Wie kann man eine transnationale Geschichte Europas schreiben? Was bedeutet der Begriff transnational im Kontext der Zeitgeschichtsforschung? Und wie lassen sich aus transnationaler Perspektive Territorialisierungsprozesse in Europa erfassen? Mit diesen Fragen beschäftigte sich das Panel „Territoriale Grenzziehungen und Grenzüberschreitungen: Eine transnationale Geschichte Europas.”

i-7bc274bf28f305d54a687d96eb24acd4-Europa_Karte.jpgVon Angela Siebold

Das Ziel der beiden ersten Vorträge, gehalten von Matthias Middell und Michael Geyer, war es zunächst, einen diachronen Vergleich zweier unterschiedlicher Zeitabschnitte der europäischen Geschichte anzustrengen, nämlich der Zeit der Französischen Revolution einerseits sowie der Jahre 1970-2010 andererseits. Beide Phasen, die eine als gewaltsame, die andere als friedliche Periode, verkörperten Transitionsphasen im Aufbruch zu neuen Raumordnungen, in denen verdichtete Identitätsräume verhandelt worden seien. In solchen Perioden seien in Europa institutionelle und prozedurale Formen des inneren Zusammenhangs, also der transnationalen Verflechtung entwickelt worden.


Im zweiten Teil des Panels diskutierten Katja Naumann und Steffi Marung die Transnationalität der Geschichte unter historiographischen Aspekten.

Zum Einstieg stellte Matthias Middell fünf Elemente der transnationalen Geschichte vor: Erstens nehme die transnationale Geschichte als grenzüberschreitende Praxis zu. Diese würde zweitens in einem Zusammenhang mit Globalisierungsprozessen diskutiert und überschneide sich etwa mit Fragen der Migration, Integration oder der global governance. Drittens sei die transnationale Geschichte verwandt mit verschiedenen neueren Forschungsansätzen, wie etwa der postkolonialen Geschichte, der Verflechtungsgeschichte, der histoire croisée oder der Kulturtransferforschung. Dennoch sei viertens das Verhältnis der transnationalen Geschichte zur Nationalgeschichte und der Regionalgeschichte zu klären. Dabei stelle sich die Frage, ob Transnationalität tatsächlich eine neue Forschungsperspektive darstelle, was transnational tatsächlich bedeute und welche Rolle dem Nationalen in diesem Zusammenhang beikomme. Fünftens sei schließlich das Verhältnis der transnationalen Geschichte zu den Sozialwissenschaften zu klären.

Wie können transnationale Elemente in die bestehenden historischen narrative Europas integriert werden?

Es stelle sich die grundsätzliche Frage, inwiefern transnationale Elemente in die bestehenden historischen Narrative integriert werden könnten. Während die einen eine komparatistische Sicht auf Europa im Vergleich zu anderen Weltregionen betonten, fokussierten andere auf die Verflechtung Europas nach außen. Eine transnationale Geschichte diene, so Middell, auch der historischen Selbstaufklärung; die Frage nach der Zielrichtung einer transnationalen Geschichtsschreibung sei jedoch bisher noch erstaunlich wenig diskutiert worden.

Dabei biete eine transnationale Perspektive auf Europa die Chance, das Verhältnis von Souveränität und Nationalstaatlichkeit neu in den Blick zu nehmen; das Zusammenspiel parallel verlaufender Territorialisierungsmuster könnte untersucht und Europa in einem globalen Kontext provinzialisiert werden.

Europäische Raumordnungen zur Zeit der Französischen Revolution

In seinem Vortrag warf Middell zunächst die Frage auf, nach welchen Kriterien die Französische Revolution als Zäsur gelte, denn durch die transnationale Perspektive hätten zentrale Ereignisse der innereuropäischen Geschichte an Bedeutung verloren. Deshalb müsse man die Französische Revolution in einen globalen Zusammenhang stellen, etwa in den Kontext der weltweiten Konkurrenz Frankreichs mit England oder in die globale Krisenhaftigkeit des 18. Jahrhunderts. Nach dieser Perspektive sei die Französische Revolution Teil eines Revolutionszyklus von globalem Ausmaß; die französischen Revolutionäre hätten aus dem Scheitern und dem Erfolg vorausgegangener Proteste gelernt. Eine zunehmende Mobilität der Informationen und die Professionalisierung der Gesellschaftsbetrachtung hätten einen transnationalen „Kommunikationsarm” geschaffen und die Intellektuellennetzwerke der Frühen Neuzeit abgelöst.

18. Jahrhundert: Krise der alten Territorialisierungsregime.

Seit Beginn des 18. Jahrhunderts seien die alten Territorialisierungsregime in eine Krise geraten, auf die die Suche nach einer neuen Raumordnung gefolgt sei. Letztendlich hätte die Französische Revolution in der Folge auch ein Verschwinden der inneren Territorialisierungsmuster bedeutet, da sie als unzureichend für die Mobilisierung von Ressourcen und die Integration der Bevölkerung erschien. Europa sei zum Schlachtfeld der Auseinandersetzung über neue Raumordnungen geworden. Dies habe eine „Atempause” europäischer Expansionsbestrebungen bedeutet; nichteuropäische Räume hätten vorübergehend an Bedeutung verloren gegenüber innereuropäischen Neuordnungen des Raums, wie etwa durch die polnischen Teilungen oder den Reichsdeputationshauptschluss. Diese Ambivalenz aus einerseits intensiven Bemühungen um eine Ordnung in Europa und die Vernachlässigung des außereuropäischen Raumes andererseits habe einen Funktionswandel hin zu „Nationalstaaten mit imperialen Ergänzungsräumen” ermöglicht.

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