Pflanzenfressende Dinosaurier waren natürlich Beutetiere für Raubsaurier. Nicht immer aber waren solche Angriffe erfolgreich; manchmal gelang es dem Opfer auch – wenn auch lädiert – zu entkommen. Ein eindrucksvolles Fossil, das vermutlich genau auf so einen Angriff zurückzuführen ist, wurde vor einigen Jahren in Südafrika gefunden und jetzt detailliert beschrieben. Es handelt sich um einen Dino aus der frühen Jura-Zeit. Da man nur einige Knochen gefunden hat, kann man die Gattung nicht genau zuordnen, vermutlich handelt es sich um einen Massospondylus oder einen nahen Verwandten:


(Bild von Wikipedia, User Nobu Tamura (https://spinops.blogspot.com) Lohnt sich übrigens, die Seite anzuklicken, sind schicke Dino-Bilder dabei. CC BY 3.0, Link)

Massospondylus gehört zu den ersten Sauropoden (oder deren nahen Verwandten), also den berühmten Langhals-Langschwanz-Dinos. Er erreichte Längen von etwa 6 Metern und ging vermutlich (wie hier dargestellt) auf den Hinterbeinen – wenn auch meist sicherlich nicht so aufgerichtet.

Hier nun ein Bild der entscheidenden Knochen des neuen Fossils:

Aus Butler et al., s.u.

Es handelt sich um die Schwanzwirbel Nummer 18-25. Weiter hinten liegende Wirbel hat man nicht gefunden, obwohl Saurier dieser Sorte typischerweise 40-50 Schwanzwirbel haben sollten. Entscheidend ist, dass ab Wirbel 23 die Wirbel sehr seltsam aussehen. Sie sind miteinander verwachsen und zeigen viel neu gewachsenen Knochen, der darauf hindeutet, dass hier eine Verletzung geheilt ist. Eine CT-Analyse der Mikrostruktur zeigt, dass der Knochen hier wenig dicht ist, wie man es bei schnell wachsendem Knochen erwartet.

Es liegt nahe, anzunehmen, dass der Rest des Schwanzes (immerhin ein Drittel der Gesamtlänge) durch einen Angriff eines Raubsauriers verloren ging. Ähnliches kennt man auch von heutigen Krokodilen, die auch gelegentlich Teile des Schwanzes durch Bisse verlieren, das aber gut überleben können. Es ist aber zum einen auch möglich, dass der Schwanz zunächst nur verwundet wurde und dann erst später abfiel, auch wenn das Aussehen des Endes eher dagegen spricht. Zum anderen ist natürlich auch nicht sicher (auch wenn es plausibel ist), dass der Schwanz nicht bei einem anderen Unfall verletzt wurde, beispielsweise weil ein anderes Herdenmitglied (vielleicht in einem Kampf) draufgetreten ist.

Sicherlich ein interessantes Fossil – es ist immerhin eine Veröffentlichung im “Journal of Vertebrate Paleontology” wert, wenn auch nur als “Short communication”. Das Paper konzentriert sich natürlich auf die Darstellung des Fossils und enthält nur am Schluss die – deutlich gekennzeichneten – Spekulationen über die Ursache der Verletzung.

Als ich überlegt habe, ob ich es verbloggen sollte, habe ich mich gefragt “Ist das wirklich soo spektakulär, dass Leute das lesen wollen? Wie stelle ich es am spannendsten dar?” Und dann habe ich mir vorgestellt, ich wäre kein Blogger, der abends am Schreibtisch seine Artikel tippt, sondern der Drehbuchschreiber für einen Doku-Kanal. Könnte man über diesen Fossilfund eine Doku machen? Und ob! Hier also mein Entwurf für’s Drehbuch:

Kamerafahrt durch eine urzeitliche Landschaft. Am Ufer eines Sees steht ein Massospondylus (nein, natürlich wird nicht dazugesagt, dass die Gattungszuordnugn zweifelhaft ist). Die dramatisch klingende Stimme des Erzählers sagt “Noch ahnt das Tier nicht, welch schrecklicher Angriff ihm bevorsteht.” Die Kamera richtet sich auf ein Pflanzendickicht, in dem schemenhaft eine Bewegung zu erkennen ist. Dann – gerade als der Schemen sich aus dem Gebüsch herausbewegt – endet die Szene.

