Das interdisziplinäre, epochenübergreifende Projekt der Mannheimer Universität „Homo portans” befasst sich mit dem für uns selbstverständlichen sowie vielfältigen Zustand des „Tragens”. Untersucht wird, wie sich dieser Vorgang auf die Menschheit auswirkte und sich über die Zeit entwickelte. Von Beginn ihrer Geschichte an trugen die Menschen ihre Kinder, Waren, Besitztümer, Schmuck und Symbole. Das Projekt leistet also Grundlagenforschung zur kulturgeschichtlichen Evolution des Menschen.

Von Gina Fuhrich

Karl Siegbert leitete die Vortragsreihe mit einer umfassenden Zusammenfassung über die vielfältigen Bedeutungen des Zustands des Tragens ein, der omnipräsent im menschlichen Leben ist. Allerdings ist der Transport schwerer Dinge, so Siegbert, hauptsächlich Frauensache, da auf sie das Schwere abgewälzt wird. Tragen an sich steht also auch in Verbindung mit der Sozialstruktur und der Hierarchisierung einer Gesellschaft. Überdies tragen Menschen nicht nur materielle Last, sondern auch psychische. Die Religion ist in diesem Zusammenhang sehr wichtig.

* Screenshot der Website zum Forschungsprojekt
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Die Menschen werden von Gott getragen oder tragen selbst religiöse Zeichen. Jesus trug das Kreuz und die Sünden der Welt. Zugleich ist das Tragen immer mit dem technischen Entlastungsprinzip verbunden, um das Transportieren von Lasten besser bewältigen zu können, wie beispielsweise Entlastung durch Kräne oder Verkehrsmittel. Dies führte zu einer erheblichen Verbesserung der menschlichen Lebensqualität und Energieersparnis. Selbst der Tod steht in Zusammenhang mit der Entlastungstendenz in der Redewendung „jemanden zu Grabe tragen”, also die rituelle Begleitung des Toten durch die Angehörigen. Des Weiteren gehört das Tragen von Kleidern als Statussymbol oder Schmuck in diesen Kontext. Außerdem kann der Mensch als Träger von Krankheit, Geheimnissen oder von Recht und Autorität fungieren.

Von tragbarer Kunst und der religiösen Dimension des Tragens

Sibylle Wolf stellte das Tragen von Schmuck, speziell von Frauenfiguren, in Europa vor ca. 40.000 Jahren dar. Hier unterschied sie einmal zwischen Wandkunst wie der Felsmalerei und der mobilen Kunst, also tragbarer Kunst, wie beispielsweise die berühmte Venus von Willendorf. Die Frauenfiguren wurden als Kettenanhänger genutzt, meist kopfüberhängend.
Maria Häusl betonte anschließend die religiöse Komponente des Tragens. Anhand von Bibelausschnitten belegte sie das Motiv des tragenden Gottes. Jesaja trägt hier sein Volk (Israel). Es besteht also eine Art Eltern-Kind Beziehung zwischen Gott und den Menschen. Agostino Paravicini Bagliani knüpfte daran an und beschrieb den Papst als Träger göttlicher Autorität. Der Papst trägt besondere Kleidung sowie symbolische Artefakte und erhält dadurch seinen Status und seine Autorität. Gleichzeitig ist er Träger der Kirche und Stellvertreter Christi.

Warenträger des Mittelalters wurden zwar schlecht bezahlt, hatten aber eine politische Stimme in den Städten.

