Eine neue Forschungsarbeit zum Voynich-Manuskript hat einigen Medienwirbel ausgelöst. Was steckt dahinter?

 

Gestern berichtete Spiegel Online über das Voynich-Manuskript. Das ist schon für sich genommen etwas Besonderes, denn es ist der erste SpOn-Artikel zu diesem Thema seit sechs Jahren und erst der zweite überhaupt.  Anlass für den Artikel ist eine neue Forschungsarbeit zum Voynich-Manuskript, die bereits am Wochenende BBC Online zu  einem Bericht veranlasst hat. Sowohl die BBC als auch Spiegel Online haben mich zitiert, was mich natürlich freut.

In der neuen Forschungsarbeit geht es (wieder einmal) um eine statistische Untersuchung des Voynich-Manuskript-Texts. Derartige Arbeiten gibt es schon viele (etwa 25 sind mirtbekannt). Von Buchstabenhäufigkeiten über Worthäufigkeiten bis zu gemittelten Abständen gleicher Wörter gibt es kaum etwas, was man noch nicht unter die statistische Lupe genommen hätte. Vermutlich ist der Voynich-Manuskript-Text der am ausführlichsten statistisch untersuchte Text überhaupt.

Voynich-Fac-2

Die Autoren der Forschungsarbeit sind die Physiker Marcelo A. Montemurro und Damián H. Zanette. Beide sind zwar in der Voynich-Szene bisher nicht in Erschinung getreten, aber allem Anschein nach handelt es sich um angesehene und erfahrene Wissenschaftler. Im Rahmen ihrer Arbeit haben sie sich mit statistischen Eigenschaften von Wörtern im Voynich-Manuskript-Text beschäftigt. Ein Vorteil hierbei ist, dass man Wörter im Manuskript recht eindeutig identifizieren kann – bei einzelnen Buchstaben ist es dagegen oft schwierig, die Abgrenzung zu finden (was die eine Transkription als drei Buchstaben identifiziert, ist bei der anderen nur einer).

Eine wichtige Rolle spielt in der Forschungsarbeit die der Informationsgehalt (auch als Entropie bezeichnet) von Wörtern. Die beiden Wissenschaftler definieren ein statitisches Maß für den Wort-Informationsgehalt. Wörter, die in einem Textteil häufig und in den anderen selten auftauchen, haben demnach einen höheren Informationsgehalt als solche, die gleichmäßig verteilt sind. Im einem längeren Text in natürlicher Sprache sind einige Wörter mit relativ hohen Informationsgehalt zu erwarten, insbesondere wenn (wie im Voynich-Manuskript offensichtlich der Fall) unterschiedliche Themen behandelt werden.

Montemurro und Zanette interessieren sich vor allem für diejenigen Wörter im Voynich-Manuskript-Text, die den höchsten Informationsgehalt haben. Ihren Analysen zufolge haben diese eine Verteilung, wie sie in einem Text in natürlicher Sprache zu erwarten wären. Außerdem haben die beiden Forscher Korrelationen zwischen den Bildmotiven und den Worthäufigkeiten entdeckt. Und schließlich sind Korrelationen der Wörter untereinander feststellbar, was ebenfalls für einen Text in natürlicher Sprache spricht. Das Fazit der Autoren:  “Zusammen mit einigen bereits bekannten statistischen Besonderheiten des Voynich-Manuskripts sprechen diese Resultate dafür, dass eine echte Nachricht darin enthalten ist.”

Die Arbeit von Montemurro und Zanette ist mindestens die zwanzigste, die eine statistische Ähnlichkeit des Voynich-Manuskript-Texts mit natürlicher Sprache belegt. Ich würde sie insgesamt wie folgt einordnen: eine sehr interessante Arbeit, die aber wenig Neues bringt. Dies ist keine Kritik, denn die Bestätigung bestehender Erkenntnisse ist allemal wichtig.

Der Verdacht, dass im Voynich-Manuskript irgendeine Form von natürlicher Sprache steckt, erhärtet sich mit der Arbeit von Arbeit von Montemurro und Zanette weiter. Allerdings gibt es auch ein paar Resultate, die gegen natürliche Sprache sprechen. Bereits im ersten Teil dieses Beitrags habe ich daher meine Einschätzung wie folgt geäußert: Der Voynich-Manuskript-Text ist eine Mischung aus natürlicher Sprache und künstlichen Einflüssen. Da es bisher deutlich mehr statistische Argumente für eine natürliche Sprache als dagegen gibt, wäre es sicherlich interessant, die Kontra-Argumente noch einmal auf den Prüfstand zu nehmen.

