nachkommenschaft – so riesig und unzählbar wie die Sterne am Nachthimmel dieses Wüstensohnes – verknüpft wird mit einer Geste, durch welche das Instrument zum Erzeugen der Nachkommenschaft äußerlich scheinbar geschwächt wird. Eine Interpretationsmöglichkeit könnte sein, dass Abraham gerade in diesem Bereich nicht egozentrisch handeln und nicht versuchen soll, die Prophezeiung selbst zu erfüllen bzw seine Sexualität als Herrschaftsinstrument zu missbrauchen. So etwa deutet es Elisa Klapheck.
    Wenn man das “System Jüdischer Glaube” modellhaft veranschaulichen wollte, so stünde das Beschneidungsritual als bundesstiftendes Zeichen ganz im Zentrum, und um das stabilisierende Zentrum rotieren die anderen Bestimmungen.
    Aus diesem Grund hat Paulus den “heidnischen” Konvertiten die Beschneidung erlassen oder sogar untersagt:
    “Wer sich beschneiden lässt, der erkennt die Gültigkeit des GANZEN Gesetzes für sich an – Ihr aber wollt doch nicht unter das Gesetz, sondern zur Freiheit in Christus”

    In Wolfssohns Artilkel (rolaks Link) wird sehr deutlich, wie nahe sich Judentum und Christentum eigentlich sind, wenn man Jesus aus jüdischer Perspektive betrachtet und im Urchristentum eine “Fortsetzung des Judentums mit einer wesentlichen Bedeutungsverschiebung” erkennt.
    Ich vermute, es besteht aus jüdischer Sicht die nicht unberechtigte Sorge, dass dieser Unterschied noch weiter verschwimmen könnte, wenn man z.B. die Beschneidung durch ein Taufritual o.ä. ersetzt.

    @ Stefan W.:

    Das Brautkleid diente nicht einem Vergleich mit der Beschneidung, sondern diente lediglich als Beispiel für viele Rituale, die völlig sinnentleert und unreflektiert weiter befolgt werden, weil sie “aus sich selbst” offenbar eine große Bindungskraft entwickeln.
    Die Forderung, Rituale reflektiert zu praktizieren, ist sicher wünschenswert, wird aber in den wenigsten Fällen (auch außerhalb und unabhängig von religiöser Konnotation) umgesetzt: siehe wieder mal die Schwäbisch-Alemannische Fasnet (eins der unaufgeklärtesten Rituale überhaupt hierzulande – aber es käme wohl keiner auf die Idee, es abschaffen zu wollen. Den Sturm der Entrüstung male ich mir gerade aus…)

    Zum Argument “Körperverletzung” bzw “Körperliche Unversehrtheit”:

    Dargelegt wurde bereits, dass JEDER ärztliche Eingriff juristisch primär als “Körperverletzung” zu werten ist, wenn er ohne medizinische Notwendigkeit und ohne Einwilligung des Patienten geschieht.

    Dies gilt z.B. auch für Impfungen, und damit betreten wir juristisch gesehen ein heißes Pflaster.
    Eltern willigen stellvertretend für das Kind ein.
    “Medizinisch notwendig” ist der Eingriff jedoch streng genommen nicht – ausgenommen die passive Immunisierung bei konkreter Bedrohung durch eine Epidemie.
    Joseph Kuhn hat drüben in seinem Blog ja schon eingehend dargelegt, worin die Problematik besteht.

    Impfgegner argumentieren:
    ein gesundes Kind wird ohne direkte Notwendigkeit dem Risiko einer Infektion (bei Lebendimpfstoffen) oder einer Unverträglichkeit (bei Totimpfstoffen bzw ihren Zusammensetzungen) ausgesetzt. Man impft also “im guten Glauben”, dass dadurch das Kind vor dem (potentiellen) Schaden durch eine Infektionskrankheit geschützt wird, nicht aus medizinischer Notwendigkeit. Derzeit ist die Durchimpfungsrate der Bevölkerung immerhin noch so hoch, dass eine Infektion etwa mit Masern als unwahrscheinlich angesehen wird, und NOCH stimmt das auch. Es besteht also (aus der Sicht der Eltern und nur für IHR Kind) ein geringes Ansteckungsrisiko bei noch geringerem Komplikationsrisiko (in Unkenntnis der z.Tl schwerwiegenden Folgen einer Masernerkrankung) gegenüber einem schmerzhaften, nicht völlig risikofreien und – streng betrachtet – unnötigen Eingriff, der zudem auch noch wiederholt werden muss.
    Meine Befürchtung:
    wenn die “körperliche Unversehrtheit” gegenüber dem Erziehungsrecht der Eltern und der Religions-und Glaubensfreiheit plötzlich juristisch einen klar definierten Primat erhält (wie offenbar von vielen favorisiert), dann wird das Wasser auf die Mühlen von religiös oder sonstwie ideologisch motivierten Impfgegnern sein, die sich jetzt schon mit Freuden auf dieses Argument stürzen
    Auch das Argument “Herdenschutz” (Verantwortung für das Kollektiv) tritt gegenüber einer solchen Betonung .der Rechte des Individuums dann zurück.

    Wie weit soll das Recht auf körperliche Unversehrtheit des Kindes dann gefasst werden?

    Die körperliche Unversehrtheit von Kindern wird z.B. auch durch rauchende Eltern bzw durch Raucher generell eingeschränkt (etwa auf Familienfeiern).
    Eltern ernähren ihre Kinder ungesund und erziehen sie damit zu lebenslang potentiell Übergewichtigen – wann ist die Schwelle erreicht, wo der Staat einschreiten muss?

    Fängt das Recht auf körperliche Unversehrtheit mit dem Tag der Geburt an? – Wieso werden dann gewisse Spätabtreibungen erlaubt zu einem Zeitpunkt, wo andersherum Frühgeborene mühsam hochgepäppelt werden?
    Wie lange muss ein weiblicher Teenager “Virgo intacta” bleiben, damit ihre körperliche Unversehrtheit in Gestalt des Hymens nicht durch Koitus verletzt wird? – Soll dafür, ähnlich wie bei der Religionsmündigkeit eine Altersgrenze festgelegt werden und welche?
    Wer wird STRAFRECHTLICH belangt, wenn diese Altersgrenze aus welchen Gründen auch immer unterschritten wird? Wer überwacht, dass sie eingehalten wird und wird im Zweifelsfall zur Verantwortung gezogen?

  80. #80 Schmidts Katze
    25. September 2012

    @ Aiko,

    “Für einen Juden hat der Bund mit Gott den höchsten Rang und stellt jedes andere Gesetz an die zweite Stelle. Und das ist ein Prinzip des Judentums.”

    Ja, aber für den Rechtsstaat muss das Grundgesetz den höchsten Rang haben.

    “Wenn die Beschneidung hier unverzichtbar ist – also auch in der Form als Körperverletzung – dann ist das so. Da steht dann Gesetz gegen Gesetz – und dann muss man entscheiden. Als Jude und als deutsches Gericht. Deshalb ist die Debatte auch zu Ende und es geht jetzt nur noch um die Frage, wie regeln wir das, dass Beschneidung möglich ist.
    Aufklärung ist eben nicht alles.”

    Nein, wenn Körperverletzung hier verboten ist, dann ist das so.
    Du stellst einfach das religiöse Recht über den Rechtsstaat, aber Deutschland ist ein säkularar Staat, und religiöse Gesetze sind erstmal nachrangig.

  81. #81 Ungläubiger
    25. September 2012

    Hinter dieser Debatte lugt ein grundsätzliches Problem hervor: Dürfen religiöse Menschen erwarten, aufgrund ihrer Glaubensinhalte anderen Menschen Vorschriften machen zu dürfen. Das ist IMHO auch der Grund, warum sich alle Vertreter der offiziellen abrahamitischen Religionen hier so einig sind, es geht da um eine gemeinsame Sache. Ich versuche zu verdeutlichen: Meine Frau und ich sind uns einig, dass eine Abtreibung nicht in Frage kommt außer bei einem nicht überlebensfähigen Kind oder einer Lebensgefahr für sie. So haben wir auch auf den Trisomietest verzichtet, er hätte keine Konsequenzen. Andere mögen das anders sehen und so finden wir den §218 in der jetzigen Form gut oder sogar eher zu streng. Herr Meißner findet Aborte auch schlecht, hätte aber jetzt gerne ein Gesetz, dass PID für alle verbietet, auch für nicht-Katholiken – vom Traum des völligen Abtreibungsverbotes gar nicht erst zu sprechen.
    Daher ist das auch gar keine Abwägung zwischen Religionsfreiheit im Sinne des GG und anderen Grundrechten, sondern ein recht offener Machtkampf. Manchen ist in so einem Machtkampf auch jede Rabulistik recht, es geht ja darum, zu Gewinnen. Dabei fühle ich mich mit der Bezeichnung aggressiver Atheist gut getroffen, denn diese Übergriffigkeit der Religionen bin ich nicht bereit zu akzeptieren und wehre mich mit allen verbalen Mitteln dagegen, vor allem mit dem Argument. Das mögen Gläubige aufgrund ihrer eingebildeten Verstümmelung ihres Anspruches auf meine Lebensgestaltung aggressiv nennen und tun das ja auch, die Maßstäbe für sich selber und den anderen sind bei manchen ja recht flexibel. Um als religiöser das Attribut aggressiv zu verdienen muss man schon Blut an den Fingern haben, echtes, sonst zählt das nicht. So ist ja auch die Mutter aller Nötigungen „Kirchensteuer her, sonst ewige [sic] Folter im Höllenfeuer“ anerkanntermaßen nur Ausdruck der Nächstenliebe und keine Aufdringlichkeit – Atheisten würde vergleichbar grobes (das es nicht gibt) sicher als zumindest räuberische Erpressung gewertet, wenn nicht schlimmeres. Allerdings empfinde ich die auch hier in den Kommentaren verwendete Bezeichnung militanter Atheist in Anbetracht von erschossenen Abtreibungsärzten und 9-11 als infam – mir ist keine Fatwa eines Ungläubigen in diesem Kontext bekannt sondern nur die (rechtsstaatlich vollkommen einwandfreie) Strafanzeige gegen einen Beschneider, entscheiden wird ein Richter und das ist auch gut so. Hingegen ist der Aufruf, den Anzeigenden zu fangen, zwangszubeschneiden und das Video in WWW zu stellen einer Fatwa schon irgendwie ähnlich. Aber gut, ich lebe damit das das erste aggressiv sein soll, das letztere aber nicht.
    Natürlich weiß ich, dass diese Diffamierungen benutzt werden (auch hier ein denkbares Thema für eine Textanalyse) um Kritik von vornherein zu verunglimpfen und dagegen zu immunisieren. Dieses Argument konnte der aufmerksame Beobachter in den letzten Wochen reichlich in den verschiedensten Formen (überbordende Säkularisierung war bisher das schönste) bewundern.
    Eine Abwägung zwischen diesen Grundrechten kann es auch kaum geben, da Art 140 GG der Freiheit des Glaubens (so heißt es im Text, es gibt in unserem Recht keine Religionsfreiheit, schon gar keine grenzenlose Freiheit der Religionsgemeinschaften) überdeutliche Grenzen setzt. Manch einer schreibt lange juristische Abhandlungen und kommt doch nicht bis zu dieser Stelle weiter hinten. Wer jetzt aber denkt, seinen Anspruch und den Körper eines anderen auf die Freiheit der Religionsausübung zu gründen, sollte sich mit der Textanalyse des Urteiles zum Flugsicherungsgesetz beschäftigen. So macht man diesen anderen Menschen zum Objekt der Ausübung des eigenen Grundrechtes und beraubt ihn damit seiner Würde. Das geht schon nicht für das retten von Menschenleben, warum sollte es für die Pflege des eigenen Glaubens gehen? Es bleibt also wirklich nur das Erziehungsrecht – und das ist in diesem Kontext in der Tat schwach.
    Und im Übrigen konnte mir noch niemand erklären, warum eine Beschneidung keinerlei Auswirkungen auf das sexuelle Empfinden hat und den Vorteil, dass ‚Mann‘ aufgrund der unempfindlicheren Eichel ‚länger kann‘. Das gleiche gilt dafür, dass die Beschneidung unabdingbar und von fundamentaler Bedeutung ist um den ewigen Bund zu JW zu dokumentieren, aber keine Beeinträchtigung der Religionsfreiheit des zukünftigen Mannes – da es sich ja nur um eine völlig nebensächliche und unwesentliche Geschichte handle. Auch da wäre ein wenig scholastische Textexegese erforderlich um das jedem Glaubenden zu verdeutlichen.

  82. #82 Aiko
    25. September 2012

    @Schmidt’s katze

    Körperverletzung ist unter bestimmten Bedingungen erlaubt und es ist möglich diesen Katalog zu erweitern.
    Über dem Recht des deutschen, säkularen Staates, stehen die Grundrechte – und diese sind leider nicht widerspruchsfrei.
    Für mich ist die Debatte um den §218 StGB hier ein gutes Beispiel, was möglich sein kann.

  83. #83 klauswerner
    25. September 2012

    Zitat: “Vielleicht gibt es ja auch deswegen viel mehr jüdische Nobelpreisträger”

    Das ist gemein – die weiblichen Babys werden nicht gequält und haben so kaum eine Chance auf einen Nobelpreis!

    Eigentlich ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, zumal bei solche gravierenden Folgen für die Chancengleichheit.

  84. #84 klauswerner
    25. September 2012

    “Aber sein innerstes Wesen als heilige Dreifaltigkeit stellt ein Geheimnis dar, das der Vernunft nicht zugänglich ist.”

    So steht’s im Katechismus zur Dreifaltigkeit.

    Und das muss man halt glauben. Und wenn ich die Leute erstmal dazu gebracht habe, mir etwas “ohne das es der Vernunft zugänglich ist” zu glauben, dann kann ich ihnen jeden Scheiß erzählen. D amachen die was ich will. Na ja, jedenfalls manchmal 😉

    Das mit dem “mal gilt dies, mal gilt das Gebot” habe ich auch nie begriffen.
    Laut Bibel muss man nen Bart tragen, geht ganz einfach, kann jeder machen und greift in keinerlei Rechte anderer ein. Trotzdem machen es die meisten Gläubigen nicht, gegen Schwule hetzen dann schon eher.

    Tja, und die Deutungshoheit haben eben die Pfaffen: Bart tragen muss man nicht, Schwulsein ist so was von Sünde!

    Noch ein schönes Beispiel: Die “10 Gebote(c)” kommen direkt von Gott, sollten also sau wichtig sein. Auch das Sabatgebot. Und Sabat ist von Freitag Abend bis Samstag Abend. Was machen die Christen? Feiern den Sonntag. Hebeln also mal einfach so eines der “10 Gebote(c)” aus.
    Warum darf dieses eine Gebot ausgehebelt werden, andere nicht???

    Das wissen die meisten selber nicht – aber es macht Spaß, sie darauf hinzuweisen 🙂

  85. #85 Schmidts Katze
    25. September 2012

    @ Aiko,

    “Körperverletzung ist unter bestimmten Bedingungen erlaubt und es ist möglich diesen Katalog zu erweitern.”

    Reinhard Merkel, Mitglied des Ethikrats, schreibt dazu:
    “Die Überlegung ist schon im Grundsatz verfehlt und zwar, mit Verlaub, bis zum Abwegigen. Kein Freiheitsgrundrecht, welchen Gewichts immer, gestattet, unter welchen Bedingungen immer, das direkte Eindringen in den Körper eines anderen, und wäre der Eingriff noch so bagatellhaft. Das folgt nicht erst aus irgendeiner Abwägung. Auch eine solche kommt von Anfang an nicht in Betracht. Notrechte, die Körperverletzungen erlauben, gibt es selbstver-ständlich, die Notwehr etwa oder, in engen Grenzen, den Notstand.”
    https://www.sueddeutsche.de/wissen/beschneidungs-debatte-die-haut-eines-anderen-1.1454055

    Der Gesetzgeber kann eben nicht Körperverletzung beliebig erlauben, sondern nur in sehr engen Grenzen.
    Die Glaubensfreiheit kann da nicht zugehören.

  86. #86 Stefan W.
    25. September 2012

    @Ponder:

    siehe wieder mal die Schwäbisch-Alemannische Fasnet

    Ich kenne keine Details der alemannischen Fasnet – junge Burschen kostümieren sich, schmieren sich Kohle ins Gesicht und erschrecken die Leut – mehr weiß ich nicht, und selbst das ist womöglich falsch. 🙂

    Falsch ist aber auch folgendes (wir hatten das schon seit Anfang der Debatte – wann hat es sich wohl endlich rumgesprochen?):

    Dargelegt wurde bereits, dass JEDER ärztliche Eingriff juristisch primär als “Körperverletzung” zu werten ist, wenn er ohne medizinische Notwendigkeit und ohne Einwilligung des Patienten geschieht.

    Eine Körperverletzung ist ein physicher Akt. Man nimmt etwa ein Messer oder eine toxische Substanz, einen stumpfen Gegenstand und verletzt damit einen Körper. Dann ist dieser verletzt und zwar völlig unabhängig von Motiven des Verletzers und späteren Wirkungen.

    Einwilligung und medizinische Notwendigkeiten ändern nichts daran, dass es eine Körperverletzung ist, sondern nur daran, ob diese rechtswidrig ist. Ohne Verständigung darüber muss man gar nicht erst das Diskutieren anfangen.

    Dies gilt z.B. auch für Impfungen, …. Eltern willigen stellvertretend für das Kind ein. “Medizinisch notwendig” ist der Eingriff jedoch streng genommen nicht – … Joseph Kuhn hat drüben in seinem Blog ja schon eingehend dargelegt, worin die Problematik besteht.

    Ich weiß jetzt nicht ob ich weiß wovon Du sprichst. Ein Link ist manchmal so hilfreich.

    Der fundamentale Unterschied zum Impfen ist, dass Impfen kein religiöses Ritual ist. Wer sein Kind impft, weil sein Urgroßvater schon geimpft wurde, und sein Großvater, Vater, er selbst der hat es nicht verstanden.

    Fraglich ist, was die Analogie zum Impfen zeigen soll, und wo diese überstrapaziert würde. Was aber nicht geht …

    Meine Befürchtung: wenn die “körperliche Unversehrtheit” gegenüber dem Erziehungsrecht der Eltern und der Religions-und Glaubensfreiheit plötzlich juristisch einen klar definierten Primat erhält (…), dann wird das Wasser auf die Mühlen von … ideologisch motivierten Impfgegnern sein, …

    Wieso steht hier die körperliche Unversehrtheit in Anführungsstrichen, aber das Erziehungsrecht nicht, und die Freiheiten auch nicht? Und müßte nicht auch vom Recht auf körperliche Unversehrtheit die Rede sein bzw. von Erziehung/Religion/Glauben?

    Um Erziehung geht es m.E. nicht. Ein Kind zu beschneiden ist die Ausübung religiöser Praktiken, aber weder ist das Erziehung, noch ist es Religionsfreiheit. Das Kind wird ja gar nicht gefragt – dessen Freiheit ist nur insofern betroffen, als diese verletzt wird.

    Religionsfreiheit heißt, sich selbst zu einer Religion zu bekennen. Das kann auch niemand stellvertretend übernehmen, sondern es kann nur von den Eltern stellvertretend in eine religiöse Erziehung eingewilligt werden, d.h. man bringt dem Kind bei was die Riten sind, und wie sie praktiziert werden usw.

    Erziehung wäre es jemandem beizubringen wie eine Beschneidung stattzufinden hat. Das mag bei älteren Kindern also nebenbei ein Effekt der Beschneidung selbst sein – jedoch wird ja in erster Linie der Brauch praktiziert und nicht vermittelt. Erziehung fasst es also gar nicht.
    Die Religionsfreiheit der Eltern kommt auch nicht in Betracht, denn diese werden ja nicht gezwungen vom Glauben abzufallen, nur weil sie ihre Söhne nicht mehr beschneiden dürfen.

    Es ist nur so, dass juristisch noch weniger bewanderte Leute als ich ins Grundgesetz geschaut haben, und gewühlt haben, ob sie ein Stichwort finden das mit “Religion~” beginnt oder endet, um wie ein Eisbär im Polarmeer den festen Boden einer schmelzenden Scholle unter die Füße zu bekommen.

    Was aber vor allem nicht geht, ist, dass man ein Argument, welches man als passend empfindet verwirft aus Angst eine andere Partei – hier Impfgegner – würden sich auf dieses berufen. Du willst gewichtige Argumente in einer anderen Diskussion unterdrücken, und dafür auch die Vorhaut von Dritten opfern, damit die Impfgegner nicht über das Argument stolpern?

    Eine derartige Instrumentalisierung der Argumente geht jedenfalls für meinen Geschmack zu weit. Dafür sind ja Diskussionen da, dass man die Güte solcher Argumente abklopft, und sie anderen vorlegt – vielleicht finden die etwas daran.

    Wenn ich mich daran versuchen darf: Du sagst die Impfung sei auch eine Körperverletzung – da stimme ich (s.o.) zu.

    Die allgemeine Rechtfertigung ist, dass sie im Wohle des Kindes liegt, und zwar weil das Risiko gering ist im Vergleich zum Nutzen.

    Dem widersprichst Du aber gar nicht – Du sagst nur, dass die Kenntnisse der Eltern über die Risiken gering sind. Aber das ist es doch eben.

    Es gibt keine oder kaum Schmerzen bei Impfungen. Es gibt fast keine Schmerzen danach. Es gibt fast keine Komplikationen.

    Demgegenüber ist eine Vorhautamputation ein sicherer Verlust der Vorhaut, wodurch die Qualität des Sexualverkehrs und die Masturbation eingeschränkt werden. https://www.beschneidung-von-jungen.de/home/argumente-gegen-beschneidung/nachteile-der-beschneidung.html#c983
    Die Operation ist schmerzhaft, und der Heilungsprozess oft auch. Es gibt Operationsrisiken und Narkoserisiken (sofern überhaupt narkotisiert wird) und es kommt oft zu einem Trauma.

    Im Vergleich zum Impfen sind die Chancen auf unliebsame Effekte wesentlich höher. Dagegen steht beim Impfen ein bezifferbarer Nutzen.

    Der Nutzen der Beschneidung ist ein eingebildeter Bund mit Gott. Es steht zwar jedem Beschnittenen frei daran zu glauben, dass es ein Wesen gibt, welches sich an den Kontrakt gebunden fühlt, aber es lässt sich nicht nachweisen, und ist eben nur ein Glaube.

    Die körperliche Unversehrtheit von Kindern wird z.B. auch durch rauchende Eltern bzw. durch Raucher generell eingeschränkt (etwa auf Familienfeiern). Eltern ernähren ihre Kinder ungesund und erziehen sie damit zu lebenslang potentiell Übergewichtigen – wann ist die Schwelle erreicht, wo der Staat einschreiten muss?

    Du meinst es gibt Leute, die ihre Kinder, wenn diese keinen Hunger und keinen Appetit haben, dazu zwingen große Mengen Nahrungsmittel zu sich zu nehmen, so dass eine Körperverletzung die sichere Folge ist? Und dabei würdest Du tatenlos zusehen?

    Oder Erwachsene die ihre Kinder mit Rauch derart eindecken, dass diese nachweislich geschädigt würden – auch hier würdest Du empfehlen tatenlos zuzusehen, weil dies eine Erziehungsmaßnahme sein könnte, oder ein religiöser Brauch?

    Wieso haben wir denn die Rauchverbote bekommen? Weil es Körperverletzung ist, der die Angestellten nicht entkommen können.

    In einem Haushalt sollte es möglich sein, dass während des Essens nicht geraucht wird, und dass danach die Kinder die Küche verlassen, während die Mutter eine raucht. Oder während einer PKW-Fahrt, dass – besonders im Winter, wenn nicht gelüftet werden kann, 2h nicht geraucht wird, bis man eine Pause macht, und dann wird draußen geraucht.

    Das kann man Erwachsenen schon zumuten. Müssen sie u.U. eben stündlich eine Pause einlegen, wenn sie so süchtig sind. Oder für die Reise auf Pflaster und Kaugummis zurückgreifen.

    Auch das Argument “Herdenschutz” (…) tritt gegenüber einer solchen Betonung .der Rechte des Individuums dann zurück.

