Im Zweiten Weltkrieg entwickelten britische Spezialisten einen Code, mit dem Soldaten im Falle einer Gefangennahme geheime Botschaften in harmlos erscheinenden Briefen verstecken konnten. Der Code wirkt ziemlich kompliziert. Lässt er sich trotzdem nutzen?

Im Zweiten Weltkrieg entwickelte die britische Geheimdienst-Einheit MI9 ein steganografisches Verfahren, mit den sich eine geheime Nachricht in einem Brief verstecken ließ. Details dazu gibt es hier.

Als ich zum ersten Mal von diesem Verfahren hörte, kam es mir sehr kompliziert vor. Ich konnte mir nicht so recht vorstellen, dass man damit vernünftig arbeiten konnte. Allerdings haben es wohl zahlreiche britische Kriegsgefangene geschafft, das Verfahren zu nutzen – zum Beispiel der Offizier John Pryor.

Ich habe nun beschlossen, die Probe aufs Exempel zu machen, und selbst einen Text auf diese Weise zu kodieren. Dazu habe ich diese Beschreibung des Verfahrens verwendet. Das Verfahren erlaubt es, sowohl ganze Wörter als auch einzelne Buchstaben zu übermitteln. Ich habe mich auf die ganzen Wörter beschränkt. Anders als die britischen Gefangenen ist mein Klartext und mein Brief auf Deutsch verfasst.

 

Das Verfahren im Test

Zunächst benötigte ich einen Klartext. Ich habe mir folgendes ausgedacht:

PLANEN FLUCHT AM DIENSTAG UM 18 UHR. WIR SIND 10 PERSONEN. WOLLEN SCHWEIZ ERREICHEN.

Dieser Klartext besteht aus 14 Wörtern. Der Klarheit halber habe ich diese nummeriert:

1PLANEN 2FLUCHT 3AM 4DIENSTAG 5UM 618 7UHR. 8WIR 9SIND 1010 11PERSONEN. 12WOLLEN 13SCHWEIZ 14ERREICHEN.

Der Code sieht nun vor, dass die Klartextwörter in ein Rechteck geschrieben werden, und zwar von unten rechts beginnend jeweils schräg nach oben. Bei einem 15-Buchstaben-Klartext kann dies so aussehen:

PoW-Code

Im vorliegenden Fall haben wir jedoch keine 15 Buchstaben, sondern nur 14, daher wählte ich ein Rechteck mit folgendem Aufbau:

PoW-Code-2

Der Klartext wird nun in der aus der Tabelle ersichtlichen Reihenfolge (14, 13, 12, 11, 10, …) aufgeschrieben. In diesem Fall bedeutet dies, dass der Klartext rückwärts notiert wird:

ERREICHEN SCHWEIZ WOLLEN PERSONEN 10 SIND WIR UHR 18 UM DIENSTAG AM FLUCHT PLANEN

Im nächsten Schritt sollen Füllwörter in den Text geschrieben werden. Nach dem ersten, dritten, fünften, siebten usw. Wort stehen stehen jeweils sechs Füllwörter. Nach dem zweiten, vierten, sechsten, achten usw, stehen jeweils drei Füllwörter (es können auch andere Abstände verwendet werden, was an dieser Stelle aber keine Rolle spielen soll). Dadurch erhalten wird folgendes:

ERREICHEN xxxx xxxx xxxx xxxx xxxx xxxx SCHWEIZ xxxx xxxx xxxx WOLLEN xxxx xxxx xxxx xxxx xxxx xxxx PERSONEN xxxx xxxx xxxx 10 xxxx xxxx xxxx xxxx xxxx xxxx SIND xxxx xxxx xxxx WIR xxxx xxxx xxxx xxxx xxxx xxxx UHR xxxx xxxx xxxx 18 xxxx xxxx xxxx xxxx xxxx xxxx UM xxxx xxxx xxxx DIENSTAG xxxx xxxx xxxx xxxx xxxx xxxx AM xxxx xxxx xxxx FLUCHT xxxx xxxx xxxx xxxx xxxx xxxx PLANEN

