Zwei Dinge sind in der Welt der Werkstoffkunde unverzichtbar: Das Periodensystem und das Phasendiagramm. Das Periodensystem zeigt alle chemischen Elemente, aufsteigend geordnet nach der Zahl der Protonen im Atomkern, und führt deren wichtigste Eigenschaften auf. Es hängt in fast jedem Raum des Max-Planck-Instituts für Chemische Physik fester Stoffe an der Wand.
Ein Phasendiagramm gibt üblicherweise an, bei welcher Temperatur und welchem Mischungsverhältnis zweier oder mehrerer Elemente sich stabile Verbindungen dieser Elemente bilden. In der Bibliothek des Instituts stehen vielbändige Werke, die nichts als Phasendiagramme für jede jemals ausprobierte Mischung von Elementen enthalten. Allein aus den rund 80 metallischen Elementen des Periodensystems lassen sich theoretisch fast unendlich viele Zweier-, Dreier- und höherzahlige Kombinationen in unterschiedlichen Mischungsverhältnissen bilden.
Ulrich Burkhardt hat für mich das Phasendiagramm für die beiden gängigen Metalle Aluminium und Kupfer auf den Bildschirm seines Computers geholt. Er tippt auf eine der unregelmäßig geformten grauen Flächen: “Daran sieht man, dass schon ein ganzer Zoo verschiedener Anordnungen möglich ist.”
Burkhardt leitet die Kompetenzgruppe “Metallographie”. Diese ist immer dann gefragt, wenn ein Wissenschaftlerkollege aus dem Hause wissen will, ob ein metallischer Werkstoff so zusammengesetzt ist wie gewünscht. Anders ausgedrückt: ob er in der richtigen Phase vorliegt. Dazu gießen Burkhardt und seine Mitarbeiter eine Probe davon, meist weniger als ein Gramm schwer und nicht größer als ein Wäscheknopf, in Kunstharz ein. Dann schleifen sie die Oberfläche unvorstellbar glatt, mit zunehmend feinerem Sandpapier, schließlich mit samtenen Polierscheiben und Diamantstaub. An dem Muster der Schliffoberfläche erkennt der erfahrene Metallograph schon unter dem Lichtmikroskop, welche Phasen vertreten sind.
Kupfer-Aluminium-Probe vor (grün) und nach (beige) der Wärmebehandlung; der Durchmesser der Kreise beträgt in Wirklichkeit etwa 0.2 mm
Burkhardt tippt die um das Diagramm herum eingefügten Fotos an. Sie zeigen Schliffoberflächen von Proben, die unter bestimmten Temperaturen und Mischungsverhältnissen so hergestellt wurden, dass zwei Phasen gleichzeitig entstehen können. Sie bilden ein Meer aus mäanderartig verschlungenen Linien, in dem sich vereinzelt größere Inseln abheben. Eine Wärmebehandlung hinterlässt deutliche Spuren in dieser als Gefüge bezeichneten Anordnung und gibt deshalb immer auch einen Einblick in die Vorgeschichte der untersuchten Legierung.
Für eine exaktere Prüfung kommen die Proben dann unter ein Elektronenmikroskop. Messgeräte fangen die Röntgenwellen ein, die das Material zurückwirft, wenn es von dem Elektronenstrahl getroffen wird, und zeichnen eine zitternde Linie auf. Wenn sie bei einer bestimmten Wellenlänge nach oben ausschlägt, weiß der Untersucher, welches Element sich hier zu erkennen gibt. Es hinterlässt mit dem Zacken gewissermaßen seinen Fingerabdruck. Aus der Höhe des Ausschlages lässt sich dessen Gewichtsanteil ableiten. Durch die Feinheit des Elektronenstrahls können die Metallographen so auch die chemische Zusammensetzung mikroskopisch kleiner Körnchen oder fein verteilter Phasen analysieren. Am Ende erstellen sie ein Protokoll.
Wer gibt solche Protokolle in Auftrag? Die meisten kämen aus den Forschungsbereichen Chemische Metallkunde und Anorganische Chemie, sagt Ulrich Burkhardt, gelegentlich aus der Materialentwicklung des Forschungsbereiches Festkörperphysik: Die Wissenschaftler dort müssen sicher sein, dass ihre Probe wirklich nur eine bestimmte Kombination enthält. Denn nur dann können sie die Eigenschaften, die sie bei ihren Experimenten finden, eindeutig einer von Auge nicht sichtbaren Kristallstruktur zuordnen.
Ab und zu entdecken Werkstoffforscher bei ihren Versuchen immer noch neue Kombinationen, erzählt Burkhardt: “Die Phasendiagramme werden immer detaillierter.”
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