Die tägliche Arbeit, der hier alle nachgehen, wird immer mal wieder unterbrochen von Vorträgen anderer Wissenschaftler. Und die können ziemlich inspirierend sein. Zum Beispiel gestern: Ein Gast aus San Francisco. Andrew Carter.

Carter ist ein Spezialist für die Struktur von Proteinen. Sein Steckenpferd ist das Motorprotein Dynein, also eines dieser Proteine, die für Bewegung in der Zelle sorgen. Carter arbeitet derzeit noch im Labor von Ron Vale, wird aber demnächst sein eigenes Labor in Cambridge leiten.

Fasziniert war ich aus zwei Gründen. Einerseits weil er ein schönes Beispiel dafür ist, das zeigt, wie genau Wissenschaftler etwas wissen wollen. Ich kann nur sagen: Die wollen das so was von genau wissen. Sie wollen einfach alles wissen. Selbst wenn das bedeutet, dass man sich einen kleinen Teil dieses winzigen Proteins jahrelang anschaut. Dabei dreht es es sich nur um Dynein, ein einziger Proteinkomplex in der unübersichtlichen Welt der Zelle.

Fasziniert war ich auch, weil es zeigt, wie der Film, den ich im zweiten Blogpost zeigte, suggeriert, man habe alles verstanden. Tatsache ist: Man hat eine Menge verstanden. Aber nur weil es als Film zu sehen ist, heißt das noch lange nicht, dass man wirklich versteht, was im Detail passiert, z.B. wenn das Dynein-Molekül diesen Sack (das Vesikel) hinter sich her zieht.

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Carter und seine Kollegen wollen genau das restlos verstehen. Sie wollen genau wissen, wie die Struktur des Proteins aussieht, wie sie sich bei der Bewegung verändert. Sie schauen sich genau den Bereich an, mit dem die Dynein-Füßchen Kontakt mit dem Mikrotubuli aufnehmen, den Zehenbereich sozusagen. Sie wollen wissen, was passiert, wenn das Dynein einen Schritt nach vorne macht, welche Bewegungen einzelne Teile des Proteins vollführen. Übertragen auf den menschlichen Gang wäre es etwa so, als ob man herausfinden wollte, ob ein Mensch beim Gehen vielleicht ein Bein oder den Fuß verdreht, wenn er einen Schritt nach vorne macht. So in etwa.

Das kann man natürlich nicht direkt beobachten. Carter und seine Kollegen markieren entsprechende Teile des Dyneins und beobachtet sie, während das Dynein auf einem Mikrotubulus wandert. Sie sehen dann nicht das ganze Molekül, sondern lediglich Lichtpunkte in der Dunkelheit, die sich entlang einer Linie bewegen. Das sieht aus wie eine Straße bei Nacht, auf der man die Autos anhand ihrer Scheinwerfer erkennt.

Was man dabei immer im Hinterkopf behalten muss: Wir bewegen uns in einer Welt der Nanometer, innerhalb einer Zelle auf einzelnen Mikrotubulussträngen Ein Dynein ist 30 Nanometer lang und ein paar Nanometer breit. Ein Nanometer ist der millionste Teil eines Millimeters. Ein Nanometer entspricht etwa der Länge von vier Atomen, die nebeneinander liegen.

Es ist der Wahnsinn (verzeiht die unverblümte Begeisterung).

Aber der Besuch eines Gastwissenschaftlers ist natürlich vor allem für die Wissenschaftler hier eine Bereicherung. Nach dem Vortrag ging Carter von Labor zu Labor und traf sich mit Kollegen, die sich zuvor in eine Liste eingetragen hatten. Einer der Doktoranden hier war schon ganz gespannt auf ein Gespräch. Er hatte einige Misserfolge mit seinen Versuchen erlebt und wusste einfach nicht mehr weiter. Nach dem Gespräch mit Carter sah er gleich hoffnungsvoller aus. Er weiß jetzt, in welcher Richtung möglicherweise sein Problem liegt, wie er es eingrenzen kann.

So kann ein Besuch von der anderen Seite des Erdballs die Richtung für den nächsten eigenen kleinen Schritt bedeuten.