Die Smartphones von Apple und Google bieten neue Verschlüsselungsfunktionen. Die Polizeibehörden in den USA fürchten, dass das Kriminellen in die Hände spielt, und malen düstere Szenarien an die Wand.

Das größte Problem in der modernen Kryptologie ist, dass sie zu wenig angewendet wird. E-Mail-Verschlüsselung, Festplatten-Verschlüsselung und dergleichen gibt es zwar schon längst, aber nur die wenigsten nutzen so etwas. Einen Nutzen hat die Kryptologie meist nur dann, wenn sie automatisch (ohne Zutun des Anwenders) eingesetzt wird. Man denke etwa an die TLS-Verschlüsselung im World Wide Web (erkennbar an einer Adresse, die mit “https” beginnt), die inzwischen weit verbreitet ist – ohne dass der Nutzer viel davon mitbekommt.

So gesehen ist es ein riesiger Fortschritt, dass die neuen Smartphone-Betriebssysteme iOS 8 (Apple) und Android Lollipop (Google) eine automatische Verschlüsselungsfunktion für die darauf gespeicherten Daten eingebaut haben, die man nicht erst aktivieren muss. Ohne Passwort kann also niemand auf die Daten zugreifen.

“Was Apple und Google als Feature bewerben, sieht die Polizei als Bug”, schreibt der US-Kolumnist Rob Pegoraro bei Yahoo. „Die Polizei ist entsetzt über die neuesten Smartphone-Errungenschaften von Apple und Google.“ Offensichtlich fürchten die Ermittler, dass sie bei Kriminellen zukünftig noch öfter als bisher auf verschlüsselte Daten stoßen. Das Problem macht der Polizei bereits jetzt zu schaffen. Auf meiner Web-Seite When Encryption Baffles the Police: A Collection of Cases habe ich inzwischen über 40 Fälle gesammelt, in denen die Polizei verschlüsselte Daten auswerten wollte – und in der Regel daran gescheitert ist.

Die US-Bundespolizei FBI fordert inzwischen ganz offen, dass Hintertüren in Verschlüsselungsprogramme eingebaut werden. Oder genauer gesagt: Man fordert, dass die Polizei die Vordertür mitnutzen kann – wo auch immer da der Unterschied sein mag. FBI-Direktor James Comey warnt: “Es besteht die Gefahr, dass uns die Verschlüsselung an einen sehr dunklen Ort bringt. Gerechtigkeit könnte versagt werden wegen eines gesperrten Smartphones oder einer verschlüsselten Festplatte.”

Solche Befürchtungen sind nicht neu. Bereits Ende der neunziger Jahre fürchteten staatliche Institutionen um die öffentliche Sicherheit (und um ihre eigene Existenzberechtigung) durch die aufkommende Verschlüsselung. Damals beruhigten sich die Gemüter schnell wieder – nicht zuletzt, weil Verschlüsselung so wenig genutzt wurde, dass die staatlichen Lauscher meist Klartext vorfanden. Doch jetzt zieht sich die Schlinge immer weiter zu. Durch die Snowden-Affäre haben viele Geschmack am Verschlüsseln gefunden, und Produktneuheiten wie die besagten Smartphone-Betriebssysteme verleihen der Kryptologie einen zusätzlichen Schub.

In Deutschland ist von staatlich verordneten Hintertüren bisher öffentlich nicht die Rede. Ich hoffe, dass das so bleibt, denn trotz allem bin ich nach wie vor ein Gegner solcher Praktiken. Die Kryptologie ist eine sinnvolle Sache. Es gibt sie aber nicht zum Nulltarif.

Zum Weiterlesen: Vermissten-Fall Powell: Polizei beißt sich an verschlüsselten E-Mails die Zähne aus

Kommentare (8)

  1. #1 odet
    21. November 2014

    Nach dem NSA Skandal ist man ja schon geneigt, alles was das FBI oder irgendwelche Geheimdienste Scheiße finden als Meilenstein der Menschheit zu betrachten.