    Das ist es meines Wissens schon, auch wenn mit dem Stichwort Gebärmutterhalskrebs von interessierter Seite immer wieder so getan wird, als könne man damit eine Verstümmelung legitimieren.

    Da hier nicht mehr das Wohl des Kindes betroffen ist steht es den Eltern nicht zu hier ein Risiko in Kauf zu nehmen. Die Zustimmung der Eltern darf nur zum Wohle des Kindes erteilt werden – nicht zum Wohle von Dritten.

  87. #87 Aiko
    25. September 2012

    @Schmidt’s Katze

    Ungeachtet tiefgreifender Differenzen in grundlegenden Fragen empfiehlt der Ethikrat einmütig, rechtliche Standards für eine Beschneidung minderjähriger Jungen aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen zu etablieren und dabei folgende Mindestanforderungen umzusetzen:
    https://www.ethikrat.org/presse/pressemitteilungen/2012/pressemitteilung-09-2012

    Wo war da Merkel? Hat er einmütig da mit getragen? Und sich doch den “besseren” Argumenten angeschlossen?

  88. #88 Schmidts Katze
    25. September 2012

    Am Ende des Artikels kriegt Merkel doch noch die Kurve:
    “Aber die Beschneidung ist ein uralter konstitutiver Brauch des Judentums. Und damit erst ist das wirkliche Problem der Rechtspolitik benannt.”

    “Dem schärferen Blick wird auf Dauer nicht verborgen bleiben, was die angekündigte Regelung trotz der Allgemeinheit ihrer äußeren Form ihrem Sinne nach ist: ein jüdisch-muslimisches Sonderrecht. Das bezeichnet einen Sündenfall des Rechtsstaats. Anlass genug für ein schlechtes Gewissen des Gesetzgebers. Er möge es nicht weiterhin mit Redensarten verdunkeln, die neben der Sache liegen. Und sich wie den beiden Religionsgemeinschaften die Zumutung nicht erlassen, künftig nach einer besseren, rechtlichen Lösung zu suchen.”

    Und weiter oben schreibt er:
    “Käme heute eine hier noch unbekannte Religionsgemeinschaft mit dem sonst nirgendwo üblichen Brauch des rituellen Knabenbeschneidens nach Deutschland, würde ihr das auf der Stelle verboten. Und ginge es dabei um einen rein muslimischen Ritus, hätte der Bundestag auf das Kölner Urteil gewiss nicht mit einem Entschließungsantrag wie dem vom 19. Juli reagiert.”

    Mit anderen Worten, wir müssen es erlauben aufgrund unserer Geschichte, und nur deshalb, weil es um Juden geht.
    Meiner Meinung nach kann man mit Grundrechten so nicht umgehen.

  89. #89 MartinB
    25. September 2012

    @Schmidt’s Katze
    Auf der anderen Seite würden wir vermutlich einer Religion auch untersagen, dass Eltern ihre Kinder täglich mehrere Stunden rituell krebserregende und stark feinstaubhaltigen Rauch einatmen müssen. Rauchern gestehen wir dieses Recht aber (ja letztlich auch als Gewohnheitsrecht – wenn einer heute die Zigarette erfinden würde, würde sie ja vermutlich nie zugelassen werden) zu.
    Ganz so einfach sehe ich die Abwägung deshalb auch nicht.

  90. #90 Adent
    25. September 2012

    @MartinB
    Ich finde das Raucherbeispiel nicht besonders passend. Das Autofahren (nebst Abgasen) gestehen wir ja auch jedem zu (der einen Führerschein hat) und ich denke beides ist vergleichbar schädlich für Kinder und Erwachsene.
    Allerdings könnte man ja auch schon mal anfangen damit den Weihrauch und die Kerzen in der Kirche zu verbieten oder ist das schon geschehen und ich habe es nicht mitbekommen (ich gehe so selten in die Kirche)?

  91. #91 Stefan W.
    25. September 2012

    @MartinB 25. September 2012
    @Schmidt’s Katze Auf der anderen Seite würden wir vermutlich einer Religion auch untersagen, dass Eltern ihre Kinder täglich mehrere Stunden rituell krebserregende und stark feinstaubhaltigen Rauch einatmen müssen.

    ‘Lassen’, nicht ‘müssen’?

    Ich habe die Frage bereits ähnlich gestellt: Läßt Du Deine Kinder mehrere Stunden täglich Rauch in gesundheitsschädlichen Mengen einatmen?

    Meines Wissens wäre das eine Körperverletzung und daher verboten. Wenn Du willst zeig ich Dich an.

  92. #92 Schmidts Katze
    25. September 2012

    @ MartinB, beim Nichtraucherschutz hat sich in den letzten 30 Jahren ja eine Menge getan, Rauchen ist ja inzwischen so gut wie überall, wo sich Nichtraucher in der Öffentlichkeit aufhalten, verboten.
    Und ich kenne niemanden mit Kindern, in dessen Wohnung Rauchen erlaubt ist, das war vor 30 Jahren auch noch ganz anders.

    Ausserdem, den Eltern das Rauchen zu verbieten, oder unschädliche Ernährung, scheitert auch an praktischen Gründen.
    Das Kind blutet nicht, wenn du eine Zigarette rauchst, und es verliert auch kein Körperteil, also wie willst du eine Schädigung über Jahre hinweg beweisen und verfolgen?
    Aber das heisst doch nicht, weil ich das eine nicht verhindern kann, lasse ich auch das andere zu.

  93. #93 MartinB
    25. September 2012

    @Schmidts katze
    “scheitert auch an praktischen Gründen.”
    Ah ja, sollen wir also das Jugendamt zu allen jüdischen Familien schicken oder sollen die Kinderärzte Beschneidungen melden oder wie?

    Mein Beispiel sollte nur deutlich machen, dass wir auch in anderen bereichen dulden, dass Eltern ihren Kindern physischen Schaden zufügen.

    (PS: Auch das Auto-Beispiel ist nicht so toll – die würden, heute erfunden, vermutlich auch nicht zugelassen werden, aus Umweltgründen und weil “Hey, ich hab ne tolle Transport-Idee, o.k., sie kostet jedes Jahr ein paar Tausend Menschenleben, aber der Rest von euch wird sie super finden” wohl auch nicht funktionieren würde.)

  94. #94 Ponder
    25. September 2012

    Zum Raucher-/ Nichtraucherbeispiel:

    Schön, dass hier offenkundig Konsens darüber besteht, dass Passivrauchen gesundheitsschädlich ist und dass Kinder davor zu schützen sind – demnach schließt das Recht auf Körperliche Unversehrtheit also ein, dass die Rücksichtslosigkeit von Rauchern, z.B. im Rahmen von privaten Feiern, als Körperverletzung zu werten ist und damit theoretisch zur Anzeige gebracht werden kann – oder?

    Mitnichten ist es so, dass die Nichtraucherschutzmaßnahmen unumstritten sind, und von Vertretern der Raucherlobby werden derzeit praktisch alle Studien, die Gesundheitsschäden durch Passivrauch belegen, für unglaubwürdig erklärt.
    Wer sich dazu ein Bild machen will, kann die Diskussion hier:

    https://scienceblogs.de/gesundheits-check/2012/07/22/beda-stadler-ein-skeptiker-auf-abwegen/

    und hier:

    https://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2012/08/24/viel-passivrauch-um-nichts-die-piratenpartei-deutschland-und-die-pseudowissenschaft/

    verfolgen.

    Die Raucherlobbyisten argumentieren v.a. mit dem Primat des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, die sie durch die Gesetze zum Nichtraucherschutz beschnitten sehen. Dabei werden die “Argumente” auf dieangeblich nicht genügend nachweisbare Kausalität von Passivrauch und Krebs reduziert und z.B. Atemwegserkrankungen – eben auch bei Kindern – als Folge von Passivrauchen indirekt abgestritten oder ignoriert.
    Folgt man, wie es hier von einigen vertreten wird, einem uneingeschränkten Primat des Rechtes auf körperliche Unversehrtheit, könnte man also jeden rücksichtslosen Raucher anzeigen, der sich in Gegenwart von Kindern eine Zigarette anzündet – oder nicht? –

    @ Stefan W.:

    Hinsichtlich des Impfens scheinst du nicht so ganz up to date zu sein mit deiner Annahme, Imofungen seien in jedem Fall völlig komplikationslos, schmerzfrei und unschädlich.
    Der von dir gewünschte Link zum Blog bzw zu einer Diskussion ist hier:

    https://scienceblogs.de/gesundheits-check/2012/08/16/denialismus-beim-impfen/

    und die Hartnäckigkeit der Impfgegner-Argumentation kann man hier studieren:

    https://scienceblogs.de/bloodnacid/2012/05/09/impft-eure-kinder-die-masern-sind-zuruck/

    Interessant hinsichtlich des Verlaufs unserer Argumentation hier erscheint mir die Beobachtung, dass in dem Moment, wo das Recht auf körperliche Unversehrtheit in seiner ganzen Breite diskutiert wird – und das muss man nun mal konsequent tun, wenn man ihm einen Primat einräumt über den anderen im Beschneidungskonflikt betroffenen Grundrechten – eine Tendenz zur Ungenauigkeit und zu Relativierungen zu beobachten ist. Man kann in einer solchen Konfliktlage von Grundrechten aber nicht zugunsten eines Rechtes “den Kuchen essen und gleichzeitig behalten” wollen.

    Wenn Martin B. eingangs zu Recht nach möglichst guten Argumenten für die Beschneidung fragt, dann muss im Gegenzug gefragt werden:
    Mit welcher guten Begründung soll das Recht auf körperliche Unversehrtheit einen Primat gegenüber dem elterlichen Erziehungs-und Fürsorgerecht haben (was wiederum grundsätzlich die Freiheit zur Religionsausübung und religiösen Erziehung des Kindes einschließt) ? –
    In unserem Grundgesetz gibt es da keine Wertehierarchie, wie gern angenommen wird. Und auch die UN-Kinderrechtskonvention betont ausdrücklich, dass die Rechte des Kindes besonders auch im Zusammenhang mit seiner Herkunftsfamilie zu betrachten sind, gerade auch im Hinblick auf die freie Religionsausübung der Eltern:

    Artikel 14 Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit

    (1) Die Vertragsstaaten achten das Recht des Kindes auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit.

    (2) Die Vertragsstaaten achten die Rechte und Pflichten der Eltern und gegebenenfalls des Vormunds, das Kind bei der Ausübung dieses Rechts in einer seiner Entwicklung entsprechenden Weise zu leiten.

    (3) Die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu bekunden, darf nur den gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden, die zum Schutz der öffentlichen Sicherheit, Ordnung, Gesundheit oder Sittlichkeit oder der Grundrechte und -freiheiten anderer erforderlich sind.

    Nach dieser Formulierung gebührt dem Kind UND seiner Herkunftsfamilie hier ausdrücklicher besonderer Schutz – lediglich wie der Punkt “Gesundheit” genau zu bewerten ist, steht also in der Beschneidungsfrage zur juristischen Abwägung. Von einem ausdrücklichen Recht auf körperliche Unversehrtheit (das ist etwas anderes als das Recht auf Gesundheit) ist so in der UN-Kinderrechtskonvention nicht die Rede.

    Wenn es ein Recht auf körperliche Unversehrtheit gibt, dann ist Impfen tatsächlich allein Ermessenssache der Eltern und derzeit eher nicht vorrangig. WEnn die Masern wieder gut in Deutschland etabliert sind, könnte man neu über eine derartige Empfehlung nachdenken – dann hätte man sicher auch eine bessere Compliance. (Achtung: Ironie!)
    Eltern von ohrsteckertragenden Kindern könnten angezeigt werden, ebenso Eltern, deren Kinder stark über-oder untergewichtig sind.
    Leistungssport für Kinder dürfte nur unter streng kontrollierten Bedingungen (am besten durch Amtsärzte) stattfinden. Jegliche Spitzensportförderung für Kinder unter ca 16 Jahren, insbesondere Ballett , Kunstturnen, Schispringen u.ä. gehörte verboten.

    Die Giordano-Bruno-Stiftung müsste sich erneut Gedanken darüber machen, ob sie Peter Singer ihren Preis nicht lieber wieder aberkennt, denn Singer geht zumindest für das Säuglingsalter nicht von einem feststellbaren Unterschied zwischen Primaten und Menschenbabies aus (waren nicht auch Schweine in der Aufzählung? – In einer Psiram-Diskussion klang das an.) Für Peter Singer setzt also das menschliche Recht auf körperliche Unversehrtheit ohnehin deutlich nach dem 8. Lebenstag erst ein – also dürfte entweder die Beschneidung von 8 Tage alten Säuglingen noch nicht in die Kategorie des menschlichen Rechts auf körperliche Unversehrtheit fallen – oder die genannten Spezies bekommenkonsequenter Weise auch Persönlichkeitsrechte und damit das Recht auf körperliche Unversehrtheit.

  95. #95 MartinB
    25. September 2012

    @Ponder
    “Die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu bekunden, darf nur den gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden, die zum Schutz … der Grundrechte und -freiheiten anderer erforderlich sind.”
    Trifft das nicht genau den Punkt hier (ist körperliche Unversehrtheit kein Grundrecht)?
    Und nehmen die Eltern dem Kind nicht die Freiheit, sich zu einer anderen Religion zu bekunden, wenn sie es zwangsweise mit dem Symbol einer Religion zeichnen?

  96. #96 Ponder
    25. September 2012

    @ Martin B:

    Gute Frage – deshalb haben wir ja die Diskussion. Der Kontext von § 14 gibt aber (so verstehe ich ihn) genau zu verstehen, dass das Kind promär als zu seiner Herkunftsfamilie gehörig betrachtet wird, deren freie Religionsausübung als wichtig für die gesunde Entwicklung des Kindes betrachtet wird:

    (1) Die Vertragsstaaten achten das Recht des Kindes auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit.
    2) Die Vertragsstaaten achten die Rechte und Pflichten der Eltern und gegebenenfalls des Vormunds, das Kind bei der Ausübung dieses Rechts in einer seiner Entwicklung entsprechenden Weise zu leiten.

    Man könnte natürlich den gewählten Wortlaut diskutieren (und vermutlich den ursprünglichen Sinn ins Gegenteil kehren) :

    Kann die Formulierung auch so verstanden werden, dass die Eltern (der Vormund) das Kind möglichst religionsfrei erziehen, bis es sich frei von allen familiären Einflüssen für eine eigene Religion oder eben keine entscheiden kann.
    Ich fasse den Text so auf, dass grundsätzlich die freie religionsausübung der Eltern von den Vertragsstaaten unter besonderen Schutz gestellt wird und damit auch das elterliche Recht/die elterliche religiöse Gewissenspflicht, das Kind entsprechend zu erziehen/ zu sozialisieren.

    Es wäre verwunderlich, wenn ausgerechnet eine UN-Konvention, in deren Geltungsbereich ja sehr unterschiedliche Ethnien und Religionen beheimatet sind, diesen Passus als Aufforderung zur areligiösen Erziehung des Kindes verstanden wissen will.
    Hingegen wird besonderer Respekt und Schutz für die unterschiedlichen Religionen und Ethnien zum Ausdruck gebracht und gefordert- sehr wichtig, da es ja weltweit regional immer wieder zu religiös begründeten kriegerischen Auseinandersetzungen oder Verfolgungen kommt, deren Opfer in vielen Fällen besonders die Kinder sind.

  97. #97 s.s.t.
    25. September 2012

    @MartinB
    PS: Auch das Auto-Beispiel ist nicht so toll – die würden, heute erfunden, vermutlich auch nicht zugelassen werden, aus Umweltgründen und weil “Hey, ich hab ne tolle Transport-Idee, o.k., sie kostet jedes Jahr ein paar Tausend Menschenleben, aber der Rest von euch wird sie super finden” wohl auch nicht funktionieren würde.

    Na besonders umweltfreundlich waren die präautomobilen Pferde usw. auch nicht..

    Siehe:
    “The Great Horse Manure Crisis of 1894”

    Und bezogen auf die Bevölkerung war die Anzahl der tödlichen Verkehrsunfälle damals mit Pferden wohl sogar größer als heute mit Autos.

  98. #98 MartinB
    25. September 2012

    @Ponder
    Ich bin kein Jurist, aber “leiten” bedeutet für mich schon, dass sie auch andere Optionen zumindest offenhalten.
    Und meine Frage bezog sich ja auch auf den 3. Absatz.

  99. #99 MartinB
    25. September 2012

    @sst
    Klar. Ich wollte damit ja nur sagen, dass wir viele Dinge offensichtlich unter der Randbedingung ihrer historischen Entwicklung erlauben, die wir sonst verbieten würden. (So wie im Baurecht alte Gebäude ja auch Bestandsschutz genießen, selbst wenn sie heutzutage nie gebaut werden dürften.)
    Und ich denke schon, dass man solche Überlegungen und Vergleiche in die Debatte mit einbeziehen darf und sollte. Schon allein, um sich selbst von einem simplen Gut-Böse-Denken abzubringen, dass bei diesem Thema ja leicht aufkommt.

  100. #100 s.s.t.
    25. September 2012

    @MartinB

    Zwischenzeitlich scheint Frau L.S. Nägel mit Köpfen machen zu wollen:

    Doch nun glaubt Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) eine Lösung gefunden zu haben: In einem Eckpunktepapier, das der “Welt” vorliegt, skizziert sie ein Gesetz, mit dem die Beschneidung legalisiert werden soll. Die Ministerin wählt dazu einen Weg, der medizinische Hürden aufweist, aber um die Religion einen Bogen macht….Eine Beschränkung der Straflosigkeit auf eine religiös motivierte Einwilligung der Eltern ist nicht vorgesehen. Hierauf verzichtet das Ministerium ausdrücklich. “Der Entwurf stellt bewusst nicht auf eine religiöse Motivation der Eltern ab”, heißt es in dem Papier. Denn mit einer Eingrenzung auf etwa jüdische oder muslimische Motive sähe sich “die Rechtspraxis vor die schwierige Aufgabe gestellt, den Inhalt religiöser Überzeugungen ermitteln zu müssen”.

    Sofern die wörtlich zitierten Stelln in der “Welt” https://www.welt.de/politik/deutschland/article109459308/So-soll-Beschneidung-in-Deutschland-legal-werden.html
    stimmen, ist es also nach dem Entwurf egal, ob medizinsche Vorteile oder religiöse Gefühle ein Rolle spielen. Sofern es den Eltern gefällt (und halbwegs lege artis durchgeführt wird), ist Schnipp-Schnapp die Vorhaut ab.

    Dieser Vorstoß führt eigentlich alle Debatten hier und nebenan ad absurdum, denn keine Gründe zählen, nur der Elternwunsch entscheidet. Schaun wir mal.

  101. #101 Adent
    25. September 2012

    @MartinB
    Ich finde es sehr weit hergeholt und nicht zum Thema passend religiöse Rituale mit Erfindungen z.B. des Autos zu vergleichen, führt man dies weiter landen wir sehr schnell in der Steinzeit vor dem Werkzeuggebrauch.

  102. #102 Schmidts Katze
    25. September 2012

    @ Ponder,
    du argumentierst in deinem vorletzten Post (beim Zitieren fehlt mir die Uhrzeit), wenn es ein Recht auf körperliche Unversehrtheit gibt, dann müsste die GBS Singer seinen Preis wieder wegnehmen, weil Singer dann falsches behaupten würde.

    Mit anderen Worten, wenn Singer recht hat, dann gibt es für kleine Kinder kein Recht auf körperliche Unversehrtheit.

    Ich wundere mich über dieses etwas verklausulierte Argument, und frag mal nach, ob du das tatsächlich so meinst.

  103. #103 Schmidts Katze
    25. September 2012

    @ s.s.t.,
    wenn das Gesetz wird, muss doch alles erlaubt werden, vom Piercing über die Tätowierung bis zur Brustvergrößerung.

  104. #104 s.s.t.
    25. September 2012

    @Schmidts Katze

    wenn das Gesetz wird, muss doch alles erlaubt werden, vom Piercing über die Tätowierung bis zur Brustvergrößerung.

    Eben, meine Rede seit ’33.

    Deswegen ist auch alles, was hier und sonst wo über Respekt, Tradition, Medizin etc. pp. geschrieben wurde, reinste Makulatur.

    Aber noch gibt es Gerichte in Dt. und Europa.

  105. #105 Stefan W.
    26. September 2012

    @Ponder:

    Folgt man, wie es hier von einigen vertreten wird, einem uneingeschränkten Primat des Rechtes auf körperliche Unversehrtheit, könnte man also jeden rücksichtslosen Raucher anzeigen, der sich in Gegenwart von Kindern eine Zigarette anzündet – oder nicht? – @ Stefan W.:

    Hinsichtlich des Impfens scheinst du nicht so ganz up to date zu sein mit deiner Annahme, Imofungen seien in jedem Fall völlig komplikationslos, schmerzfrei und unschädlich.

    Ich weiß nicht wo Du lesen gelernt hast, und welchen Zweck es hat, wenn ich meine Aussage wiederhole, wo es doch schon beim ersten Mal gescheitert ist; ich hatte geschrieben:

    Es gibt keine oder kaum Schmerzen bei Impfungen. Es gibt fast keine Schmerzen danach. Es gibt fast keine Komplikationen.

    Weißt Du wieviel Spaß es macht jemandem den Unterschied zwischen “in jedem Fall komplikationslos” und “fast keine Komplikationen” zu erläutern?

    Deine ganze Argumentation gegen mich bricht zusammen, wenn Du die Unterstellung aufgibst, ich hätte derart verblödete Aussagen getätigt. Such Dir jemand anderem, dem Du solche Aussagen unterstellen kannst.

    Fraglich, wenn es an solch Essentiellem schon scheitert, wie dann differenziertere Aussagen diskutierbar sein sollen.

    Der Kontext von § 14 gibt aber (so verstehe ich ihn) genau zu verstehen, dass das Kind promär als zu seiner Herkunftsfamilie gehörig betrachtet wird, deren freie Religionsausübung als wichtig für die gesunde Entwicklung des Kindes betrachtet wird:

    Aus dem Recht ein Kind zu leiten kann ich nicht ableiten ihm das Sexualorgan zu verstümmeln. Wo die “gesunde Entwicklung” herkommt ist ebenfalls unklar. Und die Familie ist v.a. kein Rechtssubjekt. Das würde ja heißen, dass Brüder, Tanten und Großeltern auch mitreden. Bei den Tuareg mag das ja der Fall sein, aber wir leben in einer bürgerlichen Gesellschaft mit Kleinfamilie. Die Eltern haben hier Rechte – nicht die Familie.

    Aber die Religionsausübung wird da mitnichten als wichtig für die gesunde Entwicklung des Kindes beschrieben.

    Auch ist noch nicht beantwortet, inwiefern “Beschneidung” eine Erziehungsmaßnahme sein soll. Das passt zu keiner Idee von Erziehung von der ich bislang gehört habe.

    Hingegen wird besonderer Respekt und Schutz für die unterschiedlichen Religionen und Ethnien zum Ausdruck gebracht und gefordert- sehr wichtig, da es ja weltweit regional immer wieder zu religiös begründeten kriegerischen Auseinandersetzungen oder Verfolgungen kommt, deren Opfer in vielen Fällen besonders die Kinder sind.

    Was mit der Beschneidungsdebatte insofern zu tun hat …?

    (1) Die Vertragsstaaten achten das Recht des Kindes auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit.

    Das besondere ist hier wohl, dass dem Kind bereits Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit zugesprochen wird – nicht erst einem erwachsenen Bürger.

    Man könnte hier fragen, ob damit gemeint ist, dass nicht erst Erwachsene in Gottesdienste laufen dürfen, sondern dass sie ihre Kinder mitnehmen dürfen.

    Das erscheint wenig wahrscheinlich. Mir ist kein Glaube in einer Region bekannt, dessen Bekenntnis und Ausübung nur Erwachsenen erlaubt wäre. Hier ist offensichtlich gemeint, dass das Kind selbst diese 3 Freiheiten hat, und das bedeutet unabhängig von den Eltern.

    Ähnlich wie man im Urheberrecht nicht die Urheberschaft an einem Werk aufgeben kann, sowenig kann man Gedanken- oder Gewissensfreiheit an jemanden abtreten.

    Man kann einem Kind Rituale beibringen und es bei einer Religion anmelden – den Glauben kann man ihm nicht aufzwingen, nur das Bekenntnis.

