US-Studenten haben ein interessantes verschlüsseltes Buch dechiffriert: das letzte bekannte theologische Werk des amerikanischen Religionsgründers Roger Williams (1603-1683).

Kennen Sie Roger Williams? Er gilt als Vater des amerikanischen Baptismus und als Vorkämpfer für die Religionsfreiheit. Gleichzeitig war er ein früher Vertreter der Trennung von Staat und Kirche. Außerdem ist in New York ein Hotel nach ihm benannt – dies ist der Grund, warum ich den Namen schon einmal gehört hatte.

Was ich bis gestern nicht wusste: Roger Williams hat ein verschlüsseltes Buch verfasst.

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Ich beschäftige mich zwar schon länger mit verschlüsselten Büchern, lese die kryptohistorische Fachliteratur, besuche Fachkonferenzen und tausche mich mit Gesinnungsgenossen aus – aber von einem verschlüsselten Buch von Roger Williams hatte ich bisher noch nie etwas gehört. Dies zeigt einmal mehr, dass die Erforschung der Kryptologie-Geschichte noch deutlich professioneller werden kann.

Banner-Nicht-zu-knacken

Dabei wäre es einfach gewesen: 2012 berichteten gleich mehrere große US-Zeitungen über das Knacken des Roger-Williams-Buchs (hier ist ein Artikel aus dem Boston Globe). Selbst bei Wikipedia hätte man die Sache inzwischen nachlesen können.

Papiermangel sorgt für eine Kuriosität

Das verschlüsselte Buch von Roger Williams ist handgeschrieben. Offensichtlich herrschte damals Papiermangel, denn Williams schrieb seinen Text auf die freien Stellen eines 234-seitigen gedruckten Buchs. Dieses etwas seltsam anmutende Dokument staubte Jahrhunderte lang vor sich hin, bevor sich im Jahr 2010 ein paar Studenten der Brown-Universität in Providence (Rhode Island) an die Arbeit machten, es zu dechiffrieren.

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Der Student Lucas Mason-Brown leistete die Hauptarbeit beim Codeknacken. Wie viele andere verschlüsselte Bücher war auch das Roger-Williams-Manuskript nicht gerade unknackbar. Williams hatte eine Buchstabenersetzung verwendet, die auf einer Kurzschrift beruhte, aber auch gewöhnliche Buchstaben nutzte. Die unleserliche Handschrift machte das Entschlüsseln dennoch zu einer anspruchsvollen Aufgabe. 2012 konnten die Codeknacker die Lösung präsentieren.

Indianer als Christen?

Der Klartext entpuppte sich als das letzte bekannte theologische Werk von Roger Williams. Unter anderem fanden sich darin Gedanken zu Kindstaufe (diese lehnte er ab) und über die Konvertierung von Indianern (Williams war ein Verfechter der Religionsfreiheit und hielt es für unsinnig, Indianern den christlichen Glauben aufzuzwingen).

Williams hatte auf Grund seiner Ansichten und seiner konsequenten Art, diese zu vertreten, viele Feinde. Er musste sogar aus Massachusetts fliehen, da ihm Gefängnis drohte. Seine Gegner könnten der Grund gewesen sein, warum er seine Aufzeichnungen verschlüsselte.

So ist also ein interessantes Kryptogramm entschlüsselt worden, ohne dass es in der Krypto-Szene jemand mitbekommen hätte. In meine Encrypted Book List habe ich das Roger-Williams-Manuskript natürlich aufgenommen – unter der Nummer 00045.

Eine ausführlichere Version dieser Geschichte gibt es in einem Artikel des Slate Magazin.