  2. #2 Sven Türpe
    22. November 2014

    Lesenswertes zu den “Crypto Wars” der 90er:

    (1) Ross Anderson erzählt in seinem Buch “Security Engineering” die Geschichte (Abschnitt 24.3.9). Das Buch gibt’s online: https://www.cl.cam.ac.uk/~rja14/book.html

    (2) Eine Gruppe namhafter Kryptologen und Sicherheitsforscher gab 1997 (aktualisiert 1998) einen Bericht heraus, der die Kosten und Risiken kryptografischer Hintertüren betrachtet: The Risks of Key Recovery, Key Escrow & Trusted Third Party Encryption, https://www.crypto.com/papers/escrowrisks98.pdf

  3. #3 Beobachter
    22. November 2014

    Etwas off topic:

    https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/haltungsschaeden-durch-technik-aerzte-warnen-vor-dem-smartphone-nacken-1.2231463

    Das ist offensichtlich kein Witz.

    Mir als hauptsächlich radfahrendem Menschen kommen öfters Fußgänger oder Radfahrer entgegen, die nicht auf den Weg schauen, sondern auf ihr Handy.
    Selbst die Betätigung meiner Fahrradklingel nützt nichts, um Aufmerksamkeit zu erregen bzw. Unfällen vorzubeugen – denn viele haben auch noch Stöpsel im Ohr – sie hören nichts und sehen nichts.

    • #4 Klaus Schmeh
      22. November 2014

      Immerhin ist die Sache mit der Handy-Strahlung inzwischen wohl vom Tisch. Keine seriöse Studie hat je belegen können, dass die elektromagnetischen Wellen eines Handys die Gesundheit schädigen. Das ist doch auch mal erwähnenswert.

  4. #5 Beobachter
    22. November 2014

    Nachtrag:

    Um Missverständnissen vorzubeugen:

    Ich gehöre NICHT zu den Rad-Rowdys auf Radwegen und in Fussgängerzonen und bin immer gemütlich unterwegs –
    aber es ist wirklich erstaunlich, dass Leute in allen Lebenslagen meinen, erreichbar sein zu müssen.
    Man hat schon von Fällen gehört, wo Fussgänger an Laternenpfahle gelaufen sind und sich verletzt haben, weil sie “so schön smart drauf waren” …
    Bsp.:
    https://www.t-online.de/handy/smartphone/id_42232470/neue-technik-gegen-steigende-handy-unfaelle.html

  5. #6 Tobias Schrödel
    23. November 2014

    Hallo Klaus,
    in diesem Zusammenhag darf ich auf das wunderschöne Buch Kryptografik aus dem Jahre 1809 verweisen. Schon damals war die heutige Angst des FBI bekannt – und kritisiert.
    Viele Grüße
    Tobi

    Klüber schrieb vor über 200 Jahren:
    Daß die Kryptographik dem Mißbrauch unterworfen sey, daß sie zu unerlaubten Zwecken, zu Conspirationen und andern strafbaren geheimen Verbindungen gebraucht werden könne, und gebraucht worden sey, daß unter ihrer Hülle das Verbrechen im Finstern schleichen, daß sie, unter gewißen Umständen, dem Staat gefährlich werden könne; welcher Welt- und Geschichtskundige wird dieses läugnen? Aber soll der Mißbrauch den rechten Gebrauch hindern? Soll man keinen Wein bauen, weil es Leute giebt, die sich in Wein berauschen? Soll man weder Feuer noch Licht gebrauchen, weil die Erfahrung lehrt, daß durch sie blühende Städte in Aschehaufen verwandelt wurden?

    • #7 Klaus Schmeh
      23. November 2014

      Sehr interessantes Zitat. Es gibt eben nichts Neues unter der Sonne.

  6. #8 Peter G. Bouillon
    Lüdinghausen
    24. November 2014

    Wenn über die „fehlende“ Hintertür ein so großes Buhei gemacht wird, kann man wohl davon ausgehen, dass in der Verschlüsselung in Wirklichkeit eine steckt. Mag ja tatsächlich sein, dass die örtliche Polizei dazu den Zugang nicht kennt – der amerikanische Geheimdienst aber schon. Und Apple wird durch eine entsprechende Order davon abgehalten, auch nur den Hauch einer Andeutung zu verraten.