Auf meine Leser war mal wieder Verlass. Schon wenige Stunden, nachdem ich vorgestern eine verschlüsselte Postkarte veröffentlicht hatte, war diese gelöst. Und dann erlebte ich eine angenehme Überraschung.

Die verschlüsselte Postkarte aus dem Jahr 1903, die ich vorgestern in meinem Blog vorgestellt habe, stammt von einem Mann namens August. Empfängerin war seine Geliebte namens M. Scheck. Meine Leser Thomas, Norbert Biermann und Jan brauchten lediglich ein paar Stunden, um den Code zu knacken.

Der Inhalt des verschlüsselten Grußes ist nichts Ungewöhnliches, schließlich wurden die meisten verschlüsselten Postkarten von jungen Männern an ihre Geliebten geschrieben.

Norbert Biermann wies mich allerdings auf etwas Interessantes hin: Diese Karte aus Neunkirchen hat eine frappierende Ähnlichkeit mit einer anderen verschlüsselten Postkarte, die ich vor knapp einem Jahr auf Klausis Krypto Kolumne vorgestellt habe (sie ging von Bonn nach Neunkirchen). Tatsächlich stammen beide Karten vom selben Liebespaar. Es gibt allerdings einen kleinen Unterschied: Die Bonner Karte ging in die andere Richtung. Sie wurde von der Geliebten geschrieben, und August (genannt “Herzensaugust”) war der Empfänger.

Nach über 110 Jahren kommen dadurch zwei Postkarten wieder zusammen, die zusammengehören. Interessant finde ich, dass die beiden Karten aus völlig unterschiedlichen Quellen stammen (Privatsammlung von Manfred Hahn und Stadtarchiv Bonn).

Im Folgenden werde ich beide Karten im Detail vorstellen. Vermutlich gibt es noch weitere verschlüsselte Karten dieses Liebespaars – mal sehen, ob noch eine auftaucht.

 

Erste Karte: 24. Dezember 1903 (von Neunkirchen nach Mönchengladbach)

Absender: August Dedering
Empfänger: Maria Scheck

Postcard-Neunkirchen-Hahn

Der Klartext lautet (beginnend an der Stelle “4.072”):

HABE ALSO VOR AM DONNERSTAG MITTAG UM (12) HIER ABZUFAHREN UND BIN DANN DES ABENDS UM (8) IN KÖLN UND WERDE DANN MONTAG (1/2 4) IN M. GLADBACH EINTREFFEN. WANN ICH DICH ABER AUFGEFUNDEN HABE WEISS ICH NOCH NICHT. WENN ICH MICH NUR NICHT UM EINIGE STUNDEN VERLAUFE! TANTE HAN[N]CHEN HAT AUCH GLEICHZEITIG MIT DEINEM BRIEFE EINIGE KARTEN GESANDT. ALLES ANDERE MÜNDLICH. AUF FROHES WIEDERSEHN HOFFEND VERBLEIBT DEIN DICH TREU LIEBENDER AUGUST. NUR DEIN. ZURÜCK FAHREN MUSS ICH SCHON SONNTAG ABEND.

 

Zweite Karte: 6. April 1904 (von Bonn nach Neunkirchen)

Absender: Maria Scheck
Empfänger: August Dedering

Postkarte-Bonn

Der Klartext lautet:

(unten)
MEIN EINZIG GELIEBTER GUTER TREUER
SÜSSER HERZENSAUGUST INNIGEN DANK MEIN TREUES HERZLIEB FÜR DEIN LIEBE
KARTE WAS IST DAS HEIMWEH EIN HARTER SCHMERZ DOCH MEIN LIEBLING LASS
UNS AN DEM GEDANKEN FEST HALTEN DAS WIR DENNOCH IN UNSRER SCHÖNEN LIEBE
VEREINT SIND MEIN DASEIN IST AUCH SO FREUDENLOS SEIT DU MEIN
SÜSSER ??? MICH VERLASSEN HAST

(Mitte)
DU BIST MEIN TREUER
SÜSSER HERZENSAUGUST
MEIN GANZES EINZIGES
GLÜCK AUF DIESER
WELT

(oben, auf dem Kopf)
DER LIEBE GOTT BEHÜTE
DICH MEIN HERZENSLIEBLING
IN HERZLICHER INNIGER LIEBE UND
SCHMERZLICHER SEHNSUCHT GEDENKE ICH STETS DEINER
UND NIMM SO VIELE HERZLICHE KÜSSE VON DEINER NUR FÜR
DICH LEBENDE DICH EWIG TREU LIEBENDE NUR DEIN MARIA

 

Schlüsseltabelle

Die Verschlüsselung ist eine einfache Buchstabenersetzung. Je eine Zahl (teilweise mit einem Komma, Apostroph oder Unterstrich) steht für einen Buchstaben. Umlaute werden (wie üblich) durch zwei Punkte angezeigt. Der Malpunkt steht für einen Wortzwischenraum.

0 = W     0, = ?     0′ = A
1 = M     1, = T     1′ = Z
2 = F     2, = E
3 = ?     3, = D     3′ = I
4 = N     4, = H
5 = U     5, = G
6 = C     6_ = K
7 = B     7_ = V
8 = S     8, = L
9 = O     9, = R

Bleibt noch die Frage, wie die Leser Thomas, Norbert und Jan diese Schlüsseltabelle ermittelt haben. Der erste Schritt bestand sicherlich darin zu erkennen, dass eine Zahl mit (teilweise fehlendem) Komma/Apostroph/Unterstrich jeweils für einen Buchstaben stand. Anschließend führte unter anderem das Buchstabenzählen zum Ziel. Da das “2,” am häufigsten vorkommt, steht es für den häufigsten deutschen Buchstaben: das E.

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Kommentare (1)

  1. #1 Ingo
    9. Februar 2016

    Immer wenn ich Verschluesselung durch einfache Symbolersetzung sehe,- muss ich an ein uraltes Spiel aus der MS-DOS / Amiga – Zeit denken.
    In “Covert Action” gab es ein Mini-Game in dem man genau solche Botschaften “von Hand” entschluesseln musste.
    Einzige Hilfestellung des Spiels war es, dass
    a) …angezeigt wurde welches Symbol wie oft vorkam,
    b) und dass wenn der Spieler eine Symbolzuordnung vermutet hatte, konnte diese auf die Nachicht angewendet werden- solange bis der Text entschluesselt war.
    Das Spiel haben wir damals per Diskette auf dem Schulhof getauscht. (Die guten alten Zeiten)

    Link zu einer Retro-Gaming-Seite wo die Spielszene beschrieben ist:
    https://covertaction.wikia.com/wiki/Cryptography_(Mini-Game)