Die Geschichte des Lebewesens, an dem in diesem Labor alle arbeiten, dem einzelligen Hefepilz Schizosaccharomyces pombe, ist ein typisches Beispiel dafür, wie aus einer eher nebensächlichen Entdeckung eine Erfolgsgeschichte werden kann. Alles begann mit einem gewissen Major von Wißmann …

Wissmann.jpg

( … offensichtlich dieser Herr hier und Bild rechts, zumindest laut Wikipedia).

Im Jahr 1890 schickte der Major von Wißmann aus Ostafrika eine Flasche gelblich-trüben Hirsebieres in die Heimat. Er konnte nun wirklich nicht ahnen, wie bedeutend sein Paket einmal für die Wissenschaft sein würde. Dieser Sendung verdankte letztlich 111 Jahre später ein Forscher namens Paul Nurse den Nobelpreis für Medizin. Der Major fände dies sicherlich mehr als erstaunlich. Auch dass heute mehr als 80 Forschungsgruppen weltweit (darunter das Labor, in dem ich hier sitze) mit dem Organismus arbeiten. Der Hefepilz aus seiner Bierflasche ist damit ein wichtiger Modellorganismen der Wissenschaft (auch wenn ihn Wikipedia nicht als solchen aufführt).

Das Paket Major von Wißmanns wäre keiner Erwähnung wert, hätte nicht noch im selben Jahre ein Dr. Saare versucht, die Hefepilze dieses nach fünf wöchiger Reise säuerlich schmeckenden Bieres zu isolieren und zu kultivieren – was ihm misslang.

Möglicherweise war Dr. Saare Mitglied der auch heute noch existierenden Versuchs- und Lehranstalt für Brauerei in Berlin (VLB). Diese als Verein eingetragene Anstalt war 1883 von der Brau- und Malzindustrie gegründet worden. Ob Mitglied oder nicht: Auf jeden Fall veröffentlichte der Doktor seinen misslungenen Versuch der Kultivierung in der von diesem Verein herausgegebenen Wochenschrift für Brauwesen, die es heute noch unter dem Namen Brauerei Forum gibt.

Damit wäre die Geschichte des Hefepilzes aus dem ostafrikanischen Bier eigentlich auch schon zu Ende. Wenn nicht ein Herr Zeidler aus dem Laboratorium des VLB so hartnäckig gewesen wäre und sich noch einmal an das Bier herangemacht hätte. Ihm glückte, was Dr. Saadler misslang.

Er isolierte und kultivierte den Hefepilz. Und sein Leiter, der Mikrobiologe Paul Lindner beschrieb das Ergebnis in derselben Wochenschrift für Brauwesen, Ausgabe 10, Jahrgang1893, auf drei Seiten unter der Rubrik: „Mittheilung aus dem Vereins-Laboratorium” (hier der komplette Artikel Lindners).

Spalthefe.jpg

Herr Lindner war sofort aufgefallen, dass diese Einzeller (Bild oben) anders aussahen als die bekannte Bier- oder Bäckerhefe. Die Zellen waren nicht rund wie bei Saccharomyes cervisiae (Bild unten):

Sie sind cylindrisch, an den Enden abgerundet und in der Größe sehr schwankend.

Das zweite, entscheidende Merkmal war die Vermehrung. Außer durch Sporen (für die schlechten Zeiten) vermehrt sich die Bierhefe durch Sprossung. Äußerlich erkennt man das an kleinen Ausstülpungen, die sich zu ausgewachsenen Zellkugeln entwickeln und dann von der Mutterzelle ablösen (das sieht ein bisschen wie bei kugelrunden Kakteen aus).

bierhefe.jpg

Bei den zylindrischen Hefezellen aus dem Hirsebier sah das anders aus. Sie teilten sich quer in der Mitte. Lindner schrieb:

„Der Spaltung einer Zelle geht das Auftreten einer Querwand voraus, die sich sogleich von außen nach innen zu theilen beginnt. Es beginnt damit eine Einschnürung, die bis zur völligen Trennung der beiden Theilstücke führt.”

Daher gab er dieser Hefe den Namen Spalthefe. Seine Spalthefe taufte er auf den wissenschaftlichen Namen: Schizosaccharomyces pombe:

(…) Den Namen Schizosaccharomyces habe ich gewählt einerseits, um dem wesentlichen Unterschied, der in morphologischer Beziehung gegenüber dem Genus Saccharomyces besteht, einem prägnanten Ausdruck zu geben und andererseits, um den gemeinsamen Charakteren, als da sind Sporenbildung und Gährvermögen, Rechnung zu tragen.

Die Hinzufügung des Worte Pombe ist nach Analogie z.B. mit Saccharomyces Kefyr vorgenommen worden. (…)

Dazu muss man wissen, dass pombe, das Swahili-Wort für Bier ist. Schizo (griech.) findet man in der Biologie im Begriff schizogen und bedeutet “durch Spaltung entstanden“.

Nurse.png

Es sollten dann aber nochmal rund sechzig Jahre vergehen, bis die Spaltehfe des Major von Wißmann so richtig den Weg in die Labore fand. Von da aus ebnete sie sich ihren Weg, bis schließlich 2001 Paul Nurse (neben zwei Kollegen) den Nobelpreis für Medizin erhielt. Er hatte an Wißmanns/Zeidlers/Lindners Hefezellen den Zellzyklus erforscht (seine Nobelpreisrede als Video hier).

Warum aber Schizosaccharomyces pombe in diesem Labor hier und anderen Laboren weltweit so beliebt ist, das erzähle ich dann in einem späteren Post.

1 / 2 / Auf einer Seite lesen

Kommentare (2)

  1. #1 Alexander
    Oktober 19, 2009

    Ich muss es jetzt mal loswerden: Das gesamte Projekt ist eine tolle Idee, und ich liebe deine Posts aus dem Labor! Diese Mischung aus Laboralltag und Infos zur Wissenschaft geben meiner Meinung nach wirklich sehr gut den Charakter wissenschaftlichen Arbeitens rüber. Kannst du dort eigentlich verlängern, dass wir möglichst viel zu lesen kriegen? 😉

  2. #2 Marcus Anhäuser
    Oktober 20, 2009

    Was soll ich sagen: You make my day.
    Geplant sind vier Wochen, können aber fünf werden. Es ist ja nur ein Projekt.