Bis heute ist die Verteilung hoher politischer Posten oft von sozialen Netzwerken und persönlichen Beziehungen abhängig. Dass es Clan-Strukturen auch im staatssozialistischen Osten zu Zeiten des Kalten Krieges gab, stellte die von Jens Gieseke moderierte Sektion am Freitagmorgen dar. Dabei ging es jedoch nicht nur um Posten und Ämter, sondern auch um innerparteiliche und zwischenstaatliche Beziehungen.

Von Philipp Meller

Welche Rolle spielten Clan-Strukturen bei der Vergabe von Posten in den ehemaligen sozialistischen Staaten Osteuropas und inwieweit unterliefen sie dabei die offiziell propagierten Hierarchien?

Jens Gieseke, Projektleiter am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam, führte mit kurzen Überlegungen in die Problematik der Sektion mit dem Titel „Clan-Strukturen und Policy-Akteure. Die Machtzentralen der staatssozialistischen Parteien zwischen Poststalinismus und Perestroika” ein. Indem Gieseke behauptete, die äußere Homogenität der hierarchischen Strukturen sei nur eine Requisite der staatlichen und parteiinternen Organisationen, warf er bereits eine nicht unumstrittene These in die Runde der versammelten Referenten. Weiter umriss der Leiter der Sektion eine der Hauptfragen des Vormittags: Welche Rolle spielten Clan-Strukturen bei der Vergabe von Posten in den ehemaligen sozialistischen Staaten Osteuropas und inwieweit unterliefen sie dabei die offiziell propagierten Hierarchien?

* Die Referenten und der Leiter der Sektion „Clan-Strukturen”, Jens Gieseke (rechts), Foto: Philipp Meller
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Der Wandel sowjetischer Personalpolitik

Zunächst widmete sich die schon lange mit der Geschichte und den Spannungen Osteuropas vertraute Susanne Schattenberg dem Übergang des von brutaler Gewalt beziehungsweise Unberechenbarkeit geprägten Führungsstils Josef Stalins und Nikita Chruschtschows zur liberal und konsensual wirkenden Personalpolitik Leonid Breschnews. Letzterer markierte laut Schattenberg einen neuen Typus des sowjetischen Regierungschefs. Die erfolgreiche Durchsetzung seines Willens bei der Besetzung von wichtigen Posten innerhalb der kommunistischen Partei- und Staatsorganisation kann allerdings nur vor dem Hintergrund der Praxis seiner Vorgänger treffend bewertet werden.

Breschnew verkörperte einen neuen Typus des sowjetischen Regierungschefs.

Bereits Chruschtschow beendete die totalitäre Herrschaftsausübung Stalins, begründete selbst jedoch zunächst ein eigenes Patronagesystem. Hierbei förderte er vielversprechende Talente der Partei und übergab ihnen wichtige Posten. So begann auch Breschnew seine Karriere als politischer Ziehsohn des Generalsekretärs. Als Chruschtschow dann jedoch – auch für die heutige Forschung überraschend – seine Politik änderte, ehemals geförderte Partner fallen ließ, Vergünstigungen abschaffte und weitere Umstrukturierungen im Staatsapparat vornahm, wandten sich viele Parteigenossen gegen den Regierungschef. Der Sturz Chruschtschows im Jahr 1964 erfolgte demnach auch nicht, wie oft behauptet, aufgrund seiner außenpolitischen Misserfolge. Vielmehr lag die Motivation des Zentralkomitees darin begründet, der willkürlichen Personalpolitik ein Ende zu machen und damit auch die eigenen Laufbahnen der Funktionäre nicht zu gefährden.

i-dbb76378ee211c2c2f58aada33f136be-Leonid_Breschnew.jpgBreschnew, der Chruschtschow nachfolgte, wollte nach den extremen Führungspraktiken seiner beiden Vorgänger eine Phase der Ruhe einleiten. Obwohl er stets vermittelnd und weniger autoritär wirkte, gelang es ihm, mit Beharrlichkeit, Überzeugungsarbeit und vor allem viel taktischem Verhandlungsgeschick nach und nach die „kollektive Führung” nach seinem Willen umzugestalten. Dabei sorgte er sich auch um alte Bekannte und Genossen aus seiner Heimat Dnjepropetrowsk. Als er schließlich mit Hilfe seiner Anhänger erreichte, dass das Amt des Obersten Sowjets, dem rechtlichen Staatsoberhaupt der UDSSR, mit dem des Generalsekretärs zusammenfallen sollte und ihm wie geplant angetragen wurde, stellte er sich vor dem so entmachteten und fassungslosen Podgorny ahnungslos und entgegnete ihm ruhig: „Das Volk scheint es so zu wollen.”

