Selbst der größte Veranstaltungsraum des Gebäudes reichte nicht aus, um den vielen Interessierten Platz zu bieten, die sich auf spannende Vorträge zu einem neuen Trend der Geschichtswissenschaft freuten. In der Sektion „Neue Wege der Globalgeschichte” sollte die Frage diskutiert werden, warum Globalgeschichte so wichtig, Nationalgeschichte aber dennoch nicht unwichtig ist. Außerdem wollten Sektionsleiter Andreas Eckert und die Referenten Dominic Sachsenmaier und William O’Reilly sowie Matthias Middell mit seinem Kommentar das unübersichtliche Feld der Globalgeschichte ordnen. Leider konnten Jürgen Osterhammel und Shalini Randeria nicht teilnehmen, weshalb Sebastian Conrad und Hagen Schulz-Forberg die Gelegenheit erhielten, über die Eckpunkte ihrer Thesen zur Globalgeschichte zu reflektieren.

Von Thomas Geier und Philipp Meller

In seiner Einleitung konnte Andreas Eckert vom Institut für Asien- und Afrikawissenschaften der Humboldt-Universität Berlin von einem Aufschwung der Globalgeschichte berichten. Ihre immer größere Popularität schlage sich vor allem in der häufigen Erwähnung in Zeitschriften und Journalen nieder. Eine generelle Definition des Begriffs wollte er allerdings nicht geben.

* Blick in den überfüllten Hörsaal der Sektion “Neue Wege der Globalgeschichte” (Foto: Philipp Meller)
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Geschichtswissenschaft immer noch europäisch-nordamerikanisch dominiert

Im ersten Vortrag legte Dominic Sachsenmaier dar, dass die Globalgeschichte unter einem sehr starken Eurozentrismus leide. Das hänge schon damit zusammen, dass bereits in den Schulen hauptsächlich US-amerikanische und europäische Geschichte unterrichtet werde. Auch an den Universitäten gehe der Blick kaum über den westlichen Horizont hinaus. Dennoch sei Globalgeschichte nicht monopolisiert. Gerade in Lateinamerika und Ostasien sind steigende Forscherzahlen zu verzeichnen. Ein gewisses Ungleichgewicht herrsche laut Sachsenmaier trotzdem. So sind beispielsweise im Jahr 2007 dreizehnmal mehr Bücher vom Englischen ins Chinesische übersetzt worden als anders herum.

Noch bleiben die Beiträge des aufstrebenden asiatischen Raums häufig unberücksichtigt.

Eine ähnliche Relation lässt sich auch bei den Studienaufenthalten feststellen. Das sei wiederum auf einen Absolutheitsanspruch zurückzuführen, den die westlichen Räume beanspruchen: Immer noch sei es möglich, eine Weltgeschichte nur mit anglo-amerikanischer und europäischer Literatur darzustellen, ohne die aufstrebenden Forscherregionen in Asien berücksichtigen zu müssen. Auch das ist ein Grund, weshalb beispielsweise in China rund 40% der Historiker als Globalhistoriker zu bezeichnen sind. Weil jedoch die Weltgeschichte immer noch vom Westen dominiert werde, beschäftigen sich diese hauptsächlich mit europäischer und US-amerikanischer Geschichte. Erst nach und nach erlange auch die Geschichte anderer Regionen wie Süd- und Ostasien oder Afrika immer mehr an Bedeutung. Dabei werde die Forschung gekennzeichnet von nationalorientierten Historikern wie Afrikanisten und Lateinamerikanisten, denen in der Globalgeschichte eine wichtige Rolle zukäme.

Globale Kommunikationsströme: Die Welt rückt zusammen

Durch neue Kommunikationswege wurde die Geschichtsschreibung stark beeinflusst. Neue Fragestellungen und Debatten prägen die Globalgeschichte heute. Auf die Anregung einer Lektorin, Sammelbände mit globalhistorischer Perspektive herauszugeben, um die Geschichte anderer Erdteile populärer zu machen, reagierte Sachsenmeier angetan und meinte, er könne sich dies versuchsweise sehr gut vorstellen. Allerdings glaube er, dass der Absatz in Deutschland nicht groß genug wäre, um ein solches Vorhaben wirtschaftlich umsetzen zu können.

Sebastian Conrad nahm das Thema des bereits von Andreas Eckert erwähnten Aufschwungs der Globalgeschichte auf und bezeichnete den aktuellen Trend der Forschung als wahre Goldgräberstimmung. Die Geschichte verschiedener Bereiche werde laut Conrad immer häufiger auch aus globalgeschichtlicher Perspektive betrachtet.

Globale Handelsbeziehungen als Schrittmacher

Nach dieser positiven Einschätzung ging er auf die für die Globalgeschichte des 19. Jahrhunderts spezifischen Ereignisse ein. Neben der globalen Vernetzung war vor allem die Herausbildung globaler Funktionszusammenhänge wie Handelsbeziehungen der wichtigste Teil der globalen Integration. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein war die Welt zwar vor allem regional geprägt, gewann zugleich jedoch an immer stärkerer Vernetzung. Erst nach und nach entwickelte sich damit eine sogenannte globale Gleichzeitigkeit.

