Zum Thema „Innerdeutsche Grenze” ist besonders in den vergangenen Jahren intensiv geforscht worden. Es handelt sich um einen hochemotionalen Forschungsgegenstand – behaftet mit einer Fülle von Leiderfahrungen, die bis in die heutige Zeit Nachwirkungen zeigen. Umso wichtiger erscheint die Notwendigkeit, eine umfassende wissenschaftliche Aufarbeitung zu leisten. Auch um den über 1.000 Todesopfern, die die deutsch-deutsche Grenze forderte, gerecht zu werden. Daher erstaunt es weniger, dass die Grenze als Gegenstand und Konstruktion verstärkte Aufmerksamkeit in der Geschichtswissenschaft erfuhr.

Von Christine Buch

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Die Sektion zur „innerdeutschen Grenze als Realität, Narrativ und Element der Erinnerungskultur” zog am 30. September 2010 viele Interessierte an. Die Leitung übernahm Carl-Hans Hauptmeyer, Historiker an der Universität Hannover.

„Die Grenze ist nicht eine räumliche Tatsache mit soziologischen Wirkungen, sondern eine soziologische Tatsache, die sich räumlich formt.”
Georg Simmel, Soziologie des Raumes

Grenze als Erfahrung und Konstruktion

Bereits im Juni 2010 widmete sich eine Tagung in Hannover dem Thema „Grenze: Konstruktion, Realität, Narrative.” Auch die schweizerischen Geschichtstage fanden 2010 unter dem Motto „Grenzen” statt. In den letzten Jahren seien überhaupt viele Sammelbände erschienen, so Prof. Dr. Detlef Schmiechen-Ackermann vom Historischen Seminar der Universität Hannover, der in seinem Vortrag „Teilung – Gewalt – Durchlässigkeit. Die innerdeutsche Grenze 1945-1989 als Thema und Problem der Zeitgeschichte” einen detaillierten Forschungsüberblick gab. „Die Forschung schreitet fort”, brachte es Schmiechen-Ackermann auf den Punkt. Die Grenze als Erfahrung und Konstruktion rücke dabei in den Untersuchungsschwerpunkt, die räumlichen Aspekte seien hingegen bereits hinreichend bearbeitet.

Normales Forschungsthema

Während in den 1990er-Jahren ein regelrechter Boom der DDR-Forschung zu beobachten war, habe sich das Thema mittlerweile „relativiert” – heute handele es sich um einen Forschungsdiskurs unter vielen anderen. 1993, nur vier Jahre nach dem Zerfall des Ostblocks und der Öffnung der bis dahin unzugänglichen Archive habe es fast 800 Projekte zum Thema DDR-Forschung gegeben. Im Jahr 2000 seien bereits weit über 2000 Publikationen zum Forschungsgegenstand veröffentlicht worden. „Im kollektiven Gedächtnis sind Innerdeutsche Grenze und DDR ausgesprochen präsent”, so der Historiker. Jedoch fehle bis heute eine Gesamtübersicht der bislang eher partiell betriebenen Untersuchungen.

Geschichte durch Klöppeln

Unter dem Titel „Die Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn – Ort der Erinnerung und der Begegnung” berichtete Rainer Potratz anschließend von einem recht außergewöhnlichen Projekt zur Aufarbeitung der deutsch-deutschen Teilung. „Was klöppelst denn du?” heißt das einwöchige Klöppelseminar mit Wettbewerb und Preisverleihung für ältere Damen, das bereits zum zehnten Mal erfolgreich stattfand. „Es geht uns nicht um Versöhnungsgespräche zwischen Tätern und Opfern, sondern um Zusammenführung und Austausch der unterschiedlichen Lebenserfahrungen”, so Potratz. Auch die persönlichen Lebensleistungen der DDR-Bürger sollten seiner Meinung nach gewürdigt werden. „Ich habe mit vielen Ostdeutschen gesprochen, die es sehr persönlich nehmen, dass an ihr Leben nur als ‚falsches Leben’ erinnert wird. Ihnen wird dadurch ein Teil ihrer Identität genommen!”

Das größte noch erhaltene Denkmal an der innerdeutschen Grenze, die Gedenkstätte Marienborn, solle mahnen und erinnern, so Potratz. Sie stehe exemplarisch für die gesamte deutsch-deutsche Teilung, alle übrigen Grenzübergänge waren bereits abgerissen oder aber zählten nicht zu den wichtigeren Kontrollpunkten, als man Marienborn rettete und zu einer Gedenkstätte umwandelte. Man will hier in erster Linie Fremdbilder abbauen. Und so können bei einem Besuch der Gedenkstätte Marienborn nicht nur ältere Damen gemeinsam klöppeln, sondern ebenso Jugendliche in intensive Gespräche mit Zeitzeugen über die Vergangenheit treten.

Flohmarktfund wird zum Museumsstück

Eine überaus interessante Quelle präsentierte Dr. Thomas Schwark, Direktor des Historischen Museums Hannover, der unter dem Titel „Man sieht nur, was man weiß… Strategien der Vermittlung von ‚Grenzbildern’ in Geschichtsmuseen” über Fotografien in Ausstellungen sprach. Als Anschauungsobjekt diente ihm ein gestaltetes Fotoalbum, ein Flohmarktfund, der sich als regelrechter Schatz entpuppte. Die enthaltenen Fotos sind mit Kommentaren versehen und dokumentieren die Einrichtung der Grenzübergangsstelle Salzwedel sowie deren Inspektion. „Durch die Auswahl der gezeigten Fotografien, deren Anordnung und die Beschriftung derselben wird die Erinnerung an das Ereignis strukturiert und gesteuert. Das Fotoalbum ist konstruiert und wird zu einem eigenen Museumsstück”, so Schwark.