Als zweiter Referent griff Francesco di Palma die Verbindungen der SED aus der Deutschen Demokratischen Republik mit anderen kommunistischen Vereinigungen in Europa auf. Sein Vortrag wandte sich eher an ein fachkundiges Publikum, da die Betrachtungen über Akteure, Funktionsweisen und Probleme der Thematik ein gewisses Maß an Vorwissen voraussetzten. Fazit seiner im Kommentar von Christoph Boyer hochgelobten Überlegungen war, dass die Führung der SED meist aus rein taktischen Gründen keine Beziehungen zu anderen kommunistischen Organisationen in Europa wünschte und dem sogenannten Eurokommunismus über lange Zeit ablehnend gegenüber stand.

Spannungen und Konflikte zwischen den sozialistischen Bruderstaaten.

Der gebürtige Rumäne Petru Weber vertiefte einen weiteren Aspekt der zwischenstaatlichen Beziehungen im ehemals sozialistischen Osten Europas und zeigte damit, dass sich diese keinesfalls immer partnerschaftlich ausdrückten, sondern auch erhebliche Spannungen beinhalten konnten. Als Beispiel wählte er dabei die Konflikte zwischen den kommunistischen Führungen Ungarns und Rumäniens. Gerade Nicolae Ceaușescus Assimilationspolitik beleuchtete Weber kritisch. Hier stellte er heraus, dass die rumänische Führung mit den Maßnahmen zur Homogenisierung der Bevölkerungsgruppen vielmehr eine Steigerung und Vereinheitlichung des öffentlichen Patriotismusgefühls verfolgte, anstatt einen Hass auf die ungarische Minderheit in Rumänien zu schüren.

Als letzter Referent ging Rüdiger Bergien aus Potsdam in seinen sehr vertiefenden Ausführungen auf die Kontrollmaßnahmen der SED gegenüber auffälligen Parteiorganen ein. Hierfür wurden eigens Brigadeeinsätze durchgeführt. Allerdings zielte man dabei nicht auf starke Repressionen gegen auffällige SED-Mitglieder, sondern versuchte, der in manchen Parteigruppen festgestellten „Verspießerung” und „kleinbürgerlichen Bequemlichkeit” entgegenzuwirken. Die Parteifunktionäre aus der zweiten Reihe vermissten oft bei ihren Parteigenossen den sogenannten „proletarischen Habitus” und ordneten dann die besagten Einsätze an.

Beispiel China noch unverdaut

Bevor er in einem differenzierten und kritischen Kommentar auf die einzelnen Vorträge einging, leitete Christoph Boyer von den dargestellten Clan-Strukturen eine eigene Überlegung ab. So sei die scheinbare Homogenität innerhalb der sozialistischen Machtstrukturen wie von Gieseke zu Anfang erwähnt durchaus brüchig, allerdings betonte Boyer auch, dass im Vergleich zu den elastischen und viel dynamischeren westlichen Gesellschaftsstrukturen die Hierarchien in den sozialistischen Staaten schon per se eine viel stärkere Homogenität aufwiesen. Wie das Beispiel Chinas mit seinen starren Machtstrukturen und zugleich einer marktorientierten, boomenden Wirtschaft mit dieser These zu verbinden sei, blieb hingegen auch Boyer ein Rätsel, der im Hinblick auf diesen Ausnahmefall von einer „irren Entwicklung” sprach, die er theoretisch noch nicht verdaut habe.

(Redaktion: KP/MS)

Kommentare (2)

  1. #1 Thilo
    März 29, 2011

    Als letzter Referent ging Rüdiger Bergien aus Potsdam in seinen sehr vertiefenden Ausführungen auf die Kontrollmaßnahmen der SED gegenüber auffälligen Parteiorganen ein. Hierfür wurden eigens Brigadeeinsätze durchgeführt.

    Wie muß man sich das vorstellen? Wie werden mit Brigadeeinsätzen Parteiorgane kontrolliert?

  2. #2 Thilo
    März 29, 2011

    Gerade Nicolae Ceaușescus Assimilationspolitik beleuchtete Weber kritisch. Hier stellte er heraus, dass die rumänische Führung mit den Maßnahmen zur Homogenisierung der Bevölkerungsgruppen vielmehr eine Steigerung und Vereinheitlichung des öffentlichen Patriotismusgefühls verfolgte, anstatt einen Hass auf die ungarische Minderheit in Rumänien zu schüren.

    Der erste Satz scheint dem zweiten zu widersprechen oder mißverstehe ich etwas?