Die Frage nach dem Verhältnis von Wissenschaft, Öffentlichkeit und Politik ist nicht neu – und dennoch zentral in der Selbstreflexion von Historikerinnen und Historikern, die sich als unabhängige wissenschaftliche Zunft verstanden wissen wollen, aber dennoch vielfältigen Kontextbedingungen ausgesetzt sind. Dabei ist einerseits die Frage nach dem Einfluss wissenschaftlicher Akteure und Erkenntnisse auf öffentliche und politische Felder relevant; gleichermaßen muss jedoch auch die Fremdbestimmung der Geschichtswissenschaft durch andere gesellschaftliche Gruppen thematisiert werden.

Nationale Erinnerungen sind immer Gegenstand von Deutungskämpfen.

Von Angela Siebold

Das hier vorgestellte Panel des Historikertags beschäftigte sich mit diesen grundlegenden Fragen anhand von Debatten über nationale Erinnerungen im nationalen und internationalen Kontext. Die als „History Wars” bezeichneten öffentlichen, oft über nationale Grenzen hinweg geführten historischen Deutungskämpfe dienten als Ausgangspunkt, um anhand verschiedener aktueller Beispiele die Selbstverortung der Geschichtswissenschaft und ihre Wirkungsbereiche zu diskutieren.


Im Zentrum des Panels standen dabei drei Fragen: Welche Rolle kommt historischen Themen in nationalen oder internationalen Konflikten zu? Wie kann die Geschichte als Mittel zur Aussöhnung genutzt werden? Und wie lässt sich die Geschichtswissenschaft in diesem Spannungsverhältnis zwischen Konflikthaftigkeit und Aussöhnungspotential verorten?

Historisches Konfliktpotential

Anhand von Fallbeispielen aus Spanien, aus den ungarisch-slowakischen Beziehungen sowie aus Ostasien wurden zunächst die verschiedenen Ebenen und Reichweiten historischer Deutungskämpfe aufgezeigt – von der nationalen über die binationale hin zu einer große Regionen umfassenden Dimension.

Dabei machte der Vortrag Sören Brinkmanns die Brisanz der diktatorischen Vergangenheit Spaniens in den heutigen Gruppengedächtnissen der spanischen Erinnerungskultur deutlich. Gerhard Seewann thematisierte anschließend die unterschiedlichen Wahrnehmungen von Nachbarstaaten am Beispiel der ungarisch-slowakischen Deutungskonflikte um die gemeinsame Beziehungsgeschichte, in denen das vereinigte Europa, so Seewann, kaum eine Rolle spiele. Schließlich zeigte der Vortrag von Sven Saaler, der stellvertretend von Eckhardt Fuchs vorgetragen wurde, auf, welche Rolle der Geschichte als „internationaler/multilateraler Konfliktherd” zwischen Japan, China und Südkorea zukommt und welche Verständigungsinitiativen in diesem Rahmen angestrebt werden.

Geschichtspolitische Akteure haben meistens mehrdeutige Positionen. Deutungskonflikte sind vorprogrammiert.

Zusammenfassend kristallisierten sich in diesem ersten Teil mehrere Aspekte heraus:

Erstens bewegen sich historische Deutungen und politische Forderungen in einem Spannungsfeld vielfältiger Akteursgruppen, wie im spanischen Fall zwischen zivilgesellschaftlichen, politischen, wissenschaftlichen, kirchlichen und publizistischen Akteuren. Sie reichen dabei von einer Schlussstrichforderung hin zu dem Bemühen um eine intensive Auseinandersetzung mit der konfliktbeladenen Geschichte. Gleichzeitig nehmen geschichtspolitische Akteure allerdings häufig mehrdeutige Positionen ein – etwa als Wissenschaftler und als Politiker, als Amtsträger und als Betroffene.
Diese Auseinandersetzungen ändern sich zweitens mit zunehmender zeitlicher Distanz. So können historische Deutungskonflikte ihre Brisanz verlieren oder erst gewinnen durch generationelle Veränderungen, die sich in der Primärerfahrung, in Familiengedächtnissen oder etwa unter den Enkeln der Erlebnisgeneration abzeichnen.

Weiterhin spielt, wie der slowakisch-ungarische Fall zeigt, die Langlebigkeit gegenseitiger Stereotype eine bedeutende Rolle. Besonders die unterschiedlichen Verständnisse von Nation und Zugehörigkeit sowie die Projektion von Repressionserfahrungen auf ganze Nationen verleiten dabei zu undifferenzierten und pauschalen Fremdwahrnehmungen, die beispielsweise in die permanente Aufrechterhaltung gegenseitiger Bedrohungsszenarien münden können. Diese werden besonders dann problematisch, wenn sie sich gegen Minderheitengruppen der anderen Nation im eigenen Land richten.