    Satz 2 bezieht sich darauf,

    2) Die Vertragsstaaten achten die Rechte und Pflichten der Eltern und gegebenenfalls des Vormunds, das Kind bei der Ausübung dieses Rechts in einer seiner Entwicklung entsprechenden Weise zu leiten.

    Die Eltern werden hier nicht verpflichtet die Rituale ihrer Religion möglichst buchstabengetreu in das Kind hieinzuprügeln, sondern die Rechte des Kindes möglichst gut zu berücksichtigen.

    Das Recht das Kind zu leiten beinhaltet nicht die Verstümmelung des Kindes.

    Im Gegenteil sagen die zwei Sätze doch, dass die Eltern dem Kind seine Freiheit bewusst machen sollen selbst frei zu entscheiden ob es und wenn ja welcher Religion es angehören will.

    (3) Die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu bekunden, darf nur den gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden, die zum Schutz der öffentlichen Sicherheit, Ordnung, Gesundheit oder Sittlichkeit oder der Grundrechte und -freiheiten anderer erforderlich sind.

    Nach dieser Formulierung gebührt dem Kind UND seiner Herkunftsfamilie hier ausdrücklicher besonderer Schutz – lediglich wie der Punkt “Gesundheit” genau zu bewerten ist, steht also in der Beschneidungsfrage zur juristischen Abwägung. Von einem ausdrücklichen Recht auf körperliche Unversehrtheit (das ist etwas anderes als das Recht auf Gesundheit) ist so in der UN-Kinderrechtskonvention nicht die Rede.

    Hier ist von der öffentlichen Gesundheit die Rede, nicht von der Gesundheit des Kindes.

    Du darfst mit Deiner Sekte keine unangemeldeten Prozessionen auf dem Autobahnkreuz veranstalten, auch wenn Du meinst dieses besonders große Kreuz würde vom Gott im Himmel besonders gerne gesehen.

    Ein 8 Tage altes Kind kann seine Religion oder Weltanschauung nicht bekunden – die Annahme ist einfach Quatsch. Dass die Eltern das Kind im Geiste einer Religion erziehen dürfen heißt nicht, dass es als Kleinkind diese Religion schon hätte – sonst wäre ja eine religiöse Erziehung überhaupt nicht mehr nötig.

    Religiös sind hier, wenn, dann nur die Eltern, und deren Recht auf Religionsausübung endet da, wo Grundrechte und -freiheiten anderer betroffen sind.

    Das steht auch da, und die körperliche Unversehrtheit ist so ein Grundrecht.

    Eltern von ohrsteckertragenden Kindern könnten angezeigt werden, ebenso Eltern, deren Kinder stark über-oder untergewichtig sind.

    Anzeigen kannst Du sowieso jeden – auch Eltern von Kinder die Pullover tragen, oder blauäugig sind. Die Frage ist, worauf Du eine Anzeige gründest.

    Beim Ohrsteckertragen kommt es doch sehr auf das Alter des Kindes an. Wenn ein ernsthaftes Infektionsrisiko besteht, dann wird man ein entsprechend hohes Alter beim Kind voraussetzen. Je geringer das Risiko und älter das Mädchen oder der Junge, desto eher wird man diesem die Selbstbestimmung zugestehen eine solche Operation mit Zustimmung der Eltern durchführen zu lassen.

    Eltern, die ein Kind zu solch einer Operation zwingen oder überreden, ohne dass der Wunsch vom Kind ausgeht, gehören m.E. in der Tat angezeigt, also lass Dich nicht aufhalten!

    Was Übergewicht und Magersucht betrifft, so wird hier Vorsatz und MItschuld schwer feststellbar sein. Es gibt Millionen Erwachsene die mit ihrem Gewicht kämpfen und es nicht in den Griff bekommen – wie sollen sie es bei einer anderen Person schaffen?

    Wer täglich 10g (über dem, was dem Wachstum nach normal wäre) zunimmt hat in 3 Jahren 10kg Übergewicht. Das ließe sich auch mit etwas mehr Bewegung täglich vermeiden – daher ist die Zuweisung von Schuld nur leicht für den, der es sich leicht macht.

    ,.. schließt das Recht auf Körperliche Unversehrtheit also ein, dass die Rücksichtslosigkeit von Rauchern, z.B. im Rahmen von privaten Feiern, als Körperverletzung zu werten ist und damit theoretisch zur Anzeige gebracht werden kann

    Sie leben immer noch in dem Irrtum, dass die Verletzung des Körpers eine Wertung wäre, die man nach Abwägung oder was weiß ich vornehmen kann oder nicht.

    Das ist sie nicht. Wenn Sie eine Körperverletzung nachweisen können (das werden Sie schon müssen) und diese auf die Ursache (Onkel Stefan hat geraucht) zurückführen können, dann können Sie klagen. Im Strafrecht gilt nämlich in dubio pro reo .

    Ein allgemeines Berufen auf Studien dürfte für den Rahmen einer einzelnen Feier nicht genügen, aber Sie kennen Sich ja offenbar mit Nichtraucherstudien aus. Ich nicht.

    Aber wenn ein Kind hustet, dem Rauch in die Atemwege gerät, und wenn die Augen tränen vom beißenden Rauch, dann sind das wohl Reaktionen des Körpers auf kleine Verletzungen – was soll es sonst sein?

    Ich würde aber, bevor ich jemanden anzeige, doch bitten den Balkon zu benutzen bis 22:00 Uhr – dann sind die Kinder im Bett, und die Erwachsenen können sich gegenseitig verletzen.

    Die Beispiele, von Ohrloch bis hin zu PKW-Feinstaub tendieren aber dazu, die Amputation der Vorhaut zu bagatellisieren. Man sollte schon auch im Auge behalten, wovon man ausgegangen ist.

    Unsachgemäß ist auch die Frage, wer das alles kontrollieren soll.

    Bei der Beschneidung wird ein Beschneider, der heute noch täglich Beschneidungen vornimmt vielleicht ungern das Risiko eingehen, dass auch nur 2 oder 3 Anzeigen erstattet werden. Dazu kommen Eltern, die vielleicht eh nur ungern sich der sozialen Kontrolle ihrer Gemeinde beugen, die jetzt endlich sich dem historischen Brauch entziehen können, und sagen “Es ist doch verboten!”. Dazu kommt die Tatsache, dass das Urteil überhaupt Diskussionen losgetreten hat, und die Leute mal anfangen selbst nachzudenken, ob sie ihren Kindern diese Qualen zufügen, ob das wirklich Qualen sind oder ein Geschenk.

  106. #106 MartinB
    26. September 2012

    @Adent
    Diese Beispiele sollen einzig dazu dienen zu verdeutlichen, dass wir auch in nicht-religiösen Zusammenhängen historische Gegebenheiten berücksichtigen, wenn wir nach der Legalität von Handlungen fragen. Praktisch gesehen begründet eine existierende Tradition eben doch manchmal Rechte, die man, würde die Tradition nicht existieren, nicht einräumen würde.

  107. #107 Adent
    26. September 2012

    @MartinB
    Einverstanden, genau deshalb sollte man die religiösen Rituale wie z.B. Beschneidung der Zeit anpassen und die Entscheidung dem Kind überlassen, darin sind wir uns einig. Also würde man heutzutage ein Auto schon zulassen, sofern es umweltgerecht entwickelt wird. Was jetzt allerdings von Frau Leuthäuser-Schnarr… kommt ist eine absolute Frechheit und zeigt wieder einmal daß a) die FDP unwählbar geworden ist (schon immer war?) und b) wie pervers die Politik ist.

  108. #108 MartinB
    26. September 2012

    @Adent
    “genau deshalb sollte man die religiösen Rituale wie z.B. Beschneidung der Zeit anpassen”
    Aber müsste man dann nicht (und deswegen schrub ich das ja) konsequenterweise Autos verbiten, und das Rauchen und diverse andere Dinge ebenfalls? Ich behaupte mal, dass jahrelanges Passivrauchen gesundheitsschädlicher ist als eine Beschneidung. Also?

  109. #109 Adent
    26. September 2012

    @MartinB
    Naja, dann müßte man auch das zuviel essen oder das falsche essen etc. verbieten Es gibt ja meines Wissens keine direkte kausale Kette, die Passivrauchen oder Umweltverschmutzung mit einer bestimmten Körperschädigung in Verbindung bringen kann oder? Klar ist, daß Rauchen/Auto-Feinstaub mit dem erhöhten Risiko einer Krebserkrankung zusammenhängt. Dazu kommen aber noch andere Kausalketten, wie Ernährung, Bewegung, Stress, industrielle Abgase, chemische Verschmutzung etc. pp. die (noch) nicht quantifizierbar sind. Bei der Beschneidung aka Körperverletzung ist die Kausalkette eindeutig, mal von den psychosomatischen Schäden abgesehen, die auch von diversen anderen Einflußfaktoren abhängen und ebenfalls (meiner Meinung nach) nicht ohne weiteres quantifizierbar sind.
    Die Frage ist doch, will man eine absichtlich herbeigeführte Körperverletzung ohne medizinische Indikation mit umweltabhängigen Krebsfaktoren vergleichen? Ich finde nicht, deshalb ist der Vergleich für mich wie der Vergleich von Äpfeln mit Birnen, die wie man heute weiß auf genomischer Ebene durchaus vergleichbar sind, ansonsten eher weniger.

  110. #110 Adent
    26. September 2012

    @MartinB
    Achso und um das nochmal klarzustellen, ich stehe nicht auf dem Standpunkt die Beschneidung verbieten zu wollen, es ist umgekehrt, die Beschneidung sollte medizinisch sehr gut begründet und nicht von irgendwelchen uralten religiösen Gründen sanktioniert sein. Und bevor der Physiker wieder aufschlägt, nein, eine Verminderung des AIDS Risikos in Afrika ist (für mich) kein sehr guter Grund 8 Tage alte Säuglinge zu beschneiden.

  111. #111 Ponder
    26. September 2012

    @Martin B.:

    MartinB
    25. September 2012
    @Ponder
    Ich bin kein Jurist, aber “leiten” bedeutet für mich schon, dass sie auch andere Optionen zumindest offenhalten.
    Und meine Frage bezog sich ja auch auf den 3. Absatz.

    Ich bin auch kein Jurist, aber ich meine verstanden zu haben, dass die Unterabsätze eines Artikels/Paragraphen diesen erläutern und nicht dem eingangs formulierten Leitprinzip (“Gedanken-,Gewissens-und Religionsfreiheit”) zuwider stehen. Insofern kann man Absatz 3 des Artikels 14 nicht aus dem Zusammenhang lösen.
    Man müsste genau genommen den englischen Text als Referenztext für eine Argumentation betrachten.
    Nach meinerm Verständnis bedeutet “Religionsfreiheit” auch prinzipiell “Freiheit ZUR Religionsausübung” und nicht – wie im deutschen Wortlaut theoretisch herauslesbar – “Freiheit VON …”
    Wenn tatsächlich die Intention der Un-Kinderrechtskonvention wäre, die Eltern zu einer neutralen, religionsfreien Haltung zu erziehen, dann wäre der ganze Artikel anders formuliert worden.
    Eine solche Bestrebung würde dann aber der Absicht des gesamten Dokuments zuwider laufen, denn es geht ja gerade darum, das geschützte Aufwachsen der Kinder INNERHALB ihrer Ethnie und Religionszugehörigkeit zu gewährleisten – alles andere käme einer kulturellen Entwurzelung gleich.

    3) Die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu bekunden, darf NUR den gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden, die zum Schutz der öffentlichen Sicherheit, Ordnung, Gesundheit oder Sittlichkeit oder der Grundrechte und -freiheiten anderer erforderlich sind.

    Der Absatz 3 bietet auch deshalb viele Denkanstöße, weil er nicht die Art der Ausübung, sondern die Art der erlaubten Einschränkung beschreibt.
    Hier wäre jetzt der englische Text interessant, denn es ist auch diese Lesart denkbar:

    zum Schutz der öffentlichen Sicherheit, Ordnung, (ÖFFENTLICHEN) Gesundheit oder Sittlichkeit

    M.a. Worten:
    Nur so lange die berechtigten Interessen und Rechte der Öffentlichkeit oder Außenstehender tangiert sind, darf die freie Religionsausübung eingeschränkt werden.
    Mögliche Beispiele: öffentliche Ruhestörung, seuchenhygienisch bedenkliche Bestattungsriten, Kontamination von Trinkwasser mit Krankheitskeimen wg rituellen Badens in “heiligen” Quellen, heilige Kühe in der Berliner Innenstadt etc

  112. #112 MartinB
    26. September 2012

    @Adent
    Ich glaube, du verstehst die Zielrichtung meines Arguments immer noch nicht ganz so, wie sie gemeint ist:
    Wenn wir nach heutigem Rechtsstand X, würde es neu eingeführt, verbieten würden, X aber (da schon lange existent) erlauben, dann ist das ein beleg dafür, dass Traditionen eben sehr wohl einen Einfluss darauf haben, was wir zulassen und was nicht.

    @Ponder
    “M.a. Worten:
    Nur so lange die berechtigten Interessen und Rechte der Öffentlichkeit oder Außenstehender tangiert sind, darf die freie Religionsausübung eingeschränkt werden.”
    Da steht aber
    “Die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu bekunden, darf NUR den gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden, die zum Schutz der … Grundrechte und -freiheiten anderer erforderlich sind.”

    “Seine” bezieht sich auf eine bestimmte Person, “Andere” sind demnach andere personen, einschließlich der Kinder der betrachteten person, oder nicht?

  113. #113 Ponder
    26. September 2012

    @Stefan W.:

    Wir reden ein bisschen aneinander vorbei, weil mein Zielpunkt anders ist als du offenbar vermutest.

    Mir geht es lediglich um eine in sich stringente Argumentation, die nicht laufend nach Belieben die kategorien wechselt.
    Welchen Ausgangspunkt (Körperliche Unversehrtheit vs Religionsfreiheit vs Erziehungsrecht) man dabei wählt, ist eigentlich unerheblich. Man darf nur nicht versehentlich die Kategorien wechseln oder implizite Annahmen hinein verwursten.

    Bleiben mal bei dem “Recht auf körperliche Unversehrtheit”
    Ich habe es in Anführungszeichen gesetzt um deutlich zu machen, dass dies zwar ein übergeordnetes Prinzip ist, aber es muss dennoch genauer definiert werden, was alles in diese Kategorie fällt und was nicht. Dabei spielt zunächst mal noch keine Rolle, wie die einzelnen Fälle hinsichtlich ihrer Schwere, Schädlichkeit etc zu bewerten sind.
    Bleiben wir also bei diesem von dir herausgegriffenen Beispiel:

    Wenn ich mich daran versuchen darf: Du sagst die Impfung sei auch eine Körperverletzung – da stimme ich (s.o.) zu.

    Die allgemeine Rechtfertigung ist, dass sie im Wohle des Kindes liegt, und zwar weil das Risiko gering ist im Vergleich zum Nutzen.

    Dem widersprichst Du aber gar nicht – Du sagst nur, dass die Kenntnisse der Eltern über die Risiken gering sind. Aber das ist es doch eben.

    Es gibt keine oder kaum Schmerzen bei Impfungen. Es gibt fast keine Schmerzen danach. Es gibt fast keine Komplikationen.

    Über die Bewertung der Komplikationen und Risiken von Impfungen gibt es durchaus unterschiedliche Auffassungen und subjektive Erfahrungen.
    Generell kann man sagen: es wird eine körperfremde Substanz eingebracht, die theoretisch beim eigenen Kind eine Überempfindlichkeitsreaktion auslösen kann. Im Fall von Lebendimpfstoffen wird sogar ein Krankheitserreger eingebracht.
    Bei uns in der Bundesrepublik besteht für die meisten so genannten Kinderkrankheiten noch eine hohe Durchimpfungsrate der Bevölkerung. Aus der Sicht der zustimmungspflichtigen Eltern setzen sie ihr Kind also einem Eingriff aus, der keinen direkten Nutzen für ihr Kind bringt – so lange die Infektionsgefahr durch eine Epidemie nicht gegeben ist und dem entsprechend die Gefahr, dass ihr Kind sich überhaupt ansteckt, als gering einzuschätzen ist. Dazu kommt – wie im Blogartikel von Joseph Kuhn beschrieben, Link dazu von mir weiter oben – dass es tatsächlich leider ab und zu dazu kommt, dass eine Impfstoffcharge nicht in Ordnung ist und wirklich mehr Komplikationen verursacht.
    Ich will hier keineswegs den Impfgegnern das Wort reden, aber man darf auch nicht leichtfertig und bagatellisierend diese Dinge verschweigen.
    Und Eltern wissen, dass eine Impfung durchaus subjektiv unangenehm für das Kind sein kann: von Schwellungen und Rötungen über Fieber ist da alles drin zwischen heftiger Impfreaktion (noch normal) und echter Komplikation. Schadensfälle werden tendenziell auch eher großzügig anerkannt und entschädigt.
    Es bleibt ja auch nicht bei einer Impfung, sondern die Sache wiederholt sich – für das Kind durchaus belastend und im Einzelfall vielleicht auch traumatisierend (je nach Begleitumständen)

    Aus diesen genannten Gründen gibt es ja in Deutschland auch keine Impfpflicht.
    Zur Impfung wird auch nicht nur geraten, weil es für das einzelne Kind einen Nutzen bringt, sondern besonders weil die Allgemeinheit sehr von einem guten Herdenschutz profitiert und weil man hofft, bestimmte Infektionskrankheiten auf diese Weise ganz auszurotten (etwa die Masern).
    Hier finden wir also auch den Aspekt, dass die Interessen des Kollektivs u.U. die theoretische/statistisch erwartbare Beeinträchtigung des Einzelnen in Kauf nehmen.

    Impfungen werden von der WHO empfohlen.
    Beschneidungen werden auch von der WHO empfohlen.
    Die Vorteile beider Empfehlungen kommen ganz besonders in Ländern zum Tragen, in denen Infektionskrankheiten – anders als bei uns – schwer unter Kontrolle zu bringen sind.

    Wir haben also in beiden Fällen einen körperverletzenden Eingriff,
    * der nicht zwingend notwendig ist
    * der aber einen anerkannten prophylaktischen Nutzen, verbunden mit Risiken und Nebenwirkungen, hat
    * der von der WHO empfohlen ist

    In dieser Hinsicht gleichen sich also Beschneidung und Impfungen.
    In dieser Hinsicht ist daher das Argument “Recht auf körperliche Unversehrtheit ” entweder für beide ungültig oder gültig.

    Alle subjektiven Kriterien, die nun von beiden Seiten angeführt werden, sind auf dieser Kategorieebene nicht zielführend.
    Wenn jetzt, wie meist in der Diskussion geschieht, dennoch subjektive Kriterien zur Gewichtung eingeführt werden (Traumatisierung, Sensibilitätsverlust etc), dann zählen die eigentlich nur, wenn sie mit entsprechend soliden Daten unterfüttert werden., sonst stehen sich eben nur gegensätzliche subjektive Einschätzungen gegenüber.
    Wer will die nach welchen Kriterien bewerten?
    Im Fall des Vorliegens solider Daten contra Impfung/Beschneidung müsste die WHO jedoch ihre Empfehlung evaluieren/revidieren.

  114. #114 Ponder
    26. September 2012

    @Martin B:

    “Seine” bezieht sich auf eine bestimmte Person, “Andere” sind demnach andere personen, einschließlich der Kinder der betrachteten person, oder nicht?

    Im Englischen steht vermutlich eine Formulierung wie “the freedom to practise one’s …”
    Also eine verallgemeinernde Formulierung für einen nicht näher zu bezeichnenden Einzelnen.
    “Man darf seine Religion frei praktizieren, bis auf die Einschränkung, dass…”

    https://www.unicef.org/crc/index_understanding.html

    https://www2.ohchr.org/english/law/crc.htm

    Article 14

    1. States Parties shall respect the right of the child to freedom of thought, conscience and religion.

    2. States Parties shall respect the rights and duties of the parents and, when applicable, legal guardians, to provide direction to the child in the exercise of his or her right in a manner consistent with the evolving capacities of the child.

    3. Freedom to manifest one’s religion or beliefs may be subject only to such limitations as are prescribed by law and are necessary to protect public safety, order, health or morals, or the fundamental rights and freedoms of others.

  115. #115 MartinB
    26. September 2012

    @Ponder
    Das Problem ist eben, dass man abwägen muss.
    Der “prophylaktische Nutzen” von Impfungen ist nicht nur größer, sondern auch unendlich viel besser belegt (auch die Empfehlungen der WHO sind meines Wissens durchaus umstritten, Impfungen dagegen (in der Wissenschaft) nicht.)

    Andersherum ist der Schaden, den Impfungen anrichten (das Risiko) soweit ich es sehen kann deutlich kleiner (für die Beschneidung fehlen – schlimm genug – verlässliche Daten, aber dass zumindest die zugefügte Schmerzen wesentlich größer sind, ist wohl unbestritten).

    Insofern ist der Vergleich zwar formal zulässig, wenn man über absolute Fragen redet, funktioniert aber nicht mehr, sobald man mit der Abwägung beginnt. Die WHO empfiehlt die Beschneidung für Deutschland übrigens meines Wissens nicht, und bitte auch den Text lesen, der oben (von Wolf) verlinkt wurde.

    Darüber hinaus ist – wie schon unendlich oft wiederholt – das medizinische Argument keins, das wirklich sticht, weil die Beschneidung auch ohne den angenommenen medizinischen Nutzen seit Tausenden Jahren durchgeführt wird und man sie auch weiter durchführen wollen würde.

  116. #116 Ponder
    26. September 2012

    Nachtrag:

    Article 30

    In those States in which ethnic, religious or linguistic minorities or persons of indigenous origin exist, a child belonging to such a minority or who is indigenous shall not be denied the right, in community with other members of his or her group, to enjoy his or her own culture, to profess and practise his or her own religion, or to use his or her own language.

  117. #117 Ponder
    26. September 2012

    @ Martin B.

    Ich wollte keine medizinische Argumentation führen, mir ging es lediglich – wie dargelegt – um Stringenz in der Argumentation, egal aus welchem der drei Rechtsgüter heraus man die Argumentation beginnt und welchen Standpunkt man damit begründen will.

    Der Aufhänger “Recht auf körperliche Unversehrtheit” führt aus den dargelegten Gründen zu Schwierigkeiten, weil man dann anfangen muss, einen Geltungsbereich zu definieren und medizinisch abzuwägen.

    Das wird letztlich auch der Grund sein, warum die Justizministerin weder auf eine medizinische noch auf eine religiöse Argumentation abhebt, sondern als Ausganspunkt das Elternrecht gewählt hat.
    Damit befindet sie sich auch am besten im Einklang mitder Intention der UN-Kinderrechtskonvention, die dem elterlichen Sorgerecht den höchsten Primat einräumt.

    The Convention expressly recognizes that parents have the most important role in the bringing up children.
    https://www.unicef.org/crc/index_understanding.html

  118. #118 MartinB
    26. September 2012

    “als Ausganspunkt das Elternrecht gewählt hat.”
    Da muss man aber genauso abwägen, insofern sehe ich nicht, dass man viel gewinnt. Und geradebeim Elternrecht leuchtet zumindest mir dann nicht ein, wieso man dann Beschneiden darf, aber nicht (was vermutlich weniger schmerzhaft ist) ohrfeigen. Ist das nicht unlogisch?

    Das gesetz sagt ja
    “Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.”

    Warum ist Beschneidung keine Gewalt?

    Ich kann die Logik nicht nachhvollziehen.

  119. #119 sol1
    26. September 2012

    Impfungen werden von der WHO empfohlen.
    Beschneidungen werden auch von der WHO empfohlen.
    Die Vorteile beider Empfehlungen kommen ganz besonders in Ländern zum Tragen, in denen Infektionskrankheiten – anders als bei uns – schwer unter Kontrolle zu bringen sind.

    Wir haben also in beiden Fällen einen körperverletzenden Eingriff,
    * der nicht zwingend notwendig ist
    * der aber einen anerkannten prophylaktischen Nutzen, verbunden mit Risiken und Nebenwirkungen, hat
    * der von der WHO empfohlen ist

    In dieser Hinsicht gleichen sich also Beschneidung und Impfungen.
    In dieser Hinsicht ist daher das Argument “Recht auf körperliche Unversehrtheit ” entweder für beide ungültig oder gültig.

