Die gut besuchte Veranstaltung am Mittwochnachmittag bot dem interessierten Publikum einen breiten Überblick über verschiedene Aspekte deutscher Einwanderung in die Vereinigten Staaten. Hartmut Berghoff vom German Historical Institute Washington betonte, dass sein spezielles Forschungsfeld, trotzdem es unzweifelhaft von grundlegender Bedeutung für die amerikanische Gesellschaft ist, innerhalb der Immigrationsforschung im Allgemeinen eher stiefmütterlich behandelt würde.

i-2b61c03c76db9a14ecba9979b03cca22-Immigrants.jpgVon Julia Naßutt und Sylvia Semmet

Ein Missstand, dem durch ein aktuelles Forschungsprojekt abgeholfen werden solle, dessen Zielsetzung äußerst vielversprechend gleichermaßen für Geschichtslehrkräfte wie Historikerinnen und Historiker erscheint: die Erarbeitung und Bereitstellung einer Online-Plattform mit Quellen- und Bildmaterial und eine mehrbändige Print-Veröffentlichung zum Thema. Der dargestellte Ansatz zeigt sich erfreulich differenziert in seiner Herangehensweise. (Das Foto rechts zeigt eine deutsche Einwandererfamilie in den USA um 1930. Quelle: Bundesarchiv)


Biografischer Ansatz und Fallstudien

Die Projektgruppe versucht, sich dem Themenkomplex mit Hilfe unterschiedlicher Fragestellungen zu nähern, berücksichtigt die zeitweise anti-deutsche Stimmung in den Staaten, Phänomene der Amerikanisierung der Immigranten – transnationaler Persönlichkeiten, die ihr ursprüngliches Heimatland mit der neuen Heimat verbanden – oder auch die veränderten Rollen, die die verschiedenen Generationen der Einwandererfamilien in ihrer neuen Umgebung spielten. Für Unterrichtende besonders praktisch umsetzbar ist der biografische Ansatz der Projektgruppe, die in mehreren Fallstudien ein anschauliches Bild zahlreicher Einwandererschicksale vermittelt, das sicherlich auch Schülerinnen und Schülern im Geschichtsunterricht Identifikationsmöglichkeiten eröffnet und Fremdverstehen anbahnen kann.

So bot Giles Hoyt aus Indianapolis einen wahren Schatz an Beispielen aus dem mittleren Westen der Vereinigten Staaten im 19. Jahrhundert aus dem sogenannten „Deutschen Viereck”. Sehr aktuelle Bezüge wurden im Zusammenhang mit der deutsch-amerikanischen Bank Lehman Brothers im Austausch mit dem Publikum angesprochen…

Einen stark sozialgeschichtlichen Zuschnitt bot Susan Ingalls Lewis aus New York, die sich auf den Beitrag konzentrierte, den Geschäftsfrauen aus deutschen Einwandererfamilien mit ihren kleineren Geschäftsunternehmen zur wirtschaftlichen Entwicklung ihrer neuen Heimat um die Mitte des 19. Jahrhunderts leisteten. Susan Ingalls Lewis untersuchte aber auch den Status dieser Geschäftsfrauen innerhalb des Sozialgefüges ihrer jeweiligen Gemeinde. Dabei wurden vielfältige Geschäftsmodelle wie Bäckereien, Brauereien, Kneipen oder auch Klaviermanufakturen beleuchtet. So anschaulich und handfest diese Perspektive sicherlich ist, würde man sich hier dennoch eine etwas stärkere Einordnung in den jeweiligen historischen Hintergrund der einzelnen Frauenschicksale oder auch eine Verknüpfung mit den individuellen push- bzw. pull-Faktoren, die zur Auswanderungsentscheidung geführt hatten, wünschen, besonders vor dem Hintergrund einer potentiellen Nutzung der dargestellten Beispiele für gewinnbringenden Geschichtsunterricht.

