Im Jahr 1911 schickte der britische Konsul in Lüderitz (Deutsch-Südwestafrika) ein verschlüsseltes Telegramm an das Außenministerium in London. Kann jemand die Verschlüsselung knacken?


Wussten Sie, dass Deutschland vor gut 100 Jahren die viertgrößte Kolonialmacht der Welt war? Vor allem in Afrika hatte das Deutsche Reich umfangreiche Besitzungen. Ein Ruhmesblatt war die deutsche Kolonialpolitik allerdings nicht, denn wie alle Kolonialherren beuteten auch die Deutschen ihre Kolonien aus und betrachteten die Ureinwohner als minderwertige Menschen.

Kolonien-Afrikas

1919 mussten die Deutschen nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg alle Kolonien abgeben. Dies erwies sich später als Vorteil, denn die Zeit der Kolonien war bald vorbei, und der Weg in die Unabhängig verlief selten reibungslos – oft gab es Krieg. Das frühe Ende der deutschen Kolonialträume hat übrigens dazu geführt, dass sich die deutsche Sprache nicht über den Globus verbreitet hat, während Englisch, Französisch, Spanisch und Portugiesisch heute in vielen Ex-Kolonien als Landessprache gesprochen werden.

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Am 21. Januar gibt es einen Vortrag von mir in Speyer.
Thema: Streng geheim — ein Streifzug durch die Geschichte der Verschlüsselungen und Geheimschriften
Ich würde mich freuen, dort einigen Lesern von Klausis Krypto Kolumne zu begegnen.
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Zu den deutschen Kolonien in Afrika zählte auch Deutsch-Südwestafrika, das heutige Namibia. In der deutsch-südwestafrikanischen Stadt Lüderitz gab es damals offensichtlich ein britisches Konsulat. Am 9. Oktober 1911 schickte der britische Konsul in Lüderitz ein Telegramm an das Außenministerium in London. Dieses Telegramm war verschlüsselt (Prodrome ist die Telegrammadresse des Außenministeriums).

Luederitz-Kryptogramm-2

Hier gibt es die eigentliche Nachricht in Großaufnahme:

Luederitz-Kryptogramm-3

Dieses Telegramm hat mir freundlicherweise Frank Gnegel vom Museum für Kommunikation in Frankfurt zur Verfügung gestellt.

Die Verschlüsselung basiert vermutlich auf einem Codebuch. Codebuch-Verschlüsselungen habe ich auf Klausis Krypto Kolumne schon viele vorgestellt (zum Beispiel hier und hier). In einem Codebuch gibt es zu jedem gängigen Wort einer Sprache ein Codewort (dies kann auch eine Zahl sein), wie das folgende Beispiel zeigt:

Codebook-Page-2

Um das Telegramm lösen zu können, benötigt man vermutlich das verwendete Codebuch. Möglicherweise reicht das aber nicht aus, denn manchmal wurden Codebuch-verschlüsselte Nachrichten noch “überschlüsselt”. Das bedeutet, dass beispielsweise zu jedem Codewort noch etwas dazugezählt wurde (etwa das aktuelle Datum). Generell setzte man im Diplomatenwesen recht gute Codebücher und Überschlüsselungsmethoden ein, was die Sache im vorliegenden Fall natürlich schwieriger macht.

Das Lüderitz-Telegramm könnte also eine harte Nuss sein. Schafft es trotzdem jemand, den Code zu knacken?

Zum Weiterlesen: Wie ein Rätsel der Kryptologie-Geschichte nach 70 Jahren gelöst wurde

Kommentare (11)

  1. #1 Karsten Hansky
    15. Januar 2016

    Wenn ein Standard-Codebuch verwendet wurde, so muss es ein sehr umfangreiches sein. Es gibt nicht viele Codebücher mit 100.000 Einträgen. Es käme zum Beispiel der ABC-Code in Frage aber der passt nicht.

    Die “99251” spricht in meinen Augen gegen ein Standard-Codebuch. Es wäre schon ein großer Zufall, wenn das Codebuch über 99.000 Einträge umfasst und gleichzeitig weniger als 100.000. Letztere Zahl ließe sich nicht mehr als Fünfergruppe darstellen.

    Bleibt natürlich die Variante eines speziellen Codebuchs, bei dem die Einträge nicht alphabetisch geordnet sind bzw. nicht durchgehend numeriert.

