Der niederländische Historiker Karl de Leeuw konnte ein Kryptogramm aus dem 18. Jahrhundert entschlüsseln. Die Verschlüsselungsmethode war genauso bemerkenswert wie der Inhalt.

1993 fand der Historiker Karl de Leeuw im Nachlass des holländischen Stadthalters Wilhelm V. (1748–1806) eine verschlüsselte Nachricht. Sie war in der Form eines Quadrats aufgeschrieben:

Fleissner-Leeuw

Karl de Leeuw, der alte holländische Verschlüsselungsverfahren so gut wie kein anderer kennt, vermutete, dass der Verfasser der Nachricht eine so genannte Fleissner-Schablone zum Verschlüsseln genutzt hatte. Eine solche sieht so aus:

Fleissner-Paderborn

Zum Verschlüsseln legt man die Scheibe auf ein Blatt Papier und trägt jeweils einen Buchstaben des Klartexts in eine der Öffnungen ein. Dann wird die Schablone um 90 Grad gedreht, und das Schreiben beginnt von Neuem. Hier ein Beispiel:

Fleissner-Schema

Eine Fleissner-Schablone ersetzt Buchstaben nicht, sondern verändert ihre Reihenfolge (das wird als “Umordnungsverfahren” oder “Transpositionschiffre” bezeichnet). Umordnungsverfahren sind schon sehr alt. Trotzdem standen sie in der Kryptologie-Geschichte immer im Schatten der Ersetzungsverfahren – völlig zu Unrecht, denn ein gutes Umordnungsverfahren ist ausgesprochen schwer zu knacken.

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Die Fleissner-Schablone zählt jedoch zu den einfacheren Umordnungsverfahren und ist daher alles andere als unknackbar. Um ein Umordnungsverfahren zu lösen, versucht der Codeknacker meist, häufige Buchstabenkombinationen zu finden. Der US-Kryptologe Herbert Yardley suchte beispielsweise in deutschen Kryptogrammen stets nach dem C, da auf ein solches meist ein H, manchmal auch ein K, aber nur selten ein anderer Buchstabe folgt.

Es gehört nicht viel Fantasie dazu, hinter dem Kryptogramm von Karl de Leeuw eine 16×16-Fleissner-Schablone zu vermuten. Weil die Nachricht nicht vollständig in die 256 Felder passte, schrieb der Verfasser in einige davon zwei Buchstaben. Die Sprache des Klartexts war recht einfach zu bestimmen: Die Buchstabenhäufigkeiten sprachen für Deutsch.

Doch wo hatten sich die Öffnungen in der verwendeten Fleissner-Schablone befunden? Karl de Leeuw hätte mit dem Computer alle denkbaren Lochkombinationen durchprobieren können. Möglich ist es auch, mit einer Zeile (beispielsweise der ersten) anzufangen und dort nach gängigen Buchstabenkombinationen zu suchen. Doch de Leeuw fand eine deutlich einfachere Methode, den Öffnungen in der Schablone auf die Spur zu kommen. Er nutzte aus, dass der Verschlüssler beim Aufschreiben der Buchstaben Spuren hinterlassen hatte, die Hinweise auf die ursprüngliche Reihenfolge gaben. Am deutlichsten ist das in Zeile 6 zu erkennen. Dort sind die Buchstaben “e” (Position 8), “i” (Position 10) und “n” (Position 16) etwas tiefer geschrieben als die anderen. In der nächsten Zeile gilt gleiches für “g”, “e”, “g” und “a”. In der achten Zeile stehen (wenn auch nicht ganz so deutlich) “e”, “g” und “n” etwas tiefer. Zusammen ergeben diese Buchstaben »”eingegagen«. Wenn man in der achten Zeile noch ein »n« dazunimmt (Position 1 oder 4), ergibt sich »eingegangen«. Dreht man die Schablone um 180 Grad, dann ergibt sich “bierwelchesi”, was ebenfalls Sinn ergibt.

Dieser Einstieg war bereits die halbe Miete. De Leeuw konnte damit die Position von 11 Löchern rekonstruieren, was insgesamt 44 Buchstaben ausmachte. Ohne Mühe löste de Leeuw nun auch die restliche Nachricht. Dabei kam folgender Klartext zum Vorschein:

die franszosen sind laut eingegangener erkundigung und nach
richt von camberg abmarchiret es sollen aber dem verlaut nach
andere an deren stelle einrucken vielleicht fürchten sie das en
gelische bier welches ihnen wohl übel bekommen durfte wan es
recht getruncken wird ich wünschet dass sie die rechte maass be
kommen mögten [Trennungszeichen] koenig

Der Verfasser machte sich also über englisches Bier lustig. Wenn das kein interessantes Ergebnis ist!

Kulturhistorisch zeigt diese Nachricht, dass die Franzosen, die Wein gewohnt waren, das englische Bier verabscheuten. Kryptohistorisch ist die Sache noch interessanter: Diese Nachricht ist der älteste bekannte Beleg für eine Fleissner-Schablone.

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Kommentare (6)

  1. #1 Ralf Bülow
    18. Dezember 2014

    Das “engelische Bier” könnte aber auch metaphorisch gemeint sein und sich auf frühere militärische Siege von England gegen Frankreich beziehen, z.B. im Siebenjährigen Krieg.

    • #2 Klaus Schmeh
      18. Dezember 2014

      >Das “engelische Bier” könnte aber auch metaphorisch gemeint
      Tatsächlich? Das wäre eine interessante Interpretation. In der Arbeit von Karl de Leeuw ist davon nicht die Rede, er geht davon aus, dass das wörtlich gemeint ist.

  2. #3 Lercherl
    19. Dezember 2014

    Fleißners Handbuch der Militärischen Kryptographie, erschienen im Militärverlag Wiener Neustadt 1912, spielt eine wichtige Rolle im „braven Soldaten Schwejk“.

    • #4 Klaus Schmeh
      19. Dezember 2014

      Tatsächlich? Ich wusste, dass in diesem Buch Verschlüsselung vorkommt, habe aber nie genau nachgeschaut.

  3. #5 Kent Ramliden
    19. Dezember 2014

    spielt eine wichtige Rolle im „braven Soldaten Schwejk“.
    dass in diesem Buch Verschlüsselung vorkommt, habe aber nie genau nachgeschaut./

    Interessant, wie dieses Buch auch als Schlüssel Buch von einem russischen Spion im Zweiten Weltkrieg eingesetzt. Ein Teil der Geschichte kann in David Kahns Die Codebreakers gelesen werden, und ich habe einige dieser Spion Chiffren gelöst. Ich bin zur Zeit auf einem verstümmelten einem stecken.

  4. #6 Hans Jahr
    20. Dezember 2014

    >spielt eine wichtige Rolle im „braven Soldaten Schwejk“.
    Jaroslav Hasek wrote just another little known very funny fiction called “Šifrovaný dopis” – Cipher letter, about letter of thief of sacred things from church, intercepted by gendarmes and supposedly amended by steganographic tool – “Cardan grille” – method of enciphering messages in apparently innocuous text of the letter.