Als nächstes muss eine Zeile darüber geschrieben werden. Die Längen der ersten beiden Wörter dieser Zeile geben die Größe des Rechtecks an. Da ich ein 2×7-Rechteck verwendet habe, muss das erste Wort zwei und das zweite Wort sieben Buchstaben haben. Ich habe mich für AM SONNTAG entschieden. Der Rest der ersten Zeile ist bedeutungslos:

AM SONNTAG xxxxxxxxx
ERREICHEN xxxx xxxx xxxx xxxx xxxx xxxx SCHWEIZ xxxx xxxx xxxx WOLLEN xxxx xxxx xxxx xxxx xxxx xxxx PERSONEN xxxx xxxx xxxx 10 xxxx xxxx xxxx xxxx xxxx xxxx SIND xxxx xxxx xxxx WIR xxxx xxxx xxxx xxxx xxxx xxxx UHR xxxx xxxx xxxx 18 xxxx xxxx xxxx xxxx xxxx xxxx UM xxxx xxxx xxxx DIENSTAG xxxx xxxx xxxx xxxx xxxx xxxx AM xxxx xxxx xxxx FLUCHT xxxx xxxx xxxx xxxx xxxx xxxx PLANEN

Nun kommt der schwierigste Schritt: Die Platzhalter müssen so ersetzt werden, dass ein sinnvoller Text entsteht. Hier ist mein Vorschlag:

AM SONNTAG WAR ES ZIEMLICH KALT.
ERREICHEN DIE TEMPERATUREN MINUSGRADE WIE IN DER SCHWEIZ WIRD ES UNANGENEHM WOLLEN ALLE  KAMERADEN NACH DRINNEN DANN MÜSSEN PERSONEN DRAUSSEN BLEIBEN ÜBER 10 LEUTE SIND MANCHMAL DAVON BETROFFEN UND SIND UNTERKÜHLT DANN SIND WIR OFT AUF HILFE ANGEWIESEN VON 14 UHR BIS ETWA UM 18 UHR BRENNT FEUER DAS WÄRMT AUSSER UM 15 UHR JEDEN DIENSTAG IST DIE LAGE DAHER ERTRÄGLICH AUCH AM FRÜHMORGEN IST EINE FLUCHT AUS DER KÄLTE MÖGLICH WENN MAN PLANEN KANN.

Zum Schluss habe ich das Ganze noch in eine unverfängliche Form gebracht:

Liebe Maria,

am Sonntag war es ziemlich kalt.

Erreichen die Temperaturen Minusgrade wie in der Schweiz, wird es unangenehm. Wollen alle Kameraden nach drinnen, dann müssen Personen draußen bleiben. Über 10 Leute sind manchmal davon betroffen und sind unterkühlt. Dann sind wir oft auf Hilfe angewiesen. Von 14 Uhr bis etwa um 18 Uhr brennt Feuer, das wärmt, außer um 15 Uhr. Jeden Dienstag ist die Lage daher erträglich, auch am Frühmorgen ist eine Flucht aus der Kälte möglich, wenn man planen kann.

Viele Grüße

Dein Josef

 

Ein Code, der funktioniert

Mein Brief liest sich zwar etwas holprig, doch es funktioniert. Mit etwas Übung kann man sicherlich einen deutlich besser klingenden Text zustande bringen. Für einen Nichteingeweihten ist die versteckte Nachricht praktisch nicht zu entdecken. Die Spezialisten vom MI9 haben also gute Arbeit geleistet.

Wer will, kann das Verfahren selbst einmal ausprobieren.

Zum Weiterlesen: Das steganografische Tagebuch des Kriegsgefangenen Donald Hill

Kommentare (18)

  1. #1 Klaus Schmeh
    8. Juli 2016

    Stefan Fendt über Google+:
    Etwas Ähnliches habe ich selbst mal entwickelt… Nur, dass die Nachricht zusätzlich verschlüsselt war. Das dürfte dann wohl noch schwerer zu finden sein. Der Anteil Fülltext ist noch größer…

  2. #2 MarcelM
    9. Juli 2016

    Wahrscheinlich sollte man auch auf die Wortwahl des Klartextes achten. “Flucht” macht hellhörig, gerade da es in diesem Zusammenhang etwas ungwöhnlich wirkt.
    Ansonsten faszinierende Methode, irgendwo habe ich so was schon mal gehört und konnte mir nicht vorstellen, dass das praxistauglich ist. Kannst du sagen, wie lange du etwa für das Lückenfüllen gebraucht hast?