Als nächstes blenden wir erst mal auf eine Ausgrabung. “März 2008. Ein heißer Tag im Gebiet der Drumbo-Farm in Südafrika. Forscher versuchen, eine der geheimnisvollsten Zeiten der Erdgeschichte zu enträtseln – das untere Jura.” (An dem ist auch nix geheimnisvoller als an anderen Zeiten, aber wen stört das?) “Akribisch suchen sie nach Hinweisen auf Fossilien. Doch dieser Tag wird sich als ein ganz besonderer erweisen.”

Die Kamera zeigt, wie einer der Forscher plötzlich aufgeregt winkt und die anderen zu sich ruft. Bevor man irgend etwas sieht – erstmal wieder ein Schnitt.

Keine Dino-Doku kommt ohne Interviews mit Paläontologinnen (heute mach ich’s mal anders und mische männliche und weibliche Formen frei nach Laune) aus – im Fachjargon “Talking heads” genant. Die sind erstens billig (glaubt bloß nicht, dass die Leute dafür Geld bekommen) und füllen zweitens die Zeit gut aus. Wir interviewen also erst mal eine Paläontologin, die uns erzählt, wie so eine Ausgrabung abläuft etc. Natürlich werden ihre Sätze zu leicht verdaulichen Häppchen von weniger als 12 Worten zusammengeschnitten.

Anschließend wieder die Ausgrabung. Alle stehen herum und sehen zu, wie ein oder zwei Leute die Knochen vorsichtig mit Pinseln und kleinen Werkzeugen freilegen. Dabei sieht man jetzt schon die seltsam verformten Wirbelknochen ganz deutlich. “Alle spüren, dass sie hier etwas ganz Einzigartiges gefunden haben. Die Forscher beginnen zu spekulieren: Ist es möglich, dass sie hier einen Beweis für eines der spektakulärsten Ereignisse der Urzeit gefunden haben – den Angriff eines Raubsauriers?”

Computeranimationen von Dinos sind ja teuer – deshalb zeigen wir nochmal die vom Anfang. Aber diesmal zeigen wir etwa 3 Sekunden mehr, in denen man erkennt, dass der Schemen wohl zu einem zweibeinigen Raubsaurier gehören könnte.

“Um ihre Theorie zu stützen, müssen die Forscher die Knochen detailliert analysieren.” Ein weiterer “talking head” erzählt uns etwas über das Präparieren von Fossilien. Dann sehen wir ein Präparationslabor, in dem die Knochen langsam freigelegt werden. (Macht auch nix, dass man die eigentlich bei der Szene vorhin schon detailliert gesehen hat.)

Dann sehen wir die Wirbel in voller Schönheit, mit einer ausführlichen Kamerafahrt. Einer der Forscher erklärt die Deformationen des Knochens.

“War es aber wirklich ein Angriff eines Raubsauriers? Und ist der Massospondylus diesem Angriff zum Opfer gefallen oder hat er ihn möglicherweise überlebt? (Wir ignorieren mal, dass auch ein Laie erkennt, dass sich neuer Knochen um die zerstörten Wirbel herum gebildet hat.)  Das wäre ein sensationeller Beweis dafür, dass Raubsaurier tatsächlich aktive Jäger waren.”

(Bisher fehlt nämlich noch etwas in unserer Dino-Doku: Die wissenschaftliche Kontroverse. Es muss immer zwei Lager geben und der neue Fund muss immer unser Bild auf den Kopf stellen oder zumindest zum ersten Mal eindrucksvoll bestätigen, was man bisher nur vermuten konnte.)

Deshalb jetzt als nächster “talking head” Jack Horner. Horner ist ja der, der die Hypothese aufgestellt hat, Tyrannosaurier seien reine Aasfresser gewesen (was vermutlich niemand auf der Welt noch ernst nimmt). Wir interviewen also Horner und erwecken dabei den Eindruck, als sei generell zweifelhaft, dass Raubsaurier andere Dinosaurier aktiv gejagt haben. Schon haben wir unsere Kontroverse.

