Der Astronom John Ritchie verschickte 1896 ein verschlüsseltes Telegramm. Karsten Hansky, der sich sowohl mit Astronomie als auch mit Codeknacken auskennt, konnte es dechiffrieren und einige interessante Hintergrundinformationen ermitteln.

Das folgende Telegramm hat mir dankenswerterweise Dr. Karsten Hansky zur Verfügung gestellt:

John-Ritchie-Telegram

Der Absender ist der US-Astronom John Ritchie Jr. Er schickte das Telegramm von Boston an das Chamberlain Observatorium in Denver. Auch ein Datum ist zu erkennen: der 7. September.

Das Jahr, in dem das Telegramm verschickt wurde, ist nicht angegeben. Lesen kann man das Schreiben ebenfalls nicht. Es ist – so scheint es jedenfalls – verschlüsselt. Es besteht aus einer Folge von Fantasiewörtern aus unterschiedlichen Sprachen. BOUCHETROU klingt beispielsweise französisch, GIACOBINI italienisch und FACILENESS englisch. Wer regelmäßig Klausis Krypto Kolumne liest, weiß, was mutmaßlich dahinter steckt: Der Verfasser hat ein Codebuch verwendet, das jedem Wort einer Sprache ein Codewort (in diesem Fall ein Fantasiewort, in andern Fällen oft eine mehrstellige Zahl) zuordnet.

Ein kniffliger Code

Ein solches Kryptogramm zu lösen, kann eine äußerst knifflige Aufgabe sein. Doch Karsten Hansky hatte Glück und die richtige Spürnase: Zunächst fand er in einer Schrift der Astronomical Society of the Pacific ein Telegramm mit gleichem Inhalt. Es wurde am 7. September 1896 vom Lick-Observatorium (Kalifornien) an das Harvard College Observatorium (Massachusetts) gesendet. Offenbar war der Inhalt also nicht für ein bestimmtes Observatorium bestimmt, sondern kursierte unter den damaligen Astronomen. Damit war das Ursprungsjahr geklärt.

Doch wie ließ sich das Telegramm entschlüsseln? Das war nicht schwierig, denn Karsten Hansky fand im Internet das passende Codebuch (John Ritchie ist einer der Autoren, dies erleichterte naturgemäß die Suche). Hier ist eine Seite daraus:

John-Ritchie-Telegram-Codebuch

Wie man sieht, gibt es für jede vierstellige Zahl ein Codewort. BOUCHETROU steht beispielsweise für 6835. Insgesamt ist das Codebuch nicht dafür gedacht, Alltagssprache zu verschlüsseln. Stattdessen ist es für astronische Mitteilungen gemacht.

Karsten Hansky kennt sich gut mit Astronomie aus. Mit seinen Kenntnissen und dem Codebuch konnte er folgenden Klartext ermitteln:

Boston Mass, September 7th
Comet Brooks was observed by Lick (observatory) on September 6.8355 at the following
position:
RA: 207° 56’ 01” -> 13h 51m 44.1s
Dec: 55° 24’ 52”
Giacobini was observed by Hussey on September 6.6916 at the following position:
RA: 258° 44’ -> 17h 14m 58.3s
Dec: -7° 52’ 26”
John Ritchie Jr

Das Telegramm gibt also die am 6. September ermittelten Koordinaten für die Kometen Brooks und Giacobini an.

Warum war das Telegramm verschlüsselt?

Bleibt noch die Frage, warum John Ritchie das Telegramm verschlüsselt hat. Ganz so geheim ist der Inhalt ja schließlich nicht. Ein Blick auf die ersten Seiten des Codebuchs liefert die Antwort: Allem Anschein nach diente der Code gar nicht der Geheimhaltung. Dies ist nichts Ungewöhnliches, denn viele Codebücher der damaligen Zeit wurden nicht oder nicht nur zu Verschlüsselungszwecken entwickelt. Ein weiteres wichtiges Ziel war es, Telegramme zu verkürzen und dadurch billiger zu machen. Außerdem war ein Code, wenn er entsprechend aufgebaut war, weniger fehleranfällig.

Im vorliegenden Fall war vermutlich die geringere Fehleranfälligkeit der Grund, warum die Astronomen ein Codebuch verwendeten. Bei der Übermittlung astronomischer Koordinaten passierten zweifellos leicht Fehler. Die Verwendung von Fantasiewörtern für vierstellige Zahlen und astronomische Begriffe war da sicherlich ein gutes Rezept. Kürzer wurden die Nachrichten dadurch anscheinend nicht. Dafür waren sie für Nichteingeweihte kaum verständlich. Ob dies ein gewollter Nebeneffekt war, lässt sich heute nicht mehr ermitteln.

Zum Weiterlesen: Wie ein Rätsel der Kryptologie-Geschichte nach 70 Jahren gelöst wurde

Kommentare (2)

  1. #1 BreitSide
    Beim Deich
    13. August 2015

    Störungsunanfälligkeit, eine interessante Eigenschaft.

    Dazu passt ja, dass man manchmal (ohne Geheimhaltungsabsichten…) zB “fünnef” für 5 oder “zwo” für 2 oder auch “Juno” und “Julai” sagt.

    Nicht zu reden von den Buchstabieralfabeten…

  2. #2 Colin Bierton
    MS NRW
    16. August 2015

    Morse letters easier to send than numbers?
    A = .-
    9 = – – – – -.