Der US-Amerikaner Herbert Yardley gilt als einer der großen Codeknacker der Geschichte. Den Brief einer Spionin, den er untersuchte, konnte er jedoch nicht vollständig lösen.

Für einen der größten Skandale in der Geschichte der Kryptologie sorgte 1931 der US-Codeknacker Herbert Yardley. Dieser hatte zuvor seinen Job beim US-Außenministerium verloren und machte sich – mitten in der Weltwirtschaftkrise – wenig Hoffnung, einen neuen zu finden. So kam er auf die Idee, ein Buch zu schreiben, in dem er so ziemlich alle Dienstgeheimnisse aus seiner Zeit im Dechiffrier-Dienst verriet. Das Buch erhielt den Titel „The American Black Chamber“ und wurde zum Bestseller (hier gibt es das Buch als PDF).

Im US-Außenministerium schäumte man vor Wut. Doch statt gegen den Verräter Yardley juristisch vorzugehen, was die Affäre vermutlich noch deutlich ausgeweitet hätte, entschloss man sich, die Inhalte des Buchs als frei erfunden zu deklarieren. Im US-Geheimdienstwesen galt Yardley fortan als Unperson.

Man mag von Herbert Yardley halten, was man will. Sein Buch ist jedenfalls ein Meisterwerk. Yardley war ohne Zweifel ein hervorragender Schriftsteller. Ich kann „The American Black Chamber“ daher jedem empfehlen, der etwas über Kryptologie-Geschichte lesen will, ohne zu tief in die Technik einzusteigen. Man muss dem US-Außenministerium allerdings eines lassen: Die Behauptung, die Inhalte des Buchs seien erfunden, ist nicht völlig falsch. Oder anders ausgedrückt: Mit der Wahrheit nahm es Yardley nicht immer so genau.

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Seite 1

Der Brief von Patricia

Ein Kapitel in The American Black Chamber hat den Titel „Patricia“ (im verlinkten PDF steht es auf Dokumentenseite 89 bzw. Buchseite 77). Darin geht es um einen vierseitigen Brief, der mit dem Namen Patricia unterzeichnet ist.

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Seite 2

Diesen Brief fingen US-Postzensoren im Ersten Weltkrieg ab. Ihnen waren ein paar seltsame Zeichen darin aufgefallen (sie stehen auf der zweiten Seite). Sie vermuteten, dass das Schreiben von einer Spionin (oder einem Spion) stammte und dass eine versteckte Botschaft darin verborgen war.

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Seite 3

Der Brief landete in Herbert Yardleys Abteilung. Dort stellte man fest, dass der Verdacht der Zensoren berechtigt war. Yardleys Leute fanden sogar gleich drei auf unterschiedliche Weise versteckte Botschaften darin.

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Seite 4

Botschaft 1: Jargon-Code

Zunächst fanden Yardleys Leute im Brief einige verräterische Begriff bzw. Formulierungen (in der Steganografie bezeichnet man das als Jargon-Code):

  • Facial cream: Zur damaligen Zeit wurde Geheimtinte oft als Gesichtscreme deklariert. Yardley vermutete daher, dass auch Patricia Geheimtinte meinte, als sie von einer “facial cream” schrieb..
  • Fashion sheet: Yardley wusste nicht, was Patricia damit gemeint haben könnte. Leser von Klausis Krypto Kolumne wissen dagegen, dass man Nachrichten in Modezeichnungen verstecken konnte – auch wenn diese steganografische Technik erst für den Zweiten Weltkreig belegt ist. Ob es auch hier um Modezeichnungen mit versteckten Botschaften geht, ist unklar.
  • Cephalic index: Diese im Deutschen als “Schädelindex” bezeichnete Kenngröße (sie bezeichnet das Verhältnis zwischen Länge und Breite eines Schädels) spielte damals in der Antropologie eine wichtige Rolle. Patricia berichtet im Brief, dass eine Antrologin ihren  Schädelindex gemessen hat. Für Yardley war klar, was damit gemeint ist – mir ist es leider nicht klar (vielleicht weiß ein Leser mehr).

 

Botschaft 2: Geheimtinte

Im nächsten Schritt fanden Yardleys Leute auf dem Brief eine mit Geheimtinte geschriebene Botschaft (diese ist auf den Bildern nicht sichtbar). Sie lautet:

I wrote you about the incarceration if the trio, etc.

Let me know as soon as you can about the boys going to France. If of no use in France they are preparing to flee.

I’ wondering if this ink is good. Let me know if  those boys would be of any use to you in France.

Preparations are being made for trianing and  drilling in use of big guns in U.S. Officers returning from Francce for that purpose.

Patricia redet also über Spione, die sie als “boys” und als “trio” bezeichnet.