Sabine von Heusinger nahm Bezug auf die Warenträger im Mittelalter. Diese teilt sie in zwei Gruppen ein: Träger mit und ohne Hilfsmittel, die vor allem im Baubetreib aber auch für den Transport der städtischen Waren zuständig waren. Beliebte Hilfsmittel waren unter anderem Eimer, Tragestock, Trage, Karren oder Schubkarre. Die Warenträger waren ein wichtiger Faktor in der mittelalterlichen Gesellschaft und unabdingbar für den Warenverkehr. Obwohl sie meist ein eher niedriges Einkommen bezogen, hatten sie aufgrund ihrer Bedeutung trotzdem eine politische Stimme in den Städten.

i-ba9d8d006c80f89179743ce58bd527c7-Schandsteine.jpgTragen als Bestrafung: Schandsteine oder Lästersteine

Tragen wurde im Mittelalter allerdings auch als Strafe angesehen. Jörg Wettlaufer stellte in seinem Vortrag die Schandsteine vor. Diese mussten zur Strafe von Frauen von einer zur anderen Stadt um den Hals getragen werden und wogen zwischen 12-50 Kilo. Die Strafe wurde vor allem in Mitteleuropa zwischen dem 12-17. Jahrhundert verhängt. Eingesetzt wurde sie bei Schmähungen, Beleidigungen oder Streit unter Frauen. Der Vollzug der Strafe war öffentlich. Später wurde sie auch für Männer verhängt, die sich des Betrugs oder Diebstahls schuldig gemacht hatten. Der Ursprung dieser Strafe liegt wahrscheinlich bei der Harmschar (dem Hundetragen im Mittelalter). Durch diese Strafe sollte der Frieden zwischen den beiden Frauen hergestellt und eine Besserung erreicht werden. (* Auf dem Foto sind sog. Schand- bzw. Lästersteine zu sehen, die um den Hals getragen werden mussten.)

Das Tragen als Strafe gab es aber auch im 20. Jahrhundert durch die Zwangsarbeit. Peter Steinbach erklärte eindrucksvoll, wie 1933 ein Bruch in der Bedeutung von Arbeit zu verzeichnen ist. Früher wurde Arbeit in der Gesellschaft hoch angesehen, nun galt sie unter den Nazis als Disziplinierungsmaßnahme. Die Zwangsarbeit steht in Verbindung mit der Rassenideologie, die Tragen als Symbol der Minderwertigkeit darstellte. Die Zwangsarbeiter wurden aus der Gesellschaft ausgeschlossen und als wertlos bezeichnet, also durch die Arbeit entwürdigt. Es galt der Leitspruch: Vernichtung durch Arbeit. Heute sind die Opfer jedoch Vorbilder, da sie würdevoll ihre Last trugen und somit den damals Mächtigen die Grundlage entzogen, über sie triumphieren zu können.

Johannes Paulmann thematisierte den Kolonialismus und arbeitete eine interessante Ambivalenz heraus. Einerseits trugen die Kolonisierten gezwungenermaßen Lasten und Waren für die Kolonisatoren und andererseits musste der „weiße Mann” die Bürde tragen, die Zivilisation gegen den Willen der Indigenen voranzutreiben.

Die Gender-Dimension des Tragens

Sigrid Schmitz forscht im Bereich Gender Studies und zu dem Thema, welche Auswirkungen das Geschlecht auf den Zustand des Tragens hat. Es gibt vier Hauptnarrationen, wie sich der Mensch entwickelt und seine Fähigkeiten ausgebildet hat, die alle auf den gleichen Befunden basieren. Die erste Theorie besagt, dass die Männer für das Jagen und die Frauen für die Kinderaufzucht und das Sammeln zuständig waren. Eine andere Theorie geht wiederum davon aus, dass durch die enge Mutter-Kind-Beziehung die Gesellschaft teilen und sammeln lernte und somit die kognitiven Leistungen ausbilden konnte. Desweiteren gehen einige Theoretiker von einer monogamen Kleinfamilie aus, in der der Mann für die Nahrungsbeschaffung und die Frau für die Kinderaufzucht zuständig ist. Die vierte Theorie besagt, dass der Mensch ein Aasfresser war und somit keine geschlechtliche Arbeitsteilung notwendig war. Schmitz arbeitete heraus, dass die gleichen Befunde abhängig von der Zeit anders interpretiert werden, da die Wissenschaft den heutigen Zustand auf früher projiziert. So werden in den Grafiken, die unsere Vorfahren illustrieren sollen, die Frauen mit Kind dargestellt und die Männer beispielsweise mit einem Werkzeug.

(Redaktion: KP/MS)