Ulrich Schwarz ist der Mann für extremen Druck. Eine spezielle Tausend-Tonnen-Presse in seinem Labor schafft Verhältnisse wie tief unter der Erdoberfläche. Dort, wo Steine erweichen.

Das Gerät ist allerdings nur Mittel zum Zweck. Alle Mitarbeiter des Instituts können damit Verbindungen herstellen, deren Elemente sich nur unter hohen Drücken vermählen lassen, und dabei von Ulrich Schwarz’ Erfahrung profitieren. Er selbst verfolgt damit ein eigenes Forschungsprojekt: Seine Spezialität sind dreidimensionale Netzwerkverbindungen.

Bei den meisten metallhaltigen Verbindungen oder Legierungen ordnen sich die einzelnen Atome nach regelmäßigen Mustern an, die in sämtlichen Ausdehnungen des Raumes gleich aussehen. So gibt es Kristallgitter, die aus lauter Würfeln bestehen, es gibt welche aus dicht an dicht gepackten Tetraedern und anderen, fast beliebig komplizierten Vielecken. Seine dreidimensionalen Netzwerkverbindungen hingegen bestehen zum Beispiel aus vielen übereinandergeschichteten Lagen zweidimensionaler Gitter. Dabei ist in den einzelnen Maschen des Gitters jeweils ein Metall-Atom eingeschlossen.

Wenn das Gerüst aus Silizium-Atomen besteht, haben einige dieser vielschichtigen Werkstoffe thermoelektrische Fähigkeiten oder werden bei tiefen Temperaturen supraleitend. Ulrich Schwarz und seine Mitarbeiter versuchen zu ergründen, warum das so ist. Dabei hoffen sie auch besser zu begreifen, wie Supraleitung generell funktioniert.
“Das ist wie Stochern im Nebel”, sagt Schwarz, “selbst wenn wir den Effekt eines Tages hundertprozentig verstehen, heißt das noch lange nicht, dass wir damit dann voraussagen können, welche anderen Materialien auch Supraleiter sind und welche sich womöglich für eine Anwendung eignen”. Von der umfassenden Beschreibung der Eigenschaften bis zum praktischen Einsatz können leicht 20 Jahre oder mehr ins Land gehen. Fehlschläge eingeschlossen.

“Faszinierend”, wie es in der jüngsten Veröffentlichung der Schwarz-Gruppe heißt, sind die geschichteten Netzwerke allemal. Da formieren sich Silizium-Atome zu künstlerisch anmutenden Teppichen aus Fünf-, Vier- und Dreiecken oder sogar sternförmigen Mustern. Die etwas größeren Cer- oder Gadolinium-Atome sortieren sich säuberlich in die Zwischenräume ein. Die Zahl der Silizium-Silizium-Kontakte, mithin das Muster des Teppichs, ist dabei von der Zusammensetzung und vom Druck abhängig, bei dem er “geknüpft” wurde. Auch Nichtchemiker können diesen Mustern eine gewisse Schönheit nicht absprechen.

Wenn der Extremdruckexperte Schwarz zu einem neuen Versuch ansetzt, produziert er mithilfe der Presse Proben von gerade mal zwanzig bis achtzig Tausendstel Gramm. Die Ausgangsstoffe kommen in einen Zylinder vom Durchmesser einer Erbse. Dieser ist von einer Folie umgeben, die sich aufgrund ihres elektrischen Widerstands bei Stromfluss erhitzt. Der Zylinder wiederum kommt ins Zentrum eines ausgeklügelten Systems aus Würfeln und weiteren präzise passenden Metallformen, die wie die Teile einer etwas komplizierteren Matrjoschkapuppe ineinander geschachtelt werden und am Ende die Form eines Zylinders haben. Das Ganze dient dazu, den Druck des Stempels, der stur von oben nach unten presst, gleichmäßig in alle Richtungen umzulenken. Wenn dann der richtige Druck aufgebaut und die Hitzezufuhr geregelt ist, geht die vielschichtige atomare Teppichknüpferei los.

i-9b6f03a9c46127deb07b3bc2472d8efe-CeSi5_Str klein.png

Kommentare (3)

  1. #1 KommentarAbo
    Dezember 9, 2010

  2. #2 Engywuck
    Dezember 9, 2010

    wie lange dauert denn so eine Teppichweberei bei hohem Druck?
    An mein Praktikum an (Normaldruck-)Fest-Fest-Reaktionen kann ich mich jedenfalls noch mit Grausen erinnern “15 Stunden bei 600°C, dann binnen 2 Stunden auf 800°C erhöhen, 4 Stunden halten, dann ….” — und das alles manuell gesteuert, weil Computer die Hitze im Raum mit den vielen Öfen nicht ausgehalten hätten (Studenten sind da billiger…)

  3. #3 tomW
    Dezember 9, 2010

    Werden die Proben nach der Druckbehandlung untersucht oder währenddessen? Ich meine, besteht die Möglichkeit die Materialeigenschaften während des Pressvorganges zu bestimmen überhaupt? Schließlich könnten sich ja Eigenschaften und atomare Zusammensetzung nach der Entspannung wieder verändern, oder?