 

Botschaft 3: Markierungen

Nun musste Yardley noch versuchen, sich einen Reim auf die Markierungen auf der zweiten und vierten Seite zu machen. Dies gelang ihm nicht. Die Bedeutung der beiden Dreiecke auf der vierten Seite blieb ihm ein Rätsel. Gleiches galt für die “Hieroglyphen” auf Seite 2. Anscheinend handelt es sich um Markierungen, die sich auf den jeweils darüberliegenden Text beziehen. Der markierte Text besteht aus zwei Literaturzitaten:

  • A thing of beauty is a joy forever. [aus “Endymion” von John Keats]
  • Of man’s first disobediance and the fruit. [aus “Paradise Lost” von John Milton]

Für Yardley stand fest, dass Patricia diese Literaturstellen nur niederschrieb, um damit eine versteckte Botschaft zu übermitteln. Wie der verwendete Code funktionierte, konnte Yardley jedoch nicht herausfinden. Vielleicht weiß ein Leser mehr.

 

Wer kann weiterhelfen?

Die Spionin Patricia wurde laut Yardley nie gefasst. Die offenen Fragen sind bis heute nicht beantwortet. Kann ein Leser Licht ins Dunkel bringen?

Zum Weiterlesen: Die Menschen, die die Enigma bauten: Lassen sich noch Nachfahren ermitteln?

Kommentare (7)

  1. #1 Moritz
    16. Juni 2016

    Nicht direkt wichtiges, aber hochinteressantes Detail: Das PDF ist nicht nur irgendeine Ausgabe, das war die von William Friedman (oder ein Geschenk von ihm an jemanden?) mit Anmerkungen unter Anderem von ihm!

    • #2 Klaus Schmeh
      16. Juni 2016

      Stimmt, Friedman und Yardley waren befreundet. Die Freundschaft endete aber nach der Veröffentlichung von “The American Black Chamber”. Den Kommentaren, die Friedman is Buch geschrieben hat, ist die Verachtung anzumerken, die er Yardley entgegenbringt.

  2. #3 kud gt
    16. Juni 2016

    Gedanken zu Cephalic index und den Dreiecken:
    sectio aurea, proportio divina – der goldene Schnitt, goldene Zahlenfolge, Fibonacci, goldene Winkel bzw. Strecken an den Dreiecken, goldene Schnittmenge der abgebildeten Dreiecke.
    Wohin deuten die Ecken, wenn die Briefseiten genau übereinanderliegen? Wohin, wenn sie auch auf dem Schädel(index)/Kopf stehen?
    Weisen die Buchnennung und die beiden Zitate auf book ciphers hin? Im Zusammenhang mit dem Dreieck platziert auf einer bestimmten Seite?

  3. #4 kud gt
    17. Juni 2016

    Zusatz:
    Die wie zufällig verlängerten T-, als auch Gedankenstriche, scheinen auch “ein wenig” an Steganografie zu erinnern. Seite 3 Sunday unterstrichen. Ende Seite 4: ho u s e. unter- oder überstrichen. Wenn nicht Buchstaben, dann Worte? Beides zusammen erscheint fast zu gewitzt.
    Übergang Seite 3 auf 4:
    Striche als Wortbetoner:
    (K)now was hatless in(dex). How used I to(o) send face and good rememberances? All hopes you visit (das Plus-Zeichen könnte das Wort darunter hervorheben heißen) us (US?) again(, Sunday).

  4. #5 sunchaser
    Wiesbaden
    17. Juni 2016

    Ja scheint wohl etwas aus der Geometrie gemeint zu sein.
    Dadurch könnte man den Text, Schreibfehler und unterstrichene Buchstaben neu ordnen und erhielt genauere aussagen. Ein dreieck trägt eine ;,9 shall be pleased
    Ich glaube dazu müsste man eigene Skizzen anfertigen damit man es besser vesteht, man müste am ende anfangen mit dem dreieck dann wird man wissen was mit den Hieroglyphen anstellen muss

  5. #6 sunchaser
    17. Juni 2016

    Die 9 bezieht sich auf den rechten Winkel mit 90 Grad. Leider erschöpft sich hier mein Geometrisches Wissen mit dem Satz des Pythagoras.

  6. #7 Thomas Ernst
    Latrobe
    14. Oktober 2016

    Quoth Friedman: “Y’s ethics would be a discredit to a Tom Cat.” Without the original “Patricia letter”, we, nay I do not know which of the 11 or so symbols accompanying the Keats and Milton quotes in the 1931 “photostats” are authentic, and which already constitute fumbling decipherment? Patty whoever writes of “long strokes” as “rests”, implying some sort of cryptologic verse metrics. However, not knowing what was written a priori, and what added a posteriori, it will be difficult to do anything with this.