Die Frage, wie und warum unsere Vorfahren sich von Fischen zu Landtieren entwickelten, wird ja seit langer Zeit diskutiert (hier in meinem Blog zum Beispiel hier, hier,oder hier). Wie kommt ein “Fisch” dazu, sich an das Leben an Land anzupassen? Eine neue Untersuchung zeigt, dass die Augen dabei eine entscheidende Rolle spielen.

Jede, die schon mal unter Wasser die Augen aufgemacht hat, weiß, dass man unter Wasser nicht so wahnsinnig gut sieht. Noch schlechter sieht man, wenn man nicht im Pool oder im oft sehr klaren Meerwasser taucht, sondern in einem Fluss oder See. Deswegen sind Fenster, mit denen man in einen See hineinblicken kann, wie in manchen Tierparks (beispielsweise dem sehr schönen in Essehof in der Nähe von Braunschweig) auch oft ziemlich unspektakulär – man sieht meist nur ein paar Zentimeter bis vielleicht einen Meter weit, danach verschwimmt alles in einer brackigen Brühe.

Die meisten Fische brauchen deshalb auch keine besonders großen Augen – Schätzungen zeigen, dass ein typischer Flussfisch etwa eine Körperlänge weit sehen kann, aber nicht viel mehr. Aber würden große Augen denn nicht helfen, weiter zu gucken? Die Antwort darauf lautet schlicht nein, wie diese Grafik zeigt:

tetrapodVision1

 (aus MacIver et al., s.u.)

Aufgetragen ist auf der horizontalen Achse der Durchmesser der Pupille, auf der vertikalen Achse die Sichtweite, unter der ein Fisch unter Wasser mit dieser Pupillengröße eine schwarze Scheibe mit 10cm Durchmesser sehen könnte.(Die rote und blaue Linie erkläre ich gleich, die dürft ihr erstmal ignorieren.) Man sieht sehr schön, dass eine Pupillengröße von etwa 6 Millimeter ausreichend ist – macht man die Pupille größer, gewinnt man nicht so schrecklich viel. (Falls jetzt jemand einwendet, dass aber z.B. viele Tiere, die im Dunkeln oder in der Tiefsee herumschwimmen und jagen, große Augen haben: Richtig. Aber die leben meist im Meer, wo das Wasser deutlich klarer ist.)

Hier seht ihr den gleichen Plot, diesmal aber für Tiere, die an Land gucken:

tetrapodVision2

 (aus MacIver et al., s.u.)

Zwei Dinge sind deutlich zu erkennen: erstens ist die absolute Sichtweite um einen Faktor 100 größer als im Wasser und zweitens wird der Wert immer besser, je größer die Pupille wird. Ein Plateau der Kurve wie bei den Augen im Wasser gibt es nicht.

Große Pupillen sind also für Tiere, die in der Luft herumgucken, viel nützlicher als für Tiere, die im Wasser unterwegs sind.

So, und jetzt gucken wir uns ein paar konkrete Tiere an, nämlich die ersten Vierfüßer (Tetrapoden) und ihre Vorfahren (zum Vergrößern Klicken).

tertrapodClado

 (aus MacIver et al., s.u.)

Dieses ziemlich komplizierte Bild zeigt den Stammbaum der Tetrapoden. Die ganzen Namen müssen wir uns nicht alle angucken – bekannte Vertreter sind Eusthenopteron, Tiktaalik und Ichthyostega. Farbig markiert ist zu welcher Gruppe die jeweiligen Tiere gehörten – rot steht für diejenigen, die noch Flossen hatten, gelb sind die Tiere, die gerade im Übergang vom Vierflosser zum Vierfüßer waren, und blau markierte Tiere haben echte Füße mit Zehen. Die Kreise geben die Größe der Augenhöhle (normiert auf die Körpergröße) an.  Deutlich zu erkennen ist, dass bei den richtigen Tetrapoden mit Land-Sonderausstattung zum Ausstattungspaket auch große Augen gehören. (Mit Ausnahme der braun markierten, aber die haben sich wieder an das Leben im Wasser angepasst.) Die rote und blaue Linie oben in den Bindern zeigen übrigens die Augengröße der entsprechenden Tiergruppe an.

Interessant ist aber, dass auch bei Tieren wie Tiktaalik die Augen schon vergrößert sind. Tiktaalik war ja mit hoher Wahrscheinlichkeit eben kein Landbewohner. Wozu brauchte er also die großen Augen?

Man geht davon aus, dass Tiere wie Tiktaalik im flachen Wasser gelebt haben. Die Augen von Tiktaalik waren eher oben am Kopf angebracht, nicht seitlich wie bei Eusthenopteron et al. Tiktaalik dürfte also mit den Augen über der Wasseroberfläche geguckt haben. Das ist natürlich praktisch, weil er so Beute auf größere Entfernung erkennen konnte – seien es Fische oder andere Wassertiere, möglicherweise aber auch Beutetiere an Land.

Denn auch wenn wir meist mit unserem Wirbeltier-zentrierten Blick gucken: Landtiere gab es schon deutlich vor den ersten Vierfüßern, beispielsweise große Tausendfüßer. Es ist also auch möglich, dass Tiere wie Tiktaalik im flachen Wasser gelegen und das Ufer abgesucht haben, um dort Beute zu machen. Die verbesserte Sicht durch größere Augen machte dann die Jagd an Land möglicherweise immer attraktiver und war ein wichtiger Grund dafür, vom Wasser- zum Landleben überzugehen.