    • #3 Klaus Schmeh
      9. Juli 2016

      >“Flucht” macht hellhörig
      Das ist richtig. In der Code-Anweisung heißt es daher, dass verdächtige Wörter entweder umschrieben oder mit dem Buchstaben-Code (auf den ich nicht näher eingegangen bin) übermittelt werden sollen.

  3. #4 gedankenknick
    9. Juli 2016

    @MarcelM:
    Ein Teil der Psychologie, eine Gefangenschaft zu überstehen, ist, die Gefangenen beschäftigt zu halten. Da in Kriegsgefangenenlagern die Insassen aber ziemlich wenig zu tun haben (so sie nicht Genfer-Konvention-widrig zu Arbeit oder schlimmeren missbraucht werden), stellt die Aufgabe, einen solchen Text möglichst unauffällig zu “verpacken”, eine willkommene Ablenkung dar, zu der man sich vermutlich auch genug Zeit nehmen kann. Dies gilt insbesondere für Offiziere, welche oft genug höhere Bildungsstufen absolviert hatten und intellektuelle Herausforderungen in Gefangenschaft durchaus schmerzlich vermissten…

  4. #5 Jolly Roger
    9. Juli 2016

    Man hätte beispielsweise noch ein “die” vor “Schweiz” setzen können, dann hätte die erste Tabelle funktioniert.
    Mit einem Codebuch/Jargoncode für Wörter wie Flucht, oder planen könnte man den Text noch unauffälliger gestalten. Außerdem kann man die Klartextwörter grammatikalisch im Text verändern.

    Beispiel: 1mögen 2Buch 3am 4Dienstag 5um 618 7Uhr 8wir 9sind 1010 11Personen 12wollen 13die 14Schweiz 15ereichen
    =erreichen Schweiz wollen sind 18 die Personen wir um am 10 Uhr Dienstag Buch mögen

    Liebe Maria,
    Heute war ein Freund von mir zu Besuch da.
    Erreicht hat er mich aus der schönen Schweiz per Zug.
    Eigentlich wollte er schon vor einigen Tagen hier sein.
    Den Zug um 18 Uhr verpasste er jedoch. Gestern fuhr der, den diese freundliche Person erwischte. Wir unterhielten uns lange miteinander. Wir werden das circa um diese Zeit in drei Jahren ebenfalls am Bahnhof tun können. Zehn Kameraden habe ich, einer hat eine Uhr. Diese zieht er Dienstags immer auf. Ich mag so gerne Bücher, wie er Uhren mag. Er hat sehr gebettelt, damit er die Uhr behalten durfte.

    =mag Bücher am Dienstags um 18 Uhr wir sein 10 Person wollten die Schweiz erreicht
    =planen Flucht am Dienstag um 18 Uhr wir sind 10 Personen wollen die Schweiz erreichen.

    • #6 Klaus Schmeh
      9. Juli 2016

      Interessant, der Text wirkt relativ unauffällig.

  5. #7 S. Tomokiyo
    9. Juli 2016

    I found interesting this and your previous articles. I wrote about substantially the same scheme used by US prisoners of war (as in the film “Great Escape”) (cf. images on my site in Japanese). Considering that both US and UK versions signified presence of a hidden message by Arabic figures for the date, the similarity would not be a coincidence. I saw it on Japanese TV but its source was National Geographic Channel in 2009.

    • #8 Klaus Schmeh
      10. Juli 2016

      Thanks! Via Google translate I can understand what your Japanese text is about. As it seems, the American MIS-X used the same method as the British MI9.

  6. #9 bfr
    10. Juli 2016

    Meine Anmerkung bezieht ich auf die praktische Anwendbarkeit: Kriegsgefangene haben zwar viel Zeit, aber kaum Papier. Ich bräuchte für die Ausarbeitung dieser Verschlüsselung Papier. In einer realen Situation müsste man das aber weitgehend im Kopf machen und das braucht eigentlich Training.

    Gibt es Berichte über reale Anwendungen?

  7. #11 Gunar
    10. Juli 2016

    Der Britische Code ist eine wirklich interessante aber auch Komplizierte Steganographie Methode. Wurde eigentlich auch auf Deutscher Seite Steganographie eingesetzt ?