    Der Vergleich ist unzulässig.

    Wenn die Beschneidungen einen prophylaktischen Nutzen haben (was ja wesentlich umstrittener ist als bei Impfungen), dann profitiert davon der Erwachsene.

    Dann aber gibt es keinen Grund, ihm die freie Entscheidung darüber zu verweigern, indem man den Eingriff im Kindesalter an ihm vornimmt.

  120. #120 MartinB
    26. September 2012

    @Ponder
    Die Relevanz des Art. 30 sehe ich gerade gar nicht – ein 8 Tage altes Kind hat keine Religion. Wie sollte es?

    Und 14,3 sagt auch im Englischen, dass die Rechte anderer mein Recht auf Religionsausübung beschränken – und “others” kann meiner Ansicht nach auch mein Kind sein.

  121. #121 Ludger
    26. September 2012

    […]aber nicht (was vermutlich weniger schmerzhaft ist) ohrfeigen[…]

    Eine Ohrfeige als Bestrafung ist eben keine “gewaltfreie Erziehung” usw. Ein “Backenstreich” als Ritus ( https://de.wikipedia.org/wiki/Firmung#Ablauf ) tut zwar auch weh, ist aber keine Erziehung, keine Bestrafung, hoffentlich keine seelische Verletzung, sicher keine entwürdigende Maßnahme (gleichwohl 1973 abgeschafft).
    M.a.W.: das oben inhaltlich zitierte Gesetz trifft überhaupt nicht zu, weil es sich bei der rituellen Beschneidung weder um eine Erziehungsmaßnahme handelt noch um eine entwürdigende Maßnahme.

  122. #122 Physiker
    26. September 2012

    @MartinB:

    Darüber hinaus ist – wie schon unendlich oft wiederholt – das medizinische Argument keins, das wirklich sticht, weil die Beschneidung auch ohne den angenommenen medizinischen Nutzen seit Tausenden Jahren durchgeführt wird und man sie auch weiter durchführen wollen würde.

    Worauf bezieht sich das “man” (hervorgehoben von mir)?
    Auf die Eltern?
    Dann wäre obiges eine ganz üble Unterstellung. Sie würden dann den religiösen Eltern vorwerfen selbst dann noch an einem Ritual festzuhalten, wenn sie definitif wüssten, dass die Beschneidung dem Kind gesundheitlich schadet. Das ist aber reine Spekulation.
    Auf die Religionsvertreter?
    Dann sehe ich nicht die Relevanz um die medizinischen Argumente (auf die Sie ja doch in so gut wie jedem zweiten Kommentar zurückkommen) beiseite zu schieben. Denn die Religionsvertreter können doch vom Kondomverbot bis zum Blut-Transfusionsverbot proklamieren was sie wollen (mal abgesehen von extremen Ausnahmen) – relevant sind trotzdem immer medizinische Argumente. Warum soll das ausgerechnet bei einer Operation anders sein?

  123. #123 Physiker
    26. September 2012

    @MartinB:

    […] und bitte auch den Text lesen, der oben (von Wolf) verlinkt wurde.

    Bitte den Originaltext im Kontext lesen und nicht den aus dem Zusammenhang gerissenen Teil von Kommentator Wolf. Denn die zitierte Gesetzeslage in Box 4 schildert laut Text ja gerade eine gescheiterte Politik die weiterhin zu zahlreichen Todesfällen geführt hat (es geht dort um ein Beispiel aus einem südafrikanischem Land in dem laut spezieller Tradition Jugendliche bei Erreichung der Volljährigkeit beschnitten werden). Die WHO empfiehlt – wie zitiert – die Beschneidung von Säuglingen unter bestimmten Randbedingungen, mit der Betonung, dass die Eltern sich frei dafür oder dagegen entscheiden können. Verfälschendes Zitieren ändert daran nichts.

  124. #124 MartinB
    26. September 2012

    @Physiker
    Nein, das ist keine Spekulation und auch keine Unterstellung. Oder wollen Sie mir erzählen, dass auch vor 2000 Jahren keine Kinder bei der Beschneidung mit Krankheiten infiziert wurden (Infektionen kommen ja selbst heutzutage noch vor) oder an anderen Folgen zu leiden hatten? Da man damals von Dingen wie HPV nichts wusste und es AIDS noch nicht mal gab, kann man von etwaigen positiven Folgen wohl kaum etwas gewusst haben. Nur weil man heutzutage vielleicht eine Rationalisierung finden kann, gilt die ja nicht rückwirkend.

    “unter bestimmten Randbedingungen”
    Die in Deutschland definitiv nicht gegeben sind.

    @Ludger
    Wenn das Gesetz dann also nicht zutrifft, heißt das, dass man sein Kind schlagen dürfte, wenn man es nur nicht entwürdigend oder als Erziehungsmaßnahme tut? Ernsthaft?

  125. #125 Ludger
    26. September 2012

    @MartinB
    Es geht um Körperverletzung, genau um gefährliche Körperverletzung nach § 224 StGB und die Ausnahmen von der Strafbarkeit im Zusammenhang mit der rituellen Beschneidung. Auf Deine Frage: Man kann sein Kind z.B. schlagen, wenn man sein Trainer im Boxsport ist. Dann wäre es weder zur Erziehung noch entwürdigend und dann m.E. nicht strafbar.

  126. #126 Schmidts Katze
    26. September 2012

    Es ist schon erstaunlich, auf welch absurde Vergleiche manche Leute kommen.
    @ Ludger, falls das kein Scherz war, meinst du, daß du nicht die Zustimmung deines Kindes brauchst, um es zu boxen, und daß deine stellvertretende Zustimmung ausreicht?

  127. #127 Meerwind7
    Berlin
    27. September 2012

    Beschneidung = Dauerschaedigung?
    (Zum Zeit-Artikel:) Vielleicht gibt es nur 100.000 Deutsche jüdischen Glaubens, aber allein hier im Bezirk Kreuzberg vermutlich 100.000 Moslems. Hier geht es den Schutz von vielleicht 80% der Grundschüler.
    Der Artikel nennt eigentlich ein gutes Argument für ein Verbot: Streng gläubige lassen sich davon nicht abhalten. Eine Beschneidungs-Reise ins Ausland könnte man ja legalisieren. Dann wurden wenigstens die Fälle verhindert, wo die Eltern nicht so eindeutig positioniert sind.

    Außerdem sollte Forschung über die Dauerfolgen einer Beschneidung angestellt werden.
    Beispielsweise zum sexuellen Erleben und zur Potenz in unterschiedlichen Lebensphase, als junger Mann,im Alter oder bei Beeinträchtigungen wie z.B. einer Prostatektomie.

  128. #128 Ludger
    27. September 2012

    @Schmidts Katze 26. September 2012
    Richtig. Es ging bei dem Vergleich darum, MartinBs Gegenfrage

    @Ludger Wenn das Gesetz dann also nicht zutrifft, heißt das, dass man sein Kind schlagen dürfte, wenn man es nur nicht entwürdigend oder als Erziehungsmaßnahme tut? Ernsthaft?

    als nicht zutreffend zu kennzeichnen.

  129. #129 MartinB
    27. September 2012

    @Ludger
    Nich alles, was hinkt, ist ein Vergleich.
    Offensichtlich geht es aber ja um Kinder, die nicht einwilligungsfähig sind. Ich glaube nicht, dass du einen Säugling schlagen dürftest mit der Begründung, es sei Boxsport.

  130. #130 Schmidts Katze
    27. September 2012

    @ Ponder 25. September 2012,

    Für Peter Singer setzt also das menschliche Recht auf körperliche Unversehrtheit ohnehin deutlich nach dem 8. Lebenstag erst ein – also dürfte entweder die Beschneidung von 8 Tage alten Säuglingen noch nicht in die Kategorie des menschlichen Rechts auf körperliche Unversehrtheit fallen – oder die genannten Spezies bekommenkonsequenter Weise auch Persönlichkeitsrechte und damit das Recht auf körperliche Unversehrtheit.

    Das ist natürlich Unsinn. Auch wenn Singer einen Preis der GBS erhalten hat, macht das seine Aussage nicht richtig, dafür würde nicht mal ein Nobelpreis ausreichen.

    Denn erstens, auch wenn ein menschliches nicht von einem Primatenbaby zu unterscheiden ist, es hat die Fähigkeit, sich zu entwickeln, die ein Affe nicht hat, und zweitens, es ist auch verboten, an kleinen Hunden rumzuschnippeln, warum sollte es bei Menschen erlaubt sein, wenn sie sich nicht unterscheiden?

    Ansonsten sind in deinem Post einige Themen angerissen, zu Rauchen, Impfen und dem Rechtsverhältnis Eltern/Kind wurde dir ja schon geantwortet, zu Ohrsteckern würde mich interessieren, ob deiner Meinung nach die Eltern ihr Kind dazu zwingen dürfen sollen, die selbe Frage zum Sport.

    Als ich in den Fussballverein eingetreten bin, brauchte ich übrigens ein Attest, allerdings nicht vom Amts- sondern von meinem Hausarzt.

  131. #131 Ludger
    27. September 2012

    @ Martin

    […]heißt das, dass man sein Kind schlagen dürfte, wenn man es nur nicht entwürdigend oder als Erziehungsmaßnahme tut?

    Du wolltest eine Ausnahme von der Regel haben und hast sie bekommen. Die Kriterien für eine gewaltfreie Kindererziehung passen eben nicht auf eine rituelle Beschneidung in einer Synagoge ( https://www.youtube.com/watch?annotation_id=annotation_822076&feature=iv&list=UL&src_vid=QWsOnFIrf_o&v=xTxD6l-8ppw ). Das Procedere ist nicht entwürdigend, sondern sogar sehr voller Würde und Liebe für das Kind, trotzdem eine gefährliche Körperverletzung nach § 224 StGB. Man muss das also bestrafen oder die Bedingungen für eine Ausnahmeregelung schaffen. Wie und warum, das ist eine politische Entscheidung. Und wenn man es ganz genau wissen will, dann muss man gegen die neue Ausnahmeregelung von der Strafbarkeit der gefährlichen Körperverletzung nach § 224 StGB vor dem Bundesverfassungsgericht klagen. Magenschmerzen haben wir bei einer solchen Ausnahmeregelung wahrscheinlich alle. Aber das Strafrecht muss praktikabel bleiben, auch wenn dabei eigenartige Ergebnisse herauskommen wie z.B. bei der Regelung des Schwangerschaftsabbruches mit Fristenregelung (§ 218a Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs
    (1) Der Tatbestand des § 218 ist nicht verwirklicht, wenn […]).

  132. #132 MartinB
    27. September 2012

    @Ludger
    “Du wolltest eine Ausnahme von der Regel haben und hast sie bekommen.”
    Ja, aber ich frage mich halt nach wie vor, was z.B. passieren würde, wenn ich eine Religion gründe, bei der Säuglinge rituell geschlagen werden o.ä.
    Mir ist schon klar, dass man eine praktikable Regel schaffen will und dass die immer problematisch sein wird, ich frage mich aber eben, wie man das wirklich rechtfertigt (außer durch “Tradition”).

  133. #133 Ludger
    27. September 2012

    …wie man das wirklich rechtfertigt …

    Gar nicht. Für eine Beibehaltung der jetzigen Rechtssituation sind schlicht die Gefängnisse zu klein.

    Strafrahmen des § 224 : Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

    Man kann eine solche jahrtausende alte Tradition nicht plötzlich gegen den Willen der Betroffenen abschaffen. Man kann sicher mit Reformjuden darüber debattieren, mit Muslimen oder orthodoxen Juden wird das zu keinem Ergebnis führen.

  134. #134 MartinB
    27. September 2012

    @Ludger
    O.k., das verstehe ich.

  135. #135 Physiker
    27. September 2012

    @MartinB (26. September 2012):

    Oder wollen Sie mir erzählen, dass auch vor 2000 Jahren keine Kinder bei der Beschneidung mit Krankheiten infiziert wurden (Infektionen kommen ja selbst heutzutage noch vor) oder an anderen Folgen zu leiden hatten? Da man damals von Dingen wie HPV nichts wusste und es AIDS noch nicht mal gab, kann man von etwaigen positiven Folgen wohl kaum etwas gewusst haben. Nur weil man heutzutage vielleicht eine Rationalisierung finden kann, gilt die ja nicht rückwirkend.

    Das mag sein, ist aber immer noch keine Begründung dafür heutzutage medizinische Argumente zu verwerfen. Nochmal: Sie lehnen medizinische Argumente ab a) weil es angeblich “schon immer so war”, dass niemand medizinische Gründe vorgebracht hat b) weil igendjemand der nicht näher spezifiziert wird angeblich eine fundamentalistische Ansicht vertritt (und wissentlich gesundheitliche Nachteile zugunsten eines religiösen Tradition billigend in Kauf nehmen würde).

  136. #136 MartinB
    27. September 2012

    @Physiker
    Langsam wird es unlauter.

    Ich habe argumentiert, dass medizinische Gründe für diejenigen, die religiöse Beschneidungen durchführen wollen, irrelevant sind, weil diese auch ohne jeden medizinischen Nutzen beschneiden lassen würden.
    Darauf Sie:
    “Sie würden dann den religiösen Eltern vorwerfen selbst dann noch an einem Ritual festzuhalten, wenn sie definitif wüssten, dass die Beschneidung dem Kind gesundheitlich schadet. Das ist aber reine Spekulation”
    Ich habe dann deutlich gemacht, dass das keine Spekulation.ist, sondern 2000jährige Praxis.
    So herum läuft die Argumentation, nicht anders herum.

  137. #137 Physiker
    27. September 2012

    @Ludger:

    Das Procedere ist nicht entwürdigend, sondern sogar sehr voller Würde und Liebe für das Kind, trotzdem eine gefährliche Körperverletzung nach § 224 StGB.

    Nein. Es hat doch sogar das LG Köln im diskutierten Urteil erkannt, dass es sich um keine gefährliche Körperverletzung handelt:

    Der äußere Tatbestand von § 223 Abs. 1 StGB ist erfüllt. Nicht erfüllt sind die Voraussetzungen von § 224 Abs. 1 Nr. 2, Alternative 2 StGB. Das Skalpell ist kein gefährliches Werkzeug im Sinne der Bestimmung, wenn es – wie hier – durch einen Arzt bestimmungsgemäß verwendet wird

  138. #138 Ludger
    27. September 2012

    @ Physiker 27. September 2012
    Kann man mal sehen, habe ich in der Rechtsmedizinvorlesung anders gelernt.

  139. #139 s.s.t.
    27. September 2012

    @Ludger

    Kann man mal sehen, habe ich in der Rechtsmedizinvorlesung anders gelernt.

    Liegt evtl. an dem Wörtchen “bestimmungsgemäß”.

    Aber da es ja dem Willen des BMG weder gesundheitliche noch religiöse Gründe eine Rolle spielen, ist das eh alles müßig. Denn allein der Elternwille soll ausschlaggebend sein, es sei denn der Säugling sagt vor dem Schnitt laut und vernehmlich “Einspruch”.

    Und das schöne daran ist weiter, das Schnippeln kann jeder Hinz und Kunz durchführen, sofern er schon mal einen OP-Tisch gesehen hat; so eine Art von Barfußarzt-Beschneider.

  140. #140 sol1
    28. September 2012

    @ Ludger

    Die Kriterien für eine gewaltfreie Kindererziehung passen eben nicht auf eine rituelle Beschneidung in einer Synagoge ( https://www.youtube.com/watch?annotation_id=annotation_822076&feature=iv&list=UL&src_vid=QWsOnFIrf_o&v=xTxD6l-8ppw ). Das Procedere ist nicht entwürdigend, sondern sogar sehr voller Würde und Liebe für das Kind…

    Das Video gehört zum entsetzlichsten, was ich je gesehen habe – und da bin ich nicht alleine:

    Latasch verlas zunächst wahllos wirkende Blogeinträge zum Thema, deren einzige Gemeinsamkeit darin bestand, dass sie im Internet zu lesen waren. Sein Ziel bestand offenbar darin, kinderrechtliche Argumente mit antisemitischen und ausländerfeindlichen Aussagen in einen Topf zu werfen. Den Offenen Brief zur Beschneidung von Professor Dr. med. Matthias Franz, der von hunderten Medizinern und Juristen unterzeichnet worden war, verlas Latasch ausschnittweise aus dem Kontext gerissen und bezeichnete die Passage, in der die Beschneidung als sexuelle Gewalt bezeichnet wird, einfach mal als „ungeheuerlich“.

    Besonders hervorzuheben ist an Lataschs Vortrag jedoch, dass er einen kleinen Ausschnitt aus einem Video zeigte, in welchem die Beschneidung eines wenige Tage alten Säuglings dargestellt wird. Mehrere Männer machen sich am Körper und am Penis des Winzlings zu schaffen, woraufhin der so herzzerreißend schreit, dass viele im Publikum nach Luft schnappten, den Kopf schüttelten, fassungslos schienen. Derweil kommentierte Latasch völlig ungerührt den Eingriff: „Der Mohel tunkt mehrfach den Zeigefinger in süßen Wein.“ „Das Präputium wird nach vorne gezogen, mit Hilfe einer Knopfsonde wird die Verklebung gelöst. Eine Metallplatte…“ Eine Frau fiel ohnmächtig um, jemand rief nach einem Arzt. Einer im Publikum schrie: „Das ist Sadismus!“ Latasch blickte kurz auf, als die Frau ohnmächtig wurde, wartete kurz ab, und setzte dann seine Ausführungen fort, leierte die medizinischen Vorteile der Vorhautamputation herunter. Die Krönung seines Vortrags war der Satz, dass das Kind für den Eingriff nüchtern sein müsse. „Wir wissen also gar nicht, ob das Neugeborene nicht auch aus Hunger schreit oder weil es festgehalten wird“.

    https://hpd.de/node/13899

  141. #141 Ludger
    28. September 2012

    Es ging um das Entwürdigende der Handlung:

    MartinB
    26. September 2012
    “als Ausganspunkt das Elternrecht gewählt hat.”
    Da muss man aber genauso abwägen, insofern sehe ich nicht, dass man viel gewinnt. Und geradebeim Elternrecht leuchtet zumindest mir dann nicht ein, wieso man dann Beschneiden darf, aber nicht (was vermutlich weniger schmerzhaft ist) ohrfeigen. Ist das nicht unlogisch?
    Das gesetz sagt ja
    “Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.”
    […] Das Video zeigt alles mögliche, aber keine entwürdigende Handlung, auch keinen Sadismus. Ältere herren die auf diese Weise Blutstillung betreiben, finde ich auch befremdlich. Wer eine sadistisch angehauchte Beschneidung sehen will. soll sich das Video mit der Gomcoklemme anschauen. Keine älteren Herren aber ein Arzt (?), der auf die Schmerzen des Kindes keine Rücksicht nimmt. Man kann ja mal die OP-Zeiten vergleichen. Man kann in der Erwachesnenmedizin übrigens kleine Hauttumoren mit Scherenschlag und ohne Betäubung entfernen, weil die Lokalanaesthesie stärker schmerzen würde, als der Scherenschlag. Mir ist schon klar, dass man mit dem von mir verlinkten Video große Empörung auslösen kann. Aber von Entwürdigung und Lieblosigkeit sehe ich da nichts.

  142. #142 MartinB
    28. September 2012

    @Ludger
    Ich habe auch nicht von Sadismus gesprochen, sondern von Gewalt. Wenn einem Säugling ein Stück Haut weggeschnitten wird (gern auch ohne Betäubung), ist das dann keine Gewalt oder ist das keine Erziehung?
    So sehr ich die Notwendigkeit einsehe, die den Gesetzgeber dazu zwingen mag, hier für Rechtsfrieden zu sorgen, so wenig leuchtet mir die tatsächliche Begründung ein, was aber daran liegen mag, dass ich eben kein Jurist bin und nur ein paar Mal in Juristen-Vrlesungen und -Seminare reingeschnuppert habe.

    “Man kann in der Erwachesnenmedizin übrigens kleine Hauttumoren mit Scherenschlag und ohne Betäubung entfernen”
    Stimmt, habe ich auch schon erlebt – aber soweit ich es verstehe, dürfte das für die extrem Nervendurchzogene Vorhaut ebenso wenig gelten, wie man es vermutlich bei einer Fingerkuppe machen könnte.

  143. #143 Ludger
    28. September 2012

    @ Martin
    Das wort Sadismus kommt aus dem Beitrag darüber, ich meinte also nicht Deinen Beitrag. Leider kann man seine Beiträge hier nicht editieren, sonst hätte ich das durch bessere Zitattechnik deutlich gemacht. Mein letzter Beitrag bezieht sich also direkt auf den Beitrag von sol1 vom 28. September 2012 . Insofern möchte und kann ich Dir gar nicht widersprechen. Im genannten Beitrag gibt es den Link https://hpd.de/node/13899 zum Humanistischen Pressedienst, dort einen Link zur FAZ-NET mit der Überschrift “Jacobs Beschneidung ” und einer Zkizze des Operationstisches des anderen Beschneidungsvideos mit dem m.E. sadistischen Arzt. ( https://video.google.com/videoplay?docid=8212662920114237112 ). Das ist was für Leute mit starken Nerven, Vorsicht also! Medizinisch “korrekt” aber grauenhaft. Eine Regelung geht nur mit den betroffenen Glaubensrichtungen, nicht gegen sie, auch wenn das Ergebnis rechtsphilosophisch problematisch ist. Gomcoapparate sollte man ganz verbieten, weil sie für eine therapeuteisch Zirkumzision suboptimal und für Neugeborene unnötig schmerzhaft sind. Die hygienischen Bedingungen der Zirkumzision in der Synagoge sind nicht akzeptabel und bedürfen einer Regelung. Das sieht offensichtlich der Ethikrat auch so: https://www.ethikrat.org/presse/pressemitteilungen/2012/pressemitteilung-09-2012

  144. #144 Ludger
    28. September 2012

    @ sol1
    Es gibt zwei Videos. Das geht sowohl bei dem Humanistischen Pressedienst als auch bei FAZ-NET etwas durcheinander.

  145. #145 sol1
    28. September 2012

    @ Ludger

    Es gibt zwei Videos.

    Ich kenne beide Videos und finde sie beide grauenerregend. Die Schmerzen, die einem Säugling dabei zugefügt werden, sind extrem, weil die Vorhaut bei ihnen mit der Eichel verklebt ist.

    Wenn ein Baby bei dieser Prozedur aufhört zu weinen, dann nicht weil die Schmerzen aufhören, sondern weil es in einen Schockzustand verfällt.

  146. #146 Physiker
    5. Oktober 2012

    @MartinB (27. September 2012):
    Sorry, für die verspätete Antwort – dafür umso ausführlicher:

    […] Ich habe dann deutlich gemacht, dass das keine Spekulation.ist, sondern 2000jährige Praxis.
    So herum läuft die Argumentation, nicht anders herum.

    Na genau das ist doch die Spekulation/Unterstellung: Seit ca. 2000 Jahren sollen Juden Ihre Jungen angeblich wider besseren Wissens beschneiden, d.h. sie wissen/wussten darum bescheid, dass die Beschneidung insgesamt schädlich für Ihre Kinder ist – führten sie aber weiterhin durch. Das ist ganz schön starker Tobak. Können Sie wirklich belegen, dass seit 2000 Jahren medizinische Argumente keine Rolle bei der Entstehung/Beibehaltung dieser Glaubensvorschrift gespielt haben? Ist es wirklich unvorstellbar, dass sich unter den damaligen hygienischen Zuständen (z.B. Wassermangel) eine Beschneidung viel vorteilhafter auf die Gesundheit ausgewirkt hat als heute? Simple Infektionen (wie z.B. Harnwegsinfektionen) waren während 95% dieser Zeitspanne eine ernste und z.T. tödliche Gefahr. Ich denke es ist sehr plausibel, dass viele Menschen die religiöse Tradition nur respektieren und respektiert haben, weil sie vermuten, glauben oder wissen dass damit auch gesundheitliche Vorteile für ihr Kind verbunden sind. Und dass diese Vermutung recht plausibel ist, zeigt doch das Kondomverbot in der katholischen Kirche: wenn es um die Gesundheit geht, dann können die Religionsvertreter von der Kanzel predigen was sie wollen – befolgt wird es so gut wie nicht.