Der Quellenwert von Bildern im Kontext historischer Forschungen sei zwar schon länger bekannt, erfahre aber nun eine wesentliche Erweiterung. Die Schwierigkeit bestehe laut Schwark darin, dass Fotografien vermeintlich objektiv seien, in Wirklichkeit jedoch als Sachquelle viel differenzierter betrachtet werden müssten. „In einer Museumsaustellung sollte es auch Aufgabe sein, neben ästhetischen Aspekten und einer differenzierten Bildanalyse andere Punkte mit einzubeziehen. Beispielsweise Autorenabsichten, ob es sich um eine nachbearbeitete Fotografie und damit eine Fälschung handelt, oder ob das Foto zu Propagandazwecken aufgenommen wurde.” Nur so könne sich die Bedeutungsvielfalt für den Museumsbesucher erschließen.

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Ines Meyerhoff (Hannover) zu „Die fotografierte Grenze – Fotografie über Grenzen?”

Zum Thema „Die fotografierte Grenze – Fotografie über Grenzen?” referierte anschließend Ines Meyerhoff (Hannover). „Der ungebrochene Glaube an die Objektivität des Bildes war lange Zeit vorherrschend und wird erst seit kurzem systematisch in Frage gestellt”, so die Kulturwissenschaftlerin. „Das” Grenzbild an sich gebe es natürlich nicht und habe es auch nie gegeben. Immer müsse in die Deutung mit einfließen, wie der Betrachter emotional zum Gezeigten stünde. Im Fall der innerdeutschen Grenze und insbesondere der Berliner Mauer seien verschiedene Aspekte zu berücksichtigen. So zum Beispiel das von der DDR verhängte Fotografierverbot der Grenzanlagen.

Visualisierung der Andersartigkeit

In der Bundesrepublik hingegen zielten frühe veröffentlichte Bilder darauf ab, die Zusammengehörigkeit der beiden Staatsgebilde zu verdeutlichen. Dies habe aber paradoxerweise gerade zur Visualisierung der Andersartigkeit geführt, so Meyerhoff. In den 1970er-Jahren sei dann durch umfassende Aufklärungsarbeit eine Entspannungspolitik betrieben worden. Das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen habe damals Broschüren herausgegeben und der „Grenzland-Tourismus” sei mit Führungen am Grenzbereich stark ausgebaut worden. Die gezielte Einsetzung verschiedener Bildmetaphoriken habe aber immer darauf abgezielt, eine bestimmte öffentliche Meinung zu generieren.

Macht der Bilder und Bilder als Waffe

Im weiteren Verlauf der Veranstaltung analysierte Dr. Hedwig Wagner, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Geschichte und Ästhetik der Medien an der Universität Jena, „Die Narrativisierung Berlins durch Berliner Mauerfilme” anhand zweier Beispiele: „Die allseitig reduzierte Persönlichkeit – Redupers” (Helke Sander, 1977) und „Der geteilte Himmel” (Konrad Wolf, 1964), bevor Dr. Jürgen Reiche (Ausstellungsdirektor Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn) einen abschließenden Kommentar zur „Wirklichkeit hinter den Bildern”, ihrer Macht und dem Umgang mit ihnen gab.

Die ungeteilte Aufmerksamkeit des Publikums sicherte sich der Referent gleich zu Beginn seines Vortrages indem er ein Foto präsentierte, das gänzlich aus der Reihe der schier unzähligen Aufnahmen fällt, die der Öffentlichkeit seit den Terroranschlägen im Jahr 2001 von den Medien präsentiert werden. Thomas Hoepker schoss das Foto am Nachmittag des 11. September 2001 und war sich der brisanten Wirkung durchaus bewusst. Erst 2004 veröffentlichte er die Aufnahme – und löste einen Sturm der Empörung aus. Ein gelungenes Beispiel dafür, findet Reiche, dass Bilder unbewusst ständig subjektiv bewertet würden.

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Dr. Jürgen Reiche bei seinem Vortrag. (Fotos: Christine Buch)

In seiner These geht der Historiker noch weiter: 9/11 sei dazu inszeniert worden Bilder zu produzieren. Die genau 17 Minuten, die zwischen den beiden Anschlägen auf die Zwillingstürme verstrichen, seien allein dazu eingeplant worden, um eine Medienpräsenz vor Ort zu gewährleisten, die dann live den zweiten Anschlag mitverfolgen konnte. Allein durch diese Tatsache haben die vielen Aufnahmen überhaupt erst entstehen können, so Reiche.

„Das Bild als Waffe in einer globalisierten Welt. Das ist es, was uns erwartet.” Bilder und Politik gehörten untrennbar zusammen, sie seien für die Politik gar wichtiger und aussagekräftiger als Worte. „Menschen sind ‚Bild-Sammler und -Jäger’ und nehmen diese ständig in sich auf. In unserer heutigen Zeit ist Bildkompetenz genauso wichtig wie Sprachkompetenz”, schloss Reiche.

(Redaktion: CJ)