Wer jemals Zweifel hatte, ob Nobelpreisträger überhaupt Interessen jenseits der Wissenschaft pflegen können, wer jemals glaubte, für Wissenschaftler sei die Welt eine rein rationale Angelegenheit, wurde am heutigen Vormittag eines Besseren belehrt. Richard R. Ernst, Nobelpreisträger des Jahres 1991, nutzte die Lindauer Bühne zu einem Plädoyer für einen Blick jenseits des wissenschaftlichen Tellerrandes.

Richard R. Ernst verzauberte die Zuhörer, wie er sich vor 40 Jahren selbst verzaubern und verführen ließ.

Den Start in den ersten Lindauer Tag hatte Oberflächenchemiker Gerhard Ertl mit einigen Anmerkungen zur Komplexität der Oberflächenchemie gemacht. Sein Kollege Richard R. Ernst startete gleich im Anschluß das Gegenprogramm. Um Chemie ging es ihm nur am Rande, um die Faszination für fremde Kulturen und deren Kunst und (Lebens-)Philosophie umso mehr. Ernst verzauberte die Zuhörer, wie er sich vor 40 Jahren selbst verzaubern und verführen ließ.

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Die Standbeine eines Wissenschaftlers

Für Ernst – und das ist sicher ein wichtiger Ratschlag an die jungen Forscher – ist es vollkommen klar: Wissenschaftler tun sich keinen Gefallen, wenn sie sich ausschließlich und mit Scheuklappen nur einer Sache widmen. Man habe zwar ein Ziel im Sinn (nämlich die Wissenschaft oder eben eine “Ehrung in Stockholm”), aber die Wege der Wissenschaft seien leichter zu bewältigen, wenn man zwei Standbeine habe: Professions & Passions.

Zum Start erinnerte Ernst an den hinlänglich bekannten Albert Einstein und sein Violinenspiel. Aber auch an andere großartige Naturwissenschaftler, die ihre musikalischen Leidenschaften pflegten: Richard Feynman als Schlagzeuger oder Manfred Eigen als Pianist.

Neugier und Kreativität – so Ernst – gingen idealerweise Hand in Hand.

The world is wide open for new surprises and discoveries

Dabei gebe es nur einen Rat: “Keep your eyes open”.

Der Weg führte nach Asien

Ernst schilderte seine eigene Karriere, die ihn 1968 – nach einigen Forscherjahren in den USA – wieder in die Schweiz und auf vielen Reisen nach Asien führte. Ernst besuchte Kathmandu, dann weitere Ziele in Asien, die verbotene Stadt und anderes.

Und im Himalaya, in Tibet entdeckte er seine Leidenschaft: die traditionelle tibetische Volkskunst und Kultur, die buddhistische Philosophie. Alles hänge mit allem zusammen, so Ernst gegen Ende seines Vortrags.

Manch Zuhörer in der Halle rieb sich wohl verwundert die Augen, denn über weite Strecken – als er detailliert die Mandalas als Repräsentation des Universums darstellte – unterschied sich Ernst in seiner fast kindlichen Begeisterung kaum von modischen Buddhismus-Fans. Doch natürlich bot sein Vortrag mehr: schließlich skizzierte er, wie er – ganz Naturwissenschaftler – seine Leidenschaft für dieses Thema durchaus systematisch und keineswegs naiv betreibt.

Die Zuschauer während Ernsts Vortrag (Foto: Fleming / www.lindau-nobel.de):

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Bei seinen Annäherungen an dieses Faszinosum, die der Buddhismus und seine Kultur für Ernst offensichtlich ausüben, setzt er nämlich ganz bewußt unterschiedliche Akzente: da steht einmal ganz das historische und kulturgeschichtliche Interesse im Vordergrund, dann wieder analysiert er die traditonellen Maltechniken und schließlich widmet er sich der buddhistischen Philosophie, die Wisdom and Compassion verbinde.

Und dann gibt es natürlich doch noch den Brückenschlag zwischen dem Naturwissenschaftler Richard R. Ernst und seiner Begeisterung für Tibet und den Buddhismus: Ernst hat sich nämlich das Ziel gesetzt alte Bilder der Malschulen des 18. Jahrhunderts zu restaurieren. Dazu analysierte er die Zusammensetzung der Farben und Pigmente mit modernsten Methoden. Die Aufnahmen des Spektrometers, mit dem er die Analysen durchführte, sorgte für Erheiterung.

Ebenso unterhaltsam und amüsant waren seine Anmerkungen, als er historische Darstellungen von der Erziehung junger Mönche zeigte. Wo lagen da die Parallelen zu den ersten Schritten junger Wissenschaftler? Gibt es das “teaching by beating” im übertragenen Sinn?

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Nach einem kurzen Werbeblock für das Programm “Science meets dharma”, für das er sich engagiert, weil ihm der interkulturelle Austausch ein Herzensanliegen ist. Endete Ernst mit dem Ratschlag an die Zuhörer:

Do not become one-sided nerds. Never forget your passions!

Ein schöner Vortrag, wie man ihn so wohl nur in Lindau geboten bekommt. So kann es weitergehen.

 » Marc Scheloske ist Sozialwissenschaftler und Redakteur von ScienceBlogs i-f5ff0970053afb8ff0e127c37c02b17c-Marc_45_sw.jpg

Kommentare (1)

  1. #1 Florian Freistetter
    Juni 30, 2009

    Zu diesem Thema passt auch das äußerst lesenswerte Buch “The Tao is silent” des Mathematikers Richard Smullyan.