    Zum zweiten Punkt, dem Sie ausgewichen sind:
    Sind Sie mit mir einer Meinung, dass jemand, der die Gesundheit seiner Kinder ausschliesslich aufgrund eines religiösen Gebotes bewusst schädigt, ein Fundamentalist ist?
    Falls ja, wüsste ich gerne warum Sie Ihren gesamten Blog-Artikel als Antwort auf eine fundamentalistische Argumentation formulieren – ohne den dahinterliegenden Fundamentalismus anzugreifen. Falls nein, wüsste ich gerne, warum ein solcher Mensch für Sie kein Fundamentalist ist.

  147. #147 MartinB
    5. Oktober 2012

    @Physiker
    Das meinen Sie nicht ernst, oder? Unter den damaligen hygienischen verhältnissen eine Operation durchzuführen, die auch heute, wenn ich es richtig sehe, zu Entzündungen führen kann (die wir heute mit Antibiotika behandeln) soll eine vorteilhafte Maßnahme sein? Wie soll man denn das statistisch ermittelt haben? Mit p kleiner 0.05, oder wie? (Und klar, die bösen bösen harnwegsinfektionen waren sicher vieeel schlimmer als die offene Wunde bei einer Beschneidung. Eigentlich zeigt die Erfahrung wohl schon, dass offene Wunden sich eher infizieren als Harnwege, oder nicht?)

    Selbst die Bibel weiß übrigens, dass die Beschneidung nicht eben schmerzfrei und hamrlos verläuft, siehe hier:
    https://www.sonntagsblatt-bayern.de/news/aktuell/2012_30_21_01.htm
    (Suchen Sie nach Hiwiter)
    Oder Josua 5.8
    “Und da das ganze Volk beschnitten war, blieben sie an ihrem Ort im Lager, bis sie heil wurden.”

    (Und wenn Sie mir jetzt erzählen, dass man deshalb evidenzbasiert lieber Säuglinge beschnitten hat, dann ist Ihr Realitätsverlust wohl komplett.)

    “Sind Sie mit mir einer Meinung, dass jemand, der die Gesundheit seiner Kinder ausschliesslich aufgrund eines religiösen Gebotes bewusst schädigt, ein Fundamentalist ist?”
    Sagen Sie mir, wie Sie Fundamentalist definieren, und ich sag’s Ihnen. Ich habe diesen Begriff nicht verwendet, weil es ein Schubladen-Begriff (und ein Kampfbegriff) ist. Er trägt meiner Ansicht nach nichts zur Klärung der Problematik bei.

  148. #148 Physiker
    8. Oktober 2012

    @MartinB:

    Das meinen Sie nicht ernst, oder? Unter den damaligen hygienischen verhältnissen eine Operation durchzuführen, die auch heute, wenn ich es richtig sehe, zu Entzündungen führen kann (die wir heute mit Antibiotika behandeln) soll eine vorteilhafte Maßnahme sein? Wie soll man denn das statistisch ermittelt haben? Mit p kleiner 0.05, oder wie? (Und klar, die bösen bösen harnwegsinfektionen waren sicher vieeel schlimmer als die offene Wunde bei einer Beschneidung. Eigentlich zeigt die Erfahrung wohl schon, dass offene Wunden sich eher infizieren als Harnwege, oder nicht?)

    Doch, das meine ich ernst. Ich behaupte, dass es nicht auszuschliessen ist, dass die männliche Beschneidung gerade zu historischen Zeiten einen gesundheitlichen Vorteil brachte und dass sich deshalb dieses Ritual so weit verbreitet in praktisch allen Erdteilen wiederfindet. Dass ein medizinischer Eingriff weit verbreitet ist muss natürlich nicht daran liegen, dass er gesundheitliche Vorteile bringt, aber es ist eben möglich. Und wenn es möglich ist, dass gesundheitliche Gründe bei der Entstehung und Beibehaltung des Beschneidungsritus eine Rolle gespielt haben, dann ist eben die gegenteilige Annahme reine Spekulation. Insbesondere die pauschale Unterstellung dass Juden ihren Kindern bewusst gesundheitlichen Schaden zufügen. Und Bibelzitate oder persönliche Erfahrungen machen es nicht weniger zur Spekulation. Deshalb verteidige ich auch ganz entschieden Juden und Muslime gegen diese pauschale Unterstellung.
    Darüber hinaus ist meine Behauptung auch nicht sonderlich abwegig, sondern bestens durch die Literatur gestützt. Die Einführung der Beschneidung in den USA/England im späten 19.Jhd. ist z.B. auch durch gesundheitliche Argumente gestützt:

    In the late 19th century, lower disease prevalence among Jews in the United Kingdom was ascribed to circumcision, which became increasingly common in English speaking industrialised countries as physicians advocated it for preventing a range of conditions.

    Natürlich haben sich einige der gesundheitlichen Begründungen später als falsch herausgestellt, wie die historische Betrachtung in den USA zeigt. Daraus lässt sich aber schlecht der Vorwurf machen, es würde bewusst und absichtlich den Jungen gesundheitlicher Schaden zugefügt.
    Zur Entstehung des Beschneidungsritus in der jüdischen Religion findet man übrigens in der Fachliteratur verschiedene Theorien – unter anderem diese hier:

    […] This article presents evidence of former times when circumcision was performed in the ancient Egyptian, Coptic and Ethiopian cultures, probably as a therapeutic measure to combat the ravages of schistosomal infectious symptomatology. How this health measure was converted to a religious rite and the confusion caused by this misunderstanding is fully explored. The association of an operative procedure as a religious ritual among Jews, and Christian Biblical ambiguity toward it, has further clouded the issue. Neonatal circumcision has been perpetuated in many societies and cultures, not because of the Jews and their Covenant of Circumcision, but because of its merit as a secular surgical prophylactic health measure. This article explores an interesting issue from its beginning to contemporary research and findings that justify the procedure as a viable option in maintaining and promoting quality genital health care for males of all ages.

    Das ist fast wortwörtlich das was ich zuvor schrieb. Sie dürfen also ruhig meinen Einwand ernst nehmen.

  149. #149 MartinB
    8. Oktober 2012

    Erklären Sie doch mal, wie man das herausgefunden haben soll? Irgendwer muss ja mal aus irgendeinem Grund mit der Beschneidung angefangen haben. Oder hat da irgendjemand gesagt “He, wir haben dauernd harnwegsinfektionen, da ist es bestimmt ne Superidee, mal vorn ein bisschen Haut wegzuschnipseln”? Und dann hat man eine doppelt-verblindete Studie gemacht, oder wie?

    Auf den Artikel habe ich keinen Zugriff, und irgendwer hat neulich mal gesagt, man solle nicht nur abstracts zitieren, das sei gefährlich (wer war das bloß)?

    Ich verweise aber mal darauf, dass der Artikel nicht ganz unumstritten zu sein scheint, um es mal vorsichtig auszudrücken:
    https://www.historyofcircumcision.net/index.php?option=content&task=view&id=68

    (Aber ich wette, dass meine Quelle Gaaaaanz unseriös ist und Ihre gaaaaaaanz seriös…)

  150. #150 MartinB
    8. Oktober 2012

    Noch zwei Anmerkungen:
    1. Wir kennen aus allen möglichen Kulturen Rituale, in denen liebende Eltern ihren Kindern Schmerzen zuführen oder sie in irgendeiner Weise verstümmeln – chinesische Fußbandagen, Kopfbandagen, Mädchenbeschenidungen, Halsringe, Scheiben in den lippen und und und. Anzunehmen, dass ausgerechnet das beschneidungsritual wegen eines medizinischen Vorteils eingeführt wurde, bedarf deshalb eines guten Belegs. (Und alle diese Rituale werden von liebenden Eltern durchgeführt, die ihre Kinder deswegen nicht weniger lieben als wir.)

    2. Die Bibelstellen sind ja keine Spekulation – es wird hier nicht nur klar gesagt, dass die BEshcneidung schwere Nebenwirkungen hatte (so schwere, dass sie am Weiterreisen und am Kampf ums eigene Leben hinderte), viel interessanter ist doch die beiläufigkeit, mit der “bis sie heil waren” geschrieben wird. Die nebenwirkungen waren also nichts, was man groß erklären musste, sondern offensichtlich etwas, das jeder sofort verstand, der davon las.

  151. #151 Adent
    8. Oktober 2012

    @Physiker
    Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Beschneidung allein deshalb eingeführt wurde, um einem religiösen Zirkel zugehörig zu sein und nichts, aber auch gar nichts mit Harnwegsinfektionen zu tun hatte. Deshalb muß jede medizinische Begründung der Einführung sehr gut belegt sein. Merken Sie eigentlich wie platt ihr Argument ist oder muß man nachhelfen? Üblicherweise kommt doch nur von Esoterikern das Argument, weil es nicht zu 100% ausgeschlossen werden kann, kann es auch ganz anders sein. Dem ist eben nicht so und ich denke Martin B hat Ihnen sehr deutlich gemacht, daß die Verlagerung des medizinischen Strohmanns an die Ursprünge des Rituals extrem unglaubwürdig ist.

  152. #152 s.s.t.
    8. Oktober 2012

    Der gesundheitliche Aspekt spielt bei dem derzeitigen Gesetzesentwurf genau Null eine Rolle.

    Jegliche Diskussion darüber ist zumindest in der BRD völlig O.T.

  153. #153 Stefan W.
    9. Oktober 2012

    ca. 04:06 Uhr
    ==
    Damnit Umstellung!

    Ich darf da auch selbst noch mal widersprechen:

    Impfungen werden von der WHO empfohlen. Beschneidungen werden auch von der WHO empfohlen. Die Vorteile beider Empfehlungen kommen ganz besonders in Ländern zum Tragen, in denen Infektionskrankheiten – anders als bei uns – schwer unter Kontrolle zu bringen sind. Wir haben also in beiden Fällen einen körperverletzenden Eingriff, * der nicht zwingend notwendig ist * der aber einen anerkannten prophylaktischen Nutzen, verbunden mit Risiken und Nebenwirkungen, hat * der von der WHO empfohlen ist

    Die WHO ist ja nicht an das dt. Grundgesetz gebunden. Dennoch ist es so, dass sie die Beschneidung weder in Deutschland, noch an Minderjährigen empfiehlt.

    Als WHO kann sie auch Empfehlungen zum Herdenschutz abgeben, die im Konflikt zum dt. Grundgesetz stehen, insbesondere für Länder, die nicht die Bundesrepublik Deutschland sind.

    Einen Säugling in Deutschland zu amputieren, weil es ihm, wäre es ein geschlechtsreifer Mann in Kenia, die WHO empfehlen würde ist eine alberne Argumentation – damit kann man auch Frauen in Deutschland beschneiden (das scheint ja immer ein Türöffnerargument zu sein).

    Man kann eine solche jahrtausende alte Tradition nicht plötzlich gegen den Willen der Betroffenen abschaffen.

    Wolltest Du sagen man könne nicht gegen den Willen der Täter diese Tradition abschaffen? Wie konnte man dann die Prügelstrafe gegen den Willen von viel mehr Tätern abschaffen? Eine womöglich viel ältere Tradition?

    Dieses vermeintliche Gewicht, das mit “Jahrtausende” einhergeht, möchte ich auch attackieren. Jeder Einzelne, der die Tradition fortsetzen will, kennt sie erst von seiner Geburt an – ob die Tradition nun 100 Jahre alt ist, oder 10 000. Und da es eine schädliche, eine brutale Tradition ist, die jeden Humanisten schockiert, ist die Erleichterung für jeden groß, der lernt, dass er sie ablegen darf. Das mag gönnerhaft klingen, aber im Grunde ihres Herzens wollen Juden und Moslems ihren Kindern nicht wehtun, und bezweifeln selbst den Sinn der Maßnahme.

    Wenn es dann jemand mit 18 immer noch tun will, dann soll er – so er jemanden findet, der es in die Tat umsetzt. Ich denke, dass man sehr wohl gegen den Willen der Täter und der potentiellen Täter dieser Praxis ein Ende setzen muss.

    Was da als Kompromiss oder einschleichende Dosierung sich jemand ausdenkt – wenn man das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit ernst nimmt bleibt da wenig Spielraum um “Nichtbeschneidung auf Probe” oder was immer zu praktizieren.

    (und Abo)

  154. #154 StefanL
    9. Oktober 2012

    @Physiker – gesundheitlich/medizinischer Vorteil? Was ist denn darunter überhaupt zu verstehen? Ein wenig Zielorientierung existiert doch auch in der Medizin. Primär lebenserhaltende und lebensverlängernde Maßnahmen? Sekundär die Verbesserung der Lebensqualität( sicherlich kann auch darüber trefflich diskutiert werden)? Also dann Pallativmedizin, auch Impfungen (z.b. Polio), Behandlung von Fehlbildungen – objektive Entstellungen( bspw. Klumpfuß; ebenso Unfälle usw.) und subjektive Empfindungen ( Nasenkorrekturen(im Gegensatz zu “Rekonstruktion”), Botoxbehandlungen, Brustvergrößerungen, Penisverlängerung…). Da fällt Phimose durchaus unter pallativ oder objektive Fehlbildung aber beliebige Zirkumzision ordnet sich wohl eher in den subjektiven Bereich ein. Evidenzbasiert ist ja auch da bei der unbeschnittenen Mehrheit der männlichen Weltbevölkerung weder über geschichtlich historische Zeiträume(bspw. keltische Tradition) noch gegenwärtig eine verminderte allgemeine Lebensqualität festzustellen. Und auch bei den gelegentlich angemerkten alten Ägyptern ist der Hintergrund mythologisch und nicht medizinisch basiert: ewiges Leben oder zumindest Erneuerung bei Schlangen durch Abstreifen der alten Haut – Assoziationen seien dem Leser überlassen… Und als primärer gesundheitlich-medizinischer Vorteil? Langes Leben. China, Okinawa, Ecuador und ein Beispiel mit “traditionalisiertem Beschneidungshintergrund” – Hunza. Und dazu Wiki Hunza : The people of Hunza are by some noted for their exceptionally long life expectancy,[10] others describe this as a longevity narrative and cite a life expectancy of 53 years for men and 52 for women, although with a high standard deviation.[11]
    Nun die gegenwärtige Lebenserwartung in Industriestaaten liegt derzeit um die 80 Jahre. Aber auch das-dorf-der-methusaleme in Europa ohne Beschneidungstradition.

  155. #155 MartinB
    9. Oktober 2012

    @StefanL
    Die Argumente für gesundheitliche Vorteile des Physikers kannst du drüben auf “Frischer Wind” nachlesen (wobei alle Quellen, die keine solchen Vorteile finden, als ungeeignet, voreingenommen etc. deklariert werden.)

  156. #156 Stefan W.
    10. Oktober 2012

    01:58 Uhr
    ===
    (Off topic: Benachrichtigung funktionierte nicht – geht das anderen auch so? Gibt es einen Sammelthread für Probleme mit der Umstellung wo ich dies besser posten sollte statt hier?)

  157. #157 rolak
    10. Oktober 2012

    Es gibt mindestens einen, Stefan W., wegen der Nähe zur Redaktion würde ich jenen empfehlen. Die Vorschau ist allerdings schon als ‘in Arbeit’ deklariert.
    Noch wurde ja kein Zeitrahmen verkündet, doch selbst dann müßte nach der alten software-development-Formel die Dauer erfahrungsgemäß verdoppelt werden. Plus 15% zum Abdecken unerwarteter Schwierigkeiten 😉

  158. #158 MartinB
    10. Oktober 2012

    @rolak, StefanW
    Ja, man schaut gerade, welche WürgPress-Plugins man hier noch alle einbauen muss, damit alles schön wird.
    Wird schon werden…

  159. #159 Physiker
    10. Oktober 2012

    @MartinB (8. Oktober 2012):

    Erklären Sie doch mal, wie man das herausgefunden haben soll? Irgendwer muss ja mal aus irgendeinem Grund mit der Beschneidung angefangen haben. Oder hat da irgendjemand gesagt “He, wir haben dauernd harnwegsinfektionen, da ist es bestimmt ne Superidee, mal vorn ein bisschen Haut wegzuschnipseln”? Und dann hat man eine doppelt-verblindete Studie gemacht, oder wie?

    Auch ohne doppelt-verblindete Studien gab es z.B. im alten Ägypten schon medizinische Eingriffe (u.a. die Beschneidung). Lebenslange Schmerzen infolge einer Phimose sind ein sehr guter Grund, irgendwann einmal damit anzufangen. Und wenn mit diesem Eingriff auch noch eine geringere Sterblichkeit verbunden war, können das auch die damaligen Menschen bemerkt haben – die hatten nämlich auch keinen kleineren IQ als wir. Und falls es nicht bewusst bemerkt worden wäre gibt es ja auch noch evolutionäre Prozesse. Wenn man bedenkt, dass die männliche Beschneidung in so gut wie allen Urvölkern weit verbreitet war (präkulumbianisches Amerika, Polynesien, Australien, Afrika,…) spricht sogar einiges für Selektionsvorteile.

    Aber ich wette, dass meine Quelle Gaaaaanz unseriös ist und Ihre gaaaaaaanz seriös…

    Wie bereits geschrieben, gibt es viele Theorien. Ob Sie jemanden für seriös halten, der in einem Review behauptet dass hauptsächlich Ärzte HIV in Afrika verbreiten, überlasse ich Ihnen.

    P.S.: Auf das Paper mit dem teilweise zitierten Abstract habe ich leider auch keinen Zugriff. Immerhin enthält dieser Abstract aber etwas mehr als zwei Stummel-Sätze.

  160. #160 Physiker
    10. Oktober 2012

    @MartinB (8. Oktober 2012):

    1. Wir kennen aus allen möglichen Kulturen Rituale, in denen liebende Eltern ihren Kindern Schmerzen zuführen oder sie in irgendeiner Weise verstümmeln – chinesische Fußbandagen, Kopfbandagen, Mädchenbeschenidungen, Halsringe, Scheiben in den lippen und und und. Anzunehmen, dass ausgerechnet das beschneidungsritual wegen eines medizinischen Vorteils eingeführt wurde, bedarf deshalb eines guten Belegs.

    Hier bin ich grundsätzlich anderer Meinung. Selbst wenn wir annehmen, dass die Eltern so einen Eingriff wohlmeinend durchführen, dann ist es an uns zu belegen, dass dieser Eingriff schädlich für die Gesundheit ist (was in allen Ihren Beispielen – die Jungenbeschneidung ausgenommen – schnell medizinisch belegt sein sollte). Sie drehen die Beweislast um und vorverurteilen Juden und Muslime (und gestehen ihnen gnädigerweise zu, dass sie wohl aus einem Irrtum heraus gehandelt haben). Ich finde hingegen, dass man in einer vernünftigen Diskussion immer von der “Unschuldsvermutung” ausgehen sollte. Insbesondere sollte man also nicht Juden/Muslimen vorwerfen, sie würden seit Jahrhunderten/Jahrtausenden die Gesundheit ihrer Kinder schädigen, wenn man das nicht belegen kann/will. Das ist mein Hauptkritikpunkt an Ihrer Argumentation.

  161. #161 Niels
    10. Oktober 2012

    Und wenn mit diesem Eingriff auch noch eine geringere Sterblichkeit verbunden war, können das auch die damaligen Menschen bemerkt haben – die hatten nämlich auch keinen kleineren IQ als wir. Und falls es nicht bewusst bemerkt worden wäre gibt es ja auch noch evolutionäre Prozesse.

    Ich mach solche Kommentare ja sonst nicht , aber in diesem Fall erscheint es mir ausnahmsweise mal angemessen:
    rofl

  162. #162 MartinB
    10. Oktober 2012

    @Physiker
    Ach so: Weil man bei einer Phimose beschneidet, hat man sich überlegt, dass man klugerweise alle Jungen beschneidet, nur für den Fall. Ja. Das klingt logisch. Total.
    Man hat eine Operation, die ein bestimmtes Leiden zuverlässig behandelt, und kam dann irgendwan auf die Idee, diese Operation gleich mal vorbeugend durchzuführen, weil…?

    ” Insbesondere sollte man also nicht Juden/Muslimen vorwerfen, sie würden seit Jahrhunderten/Jahrtausenden die Gesundheit ihrer Kinder schädigen, wenn man das nicht belegen kann/will. ”
    Dass Kinder geschädigt werden (Schmerzen, nebenwirkungen etc) ist ja wohl kaum von der Hand zu weisen. Wer behauptet, dass diese offenischtlichen Nachteile (was war noch mal der Auslöser der ganzen Debatte?) durch medizinische Vorteile ausgeglichen wurden und dass man das wusste, der ist in der Beweispflicht, nicht umgekehrt. Sie haben eine Behautung aufgestellt, nömlich “Anders als alle möglichen anderen Rituale beruht das der beshcneidung auf medizinischen Erkentnissen” – dann müssen Sie die auch belegen. Von dem zweifelhaften abstract mal abgesehen (haben Sie das paper eigentlich gelesen, oder reicht es bei Ihnen, abstracts zu zitieren) sieht es da mit der Beweislage ja eher dünn aus, um es vorsichtig zu sagen.
    “Und wenn mit diesem Eingriff auch noch eine geringere Sterblichkeit verbunden war, können das auch die damaligen Menschen bemerkt haben – die hatten nämlich auch keinen kleineren IQ als wir. ”
    Genau. Die haben dann ne Statistik gemacht und dann irgendwan gemerkt, dass ein signifikant höherer Anteil von unbeschnittenen Männern (woher auch immer man die dann genommen hat) an Harnwegsinfektionen gestorben ist.

    @Niels
    Ich vermeide es ja immer, mit AGW-Leugnern oder SRT-Leugnern zu diskutieren, aber die Mechanismen hier sind schon dieselben, oder?

  163. #163 Physiker
    10. Oktober 2012

    @MartinB:

    Sie haben eine Behautung aufgestellt, nömlich “Anders als alle möglichen anderen Rituale beruht das der beshcneidung auf medizinischen Erkentnissen” – dann müssen Sie die auch belegen.

    Nein. Das habe ich nicht behauptet. Ich habe Sie dafür kritisiert, dass Sie medizinische Gründe ausschliessen. Und wenn Sie medizinische Gründe ausschliessen wollen, dann liegt die Beweislast bei Ihnen. Andernfalls spekulieren Sie.

  164. #164 MartinB
    10. Oktober 2012

    @Physiker
    Das wird mir jetzt zu absurd. Ich schließe medizinische gründe nicht aus, ich fordere einen beleg für ihre Existenz.
    Das ist ja wie mit nem UFO-Gläubigen zu diskutieren. Ich muss nicht beweisen, dass es keine UFOs gibt und auch nicht, dass es keine medizinischen Gründe für die Bescneidung gibt. SIE müssen das beweisen, wenn sie die Existenz behaupten.

  165. #165 s.s.t.
    10. Oktober 2012

    In dem Gesetzesentwurf geht es weder um
    – religiöse Motive, noch um eine
    – medizinische Prophylaxe und erst recht nicht um die
    – Verbesserung des Kindeswohls.

    Der Entwurf erweitert des Elternrecht auf Kosten der männlichen Kinder, nämlich dass die Eltern nach Lust und Laune, denn irgendwelche Motive spielen keine Rolle, den Kinderpenis verstümmeln dürfen. Und als besonderes Schmankerl darf quasi jeder Hinz und Kunz die Verstümmelung durchführen (soweit zu medizinischen Erkenntnissen).

  166. #166 Physiker
    10. Oktober 2012

    @MartinB:

    Man hat eine Operation, die ein bestimmtes Leiden zuverlässig behandelt, und kam dann irgendwan auf die Idee, diese Operation gleich mal vorbeugend durchzuführen, weil…

    … nun mal genau so Traditionen und Rituale entstehen können.

    Von dem zweifelhaften abstract mal abgesehen (haben Sie das paper eigentlich gelesen, oder reicht es bei Ihnen, abstracts zu zitieren) sieht es da mit der Beweislage ja eher dünn aus, um es vorsichtig zu sagen.