“Um sicher zu gehen, dass der Massospondylus (wie gesagt, Zweifel an der Gattungszugehörigkeit brauchen wir nicht…) tatsächlich Opfer eines brutalen Angriffs wurde, brauchten die Forscher eine genauere Analyse der Knochen.” Als nächstes zeigen wir einen Computertomographen. Möglichst einen, in dem die Knochen beim Reinlegen mit einem Laser abgerastert werden, weil das cooler aussieht. Eine Expertin bedient den Tomographen, während unser Chef-Forscher (ich weiß nicht, wer von den vier Autoren des papers sich am besten eignen würde) ihr gebannt über die Schulter schaut. Dann wird Stück für Stück das 3D-Bild des Knochens sichtbar. Aufgeregt starren beide auf den Bildschirm und zeigen auf einzelne Knochenteile. Anschließend werden die CT-Bilder minutenlang in der Gegend rum-rotiert.

“Das Computertomogramm beweist: Der Dinosaurier hat den Verlust des Schwanzes überlebt. Feinste Strukturen im Knochen zeigen, dass die Wunde verheilt ist und der Massospndylus noch eine längere Zeit nach dem Angriff am Leben war. Leider fand sich – anders als von den Wissenschaftlern gehofft – kein Zahn des Angreifers in einem der Knochen. Ist es wirklich möglich, dass ein Dinosaurier einen teil seines Schwanzes verliert und danach weiterlebt?”

Krokodile. Jetzt zeigen wir erst mal Krokodile. Erstens sind die fotogen, zweitens machen die sich in Dino-Dokus immer gut und drittens können wir dann die Kurve kriegen, um zu erklären, dass auch Krokodile manchmal Teile ihrer Schwänze durch Kämpfe verlieren. Zwischendurch mal wieder einen “talking head”, der über Krokodile redet, damit die Zeit rumgeht…

Um die These weiter zu stützen zeigen wir dann noch das Fossil eines Majungasaurus, das 2007 beschrieben wurde. Der hat nämlich auch einen Teil seines Schwanzes verloren. (Ähh – dann ist unser Massospondylus (wenn es denn einer ist) also gar nicht der erste Dino, der seinen Schwanz bei einem Angriff verloren hat? Ist damit die Sensation nicht ziemlich unspektakulär? Egal, das merkt schon keiner, und dass mit der Jahreszahl 2007 müssen wir ja nicht erwähnen…)

Also spricht ales dafür, dass der massospondylus tatsächlich Opfer eines Angriffs wurde. Jetzt zeigen wir nochmal unsere Computeranimation, diesmal sogar vollständig. Da wir kein so ganz großes Budget haben, sieht man einen etwas roboterhaften Dinos aus dem Gebüsch staksen, dann zeigen wir viele hektische Kamerabewegungen mit verwaschenen Dinos, bis schließlich der Raubsaurier zubeißt. (Hätten wir doch ein großes Budget, dann hätten wir den Film auch auf die doppelte Länge ausdehnen können. Wir hätten nämlich ein Robot-Modell des Raubsauriers gebaut, mit dem wir dann getestet hätten, ob Raubsaurier tatsächlich einen Schwanz abbeißen können.)

Jetzt noch ein paar nette Schlussworte, und unsere Dino-Doku ist fertig. Falls jemand das Drehbuch kaufen will…

Tja, als ich noch klein war und es im Jahr ein oder zwei Dino-Filme im Fernsehen gab (wenn überhaupt so viele), da habe ich sie alle angeguckt. Inwzischen schalte ich meist nach kurzer Zeit gelangweilt aus oder gucke nur wegen der “talking heads” zu – oft sind Leute dabei, die ich zumindest dem Namen nach oder von der Dino-Mailing-Liste kenne. Was ich von den meisten Dokus selbst halte (es gibt aber auch Ausnahmen), ist wohl klargeworden, hoffe ich.

                           

Richard J. Butler , Adam M. Yates, Oliver W. M. Rauhut & Christian Foth
A pathological tail in a basal sauropodomorph dinosaur from South Africa: evidence of traumatic amputation?
Journal of Vertebrate Paleontology, 33:1, 224-228

 

Kommentare (12)

  1. #1 Ludger
    30. Januar 2013

    Es handelt sich um die Schwanzwirbel Nummer 18-25. Weiter hinten liegende Wirbel hat man nicht gefunden, obwohl Saurier dieser Sorte typischerweise 40-50 Schwanzwirbel haben sollten. Entscheidend ist, dass ab Wirbel 23 die Wirbel sehr seltsam aussehen. Sie sind miteinander verwachsen und zeigen viel neu gewachsenen Knochen, der darauf hindeutet, dass hier eine Verletzung geheilt ist.

