So viel Spürsinn würde Sherlock Holmes alle Ehre machen. Blog-Leserin Julia Bernotat hat die (wahrscheinliche) Lösung eines Rätsels gefunden, das aus dem 19. Jahrhundert stammt.

Vor zwei Jahren stellte ich in Klausis Krypto Kolumne die 25 (meiner Meinung nach) bedeutendsten ungelösten Verschlüsselungen vor (siehe hier). Immerhin zwei davon wurden inzwischen gelöst: das Action-Line-Kryptogramm und die Doppelwürfel-Challenge.

Heute kann ich die Lösung des dritten Top-25-Rätsels verkünden!

 

Der unbekannte Autor

Es geht um das „Konkordientag-Kryptogramm“, das ich damals auf Position 20 in meiner Top-25-Liste präsentierte. Entdecker dieses Rätsels ist der Münchener Krypto-Experte und Comedy-Hacker Tobias Schrödel. Tobias kennt sich sehr gut mit Kryptologie-Büchern aus allen Epochen aus.

Tobias fiel vor einigen Jahren auf, dass der Autor des Buchs Die Kunst, geheime Schriften zu entziffern (1808 in Leipzig erschienen) seinen Namen nicht nannte. Stattdessen gab er „ ; + 1 Λ + o.“ als Autorenname an.

Unknown-Author

Anscheinend handelt es sich um eine Verschlüsselung (transkribiert lautet sie: ABCDBE, sofern man den abschließenden Punkt nicht als eigenen Buchstaben wertet). Der von mir gewählte Name „Konkordientag-Kryptogramm“ bezieht sich auf die Datumsangabe hinter dem dem verschlüsselten Namen.

Tobias Schrödel reichte dieses Verschlüsselungsrätsel bei MysteryTwister C3 ein. MysteryTwister C3 ist eine Plattform für kryptografische Rätsel aller Art. Das Konkordientag-Kryptogramm kam in die Kategorie X, also zu den ungelösten Verschlüsselungen.

Als ich über MysteryTwister C3 zum ersten Mal von diesem Kryptogramm erfuhr, übernahm ich es in die besagte Top-25-Liste. Heute, zwei Jahre später, würde ich diese Liste sicherlich anders gestalten (ich bin in der Zwischenzeit auf viele weitere interessante Kryptogramme gestoßen), doch das Konkordientag-Kryptogramm würde ich nach wie vor aufführen.

Dabei war klar: Für das Konkordientag-Kryptogramm gibt es (sofern man von einer einfachen Buchstabenersetzung ausgeht) keine eindeutige Lösung, da viele Wörter zum Muster ABCDBE passen. Mögliche Nachnamen wären beispielsweise BECKER, CAESAR, ERHARD oder HERMES. Das Rätsel war also nur zu lösen, wenn man weitere Informationen hinzunehmen konnte. Man konnte insbesondere nach einer Person Ausschau halten, die einen passenden Namen hatte, zur richtigen Zeit lebte und sich für Kryptologie interessierte.

 

Die (wahrscheinliche) Lösung

Vor vier Wochen erhielt ich eine E-Mail von Blog-Leserin Julia Bernotat.

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Sie schrieb, sie habe das Rätsel um den unbekannten Autor gelöst!

Ich war allerdings skeptisch, denn ich habe schon viele falsche Lösungen zu irgendwelchen Krypto-Rätseln erhalten.

Als ich mir Frau Bernotats Ausarbeitung anschaute, war ich erstaunt. Ich hatte eigentlich einen kurzen Text mit ein paar Argumenten erwartet. Stattdessen fand ich eine Abhandlung, die sich über Dutzende von Seiten erstreckte. Nun ist Masse zwar nicht immer gleich Klasse, doch in diesem Fall stellte ich fest: Julia Bernotat hatte großartige Arbeit geleistet. Ihre Herangehensweise hätte Sherlock Holmes vor Neid erblassen lassen.