    Ich habe bereits geschrieben, dass ich leider auch keinen Zugriff auf dieses Paper habe (siehe “P.S.” weiter oben). Wie kommen Sie zu der Behauptung, dass es “zweifelhaft” sei? Wie kommen Sie zu der Behauptung, dass die Beweislage eher dünn sei, wenn Sie auch keinen Zugriff haben?
    Könnten Sie mir das Paper schicken, falls Sie inzwischen doch noch Zugriff darauf erhalten haben?

    Die haben dann ne Statistik gemacht […]

    Ich weiss nicht was dieser Sarkasmus soll. Wenn tatsächlich 4 Beschneidungen einen Fall von Harnwegsinfektion verhindern, dann könnte das auch ohne moderne Statistik aufgefallen sein. In der Pflanzenheilkunde sind z.T. noch weitaus kleinere Effekte überliefert worden.

  167. #167 MartinB
    10. Oktober 2012

    “Wie kommen Sie zu der Behauptung, dass es “zweifelhaft” sei? ”
    Ich jhabe den von mir angegebenen Link verfolgt und den text dort gelesen… Aber ist schon lustig, dass Sie mir jetzt ne Abstract unterjubeln, wo das doch (als ich das tat) gar nicht geht…

    “dann könnte das auch ohne moderne Statistik aufgefallen sein.”
    Klar. Man hat einfach mal so ein paar Vorhäute abgeschnipselt, um Vorhautverengungen vorzubeugen (und sich nicht an den daraus resultierenden Infektionen etc. gestört) und dann nach Jahren gemerkt, dass die so beschnittenen Leute ein bisschen seltener Harnwegsinfektionen haben. Total plausibel. Braucht keine weiteren Beleg, ist selbstevident.
    Und ja, nach der Aussage, *ich* müsste Belege für die Nicht-Existenz medizinischer Gründe geben, haben Sie bei mir absolut jede Glaubwürdigkeit verspielt.

  168. #168 Niels
    10. Oktober 2012

    @Physiker
    Ich bin mal so nett.
    (Allerdings kann man so alte Artikel dieses Journals anscheinend nur im ASCII-Format runterladen?)
    Prophylactic neonatal surgery and infectious diseases

    Übrigens wurde direkt im nächsten Volume dieses Journals schon ein Verriss dieser Studie veröffentlicht:
    Circumcision and infectious diseases revisited

    Am Sonntag nehm ich die Uploads wieder runter, okay?

    @MartinB
    Genau deshalb halte ich mich aus der Diskussion raus. Außerdem kennen wir alle Physikers Standpunkt zum Thema Beschneidung mittlerweile zur Genüge.
    Und eigentlich hat die medizinische Diskussion hier doch nichts zu suchen, oder?
    Aber als ich die Sache mit den steinzeitlichen Signifikanztests und den “evolutionären Prozessen” gelesen habe, hatte ich zum Glück gerade keinen Kaffee mehr im Mund.
    Da musste ich etwas schreiben. 😉

  169. #169 MartinB
    10. Oktober 2012

    @Niels
    Ja, wahrscheinlich ist es genauso nutzlos wie mit irgendwelchen UFO-Anhängern etc., jedenfalls ist die Argumentationsweise dieselbe.
    Das paper braucht man zum Glück nicht auseinanderzunehmen, das tut der von mir zitierte Link ja schon zur Genüge. Aber ich bin sicher, dass der in der Physiker-Welt gar nicht glaubwürdig ist.

  170. #170 s.s.t.
    10. Oktober 2012

    @Niels

    Aus Deinem zweiten Link:

    Most of Weiss’s paper is taken up with a justification that the ancients instituted circumcision for its health benefits. There is no direct evidence that this occurred.

    Habe ich gerade ein Déjà-vu?

    To convert circumcision from a religious blood ritual to a medical practice, many physicians were compelled to speculate that circumcision had a medical intent since its inception. When one looks at the primary sources, there is no evidence that it does. Although both the Old and New Testaments make numerous references to circumcision, none relates to health.

    Habe ich gerade noch ein ein Déjà-vu, namens @Physiker?

  171. #171 s.s.t.
    10. Oktober 2012

    Ein @Physiker Déjà-vu hab ich noch aus dem Artikel, den Schlusssatz:

    He never establishes the premise that circumcision is effective or that any of the ancient authorities considered circumcision to be medical. He fails to acknowledge or address dissenting information. His arguments are disjointed, illogical and difficult to follow. For these reasons it is very difficult to take his call for neonatal prophylactic surgery seriously.

  172. #172 Niels
    10. Oktober 2012

    @s.s.t.
    Das ist aber exakt der Artikel, auf den auch schon MartinB verlinkt hat.
    Sorry, war mir vorher nicht aufgefallen, weil ich nicht anständig reingeschaut hatte.

  173. #173 s.s.t.
    10. Oktober 2012

    @Niels

    Dann habe ich ihn wenigstens deshalb mal vollständig gelesen.

    Mit Links ist das schon so eine Sache, die meisten klicken sie eh nicht an, daher sollte man m.M.n. daraus die wesentlichen Teile zitieren, auch wenn es evtl. blöd aussieht. (Abgesehen davon, wenn man nicht die Kernpunkte hervorhebt, kann das leicht zu Nebenkriegsschauplätzen führen, iniiert von den wenigen ‘kritischen’ Lesern.)

  174. #174 StefanL
    10. Oktober 2012

    Kein Paper oder Studie aber ich vermute mal über den Autor des Artikels oder über die Initiative „Genital Autonomy“ lassen sich auch Studien auftreiben. Insbesondere die beschriebenen Praktiken bei einigen Stämmen der Aborigines oder in Kamerun weisen da doch einen gewissen evolutionären Effekt auf – so zu sagen einen Darwin Award wert…
    Die Psychohistorie(/Ethnologie) wirft einen eigenen Blick auf die Beschneidungsrituale &amp Geburt.
    Und Zitat nach Wiki: Nach halachischem Recht gilt als Jude, wer Kind einer jüdischen Mutter ist[3] oder regelgerecht zum Judentum konvertiert ist (Gijur).

  175. #175 StefanL
    11. Oktober 2012
  176. #176 Physiker
    13. Oktober 2012

    @Niels:
    Vielen Dank für den Artikel!

    @MartinB:
    Ich gebe Ihnen Recht: Die Beweislage ist sehr dünn – was aber auch bei der Frage nicht weiter verwunderlich ist. Immerhin präsentiert das Paper zumindest eine mögliche Antwort auf die weiter oben diskutierte Frage nach dem historischen Ursprung des Beschneidungsrituals unter den Juden. Bei Gelegenheit kann ich ja mal schauen wie dick die Beweislage bei den Theorien ist, in denen die Beschneidung aus “perversen” Motiven entstanden ist.

    Und ja, nach der Aussage, *ich* müsste Belege für die Nicht-Existenz medizinischer Gründe geben, haben Sie bei mir absolut jede Glaubwürdigkeit verspielt.

    Das ist wohl ein Missverständnis. Ich bezog mich in meinen Kommentaren hierauf:

    “Sie würden dann den religiösen Eltern vorwerfen selbst dann noch an einem Ritual festzuhalten, wenn sie definitif wüssten, dass die Beschneidung dem Kind gesundheitlich schadet. Das ist aber reine Spekulation”
    Ich habe dann deutlich gemacht, dass das keine Spekulation.ist, sondern 2000jährige Praxis.

    Ich habe aus Ihrer Antwort wohl irrtümlich geschlossen, dass Sie medizinische Gründe ausschlissen. Vermutlich liegt das am verwendeten Schadens-Begriff: Selbstverständlich haben Sie Recht wenn Sie auf die Nebenwirkungen/Schmerzen/etc. als offensichtlichen Schaden der Beschneidung hinweisen. Ich habe mit dem Begriff aber immer das Ergebnis der Abwägung der Vor-/Nachteile gemeint. Und bevor man eine solche Abwägung der Vor-/Nachteile der Beschneidung gemacht hat, kann man nicht “Juden/Muslimen vorwerfen, sie würden seit Jahrhunderten/Jahrtausenden die Gesundheit ihrer Kinder schädigen” – das ist doch logisch. Falls Sie das immer noch bestreiten, dann tragen Sie die Beweislast und ansonsten natürlich nicht.

  177. #177 MartinB
    13. Oktober 2012

    @Physiker
    ” Und bevor man eine solche Abwägung der Vor-/Nachteile der Beschneidung gemacht hat, kann man nicht “Juden/Muslimen vorwerfen, sie würden seit Jahrhunderten/Jahrtausenden die Gesundheit ihrer Kinder schädigen” – das ist doch logisch.”
    Bevor man also nicht eindeutig nachgewiesen hat, dass die menschenopfer der Azteken tatsächlich keine höheren Wesen besänftigen, muss man davon ausgehen, dass diese Menschenopfer gerechtfertigt waren? Gleiche (Un-)logik.

    Nein, die Nullhypothese sollte die sein, dass religiöses Ritual Y in ähnlicher Weise begründet ist wie die bekannten religiösen Rituale A-X. Wer behauptet. dass ausgerechnet bei Ritual Y ein anderer Mechanismus dahintersteht, der ist in der Beweispflicht, nicht umgekehrt.

  178. #178 Physiker
    13. Oktober 2012

    @MartinB:

    Bevor man also nicht eindeutig nachgewiesen hat, dass die menschenopfer der Azteken tatsächlich keine höheren Wesen besänftigen, muss man davon ausgehen, dass diese Menschenopfer gerechtfertigt waren? Gleiche (Un-)logik.

    Der Vergleich hinkt gewaltig, da es selbstverständlich möglich ist die Vor-/Nachteile der Beschneidung gegeneinander abzuwägen, während sich Besänftigungen höherer Wesen wissenschaftlich nicht beurteilen lassen. Und es macht sehrwohl einen Unterschied ob man Juden/Muslimen ein nachprüfbares Fehlverhalten vorwirft oder Azteken etwas vorwirft was keinem Beweis zugänglich ist. Das zeigt sich nicht zuletzt in unserem Strafrecht, demzufolge es für den Tatbestand einer Verleumdung erforderlich wäre, “dass eine Mitteilung einer Tatsache gemacht wird. Das ist jeder Umstand, der dem Beweis zugänglich ist.
    Deshalb ist das eben nicht die “gleiche (Un-)logik”. Und deshalb weise ich nochmals darauf hin, dass man aus Fairness in einer vernünfigen Diskussion immer von der Unschuldsvermutung ausgehen sollte.

    Nein, die Nullhypothese sollte die sein, dass religiöses Ritual Y in ähnlicher Weise begründet ist wie die bekannten religiösen Rituale A-X. Wer behauptet. dass ausgerechnet bei Ritual Y ein anderer Mechanismus dahintersteht, der ist in der Beweispflicht, nicht umgekehrt.

    Das was Sie da schildern ist ein klassisches Vorurteil.

  179. #179 MartinB
    13. Oktober 2012

    “Das was Sie da schildern ist ein klassisches Vorurteil.”
    Warum?
    Wir wissen, dass religionen und andere kulturelle Gegebenheiten Menschen dazu bringen, Rituale zu vollziehen, die auch schädlich sein können. Niemand würde ernsthaft behaupten (hoffe ich), das Beschneiden von Mädchen, das Verbiegen der Schultern mit Halsringen, das Einbinden von Frauenfüßen oder oder oder sei aus medizinischen Gründen eingeführt worden.
    Wer also behauptet, dass ein Brauch, der diesen anderen Bräuchen sehr ähnlich ist, anders als diese aus rationalen medizinischen Erwägungen eingeführt wurde, ist in der beweispflicht. Insbesondere dann, wenn diese Vorteile nur statistisch und nach langer Zeit sichtbar werden (Die von Ihnen bzw. Morris angeführten Vorteile erstrecken sich ja auf die gesamte Lebenszeit), dann ist man schon in der Pflicht, nachzuweisen, dass (und wie) es damals tatsächlich möglich war, herauszufinden, dass beispielsweise 4 Beschneidungen einen Fall von Harnwegsinfektionen verhindern. (Deswegen zieht auch Ihr Vergleich mit der Pflanzenheilkunde nicht – die Wirkung von Weidenrinde zur Schmerzlinderung tritt nicht statistisch nach Jahrzehnten ein.)
    Weiterhin ist man in der Pflicht, nachzuweisen, dass die mit der Beschneidung verbundenen nachteile (Infektionsrisiko etc) selbst unter den damaligen Bedingungen geringer wogen als die angeführten Vorteile.
    Solange man das nicht tut (und das haben Sie nicht mal im Ansatz getan), ist die Aussage “die Beschneidung wurde aus medizinischen Gründen eingeführt” eine unbelegte Hypothese.

    “Und es macht sehrwohl einen Unterschied ob man Juden/Muslimen ein nachprüfbares Fehlverhalten vorwirft”
    Dass die beschneidung Schmerzen verursacht und negative Nebenwirkungen haben kann, ist nun wahrlich nachprüfbar und etabliert – wer behauptet, dass das durch Vorteile überwogen wird und auch vor 2000 Jahren wurde und dass man das damals auch wusste und die Beschneidung deshalb eingeführt hat, der muss diese Behauptungen belegen, sonst sind sie eben nur Behauptungen.

    Nein, Ihre Versuche, die Beweispflicht umzudrehen, haben nach wie vor etwas von “Beweis doch mal, dass in Area 51 keine Aliens versteckt werden”.

  180. #180 Adent
    13. Oktober 2012

    Mal ganz davon ab, daß der Physiker bisher kein einziges Wort darüber verlor, wie das mit dem engen Zusammenhang des Autors Morris mit a) einem Pädophilen und b) der ebenfalls sehr pädophil angehauchten Gilgamel Vereinigung aussieht. Ich gehe also davon aus, daß der Herr Physiker auch anstandslos ein Meta-Review von Phillip Morris (Nachname ist Zufall ;-)) über die Unbedenklichkeit des Passivrauchens als heilige Kuh anführen würde. Wie schon früher erwähnt ähnelt diese Diskussion mit dem Physiker sehr stark der mit Klima- oder AIDSleugnern.

  181. #181 MartinB
    13. Oktober 2012

    @Adent
    Die Unterstellung mit der Pädophilie trägt jetzt wenig zur Diskussion bei, finde ich. Dem letzten Satz stimme ich allerdings zu.

  182. #182 Adent
    13. Oktober 2012

    @Martin B
    Das ist keine Unterstellung, sondern wie man nachlesen kann eine Feststellung. Und ich finde schon, daß auch das Umfeld desjenigen der solche absolut beschneidungspositiven Artikel (nicht nur sein Review) in Serie produziert mit zur Sachlage beiträgt. Wie dann ja von mir erwähnt könnte man sonst auch Artikel der Zigarettenindustrie zur Unschädlichkeit des Rauchens als Vorlage für Gesetzgebungen heranziehen (als Beispiel).
    Es ist schon ein starkes Stück, andere Reviews und Studien als unwissenschaftlich abzuqualifizieren, nur weil gewisse Leute wie Morris massenweise in die Vorteilsrichtung publizieren. Und es stört den Physiker auch keineswegs das zum Beispiel in dem Meta Review Studien gelistet werden, die mittendrin abgebrochen wurden und daher noch nicht mal wissenschaftliche Grundstandards erfüllen.
    Worauf ich hinauswill ist der penetrante und dogmatische Bias des Physikers in Richtung medizinischer Vorteile, die ja an sich nur ein Strohmann für die rituelle Beschneidung sind. Diese üble Verquickung von unwissenschaftlicher Darstellung, Torpfostenverschiebung und selektiver Bewertung finde ich äußerst ärgerlich.

  183. #183 MartinB
    14. Oktober 2012

    @Adent
    Dass der Physiker eine einseitige Sicht der Dinge hat, ist ja unbestritten – man muss ja nur lesen, wie alle Studien, die ihm nicht in den Kram passen, wegen angeblicher “methodischer Mängel” ignoriert werden, während die Morris-Studie natürlich über jeden Zweifel erhaben ist.

    Deinem letzten Absatz stimme ich deswegen auch vollkommen zu.

    Deine Vorwürfe lasen sich allerdings für mich (der ich zugegebenermaßen die genaue Sachlage nicht kenne) wie “der verkehrt mit Leuten, die… und ist deshalb unglaubwürdig”, das halte ich für keine sinnvolle Argumentation. Ein klarer Zusammenhang zwischen Beschneidung und Pädophilie ist für mich auch nicht ersichtlich.

  184. #184 Schmidts Katze
    14. Oktober 2012
  185. #185 MartinB
    14. Oktober 2012

    @Schmidts Katze
    Danke, jetzt ist mir schlecht…
    O.k.,, ich ziehe die Aussage, dass ich keinen Zusammenhang sehe, zurück.

  186. #186 Adent
    14. Oktober 2012

    @Schmidts Katze
    Danke, ich hatte es aus dem Kopf geschrieben, ich wollte auch nicht auf die Seite zurück ;-).

  187. #187 Physiker
    16. Oktober 2012

    Vorab:
    Den Pädophilie-Fall finde ich auch zum kotzen. Die Lobbyismus-Kritik halte ich inzwischen für berechtigt. Bevor ich den Links nachgegangen bin, hielt ich die Vorwürfe für ähnlich motiviert wie die gegen Pachauri (IPCC). Das ist aber offensichtlich nicht der Fall. Trotzdem sollte man sich davor hüten, alle beschneidungsbefürwortenden Autoren in der Fachliteratur unter einen Generalverdacht zu stellen.

    @MartinB (14. Oktober 2012):

    Dass der Physiker eine einseitige Sicht der Dinge hat, ist ja unbestritten – man muss ja nur lesen, wie alle Studien, die ihm nicht in den Kram passen, wegen angeblicher “methodischer Mängel” ignoriert werden, während die Morris-Studie natürlich über jeden Zweifel erhaben ist.

    Ich habe detailliert im Gastbeitrag prominente beschneidungskritische Literatur verlinkt und zusammengefasst. Ihr Vorwurf, dass meine Sicht einseitig wäre und dass ich alles ignorieren würde, was mir nicht in den Kram passt, entbehrt jeder Grundlage und ist deshalb milde gesagt nicht gerade freundlich. “Methodische[r] Mängel” habe ich auch noch nie erwähnt. Sie unterstellen mir ferner, dass ich den zitierten Morris-Review für “über jeden Zweifel erhaben” halte, obwohl ich oft genug betont habe, dass mir die Kompetenz fehlt, die medizinischen Aussagen zu bewerten. Und mit Verlaub: in die argumentative Nähe zu Aidsleugnern möchte ich auch nicht gestellt werden.

  188. #188 MartinB
    16. Oktober 2012

    @Physiker
    Sie diskutieren in Ihrem Artikel genau 3 Studien etwas intensiver, von denen Sie zwei als “nicht qualitativ hochwertig” bzw. “erfüllt nicht die Erwartungen” und “veraltet” bezeichnen, während der Morris-review der “aktuellste, vollständigste und umfassendst” ist und der ” inhaltlich einzigen passenden Treffer”. Auch wenn das Wort “methodische Mängel” nicht direkt auftaucht, so doch der Vorwurf des “cherry-pickings” (was ja wohl ein methodischer Mangel wäre).

    Diese Bewertungen sind auch nicht wirklich in Einklang mit Ihrer Aussage, dass Ihnen “die Kompetenz fehlt, die medizinischen Aussagen zu bewerten.”

    Von daher ziehe ich meine Aussage in keiner Weise zurück – und was die Qualität Ihrer Argumentation angeht, stehen Sie in genau der Ecke, in die Sie selbst gegangen sind.

  189. #189 Physiker
    16. Oktober 2012

    @MartinB (13. Oktober 2012):

    “Das was Sie da schildern ist ein klassisches Vorurteil.”
    Warum?

    Weil nun mal ein Vorurteil genau so definiert ist. Das Aufzählen von Beispielen, die belegen sollen, dass die Verallgemeinerung zulässig ist (religiöses Ritual Y ist gesundheitlich schädlich weil Ritual A-Z es sind), ändert daran nichts.

    Solange man das nicht tut (und das haben Sie nicht mal im Ansatz getan), ist die Aussage “die Beschneidung wurde aus medizinischen Gründen eingeführt” eine unbelegte Hypothese.

    Ja sicher. Deshalb habe ich das ja auch in jedem meiner Kommentare als Hypothese gekennzeichnet. Logischerweise ist dann aber die gegenteilige Behauptung ebenfalls eine Hypothese. Und in einer fairen Diskussion sollte man von der (Null-)Hypothese ausgehen, die anderen Menschen nichts negatives anlastet. Und der Vorwurf, dass Juden/Muslime ihre Kinder schädig(t)en ist negativ.

  190. #190 MartinB
    16. Oktober 2012

    @Physiker
    Genaju. Alle Hypothesen sind gleichberechtigt. Sagen die UFO-Befürworter auch immer…

    “Und in einer fairen Diskussion sollte man von der (Null-)Hypothese ausgehen, die anderen Menschen nichts negatives anlastet.”
    Nein, man sollte von der Hypothese ausgehen, dass der betrachtete Fall nicht anders gelagert ist als ein dutzend andere bekannte Fälle. Sie argumentieren exakt so wie der UFO-Gläubige, der zwar zugibt, dass 99% aller UFO-Beobachtungen auf ganz normale Phänomene zurückzuführen sind, aber darauf beharrt, dass es bei dieser einen ganz bestimmten Beobachtung eben bisher keinen Beleg dafür gibt und dass es deswegen zunächst mal sinnvoll sei, davon auszugehen, dass es ein echtes UFO war.

    Und was ich generell nicht verstehe:
    Warum soll es so schlimm sein, Juden und Muslimen vorzuwerfen, ihre Kinder zu schädigen, wenn wir das auch denen vorwerfen, die Mädchen beschneiden oder deren Füße einwickeln oder letztlich auch unseren Groß- und Urgroßvätern, die es für richtig hielten, Kinder zu schlagen?
    Es gibt so unglaublich viele Beispiele dafür, dass Menschen ihre Kinder schädigen in dem glauben, ihnen etwas gutes zu tun, dass ich das Problem nicht sehe, dasselbe auch für Juden und Moslems anzunehmen (und dass es ein klassischer Fall von “special pleading” ist, gerade in diesem Fall zu sagen, dass es bestimmt ganz tolle medizinische Gründe gab, die eine bronzezeitliche Gesellschaft in einer Langzeitstudie herausbekommen hat…).

    In Hundert Jahren wird man vermutlich auch einiges von dem, was wir heute mit unseren Kindern tun, als unnötige Quälerei ansehen.

  191. #191 Physiker
    16. Oktober 2012

    @MartinB:

    Sie diskutieren in Ihrem Artikel genau 3 Studien etwas intensiver,

    Es sind 4. Von van Howe diskutiere ich 2 Paper. Ausserdem handelt es sich in keinem Fall um eine “Studie” im engeren Sinn – sondern ausschliesslich um Literaturübersichtsartikel (3 Reviews und 1 Nature-Viewpoint).

    von denen Sie zwei als “nicht qualitativ hochwertig” bzw. “erfüllt nicht die Erwartungen” und “veraltet” bezeichnen,

    Finden Sie es qualitativ hochwertig, wenn man Ärzten die Hauptschuld an der Verbreitung von HIV in Afrika gibt oder eine leere Grafik veröffentlicht? Ich habe hauptsächlich formale und zitierte Einwände gegen van Howes Review gebracht und keine methodischen. Die zitierte Kritik am Perera-Review sollte nur zeigen, dass in dem Bereich in letzter Zeit viel geforscht wurde. Ich habe mit dem Hinweis auf das Zeitlimit (2008) in diesem Review einen verteidigenden Kommentar von Perera aufgeriffen, der die Cherry-Picking-Vorwürfe zumindest im Hinblick auf den Cochrane-Review (2009) abschmettert. Ansonsten ist am Perera-Review nichts auszusetzen (und dass in ihm nur wenige Spezialthemen untersucht werden ist ja in Ordnung – nur im Hinblick auf die in meinem Artikel beschriebene Literatursuche unbefriedigend). Und methodische Mängel ganz bestimmt nicht.

    während der Morris-review der “aktuellste, vollständigste und umfassendst” ist und der ” inhaltlich einzigen passenden Treffer”.

    Wenn Sie anderer Meinung sind, dann dürfen Sie mir gerne widersprechen und einen aktuelleren, vollständigeren und umfassenderen Review nennen, der die genannten Suchkriterien erfüllt.