  8. #13 Piper
    11. Juli 2016

    Ich glaube auch nicht, daß diese Verschlüsselung wirklich eingesetzt wurde/wurden konnte.

    Klaus sein Beispiel zeigt, daß der Text relativ sinnfrei ist, da würde jeder Zensor bei aufwachen, beim Beispiel eines Vorposters genauso, wie könnte ein Kriegsgefangener Besuch aus der schönen Schweiz erhalten?

    Die Umschlüsselung markanter Worte, wie Flucht oder so, würde bedeuten, daß jeder Soldat solche Umschlüsselungen *AUSWENDIG* lernen müßte, welches ich für ziemlich unrealistisch halte.

    Dagegen könnte man argumentieren, daß nur ein paar wenige Worte umgeschlüsselt werden, welches sich ein normaler Mensch merken kann, z.B.. Truppenbewegungen ==> Fischbrötchen oder Holunder.

    Dann allerdings würden sich Zensoren wundern, warum tausende von britischen Kriegsgefangenen über Fischbrötchen oder Holunder schreiben.

    Ich glaube eher, das war ein netter Versuch vom Geheimdienst, hat aber nur in Einzelfällen, z.B. bei einigen Offizieren, wirklich funktioniert.

  9. #14 Dwon
    11. Juli 2016

    Die Methode benötigt wahrscheinlich einiges an Übung um wirklich zu funktionieren. Man muss Worte finden die allgemein sind, aber in der Lösung deutlich. Statt Schweiz könnte man zum Beispiel Nachbar schreiben.
    Vor allem muss es zu den Tätigkeiten im Gefangenenlager passen. Besuch aus der Schweiz klingt nicht so glaubwürdig. Mit fehlt da aber die Erfahrung…

  10. #15 Aginor
    11. Juli 2016

    Mein Ansatz für dieses Problem wäre, einen Brief “an meine Tochter” zu schreiben. Ich würde dazuschreiben dass ich mir aus Langeweile während der Gefangenschaft Geschichten ausdenke, und diese an sie schicke um der Famile nah zu sein.
    Und dann eben immer einen “unverschlüsselten Teil” am Anfang des Briefs, und dann die “Geschichte”: Das absurdeste Zeug über Tiere oder Sterne oder sonstwas, da steckt dann der Code drin.

  11. #16 Ansgar P.
    13. Juli 2016

    Sehr geehrter Herr Schmeh,

    vielen, vielen Dank für Ihre sehr schöne Beschreibung dieses steganographischen Verfahrens. Vierfach ausgedruckt und verteilt bescherte es der ganzen Familie einen äußerst unterhaltsamen Nachmittag. Jeder schrieb und bekam einen Brief – es funktionierte wunderbar!

    • #17 Klaus Schmeh
      13. Juli 2016

      Das freut mich. Falls Sie Lust haben und die Briefe nicht zu persönlich sind, können Sie ja mal einen hier veröffentlichen.

  12. #18 Mario H.
    26. Juli 2016

    Ich gebe @gedankenknick in #4 Recht: die englischen Kriegsgefangenen hatten es vergleichsweise gut, da diese als Arier verstanden wurden, besonders die Offiziere hatten sicher die Muße und auch die Lust, sich anstatt zu langweilen mit einer solchen Verschlüsselung zu befassen.
    @Aginor in #15: ich denke, dass das nicht klappen würde. Vor allem nicht, wenn diese Methode plötzlich von vielen Offizieren verwendet würde. Das müsste nur einem auffallen. Und es gab ja nicht unzählige Gefangenenlager.
    Bestimmte Worte dürfen nicht im Text enthalten sein, z.B. Flucht. An anderen Stellen könnte man auch die Originalgrammatik ändern, damit der verschlüsselte Text sinnvoller erscheint. Wenn man dann auch dienstags nutzen würde (am dienstags ist zwar eigentlich falsch, aber verständlich).
    Man könnte statt 18 Uhr auch 6eins 7acht 8Uhr schreiben.
    Ich glaube, wenn man sich damit ein bisschen beschäftigt hat und evtl. auch eine Einweisung erhalten hat, wird es klappen. Wenn man dann auch noch Flucht mit Ausflug oder Urlaub ersetzt, wird es sicher einfacher.