    Betrachtet man die Zahlen so fällt auf, dass die 5 überdurchschnittlich oft vorkommt.

    • #2 Klaus Schmeh
      15. Januar 2016

      >Bleibt natürlich die Variante eines speziellen Codebuchs, bei dem die Einträge
      >nicht alphabetisch geordnet sind bzw. nicht durchgehend numeriert.
      Das könnte ich mir in diesem Fall durchaus vorstellen. Im Diplomatenwesen setzte man üblicherweise keine kommerziell erhältlichen Codebücher (diese waren vor allem dazu gedacht, die Nachrichten zu verkürzen, damit die Telegramme billiger wurden ein), sondern speziell gefertigt kryptografische Codebücher. Dass alle Zahlen fünfstellig sind, kann andererseits auch an der Überschlüsselung liegen. Diesen Code zu knacken, könnte jedenfalls schwierig werden.

  2. #3 Hans Bühler
    Zürich
    16. Januar 2016

    In der Zeit der Morsetelegraphie hat man Telegramme
    in 5er Gruppen, Zahlen oder Buchstaben, übermittelt.
    Der Grund war/ist, dass der Telegraphist auf der Empfangsseite so eine saubere und exakte Empfangskontrolle hatte. Auch für die Wortzählung war es einfach, im erwähnten Lüderitz Telegramm von 1911
    waren es ja 47 zu bezahlende Worte, inkl. Adresse u. Unterschrift.

  3. #4 Joe
    Berlin
    16. Januar 2016

    https://www.booklooker.de/B%FCcher/A-C-Meisenbach+ACME-Commodity-and-Phrase-Code/id/A01rNcBD01ZZK

    Zur Lösung benötigt man die entsprechenden Code und Substitutionstabllen.

  4. #5 Klaus Schmeh
    16. Januar 2016

    Frage von Thomas Tscheuschner über Facebook: Könnte es das auf Deutsch oder Englisch sein weil unten steht britischer Konsul?
    Meine Antwort: Vermutlich Englisch. Der britische Konsul hat mit dem britischen Außenministerium vermutlich Englisch geredet.

  5. #6 Tobias Schrödel
    16. Januar 2016

    Ich muss gestehen, dass ich das von Joe verlinkte Buch soeben für meine Sammlung gekauft habe (Danke für den Tipp). Es ist aber auch hier abgebildet: https://www.amazon.com/ACME-Commodity-Phrase-Code-Meisenbach/dp/B0029K25FC

  6. #7 Ulrich M. Moese
    Gera
    4. Februar 2016

    wenn rauskäme was dort unverschlüsselt steht müsste die dt. Geschichte umgeschrieben werden. und das wird nicht geschehen. lassen sie besser die Finger davon. kleiner tipp unter freunden. 😉

  7. #8 Bernhard Gruber
    17. Februar 2016

    Dem roten Datumsstempel nach wurde das Kryptogramm 1911 versendet. Die Reichs-Funkentelegraphenanstalt in Lüderitzbucht
    ging aber erst am 03.06.1912 in Betrieb: https://sundoc.bibliothek.uni-halle.de/diss-online/04/05H118/t9.pdf Seite 238.

  8. #9 Thomas
    17. Februar 2016

    Könnte das handschriftlich über dem Kryptogramm eingetragene Sendedatum nicht eher als “1912, den 9.X.” zu lesen sein? Worauf sich der Datumsstempel des britischen Konsulats (1911), der wohl nichts über das Sendedatum besagt, beziehen soll, erschließt sich mir allerdings nicht.

  9. #10 Bernhard Gruber
    17. Februar 2016

    @Thomas, ich würde da ebenfalls 1912 lesen. Allerdings ist der rote Stempel vom Konsulat eindeutig: OCT 9 1911, oder liege ich da falsch?

    Sieht nach einem Durchschlag aus, damit Consul Müller die 9 Mark 25 Pfennig zurückerstattet bekommt.

    Trotzdem gab es da noch keine Telegraphenstation.

  10. #11 Thomas
    17. Februar 2016

    @Bernhard:
    Am 03.06.1912 ging die Funkentelegraphenanstalt in Betrieb (dein Link S. 239). Einen Telegraphendienst – dann wohl noch drahtgebunden – gab es in Lüderitz aber schon seit dem 23.07.1907 (s. Tabelle S. 300 im selben Buch)