    Auch wenn das Wort “methodische Mängel” nicht direkt auftaucht, so doch der Vorwurf des “cherry-pickings” (was ja wohl ein methodischer Mangel wäre).

    Das war zitiert (Anführungszeichen). Wenn Sie den Links nachgehen, können Sie es auch im Detail nachlesen. Ich habe da keine methodische Kritik geäussert.

    Diese Bewertungen sind auch nicht wirklich in Einklang mit Ihrer Aussage, dass Ihnen “die Kompetenz fehlt, die medizinischen Aussagen zu bewerten.”

    Doch. Denn ich habe keine methodischen Mängel kritisiert. Und ich habe auch nicht alles ignoriert, was mir nicht in den Kram passt. Und ich halte auch nicht den Morris-Review für “über jeden Zweifel erhaben”.

  192. #192 MartinB
    16. Oktober 2012

    @Physiker
    “Finden Sie es qualitativ hochwertig,..”
    Ich habe jetzt nicht vor, Ihre Studienauswahl zu diskutieren. Im gegensatz zu Ihnen ist mir nämlich bewusst, dass auch dafür meine Kompetenz wohl kaum ausreicht.

    Angesichts der Tatsache, dass google scholar mir über 6000 Referenzen auf die Frage nach “neonatal circumcision review ” auswirft, ist Ihre Studienauswahl ohnehin sehr fragwürdig.
    Ich finde da zum Beispiel auf die Schnelle den Satz
    “A recent review showed that evaluation for neonatal
    circumcision complications accounted for 7.4% of all annual outpatient pediatric
    urology visits at Massachusetts General Hospital for Children”
    in einem Artikel DW Storm, C Baxter, SA Koff, S Alpert – The Journal of urology, 2011 , ein paper mit dem Titel
    “Neonatal circumcision does not reduce HIV infection rates”,
    einen Reviewartikel von 2012, in dem ich im abstract lese
    “circumcision confers some medical benefit but not enough to call for its routine application. ” (https://www.springerlink.com/content/n92706456x142p28/, habe leider keinen Volltextzugriff)
    und das alles in weniger als 10 Minuten. Und dann lese ich bei Ihnen
    ” selbst wenn man noch weitere 10 Seiten anhand der Titel überfliegt, taucht keine beschneidungskritische Arbeit auf.”

    Zu glauben, dass Sie mit dem lesen von 4 wie auch imemr ausgewählten Review-Artikeln (von denen Sie drei verwerfen) einen Überblick haben, ist schon eher absurd.

    ” Denn ich habe keine methodischen Mängel kritisiert”
    Nein, Sie haben nur jemanden zitiert, der das tut und das so stehen gelassen. Ist klar.

    “Und ich halte auch nicht den Morris-Review für “über jeden Zweifel erhaben”.”
    Er ist aber der einzige, dessen Schlussfolgerungen Sie unwidersprochen akzeptieren…

    Zusammenfassend gesagt:
    – Sie äußern sich auf einem Gebiet, auf dem Sie kein Experte sind,
    – Zitieren eine Handvoll Studien, die Ihnen in Ihr Bild passen, ignorieren aber andere,
    – Argumentieren mit einer absurden Beweislastumkehr (nein, ich muss nicht beweisen, dass die bronzezeitlichen Juden keine Langzeitstudien durchgeführt haben)
    und beschweren sich dann, dass man Sie in dieselbe Ecke stellt, in der man andere Leute findet, die auf ähnliche Weise argumentieren.

  193. #193 s.s.t.
    17. Oktober 2012

    Aktuell hat zu dem Gesetzentwurf Rolf Dietrich Herzberg in der “Zeitschrift für internationale Strafrechtsdogmatik” ausführlich Stellung genommen:
    https://www.zis-online.com/dat/artikel/2012_10_705.pdf

    …Die vorgesehene Beschneidungserlaubnis fügt sich ein in einen Komplex von Vorschriften, die im Einzelnen bestimmen, welche Rechte und Pflichten die Eltern haben – im Rahmen ihrer stets „zum Wohl des Kindes“ auszuübenden „Personensorge“. Mit dem Wohl des Kindes ist aber die schwere Verletzung, die ihm der Beschneider antut, gar nicht vereinbar. Die Argumente pro Kindeswohlförderung erweisen sich, wie dargelegt, bei genauerer Betrachtung als nicht stichhaltig. Wenn es in der Familie um jemandes Wohl geht, dann um das der Eltern, die mit der Beschneidung eine religiöse Pflicht zu erfüllen, eine Tradition zu pflegen und vielleicht auch einem
    Gruppendruck zu gehorchen bestrebt sind. Intuitiv erfassen
    das auch die Apologeten des Elternrechts auf Kinderbeschneidung, denn den Akzent legen sie immer auf das elterliche Recht, ihre Religion auszuüben, und nicht etwa auf die elterliche Pflicht, ihr Kind zu „pflegen“. Es ist ja schon auf den ersten Blick eine geradezu aberwitzige Annahme, man könne ein Kind dadurch pflegen und seinem Wohl dienen, dass man ihm den sensibelsten Teil seines Geschlechtsorgans, der für das Empfinden sexueller Lust besonders wichtig ist, abschneidet…

  194. #194 Physiker
    17. Oktober 2012

    @MartinB (16. Oktober 2012):

    Finden Sie es qualitativ hochwertig, wenn man Ärzten die Hauptschuld an der Verbreitung von HIV in Afrika gibt oder eine leere Grafik veröffentlicht?

    Ich habe jetzt nicht vor, Ihre Studienauswahl zu diskutieren. Im gegensatz zu Ihnen ist mir nämlich bewusst, dass auch dafür meine Kompetenz wohl kaum ausreicht.

    Ich denke schon, dass Ihre Kompetenz ausreicht um die genannte Kritik zu beurteilen. Und wenn Sie sich diese Kompetenz nicht zugestehen, warum unterstellen Sie mir dann Einseitigkeit und das Ignorieren von allem, was mir nicht in den Kram passt?

    Angesichts der Tatsache, dass google scholar mir über 6000 Referenzen auf die Frage nach “neonatal circumcision review ” auswirft, ist Ihre Studienauswahl ohnehin sehr fragwürdig.

    Dass man in einem solchen Fall die Literatursuche weiter einschränken sollte (da sehr viele Treffer ohnehin nicht relevant sind), erkläre ich in meinem Artikel.

    Ich finde da zum Beispiel auf die Schnelle den Satz
    “A recent review showed that evaluation for neonatal
    circumcision complications accounted for 7.4% of all annual outpatient pediatric urology visits at Massachusetts General Hospital for Children”
    in einem Artikel DW Storm, C Baxter, SA Koff, S Alpert – The Journal of urology, 2011 ,

    Dieses Paper macht im Abstract/ in den Conclusions themenbedingt keine Aussage dazu ob Beschneidung empfohlen werden sollte oder nicht. Wenn Sie einfach einen Auszug aus dem Haupt-Text zitieren, dann kann man mit der Methode auch den Morris-Review als beschneidungskritisch einstufen. Zur Klassifizierung sollte man lediglich Abstract und Conclusions heranziehen.

    Und dann lese ich bei Ihnen
    ” selbst wenn man noch weitere 10 Seiten anhand der Titel überfliegt, taucht keine beschneidungskritische Arbeit auf.”

    Andere Suchbegriffe führen zu anderen Resultaten. Ich habe mal die Auswertung der ersten 5 Seiten mit Ihren Suchbegriffen wiederholt. Ich finde 27 Artikel, die nicht relevant sind oder weder eine Empfehlung für noch gegen die Beschneidung aussprechen, 2 Artikel die die Vorteile der Beschneidung sehen aber keine Empfehlung aussprechen und 14 Paper die klar und deutlich die Beschneidung als vorteilhafte Gesundheitsmassnahme empfehlen. Nur 4 Reviews sprechen sich gegen die Beschneidung aus. Darunter der Perera-Review, ein Paper von Sidler (2008) und zwei Arbeiten von van Howe. Das bestätigt meine Behauptung, dass Paper, die von einer Beschneidung abraten, eine klare Minderheit darstellen.

    Zu glauben, dass Sie mit dem lesen von 4 wie auch imemr ausgewählten Review-Artikeln (von denen Sie drei verwerfen) einen Überblick haben, ist schon eher absurd.

    Nochmal: Ich verwerfe den Perera-Review nicht. Ich habe ihn explizit als Beispiel für eine Minderheitenmeinung angeführt. Und wie man relevante Artikel durch eine Literatursuche (auch in einem fachfremden Gebiet) findet, das gehört zum Standardwissen jedes Akademikers. Ausserdem fusst meine Meinung nicht bloss auf den 4 zitierten Artikeln sonder noch auf zahlreiche weitere Reviews zu Einzelaspekten – wie im Text erwähnt.

    Nein, Sie haben nur jemanden zitiert, der das tut und das so stehen gelassen. Ist klar.

    Warum der Spott – soll das etwa nicht legitim sein?

    Er [Anm.: der Morris-Review] ist aber der einzige, dessen Schlussfolgerungen Sie unwidersprochen akzeptieren…

    Soll ich den Aussagen (inhaltlich) widersprechen, nur damit Sie mir vorwerfen können, dass ich meine Kompetenzen überschreite? Soll ich den Widerspruch in der Fachliteratur zu den beschneidungskritischen Arbeiten verschweigen, um so zu einem vermeintlich ausgewogenerem Fazit zu kommen? Soll ich das Verhältnis zwischen beschneidungs-befürwortender und -kritischer Literatur verzerrt wiedergeben damit ich Ihr Gefühl befriedige, dass die Behauptungen der Befürworter so weit hergeholt und absurd sind wie die von Ufo-Gläubigen oder zu Aztekengöttern?

  195. #195 Physiker
    17. Oktober 2012

    @MartinB (16. Oktober 2012):

    Genaju. Alle Hypothesen sind gleichberechtigt. Sagen die UFO-Befürworter auch immer…

    Ich habe den Unterschied zwischen Tatsachenbehauptungen die andere Personen betreffen und nicht beweisbare Behauptungen bereits weiter oben erklärt. Wenn jemand z.B. behauptet, er wäre von einem UFO entführt worden, dann ist diese Aussage nicht nachprüfbar und betrifft auch keine andere Person sondern nur diese Person selbst, ein Ding oder eine Vorstellung. Wenn man aber Personen vorwirft, sie würden andere Personen schaden, dann sollte man diesen Vorwurf auch belegen können. Das verlangt der Anstand. Hier gehts nicht um Wissenschaftstheorie – wenn Menschen beteiligt sind, kann man auch auf deren Gefühle Rücksicht nehmen. Wer sich dagegen entscheidet, darf auch das, sollte aber auch die Kritik und bei hinreichend negativen Vorwürfen auch die juristischen Konsequenzen aushalten.

    “Und in einer fairen Diskussion sollte man von der (Null-)Hypothese ausgehen, die anderen Menschen nichts negatives anlastet.”
    Nein, man sollte von der Hypothese ausgehen, dass der betrachtete Fall nicht anders gelagert ist als ein dutzend andere bekannte Fälle.

    Nochmal: Mir geht es um Fairness, Höflichkeit und Anstand. In der Wissenschaft darf selbstverständlich jeder von der (Null-)Hypothese ausgehen von der er will – das nennt sich Forschungsfreiheit. Davon, dass die Aufstellung von (Null-)Hypothesen an Analogien gebunden sein soll, habe ich noch nie etwas gehört – dann müsste man ja so gut wie jede wissenschaftliche Arbeit verwerfen, die aus praktischen Gründen eine (Null-)Hypothese widerlegen will. Und der Vergleich mit den UFOs hinkt immer noch hinten und vorne, weil die Existenz von “echten UFOs” nicht falsifizierbar ist, während die Frage nach den gesundheitlichen Vor-/Nachteilen einer Beschneidung wissenschaftlich zugänglich ist, was auch die vielen Fachpublikationen zeigen.

    Und was ich generell nicht verstehe:
    Warum soll es so schlimm sein, Juden und Muslimen vorzuwerfen, ihre Kinder zu schädigen, wenn wir das auch denen vorwerfen, die Mädchen beschneiden oder deren Füße einwickeln oder letztlich auch unseren Groß- und Urgroßvätern, die es für richtig hielten, Kinder zu schlagen?

    Weil ich es für schlimm halte, Juden und Muslimen etwas vorzuwerfen, ohne sich vorher anzusehen oder ansehen zu wollen, ob die Vorwürfe nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft zutreffen. Dass diese Vorwürfe für die weibliche Genitalverstümmelung, den Fussbandagen oder der Prügelstrafen zutreffen, darüber besteht doch unserem aktuellen Stand des Wissens nach kein Zweifel. Aber man muss doch deswegen nicht gleich pauschalisieren.

    Es gibt so unglaublich viele Beispiele dafür, dass Menschen ihre Kinder schädigen in dem glauben, ihnen etwas gutes zu tun, dass ich das Problem nicht sehe, dasselbe auch für Juden und Moslems anzunehmen

    Das Problem ist, dass es einen ganzen Haufen wissenschaftlicher Literatur gibt, der zumindest behauptet, dass eine Beschneidung zumindest heutzutage nicht schädlich sondern von Vorteil für das Kind (und dessen späteres Leben) ist (und zwar sowohl in Dritt-Welt-Länder als auch in entwickelten Ländern). Wie ich im anderen Kommentar (und in meinem Gastbeitrag) argumentiere, ist das sogar die deutliche Mehrheitsmeinung. Man kann dazu stehen wie man will – ignorieren sollte man es aber nicht. Und falls heutzutage eine Beschneidung sowohl in Industrieländern als auch in Dritt-Welt-Ländern von Vorteil sein sollte, dann sprechen gute Gründe dafür, dass sie auch schon früher von Vorteil gewesen war. Rhetorische Vorwürfe wie “special pleading” helfen bei der Argumentation nicht weiter, denn es müssen viele Aspekte berücksichtigt werden, wie z.B. das Erscheinen von HIV, geänderte hygienische Verhältnisse, die Einführung von Antibiotika, etc.

  196. #196 Adent
    17. Oktober 2012

    @Physiker

    Das Problem ist, dass es einen ganzen Haufen wissenschaftlicher Literatur gibt, der zumindest behauptet, dass eine Beschneidung zumindest heutzutage nicht schädlich sondern von Vorteil für das Kind (und dessen späteres Leben) ist (und zwar sowohl in Dritt-Welt-Länder als auch in entwickelten Ländern).

    Nein, letzteres stimmt nicht, da es NICHT von Vorteil für das Kind ist, egal wie oft sie die geradezu “epidemischen” Harnwegsinfektionen angeben. Und ob es von Vorteil für sein späteres Leben ist, stimmt in entwickelten Ländern schon gar nicht. Sie drehen Argumente im Kreis und picken sich die passenden heraus, wie schon sehr viel früher gesagt, das ist a) unwissenschaftlich und b) erinnert sehr an VT-Gläubige.

    sowohl in Industrieländern als auch in Dritt-Welt-Ländern von Vorteil sein sollte, dann sprechen gute Gründe dafür, dass sie auch schon früher von Vorteil gewesen war.

    Und das ist vollkommen falsch. Wie kommen Sie darauf, eine heute in Dritte Welt Ländern durchgeführte Beschneidung (die in die Studien einging) mit einer von vor 2000 Jahren zu vergleichen? Kommen Sie selber nicht drauf was der Unterschied ist oder halten sie uns für dämlich?

  197. #197 s.s.t.
    17. Oktober 2012

    Die medizinschen Gründe haben sowie so nicht das Geringste mit dem Gesetzesentwurf zu tun, der allein dazu dient auf Teufel komm raus das Recht zur Beschneidung von männlichen Säuglingen und Kindern straffrei zu stellen. In dem Entwurf steht nämlich nichts, wie “da es dem (m-)Kindeswohl/der Gesundheit des (m-)Kindes dient.”

    Der Entwurf entspringt aus offensichtlichen religiösen Motiven, nämlich speziell Moslems und Juden dieses Recht zu geben. Das ist sehr leicht an den Altersregelungen unter Berücksichtigung der (regelmäßig) unterschiedlichen Bräuche bei der Beschneidung bei diesen Religionsgruppen zu erkennen. Gäbe es medizinsche Gründe, so würde die STIKO o.ä. eine Beschneidung aller Knaben spätestens ab Beginn der Pubertät (ca. 10 J.) empfehlen oder, falls die Gründe in der Tat höchst gravierend sein sollten, sogar vorschreiben. Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so.

    Da eine religiös motivierte Körperverletzung offensichtlich verfassungswidrig ist, wird Religion (ebenso wie eine (fragwürdige) medizinische Indikation) einfach unter den Tisch fallen gelassen. Es werden einfach ganz allgemein die Rechte der Eltern über ihr männliches (sic!) Kind erweitert. Da die Motive der Eltern keine Rolle spielen, sollen jetzt quasi auch Schönheitsoperationen an männlichen Säuglingen gestattet werden. Inwieweit das tatsächlich Bestand haben wird, wird sich zeigen.

    Tja, und das in einer Gesellschaft, die sich nach ein paar tausend Jahren dazu durchgerungen hat, dass männliche und weibliche Wesen gleiche Rechte haben. Erstaunlicherweise fordern bisher noch keine feministischen Verbände dieses Beschneidungs-Recht auch für Mädchen, denn wenn doch eine Beschneidung so vorteilhaft ist, ist das neue Gesetz doch glatt eine Diskriminierung des weiblichen Geschlechts. Die Ikone A. Schwarzer findet ganz im Gegenteil nur die Verstümmelung von männlichen Kindern und Säuglingen cool.

    P.S.: Da hier alles eh immer wieder, aus welchen Gründen auch immer, in den medizinischen Bereich abdriftet, hab ich auch mal ne Frage: Hat eigentlich Jemand Kenntnis darüber, wie die Zahlen bzgl. Geschlechtskrankheiten im weitesten Sinne in den Erstweltländern aussehen? Also der Vergleich zwischen den beschneidungsfreudigen Staaten wie USA, Japan, GB ect. vs. dem beschneidungsfaulen (Rest)Europa.

    P.p.s. In dem obigen Artikel ist auch ein sehr unaufgeregter Film verlinkt. “Mom, why did you circumcise me?”, aus den Niederlanden mit Befürwortern und Gegnern, im wesentlichen Interviews. 35 Min. lang, etwas nervig mit dem Wechsel von engl. und niederl. Untertiteln, aber die Zeit wert. Danach mag jeder entscheiden, ob er pro oder contra Beschneidung ist.

  198. #198 s.s.t.
    17. Oktober 2012

    In der FAZ läuft gerade ein sog. Faktencheck: “Faktencheck: Leser recherchieren mit Beschneidungsethik – erlaubte Körperverletzung? “, bei dem sich jeder mit seinen Argumenten beteiligen kann. Ende offen.
    https://www.faz.net/aktuell/wissen/faktencheck/faktencheck-leser-recherchieren-mit-beschneidungsethik-erlaubte-koerperverletzung-11920623.html

  199. #199 MartinB
    18. Oktober 2012

    @Physiker
    “Dieses Paper macht im Abstract/ in den Conclusions themenbedingt keine Aussage dazu ob Beschneidung empfohlen werden sollte oder nicht.”
    Das spielt ja erstmal keine Rolle – der zitierte Satz sagt jedenfalls deutlich aus, dass es da wohl nebenwirkungen geben muss, die nicht unerheblich sind. Immerhin sollen ja 4 Beschneidungen einen Fall von Harnwegsinfektion verhindern. Wenn dann auf der anderen Seite allein die Komplikationen der Beschneidung Neigeborener einen signifikanten Anteil aller urologischen Konsultationen von Kindern sind, dann kann man schon mal ins grübeln kommen.

    “Nur 4 Reviews sprechen sich gegen die Beschneidung aus.”
    Ach so. Plötzlich gibt es also doch reviews, die sich dagegen aussprechen? Ich dachte, man findet auf über 10 Seiten google-resultate “keine beschneidungskritische Arbeit “? Oder war Ihre Recherche vielleicht doch nicht so gründlich?
    Sie erwecken in Ihrem Artikel den Anschein, als hätten Sie ganz gründlich und objektiv recherchiert (oder versuchen das zumindest). Mehr als Ihnen zu zeigen, dass man auf die Schnelle genauso gut gegenteilige Resultate findet, wollte ich nicht. Ganz so einfach sind Literaturrecherchen dann doch nicht.

    “Warum der Spott – soll das etwa nicht legitim sein?”
    Natürlich ist das legitim – aber wenn man eine Aussage zitiert und sich von ihr nicht distanziert, dann darf man sich auch nicht aufregen, wenn einem diese Aussage als Meinugn zugeschrieben wird (Es ging um “Methodenkritik”, falls Sie sich nicht erinnern.)

    “Soll ich das Verhältnis zwischen beschneidungs-befürwortender und -kritischer Literatur verzerrt wiedergeben”
    Haben Sie ja getan – angeblich gab es ja “keine bescneidungskritische Arbeit”, und nachdem ich Ihnen meine google-Suche (10 Minuten) präsentiert habe, gibt es plötzlich 4 beschneidungskritische reviews. Man hätte auch mal als guter Wissenschaftler versuchen können, seine These (Bescneidung ist harmlos) zu widerlegen, um zu sehen, wie haltbar sie ist – dazu brauchen Sie nur mal “neonatal circumcision complication” bei google scholar einzutippen, dann lesen Sie zum Beispiel “the operation is associated with a definite morbidity and rare deaths have been reported.”

    “Wenn man aber Personen vorwirft, sie würden andere Personen schaden, dann sollte man diesen Vorwurf auch belegen können.”
    Dass eine Beschneidung eine zunächst mal schmerzhafte und nicht risikofreie Operation ist, ist wohl offensichtlich. Wer behauptet, dass
    1. das durchmedizinische Vorteile aufgewogen wird und dass
    2. man das bereits vor 3000 Jahren wusste,
    der ist in der Beweispflicht. Das hat nichts mit Fairness zu tun, nur mit sauberer Wissenschaft.

    “In der Wissenschaft darf selbstverständlich jeder von der (Null-)Hypothese ausgehen von der er will”
    Tipp: Man googlen, was das Wort “Nullhypothese” ist – nein, die darf man sich nicht aussuchen. Die Nullhypothese ist, dass eine behaupteter Effekt (in diesem Fall der medizinische Nutzen) nicht vorhanden ist.

    Da ist auch nichts “an Analogien gebunden “, es sei denn, Sie leugnen, dass man ähnliche Rituale in unterschiedlichen Religionen prinzipiell vergleichen darf . Sie argumentieren wieder wie der UFO-Beobachter, der sagt “Nein, die 99 widerlegten UFOs haben mit meinem UFO gar nichts zu tun, das ist nur eine Analogie und die Nullhypothese ist natürlich, dass es Außerirdische gibt, die die Erde besuchen.”

    “ob die Vorwürfe nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft zutreffen”
    Der “aktuelle Stand” ist erstens umstritten, zweitens für die Einführung der Beschneidung vor 2000 Jahren irrelevant. Dazu müssten Sie schon nachweisen,d ass man damals medizinische Vorteile nachweisen oder plausibel annehmen konnte.

    “Wie ich im anderen Kommentar (und in meinem Gastbeitrag) argumentiere, ist das sogar die deutliche Mehrheitsmeinung.”
    Das bliebe mit einer korrekten und nicht nur eben so hingehusteten Literaturrecherche zu prüfen. Selbst wenn, sind die abweichenden Meinungen immerhin so stark, dass man sie nicht ignorieren sollte. (Und so ganz ignorieren sollte man auch nicht, wer jeweils aus welchen Motiven die Reviews schreibt, dazu haben wir ja oben genug ekliges gelesen.)

    “dann sprechen gute Gründe dafür, dass sie auch schon früher von Vorteil gewesen war. ”
    1. Nicht unbedingt, weil früher die hygienischen verhältnisse andere waren und entsprechend Komplikationen häufiger gewesen sein dürften (wofür es ja sogar historische Belege in Form der zitierten Bibelstellen gibt)
    2. Nachzuweisen ist aber – ich wiederhole es och mal – , dass man damals um diese Vorteile wissen konnte.