Sehr spannende Einblicke bietet allerdings der besondere Fokus auf die Gruppe der deutsch-jüdischen Geschäftsinhaberinnen und auf die Gemeinsamkeiten aber auch Unterschiede, wie diese jeweils durch ihre amerikanischen Nachbarn und Nachbarinnen aufgenommen und akzeptiert wurden. Hier erlaubt die Quellenlage laut Ingalls Lewis Rückschlüsse auf das Vorhandensein oder auch Nicht-Vorhandensein antisemitischer Haltungen der aufnehmenden amerikanischen Gemeinden, die man querschnittartig entsprechenden Entwicklungen in der alten Heimat der Frauen gegenüberstellen könnte. Leider scheinen Quellenformen wie Tagebücher völlig zu fehlen – Unterlagen zu Kreditverfahren hingegen liegen in großer Zahl vor und versorgen die historische Forschung mit zeitgenössischen und mehr oder weniger professionellen Einschätzungen des jeweiligen Unternehmens, der Umstände und auch der geschäftsleitenden Frauen aus Sicht der Kreditgeber.

Genuss für Cineasten

Einen hochinteressanten Zugang für Filmfreunde bot Cristina Stanca Mustea aus Heidelberg, die sich mit dem deutsch-jüdischen Einwanderer Carl Laemmle aus dem heutigen Baden-Württemberg und seinem Einfluss auf Hollywood beschäftigte. Obwohl sie streckenweise der Versuchung einer rein deskriptiven Darstellung von Laemmles Leben in den Staaten erliegt, nutzt Stanca Mustea erfreulicherweise die Briefe von Laemmles Bruder, der diesen mit seinen vor (positiven) Stereotypen strotzenden Schreiben zur Auswanderung bewegte.

Die Biographie des deutsch-jüdischen Einwanderers Carl Laemmle ist mit den grossen weltgeschichtlichen Verwerfungen verknüpft.

So zeigt sie anschaulich nicht nur ein typisches Beispiel für pull-Faktoren, sondern auch ein Paradebeispiel für den American Dream auf. Immer wieder verknüpft sie Stationen aus Laemmles Leben mit den großen Verwerfungen der Weltgeschichte, vor allem dem Ersten Weltkrieg. Historische Einordnung gelingt so anschaulich. Auch Laemmles anti-deutsche „Hetzfilme” und deren Auswirkungen auf freiwillige Meldungen zur Armee ebenso wie ihre Folgen für Laemmles Wahrnehmung in der deutschen Öffentlichkeit verschweigt sie nicht. Den vielleicht wichtigsten Aspekt der Beschäftigung mit Laemmle stellt der Filmklassiker Im Westen nichts Neues dar. Ein Aspekt, der wiederum vielfältige Verwendungen für kontroverse Fragestellungen nicht nur im Geschichtsunterricht bietet.

Schicksal der Familie Spreckel

Uwe Spiekermann aus Washington schließlich beleuchtete das Schicksal der Familie Spreckels als Fallstudie, die, vor allem in Person des John D. Spreckels, das Entstehen des modernen Kalifornien entscheidend voranbrachte, folgt man Spiekermann. Auch dies ein sehr schönes Beispiel aus dem „prallen Leben” sozusagen – die Einordnung in den historischen Zusammenhang und eine etwaige Beispielhaftigkeit dieser Familie über Kalifornien bzw. Hawaii hinaus bleiben hingegen leider recht oberflächlich und rein auf wirtschaftliche Aspekte beschränkt.

Spannendes Material gerade auch für den Geschichtsunterricht. Die entstehende Projektwebsite könnte als hervorragender Fundus für Geschichtslehrer dienen.

Insgesamt bot diese Sektion sowohl für das akademisch interessierte Publikum als auch für Lehrkräfte vielfältige Ansatzpunkte und Einsatzmöglichkeiten. Ganz besonders die Entwicklung der angekündigten Homepage wird sicherlich mit großem Interesse verfolgt werden. Speziell durch die Geschichtslehrerbrille betrachtet bieten sich Möglichkeiten, aus dem großen Angebot an Fallstudien Beispiele für binnendifferenzierten Unterricht im Hinblick auf genderspezifische Interessen, eventuell im Rahmen von Stationenarbeit oder auch Freiarbeit auszuwählen. Auch projektartige Zugänge oder eine Verwendung im bilingualen Geschichtsunterricht Englisch böten sich an. Die bereits erwähnte Homepage verspricht also, ein hervorragender Fundus für Geschichtsunterricht zu werden.

Link zur Website der Sektion: Immigrant Entrepreneurship. The German-American Experience in the 19th and 20th Century

(Redaktion: KP/MS/CJ)