    Ein Fall von Autotomie?
    https://de.wikipedia.org/wiki/Autotomie

  2. #2 Rainer
    30. Januar 2013

    Es fehlt noch eine Szene die in JEDER Dino-Doku vorkommt:

    Sobald ein Raubsaurier ins Bild kommt, brüllt er erstmal herum!

  3. #3 Theres
    30. Januar 2013

    Lieber Martin, du solltest einen Wechsel deiner beruflichen Laufbahn wenigstens in Erwägung ziehen … 🙂 Vor allem mit deinen liebenswürdigen Kommentaren aus dem Off würde die Sendung doch ein Knaller …

  4. #4 Dark_Tigger
    30. Januar 2013

    @Rainer
    Nicht nur in Dokus. Raubtiere in Horror und Action Filmen machen das auch Grundsätzlich nach dem Erfolgreichen anschleichen.

    @Topic
    Ja diese Dokus sind irgendwie… Blöd. Die bessere Methode über halb aktuelle Infos über Dinos ranzukommen ist Kindergartenkindern zuzuhören. Die sind oft erstaunlich gut informiert. 🙂

  5. #5 emreee
    31. Januar 2013

    “Also spricht ales dafür, dass der massospondylu”
    Da fehlt ein l 😛 ansonsten ein super Text 🙂

  6. #6 MartinB
    31. Januar 2013

    @Rainer
    Mist, ja das habe ich vergessen – erst brüllen, dann angreifen, wir wollen ja, dass der Pflanzenfresser auch weiß, dass er angegriffen wird (in Rollenspielen müssen die Paladine auch immer erst um den Gegner rumreiten, damit sie ihn von Vorn angreifen können…)

    @Ludger
    Nein, auf keinen Fall.

  7. […] dann wird es dramatisch: Bei Hier wohnen Drachen gibt es einen hervorragenden Drehbuchentwurf zu einer spannenden Dinosaurier-Doku. Standard […]

  8. #8 MX
    3. Februar 2013

    Es fehlt noch die Werbung, die gehört zu jedem Film. Vorschlag: Einblendung eines alten Opas mit dem Satz “damit Sie auch morgen noch kraftvoll zubeißen können”.

    Nur interessehalber: Wie kann man eigentlich bei einer Versteinerung eine geringere Knochendichte im CT feststellen? Bleiben solche Struktureigenschaften in der Versteinerung wirklich erhalten?

  9. #9 MartinB
    3. Februar 2013

    @MX
    Ja, das ist erhalren geblieben,die Knochen waren anders mit Gestein aufgefüllt. Im paper steht
    “Generally, the neural arches are composed of densely packed trabecular bone, whereas the centra and the hyperostosis are mostly hollow and infilled
    with sediment. Within the hyperostosis distinct sediment-infilled cavities and channels are visible.”

  10. #10 ek
    4. Februar 2013

    Erinnert mich an Cargo Kult Wissenschaft , also das , was einem als Methodik zum Gewinn von Erkenntnis in unserem geliebten TV verkauft wird.
    Ich stelle mir Paläntologie als wenig spektakulär vor , das ist wohl mühsame Kleinarbeit.

    Btw : Die Talking Heads waren eigentlich eine korrekte Band ( Duck und wech).

  11. #11 Tobey
    Saarlouis
    5. März 2013

    Ich mag Dino-Dokus. Sowohl die teuren von BBC als auch die mit billigen Effekten. Ob das in der Doku gesagte wirklich stimmt, kann ich als Laie nicht direkt nachprüfen und das ständige wiederholen der gleichen Szenen nervt auch mich total, aber wenn ich beim Durchzappen irgendwo was von Dinosauriern sehe oder höre, bleibe ich sofort dran ^^

  12. #12 MartinB
    5. März 2013

    @Tobey
    Die BBC-Doku war auch wirklich gut (auch wenn sie viele Fehler enthält – ein Postosuchus mit Säugetierartigem Urinstrahl ist schon komisch).
    Aber jetzt stell dir vor, wie gut Dino-Dokus sein könnten, wenn man die genannten Fehler vermeiden würde.