Während dieser Zeit kam es auch zum kulturellen Imperialismus. Die sich immer mehr vermischenden Kulturen lagen in einem großen Spannungsverhältnis zueinander. Mit Gewalt wurden asiatische Kulturen unterdrückt und unter Zwang die westliche Kultur verbreitet. Sebastian Conrad sprach dabei sogar von einem kulturellen Genozid. Nach der Vorstellung verschiedener Konzepte, die die Ausrichtung Asiens im 19. Jahrhundert zu definieren versuchten, ging Conrad auf den Begriff der Globalen Moderne ein. Hierbei ist nicht der Ursprung von Deutungsmustern wesentlich, sondern die Frage nach konkreten globalen Kontexten einzelner Gebiete.

Atlantic History

Nach diesen übergreifenden Vorträgen vor der kurzen Pause gaben die beiden letzten Referenten einen Einblick in zwei Teilaspekte der Globalgeschichte: William O’Reilly aus Cambridge stellte den Bereich der Atlantic History vor. Diese etablierte sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und umfasst die Geschichte von Regionen, Ländern und Kontinenten, die an den Atlantik angrenzen und vor allem in der Frühen Neuzeit mit Handel, Entdeckungen und Kolonialismus durch den großen Ozean verknüpft wurden. Der Beginn der Entwicklung des hierzulande noch nicht sehr öffentlichkeitswirksamen Fachs muss auch vor dem Hintergrund der politischen Verhältnisse des Kalten Krieges betrachtet werden. Manch ein Befürworter der Wissenschaft erwartete in ihren Ergebnissen auch eine akademische Rechtfertigung für das Handeln der eigenen Nation im Ost-West-Konflikt. So verfing sich die Atlantic History auch schon bald in anderen Kontexten, die außerhalb üblicher Wissenschaftsdiskurse stehen. Vielfach veröffentlichten die Historiker ihre Thesen und Betrachtungen in finanzpolitischen oder wirtschaftlichen Journalen.

Kritikpunkte an der Atlantic History, die sich inzwischen als anerkannter und selbständiger Zweig der globalen Geschichtsforschung gefestigt hat, bleiben wegen der weitgreifenden räumlichen Ausrichtung eine fehlende konkrete Bestimmung ihrer Aufgaben. Außerdem, so O’Reilly, werde der afrikanische Kontinent im Verständnis der Atlantic History zu oft übergangen. Der Referent verwies auch auf die große Verbreitung des Faches, dem sich hunderte Wissenschaftler auf beinahe allen Kontinenten widmen. Lehrstühle finden sich beispielsweise in Australien, den USA, Argentinien, Südafrika und auch in Deutschland. Vor allem an ein erfahrenes Fachpublikum richtete O’Reilly seine Ausführungen zu bekannten Forschern und ihren Thesen, die er meist kommentierend zitierte.

Globale Begriffsgeschichte

Hagen Schulz-Forberg, Assistant Professor in International History, stellte der im überfüllten Hörsaal versammelten Zuhörerschaft ein Projekt zur globalen Begriffsgeschichte vor. Mit seinem Team untersucht er die Aneignung und Übersetzung europäischer Grundbegriffe aus sozialen und ökonomischen Bereichen in Asien in der Zeit zwischen den 1860er und 1940er Jahren. Im Vordergrund stehen dabei die Fragen, wie dem eurozentrischen Anspruch auf Deutungshoheit von Geschichte und Bestimmung eines Begriffs begegnet wird, welche westlichen Autoren in Asien überhaupt übersetzt werden und wie die westliche Heterogenität auch in der Begriffsgeschichte wahrgenommen wird. Da Schulz-Forberg vor allem die wesentlichen Handlungsweisen des Projektes umkreiste, blieben konkrete Aussagen zu Inhalt und Ziel der Arbeitsgruppe nur angerissen und dies erschwerte dem nicht fachkundigen Publikum ein Verständnis der Thematik.

Als bedeutender Globalhistoriker angekündigt, erhielt Matthias Middell aus Leipzig die Gelegenheit zu einem Kommentar zu den vorangegangenen Vorträgen. Er nutzte seine Zeit jedoch auch zu einer eigenen, übergreifenden Stellungnahme zu den Trends der Globalgeschichte. Zunächst wies er darauf hin, dass die Historiker erst spät in die Globalisierungsdebatte eingriffen und eigene Deutungsmuster bildeten. Die Globalgeschichte erfahre, so Middell, seit der Jahrtausendwende wieder eine hohe Beliebtheit in der historischen Forschung. Der Leitfrage der Sektion „Neue Wege der Globalgeschichte” stellte er seine eigene Ansicht gegenüber, dass es fragwürdig sei, neue Wege zu benennen, die vor allem alte, bereits vergessene Herangehensweisen wiederaufnähmen.

Globalgeschichte: Unter Historikern populär, in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen.

Midell sieht als die neuen Wege eher die Mobilisierung von Wissen und die Bereitschaft, neues Wissen zu formieren. Wie in ökonomischen und politischen Gesellschaftsbereichen entwickle sich auch in dieser Wissenschaft Asien als neue Forschungsmacht. Zuletzt bemerkte er noch die Divergenz der Erscheinung des globalhistorischen Forschungsfeldes: Während sie sich beim Fachpublikum einer starken Konjunktur erfreue, spiele sie weder im Geschichtsunterricht an Schulen noch in der allgemeinen öffentlichen Wahrnehmung eine große Rolle.

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