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Zunächst einmal vermutete auch Frau Bernotat, dass der abschließende Punkt im Sechs-Buchstaben-Kryptogramm keinen eigenen Buchstaben darstellt. Sie schreibt: „Im ‚Leipziger Adreß- Post- und Reisekalender auf das Jahr ….‘ und im Dresdner Kalender der damaligen Zeit steht nach den voll ausgeschriebenen Namen häufig ein Punkt. Die Symbole ; + 1 Λ + o haben alle den gleichen Abstand voneinander, während zwischen dem o und dem Punkt kaum ein Abstand ist. Also kann man annehmen, dass der Punkt nicht zum Namen gehört.“ Mit ihrem Perfektionismus betrachtete Frau Bernotat dennoch die Hypothese, dass der Punkt ein eigener Buchstabe ist, doch das führte in eine Sackgasse.

Wer verbirgt sich also hinter den sechs Buchstaben? Laut Julia Bernotat handelt es sich um den sächsischen Physiker Georg Wilhelm Sigismund Beigel (1753-1837).

Der Nachname Beigel passt zum Muster ABCDBE. Auch die Lebensdaten sind plausibel. Dass Beigel in Sachsen lebte, passt zum Erscheinungsort des Buchs.

Reichen diese Indizien aus, um den Fall zu lösen? Natürlich nicht. Doch Frau Bernotat hat viele weitere Hinweise gefunden. Welche Puzzlesteine sich letztlich zusammenfügten und Beigel nach 200 Jahren fast wie in einem Indizienprozess als Autor überführten, lesen Sie (voraussichtlich übermorgen) im zweiten Teil dieses Artikels. Dann werde ich auch die vollständige Arbeit von Julia Bernotat präsentieren.

Zum Weiterlesen: Ein Autor namens “46, 9, 4-57, 3, 5”

Kommentare (4)

  1. #1 Thomas
    12. Januar 2016

    Spricht nicht mehr dafür, dass vor dem Datum der Ort (z.B. Lipsia -. lat. für Leipzig) genannt ist?
    Auf welcher Basis nennt die Bayerische Staatsbibliothek einen Georg Victor Carl von Gesternbergk (richtig wohl: Gerstenbergk wie z.B. ein Freund der Mutter Schopenhauers) als Herausgeber/Autor?

  2. #2 Narga
    16. Januar 2016

    Ich habe gerade noch die letzte Übungsaufgabe des Buches, deren Lösung Frau Bernotat nicht abgedruckt hat (den Brief aus dem Buch “Schicksale der vermeinten Gräfin…” auf Seite 79/80), mittels einfacher Substitution gelöst und gemerkt, dass Tobias Schrödel die Lösung auch schon kennt 🙂 Die Dame ist offensichtlich schwanger. In diesem Beispiel kommen alle Zeichen der gesuchten Signatur auch vor, deshalb hatte ich mir das angeschaut.

    Mit derselben Ersetzung wie in der Aufgabe ergibt sich dann CTSPTRM (der Punkt entspricht dem M). Keine Ahnung, vielleicht findet sich ja ein Autor, wenn man noch ein paar Vokale hinzufügt?

  3. #3 Thomas Ernst
    Latrobe, PA
    18. Januar 2016

    Lieber “Thomas”, herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Spürsin: Sie haben völlig recht damit, daß die “Kunst” ein lexisch, stilistisch und inhaltlich leicht abgeändertes Plagiat von Kortums “Anfangsgründen” ist. Ich hatte das Buch, als Fotokopie, noch aus meinen Trithemius-Tagen auf dem Regal. Mein Herrn Schmeh versprochener Beitrag erübrigt sich nun fast, doch ich werde ihn trotzdem noch fertigmachen.

  4. #4 Thomas Ernst
    Latrobe
    18. Januar 2016

    möchte zu meinem vorherigen Kommentar noch anmerken, daß es, im Falle einer Ortsangabe, LIPSIÆ heißen müßte, wobei die Ligatur als ein Buchstabe zählte.