              

Massive increase in visual range preceded the origin of terrestrial vertebrates
Malcolm A. MacIver, Lars Schmitz, Ugurcan Mugan, Todd D. Murphey, and Curtis D. Mobley

www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.1615563114

Kommentare (10)

  1. #1 tohuwabohu
    Berlin
    18. März 2017

    Irgendwie nicht ganz schlüssig:

    Man geht davon aus, dass Tiere wie Tiktaalik im flachen Wasser gelebt haben. Die Augen von Tiktaalik waren eher oben am Kopf angebracht, nicht seitlich wie bei Eusthenopteron et al. Tiktaalik dürfte also mit den Augen über der Wasseroberfläche geguckt haben. Das ist natürlich praktisch, weil er so Beute auf größere Entfernung erkennen konnte – seien es Fische oder andere Wassertiere, möglicherweise aber auch Beutetiere an Land.

    Wenn man von kurz über der Wasseroberfläche auf dieselbe hinabblickt, dann kann man nichts unterhalb der Wasseroberfläche sehen – da spiegelt sich nur der Himmel bzw. die Pflanzen und Tiere am Ufer. Also kann man kaum Fische, die unterhalb der Wasseroberfläche leben, erkennen und jagen, es sei denn, diese ragen selbst aus dem Wasser heraus oder erzeugen zumindest sichtbare Miniwellen (Verwirbelungen). Auch nützt es kaum, dass man über Wasser weiter sehen kann, wenn man erst mehrere Meter zurücklegen muss, um die Beute zu erreichen. Also bieten die obenliegenden, großen Augen keinen wesentlichen Vorteil bei der Jagd nach im Wasser lebenden Tieren. Wenn eine deutlichere Sicht auf das Geschehen über Wasser einen evolutionären Vorteil darstellen soll, dann liegt dieser wohl eher darin, dass er auch dort seine Beute machen konnte (vielleicht war er in der Lage, wie die Schützenfische, z.B. Insekten von Zweigen und Blättern ins Wasser zu befördern, um sie dann zu fressen – entsprechende Hinweise könnten evtl. aus der Kieferform abgeleitet werden, dies würde mit in der Luft befindlichen Augen auch leichter fallen, als wenn die Augen unter Wasser wären).
    Insgesamt halte ich die Jagd auf an Land lebende Beute für wahrscheinlicher, als auf Fische und andere Wasserbewohner.

  2. #2 rolak
    19. März 2017

    rote und blaue Linie oben in den Bindern

    Ui, Krawattenzwang? Nach EliteUni sortiert?

    Sehr übersichtsschaffender Text, MartinB!

  3. #3 MartinB
    19. März 2017

    @tohuwabohu
    Guter Punkt – aber machen Alligatoren, die Fische jagen, nicht genau das?

  4. #4 MartinB
    19. März 2017

    @rolak
    Naja, in den USA sind die Farben rot und blau ja eindeutig den Parteien zugeordnet – rot sind halt die eher konservativen “Wir waren schon immer hier im Wasser, das war früher auch gut, daran sollte man nichts ändern, der ganze Landkram ist doch nur für Träumer, make water great again”…

  5. #5 rolak
    19. März 2017

    eindeutig

    Jetzt wo Du es sagst, MartinB, war es immer schon so. Da habe ich mich wohl in die Irre führen lassen.

    Betreutes Surfen ist auch nichts Perfektes… Plusquam vielleicht.

    make water great again

    Done!

  6. #6 mar o
    19. März 2017

    Vorhin gelesen, vielleicht ganz passend:
    https://www.newscientist.com/article/2124873-these-fish-are-evolving-right-now-to-become-land-dwellers/

    Da geht es um Fische, die einen Teil ihrer Zeit an Land verbringen, vermutlich um vor Räubern zu flüchten und ungestört Algen zu fressen.

  7. #7 Alderamin
    19. März 2017

    @MartinB

    Kennst Du die?

    https://de.wikipedia.org/wiki/Vieraugen

    Dass wir Menschen unter Wasser nicht scharf sehen können, liegt ja an unserer Anpassung an die Luft, wo die Brechzahl beim Übergang von Luft durch die Linse viel größer ist als unter Wasser (aber schon eine Schwimmbrille erledigt das Problem; es sei denn, man ist so alterssichtig wie ich…). Die Schlammspringer können hingegen mit ihren Augen sowohl über als auch unter Wasser scharf sehen, die können “umschalten”.

    Ich denke mal, bei den heutigen Fischen dient das Sehen in der Luft hauptsächlich zum Schutz vor Beutegreifern aus der Luft. Bei den damaligen Tieren gab’s wohl noch keine Fressfeinde, nur Insekten als Beute.

  8. #8 MartinB
    20. März 2017

    @mar o
    Ja, das ist sehr passend – aber die sind rein von der Anatomie her den ersten tetrapoden nicht so ähnlich, oder?

    @Alderamin
    Klar, die kenne ich.

    Beutegreifer aus der Luft waren damals sicher egal. Man kann sich vielleicht auch vorstellen, dass die Ur-tetrapoden nach Insekten geschnappt haben, die über dem Wasser herumfliegen.

  9. #9 Rotmilan
    20. März 2017

    Interessant wäre es zu erfahren, ob es eine Verbindung zwischen “schlechten” Augen und der Ausprägung der anderen Sinne gibt.

    Wie sind die anderen Sinne der Süßwasser -Fische ausgeprägt?

    Gibt es dazu entsprechende Studien?

  10. #10 MartinB
    20. März 2017

    @Rotmilan
    Soweit ich weiß, haben die meisten heutigen Fische Seitenlinienorgane zur Orientierung; ich glaube, die sind schlecht fossil nachzuweisen (ebenso Dinge wie Geruchssinn, weiß nicht, ob es von irgendwelchen der Viecher passende Hirnabdrücke gibt, an denen man das abschätzen kann).