  200. #200 RLX
    20. Oktober 2012

    also ehrlich gesagt, verstehe ich all das hin-und-her um dieses thema überhaupt nicht. ich versteh einfach nicht, was es da zu diskutieren gibt.
    meines erachtens ist die körperliche unversehrtheit ein fundamentales menschenrecht. und jeder mensch sollte das recht haben, wenn er alt, intelligent und vor allem aufgeklärt genug ist, selbst zu entscheiden welche körperteile er an sich selber verändern möchte.
    kein kind der welt darf, meines erachtens, religiös indoktriniert, oder religiös motiviert körperlich verstümmelt werden.

    alles andere halte ich schlicht und einfach für unnützes bla-bla……

  201. #201 s.s.t.
    20. Oktober 2012

    @RLX

    Recht hast Du, aber Du wirst nicht recht bekommen.

    Das Recht auf die m-Verstümmelung wird aus politischen Gründen durchgesetzt werden, unter der Fuchtel der Dreieinfältigkeit der ‘heiligen’ Buchreligionen. Rationale Argumente sind dabei nicht einen Deut wert, egal ob sie sie pro oder contra sind.

    Ich befürchte, selbst das BVerfG wird diesen Kotau nachvollziehen und sich damit bedauerlicherweise als ein Komiker-Gericht outen.

  202. #202 MartinB
    20. Oktober 2012

    @RLX
    Ich stimme dir zwar zu, sehe aber trotzdem den Diskussionsbedarf – weil eben die Gläubigen die Bedeutung ihrer Rituale für wichtiger halten als die körperliche Unversehrtheit. In einer Demokratie muss man so etwas meiner Ansicht nach ausdiskutieren und sorgfältig abwägen und dabei auch versuchen, sich auf die Argumente der gegenseite einzulassen (deswegen fand ich die beiden Artikel ja so enttäuschend, weil sie letztlich auf ein “frag nicht und akzeptiere es” hinauslaufen) – was leider nicht passiert, stattdessen bekommen wir ein sehr seltsames Hauruck-Gesetz, das Beschneidungen letztlich ohne jeden Grund einfach erlaubt. Bleibt abzuwarten, was damit passiert, wenn jemand das Verfassungsgericht anruft…

  203. #203 s.s.t.
    21. Oktober 2012

    @MartinB

    Ich stimme dir zwar zu, sehe aber trotzdem den Diskussionsbedarf – weil eben die Gläubigen die Bedeutung ihrer Rituale für wichtiger halten als die körperliche Unversehrtheit.

    Die Waage hat sich schon längst in Richtung der Rituale gesenkt. Der Entwurf ist eindeutig religionsbestimmt, wobei ‘natürlich’ die eine Religion ‘besser’ abschneidet als die andere. Aber die sog. christliche Religion ist selbstredend begeistert davon.

    Und das BVerfG. wird schon einen faulen Kompromiss finden.

  204. #204 Stefan W.
    23. Oktober 2012

    Ich erlaube mir die Illustration mancher dieser Argumente mit einem Link zu bewerben: https://home.arcor.de/hirnstrom/beschneidung/index.html

  205. #205 Physiker
    24. Oktober 2012

    @MartinB (18. Oktober 2012):

    “Dieses Paper macht im Abstract/ in den Conclusions themenbedingt keine Aussage dazu ob Beschneidung empfohlen werden sollte oder nicht.”
    Das spielt ja erstmal keine Rolle

    Doch. Jede Publikation in dem engeren Themenfeld nennt die Nebenwirkungen/Nachbehandlungen – auch beschneidungsbefürwortende Publikationen. Wenn Sie also so einen Satz herausgreifen um damit meinen groben Literaturüberblick zu den Empfehlungen der Fachliteratur zu kritisieren, dann ist das übles Cherry-Picking.

    Ach so. Plötzlich gibt es also doch reviews, die sich dagegen aussprechen? Ich dachte, man findet auf über 10 Seiten google-resultate “keine beschneidungskritische Arbeit “? Oder war Ihre Recherche vielleicht doch nicht so gründlich?

    In meinem Gastbeitrag steht explizit, dass man so nur einen ersten groben Eindruck gewinnt. Und bei einer Stichprobengrösse von knapp 50 sind solche Schwankungen durchaus zu erwarten. Ihre rhetorischen Fragen können Sie sich also schenken: die Ergebnisse sind im Rahmen dessen, was man sich von so einem groben Überblick erwartet, absolut konsistent.

    Sie erwecken in Ihrem Artikel den Anschein, als hätten Sie ganz gründlich und objektiv recherchiert (oder versuchen das zumindest). Mehr als Ihnen zu zeigen, dass man auf die Schnelle genauso gut gegenteilige Resultate findet, wollte ich nicht. Ganz so einfach sind Literaturrecherchen dann doch nicht.

    Ich habe das Thema gründlich und objektiv recherchiert. Und das was Sie auf die Schnelle demonstriert haben, war nur Cherry-Picking und dass eine zu kleine Stichprobe eben nicht repräsentativ ist.

    Natürlich ist das legitim – aber wenn man eine Aussage zitiert und sich von ihr nicht distanziert, dann darf man sich auch nicht aufregen, wenn einem diese Aussage als Meinugn zugeschrieben wird (Es ging um “Methodenkritik”, falls Sie sich nicht erinnern.)

    Nochmal: was ist daran falsch? Wie soll ich mich von Expertenmeinungen distanzieren ohne meine Kompetenzen zu überschreiten? Ihre Kritik an meinem Artikel ist absurd, widersprüchlich und völlig unfundiert.

    Man hätte auch mal als guter Wissenschaftler versuchen können, seine These (Bescneidung ist harmlos) zu widerlegen

    Aber eine Beschneidung hat doch Nebenwirkungen. Nicht einmal Impfungen sind harmlos. Das was Sie mir unterstellen, stimmt einfach nicht.

    um zu sehen, wie haltbar sie ist – dazu brauchen Sie nur mal “neonatal circumcision complication” bei google scholar einzutippen, dann lesen Sie zum Beispiel “the operation is associated with a definite morbidity and rare deaths have been reported.”

    Jeder medizinische Eingriff hat Nebenwirkungen und Risiken. Sie können mit einer analogen Suche so gut wie jeden medizinischen Eingriff in Frage stellen. Das ist ein absolut unwissenschaftliches Vorgehen. Es reicht nicht, Risiken und Todesfälle aufzulisten, man muss sie auch ins Verhältnis zur Zahl der Behandlungen setzen und gegen den Nutzen der Massnahme aufrechnen.

    “Wenn man aber Personen vorwirft, sie würden andere Personen schaden, dann sollte man diesen Vorwurf auch belegen können.”
    Dass eine Beschneidung eine zunächst mal schmerzhafte und nicht risikofreie Operation ist, ist wohl offensichtlich.

    Und dem stimme ich doch auch ununterbrochen zu. Der Punkt ist aber, dass der Vorwurf Juden/Muslime würden ihre Kinder schaden bereits das genaue Gegenteil der folgenden Aussagen

    1. das durchmedizinische Vorteile aufgewogen wird und dass
    2. man das bereits vor 3000 Jahren wusste

    impliziert. Wir werfen doch auch nicht pauschal den Ärzten vor, sie würden mit Blinddarmoperationen den Menschen schaden, nur weil auch diese Operation mit Risiken verbunden ist. Der Schadens-Vorwurf beinhaltet dem allgemeinen Sprachgebrauch nach bereits eine Bilanzierung und damit die strittige Behauptung, dass die Nachteile der Beschneidung heutzutage und früher grösser als die Vorteile sind/waren. Und wer eine Behauptung aufstellt, sollte diese auch belegen. Und zwar insbesondere dann, wenn die Behauptung an Personen gerichtet ist und diesen etwas negatives unterstellt.

    Die Nullhypothese ist, dass eine behaupteter Effekt (in diesem Fall der medizinische Nutzen) nicht vorhanden ist.

    Das hat jetzt überhaupt nichts mehr damit zu tun, dass man Juden/Muslime nicht negative Tatsachenbehauptungen unterstellen sollte, die nicht nachweislich wahr sind.

    Da ist auch nichts “an Analogien gebunden “, es sei denn, Sie leugnen, dass man ähnliche Rituale in unterschiedlichen Religionen prinzipiell vergleichen darf . Sie argumentieren wieder wie der UFO-Beobachter, der sagt “Nein, die 99 widerlegten UFOs haben mit meinem UFO gar nichts zu tun, das ist nur eine Analogie und die Nullhypothese ist natürlich, dass es Außerirdische gibt, die die Erde besuchen.”

    Sie überstrapazieren hier deutlich “special pleading” und sprechen von Nullhypothesen in einem völlig unwissenschaftlichen Zusammenhang (fehlende Falsifizierbarkeit). Ich finde es macht einen grossen Unterschied ob eine Aussage falsifizierbar ist oder nicht. Ihre Verrenkungen das zu ignorieren nur um mich mit einem rhetorischen “special pleading”-Vorwurf in die UFO-Gläubigen-Ecke zu stellen, ist schon sehr albern. Sie überstrapazieren auch Vergleiche. Vergleiche sind zwar anschaulich, beweisen aber gar nichts. Was ist denn an den von Ihnen genannten Ritualen (die nicht einmal alle religiös begründet sind) bitteschön ähnlich, abgesehen davon dass es Rituale sind die in die körperliche Unversehrtheit des Kindes eingreifen? Gut, dass die von Ihnen genannten Rituale den Kindern schaden, darüber sind wir uns ja einig. Aber es gibt doch auch Rituale und religiöse Vorschriften die zweiffellos den Kindern nutzen: Das fängt an bei einigen Hygiene-Vorschriften wie z.B. rituellen Händewaschungen (siehe Judentum), Rauch- und Alkoholverbote (z.B. Islam). Bei religiös begründeten Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit fällt es mir zugegebenermassen etwas schwerer, Beispiele zu finden, aber auch hier gibt es welche: z.B. den im Nachbarthread genannten Iman, der zu einer Impfung aufrief und dies mit dem Koran begründete. Wenn man so will kann man auch das umstrittene Abtreibungsverbot in der katholischen Kirche als Eingriff in die Disponibilität der körperlichen Unversehrtheit der Frau sehen, die dem ungeborenen Kind sicherlich nutzt.

    Der “aktuelle Stand” ist erstens umstritten, zweitens für die Einführung der Beschneidung vor 2000 Jahren irrelevant. Dazu müssten Sie schon nachweisen,d ass man damals medizinische Vorteile nachweisen oder plausibel annehmen konnte.

    Das ändert nichts daran, dass derjenige, der eine Behauptung aufstellt auch die Beweislast trägt. Und wenn man Juden/Muslimen einen (impliziten) Vorwurf macht, dann sollte man den auch begründen. Um das zu veranschaulichen habe ich eine alternative Hypothese in den Raum gestellt, die die Juden/Muslime in einem besserem Licht dastehen lässt. Offensichtlich war das ein Fehler, den Sie mit durchschaubarer Rhetorik nur dazu nutzen um von meiner Kritik abzulenken.

    “Wie ich im anderen Kommentar (und in meinem Gastbeitrag) argumentiere, ist das sogar die deutliche Mehrheitsmeinung.”
    Das bliebe mit einer korrekten und nicht nur eben so hingehusteten Literaturrecherche zu prüfen. Selbst wenn, sind die abweichenden Meinungen immerhin so stark, dass man sie nicht ignorieren sollte.

    Sie werfen mir schon wieder vor, ich würde abweichende Meinungen ignorieren. Das ist aber nicht wahr. Die abweichenden Meinungen nehmen in meinem Artikel einen deutlich grösseren Platz ein, als ihnen zustehen sollte. Und eine “hingehustete Literaturrecherche” lasse ich mir von Ihnen auch nicht vorwerfen, solange Sie nicht mehr als Cherrypicking und aus dem Kontext gerissene Zitate zu bieten haben.

    Und so ganz ignorieren sollte man auch nicht, wer jeweils aus welchen Motiven die Reviews schreibt, dazu haben wir ja oben genug ekliges gelesen.

    Was schlagen Sie vor? Welche (un-)wissenschaftliche Methode sollte universelle Verwendung finden um die Motive von Review-Autoren zu ermitteln? Bis zu welcher Erdös-(bzw. Quaintance-)Zahl sollte man die Fachliteratur verwerfen?
    Auch wenn ich derartige Einwände für prinzipiell berechtigt halte, sind sie nicht zielführend. VG Quaintance hat keinen einzigen in Pubmed aufgelisteten Fachartikel verfasst. Und es ist Sache der Polizei im weiteren Umfeld dieses Pädophilen zu ermitteln.

    “dann sprechen gute Gründe dafür, dass sie auch schon früher von Vorteil gewesen war. ”
    1. Nicht unbedingt, weil früher die hygienischen verhältnisse andere waren und entsprechend Komplikationen häufiger gewesen sein dürften (wofür es ja sogar historische Belege in Form der zitierten Bibelstellen gibt)
    2. Nachzuweisen ist aber – ich wiederhole es och mal – , dass man damals um diese Vorteile wissen konnte.

    Mit Ihrem 1. Punkt paraphrasieren Sie genau das was ich schrieb und Ihr zweiter Punkt ist schlicht unlogisch: Ob die Leute damals um die Vorteile wussten oder nicht, ist irrelevant für die Frage ob die Beschneidung auch damals von Vorteil war.

  206. #206 MartinB
    24. Oktober 2012

    @Physiker
    Es wird mir zu ermüdend, immer wieder dieselben punkte zu wiederholen. So ziemlich alles, was Sie schreiben, ist oben bereits abgehandelt.

    Mir cherry-picking vorzuwerfen, nachdem mit meiner google-Suche 4 kritische reviews herauskamen, obwohl bei Ihrer angeblich doch so umfassenden Recherche Null herauskamen, ist schon ziemlich dreist.

    Warum die Nullhypothese die ist, die ich annehme, haben Sie auch nicht verstanden.

    “Wie soll ich mich von Expertenmeinungen distanzieren ohne meine Kompetenzen zu überschreiten? ”
    Wenn Sie sich nicht distanzieren, dann müssen Sie halt akzeptieren, dass ich Ihnen diese Meinung zuschreibe. Wenn Sie jetzt plötzlich Ihre Inkompetenz als Argument anführen, dann ist das zwar lustig, aber mehr auch nicht.

    Aber es hat wirklich keinen Sinn – ich gebe es hiermit auf. Manchmal sind die Grenzen der Kommunikation erreicht.

  207. #207 Niels
    24. Oktober 2012

    @Physiker

    Und wer eine Behauptung aufstellt, sollte diese auch belegen. Und zwar insbesondere dann, wenn die Behauptung an Personen gerichtet ist und diesen etwas negatives unterstellt.

    Wenn allerdings du deinen Diskussiongegnern “übles Cherry-Picking”, Absurdität, Widersprüchlichkeit, völlige Un-Fundiertheit, Unlogik, Un­wis­sen­schaft­lich­keit, … unterstellen möchtest, dann ist dieses eherne Prinzip auf einmal doch nicht mehr so wahnsinnig bedeutsam?

  208. #208 MartinB
    24. Oktober 2012

    Noch ein Nachtrag:
    Ein gegenbeispiel zu einer “Es gibt kein” Aussage ist übrigens kein cherry-picking.

    @Niels
    Nein, die durch nichts begründete Annahme, man habe die Beschneidung eingeführt, weil man um die medizinischen Langzeitvorteile wusste, muss nicht begründet werden weil “Fairness”.

  209. #209 Physiker
    24. Oktober 2012

    @MartinB (20. Oktober 2012):

    […] weil eben die Gläubigen die Bedeutung ihrer Rituale für wichtiger halten als die körperliche Unversehrtheit.

    Die “körperliche Unversehrtheit” ist ein viel zu weiter Begriff – diese wird nämlich auch verletzt, wenn dem Kind die Haare geschnitten werden . Der entscheidende Punkt ist der, ob dem Kind insgesamt Schaden zugefügt wird oder nicht. Und der Vorwurf, dass alle Gläubigen (der entsprechenden Religionen) ihren Kindern einzig aufgrund eines religiösen Gebotes Schaden zufügen, ist mir einfach zu pauschal. Eltern, die wider besseren Wissens einen gesundheitlichen Nachteil für Ihr Kind in Kauf nehmen sind nichts anderes als religiöse Fundamentalisten. Und selbst wenn der Fundamentalismus-Begriff sehr dehnbar ist (da er von evangelikalen Positionen bis zum Selbstmordattentäter reicht): Den eingenen Kindern absichtlich zu Schaden, würde ich auf der Fundamentalismus-Skala nicht gerade ans harmlose Ende stellen.

  210. #210 MartinB
    24. Oktober 2012

    @Physiker
    Das habe ich doch oben alles schon haarklein diskutiert – nein, es ist nicht fundamentalistisch, wenn man glaubt, etwas für das Gute seiner Kinder zu tun, auch wenn sich das mit späterem Wissen als falsch herausstellt. Dass die Juden früher tatsächlich glaubten, nur durch dieses Ritual einen Bund mit Gott herstellen zu können (und deswegen gesundheitlich Nachteile in Kauf nahmen), ist in einer Zeit, in der man an Götter, Zauberei etc. glaubte, nicht verwunderlich und auch nicht verwerflich. Auch hier gibt es Analogien in anderen Religionen (z.B. Exorzismus-Rituale). Das mag alles aus der damaligen Warte heraus gesehen vernünftig gewesen sein – deswegen schrieb ich ja oben auch, dass selbstverständlich Juden ihre Kinder genauso lieben wie Nicht-Juden.
    Heute wissen wir halt, dass es keine Zauberrituale gibt.

  211. #211 Physiker
    24. Oktober 2012

    @MartinB:

    “Wie soll ich mich von Expertenmeinungen distanzieren ohne meine Kompetenzen zu überschreiten? ”
    Wenn Sie sich nicht distanzieren, dann müssen Sie halt akzeptieren, dass ich Ihnen diese Meinung zuschreibe.

    Und dann muss ich es auch akzeptieren, dass Sie mir Kompetenzüberschreitung, Einseitigkeit und das Ignorieren von allem was mir nicht in den Kram passt, vorwerfen – ohne dafür den Hauch eines Beleges liefern zu können?
    Nein. Wenn Sie meinen, dass es zu einem guten Diskussionsklima führt, schreiben Sie mir so viele Meinungen zu wie Sie wünschen, belegen Sie aber bitte Ihre Vorwürfe.

    Wenn Sie jetzt plötzlich Ihre Inkompetenz als Argument anführen, dann ist das zwar lustig, aber mehr auch nicht.

    Die Grenzen der Kommunikation sind dann erreicht, wenn die Rhetorik an 1.Stelle steht. Die Aussage, dass man eigene Kompetenzen nicht überschreiten will, in einen Ignoranz-Vorwurf zu verdrehen bedarf schon ganz besonderer Tricks.

  212. #212 MartinB
    24. Oktober 2012

    @Physiker
    Nein, es bedarf schon ziemlich Chuzpe, wenn man sich als Physiker erst hinstellt und behauptet, man könne einen fundierten Artikel über juristische und medizinische Aspekte schreiben und sich *dann* auf fehlende Kompetenz zurückzieht, wenn Gegenwind kommt. Wenn Sie ihre Kompetenzen nicht überschreiten wollen, dann schreiben Sie halt keine Artikel zu Themen, bei denen Sie nicht kompetent sind.

  213. #213 Physiker
    24. Oktober 2012

    @MartinB:
    Selbstmordattentäter glauben auch, dass sie sich selbst und ihrer Religion etwas Gutes tun, indem sie ihre eigene Gesundheit und die anderer Menschen ausschliesslich aus religiösen Gründen schädigen. Das ist die Definition von Fundamentalismus. Sie gehen in Ihrem Artikel davon aus, dass religiöse Eltern (oder Herr Friedrich) sich von medizinischen Argumenten nicht beeinflussen lassen würden. Wenn dies wirklich zuträfe, dann wäre das gemäss Definition religiöser Fundamentalismus.

  214. #214 Physiker
    24. Oktober 2012

    @MartinB:
    Der einzige Gegenwind den ich von Ihnen spüre ist rhetorischer Natur.

    P.S.: Ich wünsche Ihnen viel Spass dabei, sich bei Ihrem nächsten fachfremden Artikel von allen Aussagen zitierter Arbeiten zu distanzieren…

  215. #215 MartinB
    24. Oktober 2012

    @Physiker
    “Das ist die Definition von Fundamentalismus”
    In unserer heutigen zeit, ja, da halte ich das für problematisch – das Totschlagwort “Fundamentalismus” würde ich trotzdem vermeiden, siehe oben.
    Vor 2000 oder mehr Jahren, als man die Beschneidung einführte, nein, da hielt man Magie, Zauber und Rituale für wirklich wirksam und ein Opferritual ergab nach damaliger Logik Sinn.

    So, und nun ist wirklich Schluss – weitere Kommentare spare ich mir.

  216. #216 Adent
    24. Oktober 2012

    @Physiker

    Der entscheidende Punkt ist der, ob dem Kind insgesamt Schaden zugefügt wird oder nicht.

    Wenn dies ihre Aussage ist, dann sind sie selbst gegen eine Beschneidung, da durch die Beschneidung in einem Land, in dem der Hygienestandard und die Lebensumstände eine AIDS-Infektion eines Kindes durch Sex ausschließt, dann ist meines Wissens nach keine der anderen Krankheiten die angeblich durch die Beschneidung mit geringer Häufigkeit auftreten (ich bezweifele selbst das) lebensbedrohlich. Und damit ist die Sache klar, es kann zu Todesfällen bei der Beschneidung von Kindern kommen und dieses Risiko ist höher als der Nutzen.
    Davon mal ab hinken ihre anderen Vergleiche sehr stark. Sie können Haare schneiden nicht mit einer Beschneidung vergleichen, weil das eine reversibel ist, das andere ein Verstümmelung surch Abschneiden eines nicht nachwachsenden Körperteils. Auch eine Impfung ist nich tdamit zu vergleichen, da es bei dieser auch nicht annähernd in dieser Häufigkeit (nämlich 100%) zu lebenslangen Negativfolgen kommt.
    Soviel zu ihrem endlosen Sermon oben, übrig bleibt, es gibt keinen medizinischen Grund, der ihre ganze Strohmann-Diskussion unterstützt. Kernthema war eigentlich die religiöse Begründung der Beschneidung, was sie leicht durchschaubar mit dem medizinischen Strohmann diskutieren wollen, aber auch dies klappt nicht.
    Auch ich beende damit endgültig die Diskussion mit einem lernresistenten. Sie dürfen gern das letzte Wort haben, wenn ihnen obejektiv gesehen schon sonst nichts von ihrem Gedankengebäude bleibt.

  217. #217 georg
    25. Oktober 2012

    @Martin

    “So, und nun ist wirklich Schluss – weitere Kommentare spare ich mir.”

    Ich hatte auch schon mal das Vergnügen mit Physiker zu diskutieren. Rhetorisch hat er schon was drauf:. Beweislastumkehr, Begriffspalterei und vor allem Ausdauer, Ausdauer, Ausdauer. Der macht einfach solange weiter bis der andere aufgibt. Ich hatte mich schon gewundert, dass von ihm nach dem 18. Oktober mehrere Tage nichts kam.

    Möglicherweise hatte er in der Zeit keinen Internetzugang 😉

    mfg georg

  218. #218 Physiker
    25. Oktober 2012

    @georg:
    Och… das Wetter war traumhaft schön!

  219. […] euch das Phänomen an etwas? Mich schon. Bei all den vielen Beispielen im Buch wird nämlich ein Thema vollkommen ausgeklammert – […]

  220. #220 Wilhelm Leonhard Schuster
    29. Juli 2013

    1. Mose 17 / 9 bis 14

    Besonders Vers 14 zeigt Folgen der Nichtbeschneidung auf.

    Grundsätzlich handelt es sich um eine Menschengruppe die sich von Anderen abheben will und-“soll”.

    Die Gruppe hat gegenüber anderen Menschen offensichtlich gemeinsame(von Gott versprochene) Interessen. (Landnahme vom Nil bis zum Euphrat)

    Das “Volk Gottes” steht über allen anderen Völkern.

    Beweis, daß” Einer” dazugehört : Die Vorhaut fehlt .
    (Dadurch wird ein Bund mit Gott geschlossen).

    (Abraham soll sämtliche M. Personen seines Besitzes gleichgültig woher sie stammen, Beschneiden).

    Die Uno hat in Sachen dieser Dinge und Religionen,
    wie mir scheint , (noch )nicht Stellung bezogen.