Warum die Forscher genau 1 Stunde tägliche Gesprächszeit als Grenze der Schädlichkeit wählten, ist nicht beschrieben. Im Fragebogen konnten die Teilnehmer noch zwischen den vier Kategorien <30 Minuten, 30-60 Minuten, 60-120 Minuten und >120 Minuten wählen. War hier möglicherweise „p-hacking“ am Werk? Das heißt: Wurde diese Grenze im Nachhinein so gewählt, dass ein signifikanter p-Wert erzielt werden konnte?

Berichtet wird auch über nicht-signifikante Merkmale

Ein weiteres Ergebnis, das in der Studie detailliert beschrieben wird, betrifft den Abstand des Mobiltelefons zum Lendenbereich. In den Presseberichten wird dieses Merkmal sehr häufig genannt, obwohl es nicht einmal signifikant war. Von den Männern, die ihr Handy innerhalb von 50 cm tragen, hatten 47,1 % eine verringerte Spermienkonzentration. Verglichen mit 43 % in der gesamten Studienpopulation ist das kein großer Unterschied. Deutlicher wird der scheinbare Einfluss des Abstandes, wenn man ihn in Relation zu jenen Probanden setzt, die ihr Handy nicht so nahe am Körper tragen. Unter diesen Männern wiesen nur 11,1 % eine verringerte Spermienkonzentration auf. Dieser Vergleich ist jedoch sehr gewagt, da nur neun Teilnehmer einen größeren Abstand zum Lendenbereich berichteten, während der Rest das Handy nahe am Körper trägt. Die Angabe „11,1 %“ täuscht hier folglich eine Genauigkeit vor, die nicht gegeben ist: Die 11,1 % sind genau einer von den neun Männern in dieser kleinen Untergruppe.

Von Einzelergebnissen wird auf die allgemeine Gefährlichkeit geschlossen

Welche Verhaltensweisen nun tatsächlich signifikant waren, scheint gar keine so große Rolle zu spielen. Dass etwas Signifikantes dabei war, belegt für die Studienautoren die generelle Gefährlichkeit von Mobiltelefonen. So warnen diese nicht nur davor, zu lange oder gar während des Ladevorgangs zu telefonieren, sondern empfehlen auch, das Handy in die Hemd- statt in die Hosentasche einzustecken, nicht neben dem Handy zu schlafen sowie die Verwendung von Headsets oder Freisprecheinrichtungen. Wenn man unabhängig vom tatsächlichen, teils zufallsbehafteten Ergebnis vor eh allem warnt, hat man zumindest eines erreicht: Reproduzierbarkeit.

Missverständliche Medienberichte

Die Medien berichten nicht nur über nicht-signifikante Ergebnisse, sondern begehen noch weitere Fehler, die Missverständnisse erzeugen:

  • Handy-Strahlung verringert Spermien um die Hälfte
    Nein, die Forscher haben nicht herausgefunden, dass sich die Zahl der Spermien um 50 % verringert hat, sondern dass 50 % der Männer mit gewissem Nutzungsverhalten abnorme Konzentrationswerte hatten. Das ist nicht überraschend, da in der Studienpopulation bestehend aus Patienten mit Fruchtbarkeitsbeschwerden ohnehin 43 % dieses Problem hatten.
  • Ein Jahr lang wurden 106 Männer zu ihrer Handynutzung befragt und zugleich die Qualität ihrer Spermien untersucht.
    Die Männer wurden nicht ein Jahr lang begleitet, sondern einmalig befragt und einmalig untersucht. Es hat eben ein Jahr lang gedauert, bis die 106 Patienten für die Studie gewonnen werden konnten.
  • Nur 11,1 % der Gesamtpopulation der Männer weisen laut der Studie eine ähnlich niedrige Spermienkonzentration auf.
    In der Studie wird nicht mit der gesamten Studienpopulation oder gar mit der Allgemeinbevölkerung verglichen, sondern mit exakt einem Mann (= 11,1 %) aus einer Untergruppe von nur neun Männern, die ihr Handy weiter als 50 cm vom Lendenbereich tragen.

Noch dramatischer geht es in britischen Medien zu. Dort wird davon gesprochen, Handys würden Sperma zum Kochen bringen. Mittlerweile bemüht sich auch der britische National Health Service um Aufklärung.

 

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Kommentare (11)

  1. #1 MartinN
    25. Februar 2016

    Wenn das mit der Strahlung stimmen würde, dann hätte jeder hier ein Problem. Denn Versicherer würden von heute auf morgen sofort den Versicherungsschutz beenden….Bisher ist die Schädlichkeit von Handystrahlen nicht bewiesen.

  2. #2 noch'n Flo
    Schoggiland
    25. Februar 2016

    @ MartinN:

    Denn Versicherer würden von heute auf morgen sofort den Versicherungsschutz beenden…

    Nicht nur das – in den USA mit ihrem sehr speziellen Produkthaftungsrecht hätte es schon vor Jahren Sammelklagen mit Forderungen nach hunderten Milliarden Dollar gegen die Handyhersteller gegeben. Kein einigermassen geschäftstüchtiger Anwalt würde sich eine solche Chance entgehen lassen.

  3. #3 WolfgangM
    25. Februar 2016

    als Fernsehapparate aufgekommen sind, ist die Geburtenrate zurückgegangen. Und als die Mobiltelefone aufgekommen sind, wurde mehr telefoniert und die Geburtenrate geht weiter zurück. Und wenn Jugendliche pro Monat ca 3000 SMS verschicken, geht ja auch viel Zeit drauf.
    So gesehen senken Mobiltelefone wahrscheinlich schon die Geburtenrate- keine Zeit mehr für Sex.

  4. #4 MX
    25. Februar 2016

    Reißerisches Thema, schwache Studie, starke Medienresonanz – das Übliche. Daher zu Recht der Hinweis auf die Schoko-Joke-Studie.

  5. #5 Daniel Kürner
    25. Februar 2016

    Ich sehe gerade, dass eine Formel fehlt!
    Bei angenommener Unabhängigkeit und einem Signifikanzniveau von 5 % beträgt die Wahrscheinlichkeit, ein falsch-positives Ergebnis zu erhalten:
    P(mind.1 falsch-positives Ergebnis) = 1-(0.95)^n

  6. #7 Karl Mistelberger
    25. Februar 2016

    “A huge range of science projects are done with multiple regression analysis. The results are often somewhere between meaningless and quite damaging.

    I hope that in the future, if I’m successful in communicating with people about this, that there’ll be a kind of upfront warning in New York Times articles: These data are based on multiple regression analysis. This would be a sign that you probably shouldn’t read the article because you’re quite likely to get non-information or misinformation.”

    Mehr: https://edge.org/conversation/richard_nisbett-the-crusade-against-multiple-regression-analysis

  7. #8 Wer finanziert sowas?
    14. März 2016

    Wollte einmal eine Dissertation darüber schreiben, dass Computerviren für Kleinkinder ungefährlich sind. Leider hat niemand die Forschungsarbeit finanziert und es gab auch noch kein Studium zur IT-Medizin. Ich hatte auch keine Kontakte zur Szene um einen Hype darüber loszutreten.

  8. #9 Bullet
    14. März 2016

    Nennt man wohl “Pech”.

  9. #10 Pech
    15. März 2016

    Ja, danke

  10. #11 Bullet
    16. März 2016

    Gern.