Als die Arbeit von Montemurro und Zanette erschien, gab es schnell harsche Kritik. Diese kommt von dem Voynich-Manuskript-Experten Gordon Rugg. Da ich Rugg persönlich kenne und durchaus eine hohe Meinung von seiner Arbeit habe, war ich natürlich gespannt, was er an dem Forschungsaufsatz auszusetzen hatte. Ich las also seine Stellungnahme und tauschte ein paar Mails mit ihm aus. Im dritten Teil dieses Beitrags werde ich erzählen, was dabei herauskam.

Kommentare (9)

  1. #1 2xhinschauen
    26. Juni 2013

    Hallo Klaus
    Ich “kenne” Dich von Telepolis und aus dem “Skeptiker” und jetzt auch Dein Blog. Man soll ja immer mehrere Quellen für seine Meinungsbildung heranziehen *smile

    Danke für den sehr aktuellen, einordnenden Begleitartikel zu der Notiz auf Spon!

    Das Voynich-Manuskript ist eine faszinierende Sache, spannend, exemplarisch für richtige Wissenschaftlichkeit auf mehreren Feldern, wilde (unterhaltsame) Hypothesenbildung auch außerhalb der Wissenschaften, und überhaupt!

    Ich habe eine Frage zur Methodik der Kryptologie, hoffentlich nicht zu naseweis: Arbeitet man beim Entschlüsseln überwiegend vorwärts, also durch Analyse dessen, was man hat und was man weiß, in Richtung auf eine mögliche Bedeutung, oder arbeitet man auch (gelegentlich) “rückwärts”, also von einer (angenommenen, hypothetischen) Bedeutung hin zum möglichen Schlüssel? Wie ist da die Praxis? Kann man das überhaupt so generell sagen?

    Die Frage kam mir in den Sinn bei Deinem Satz:

    insbesondere wenn (wie im Voynich-Manuskript offensichtlich der Fall) unterschiedliche Themen behandelt werden.

    Ist das ein Resultat oder ein Postulat? Könnte es nicht ein Text über Teppich- oder Tapetenmuster sein? Mal davon abgesehen, dass man nicht weiß, warum man sowas verschlüsseln sollte, oder warum das Ding überhaupt verschlüsselt ist bzw m.W. nicht mit letzter Sicherheit weiß, ob es überhaupt verschlüsselt oder in einer unbekannten Klarschrift verfasst ist.

    • #2 Klaus Schmeh
      26. Juni 2013

      >Arbeitet man beim Entschlüsseln überwiegend vorwärts, also durch Analyse dessen, was man hat und was man weiß,
      >in Richtung auf eine mögliche Bedeutung, oder arbeitet man auch (gelegentlich) “rückwärts”, also von einer
      >(angenommenen, hypothetischen) Bedeutung hin zum möglichen Schlüssel? Wie ist da die Praxis? Kann man das überhaupt so generell sagen?
      Man macht beides. Einerseits analysiert man den Text statistisch (z. B. Buchstabenhäufigkeiten), andererseits rät man, was im Text stehen könnte. Beide Methoden können für sich funktionieren, manchmal bringt es auch das Zusammenspiel.

      >Ist das ein Resultat oder ein Postulat?
      Das ist nur eine (begründete) Vermutung. Die Bilder im Manuskript sind recht unterschiedlich. Es ist zu vermuten, dass bei einem Pflanzenbild etwas zu Pflanzen steht, während bei einem Astrolgiebild etwas zu Astrologie stehen dürfte.

  2. #3 2xhinschauen
    26. Juni 2013

    Man macht beides

    Ich hoffe, dass ich nicht zu naseweis daherkomme. Meine Frage entsprang einer Überlegung, die mir so vor einiger Zeit mal in den Sinn kam, aber über die sicher schon geschrieben wurde, ohne dass ich davon weiß, nämlich dass der entschlüsselnde Zweig der Kryptologie ein Modell für die Naturwissenschaft insgesamt darstellt, soweit der Auslöser für eine bestimmte Forschung ein Experiment, eine Beobachtung oder ein Fundstück ist, das bzw. die zunächst keiner bekannten Theorie genügt (in der Kryptologie: einem bekannten Verschlüsselungsverfahren). Die dortige Arbeitsweise dürfte ähnlich sein, man versucht die Datenlage durch weitere Beobachtungen/Messungen zu verbessern, aber man hypothetisiert auch und geht erst danach ans *skop, um etwas gezielt abzuprüfen.

    >Ist das ein Resultat oder ein Postulat?
    Das ist nur eine (begründete) Vermutung.

    Wieder so ein naseweises Argument meinerseits, das dem seriösen Forscher vermutlich nicht hilft. Ich bin IT’ler, ein außerordentlich fehlerorientierter Beruf und ein Feld, dass phantastisch komplexe Fehlersituationen hervorzubringen in der Lage ist. Die man aufklärt, indem man anders denkt als diejenigen, die es vor einem versucht haben. Was ich mir in Falle des VM nicht anmaße, in dem Thema bin ich einfach nicht drin.

    Aber solange man es nicht besser weiß, glaube ich einfach an einen Teppichmuster- oder von mir aus Versandhauskatalog o.ä., in dem die speziellen Begriffe, die eine bestimmte Illustration beschreiben, natürlich nur in deren räumlicher Nähe auftreten. Warum man den verschlüsseln sollte? Nun, die Frage ist auch bei einigen anderen Thesen unbeantwortet, und ob das Manuskript überhaupt verschlüsselt ist, steht ja mit letzter Sicherheit nicht fest.

    Nochmal, ich maße mir keineswegs an, auf Deinem Feld etwas zu wissen, eher im Gegenteil. Das Spekulieren macht aber Spaß.

  3. #4 Markus Hagl
    27. Juni 2013

    Ich kenne leider die Arbeit von Montemurro und Zanette nicht.
    Aufgrund Ihrer Einschätzung “Der Voynich-Manuskript-Text ist eine Mischung aus natürlicher Sprache und künstlichen Einflüssen” frage ich mich jedoch, inwieweit sich vergleichbare Analyseergebnisse bei echten Texten (natürlicher Sprachen wie Deutsch) mit z. B. Inhalte aus dem Genre Science fiction erzielen lassen würden. Derartige Texte enthalten nach meiner laienhaften Vermutung häufig willkürliche und damit künstliche Wortschöpfungen, die nicht einem natürlichen Sprachmuster zugrunde liegen. Wenn dem so wäre, dann müsste sich doch der Anteil der Worte, die nicht einem natürlichen Muster entsprechen, ausfiltern und der verbleibende Rest mit bekannten Sprachen vergleichen lassen, um nähere Hinweise auf die dahinterliegende Sprache zu erhalten?

  4. #5 Skadi
    28. Juni 2013

    Hallo,

    ich finde immer noch die Erklärung von xkcd am sinnvollsten – zumindest kann ich mir das sehr gut vorstellen 😉
    https://xkcd.com/593/

  5. #6 rolak
    28. Juni 2013

    Erklärung von xkcd

    Die hat mir bisher auch am besten gefallen, Skadi. Erstens weil sie so schön lustig ist und zweitens, weil ich mich recht gut an diverse Spielanleitungen erinnern kann, über denen ich stundenlang und länger gebrütet habe…

  6. #7 cla
    28. Juli 2014

    mir erscheint das, was Erhard Landmann über das Voynich Manuskript schreibt sehr plausibel
    https://www.fastwalkers.de/downloads/dasvoynichmanuskript.pdf
    https://www.fastwalkers.de/downloads/dienacktenfrauenimvoynichmanuskript.pdf

    • #8 Klaus Schmeh
      28. Juli 2014

      Mir nicht.

  7. #9 Walter Frey
    Zürich
    1. Dezember 2022

    Hallo there, ich verfüge über keine akademische Orden und habe mir lediglich einige Gedanken zum genannten Manuskript gemacht. Mir fällt dabei auf, dass die nackten Frauen “spitze” Brüste haben, also junge Frauen dargestellt sind, zudem sind die Bäuche rund. Im Mittelalter wurden die Bäuche bei Frauen in Anlehnung an die Schwangerschaft Mariens (Gottesmutter) bevorzug rund dargestellt. Das Manuskript könnte sich auf Fruchtbarkeit, Gesundheit, Weiblichkeit usw. beziehen. Die Pflanzen-Darstellungen weisen auf Wachstum hin, vielleicht auch auf Pflanzen-Medizin ohne Spezifikation. Vielleicht sind Vergleiche zu entsprechende Signaturen hilfreicher, als eine absolut wissenschaftliche Sicht. Grüsse Walter Frey