Am Samstag wurde ein DMV-Preis vergeben, originellerweise für die beste Frage, die eine Schülerin beim Portal mathematik.de gestellt hatte.

Über die Preisvergabe ist in den Medien ausführlich berichtet worden (z.B. bei Spiegel Online und in der mz).

Mich interessiert hier aber ein anderer Aspekt: die ausgezeichnete Frage, warum 0,999999… das selbe ist wie 1, ist ja eigentlich eine Frage über Grenzwerte.

Nun ist es klar, daß eine Schülerin der 6. Klasse nicht wissen kann, was Grenzwerte sind. Aber inzwischen scheint dies auch für angehende Studenten natur- und ingenieurwissenschaftlicher Fächer häufig ein Problem zu sein.

Ich kann aus eigener Erfahrung zum Thema Unterrichtsreformen nichts sagen. Aber wie man immer wieder hört, geht der Trend wohl dahin, im Unterricht exakte Definitionen durch eher anschauliche Begründungen von Rechenregeln zu ersetzen. Dies ist sicher sinnvoll unter dem Aspekt, den Unterricht für möglichst viele Schüler verständlich zu machen. Aber wer später als Ingenieur oder Naturwissenschaftler arbeiten will, braucht eben mehr als Bilder und ein paar Rechenregeln.

In den Niederlanden gab es vor zwei Jahren einen offenen Brief, in dem Ingenieurstudenten kritisierten, daß sie durch ihre schulische Ausbildung große Probleme im Studium hätten, und in dem sie forderten, Unterrichtsreformen wieder zurückzunehmen. Der Brief erreichte große Aufmerksamkeit und eine Unterschriftensammlung bekam mehr als 10000 Unterschriften. Für ein kleines Land wie Holland und ein solch spezielles Thema ist dies sicher sehr viel.

Zum Thema ‘Didaktik von Grenzwerten’ gibt es natürlich viel Literatur, ein paar Links findet man bei BM&M. Durch diesen Artikel bin ich auch auf folgende Diskussion auf Matroid’s Matheplanet gestoßen, die ich hier einfach mal als exemplarisches Beispiel kopiere. (Ich habe verschiedene Stellen, besonders zu einzelnen Rechnungen, herausgeschnitten, ohne dies jedesmal durch […] kenntlich zu machen.)

[Es geht um Fehlerabschätzungen der Taylorreihe.]

A: Zum Thema Restglied… Ich hab mir nochmal diesen Artikel angeschaut, den da_bounce verlinkt hatte.
Ich versteht jetzt soweit, wie man die Formel und so aufstellt aber zum Ende hin komme ich nicht mehr mit.
B: das ist eine abschaetzung. es geht also darum richtig zu schaetzen. nicht darum irgendwas konkret auszurechnen. insgesamt wird geguckt, wie groß das restglied hoechstens in dem besagten intervall werden kann. es gibt natuerlich nicht nur EINE richtige abschaetzung.
vielleicht sagst du mal dazu, welches mathematische wissen du hast (d.h. welche mathematische ausbildung). dann kann man die fragen artgerechter beantworten. 😉
A: Bisher weiß ich soviel, wie man aus dem Abi eben so weiß und da war ich im Grundkurs. Da haben wir solche Sachen nicht behandelt und auch sonst nicht so viele Fachbegriffe durchgenommen. Reihen, Konvergenzen,… solche Begriffe hab ich vor Studienbeginn noch nicht gehört.
Jetzt hab ich grade das erste Semester in Maschinenbau abgeschlossen wo man eben mit allen solchen Sachen konfrontiert wird. Tayloraufgaben haben wir nur in 3 Übungsstunden oder so behandelt. Es sieht zwar einleuchtend aus, wenns der Tutor vorrechnet, aber dann zu Hause sitzt man so da: confused
Aus den vielen Quellen im Internet kann ich nur selten etwas entnehmen wegen der mathematischen Fachsprache, die bei mir noch nicht so sehr ausgeprägt ist.
B: zumindest konvergenz kennt man auf jeden fall vor dem studium, und auch vor dem leistungs- oder grundkurs in der schule. dort werden meist auch einige einfache reihen vorgestellt, wie z.b. die geometrische reihe.
A: Ich kannte noch nichtmal das Summenzeichen aus dem Abitur… Ebenso wenig Ungleichungen, das war in Potsdam (wo ich mein Abi gemacht hab) ein Leistungskursthema. Komplexe Zahlen wurden ebenso im Grundkurs nicht behandelt. Grob zusammengefasst haben wir im Abi eigentlich nur ein paar Basics aus der Differentialrechnung gemacht (Ableitungen / Integrale), dazu die e-Funktion, Polynome und ganz kurz angeschnitten auch die Substitution, Vektoren und son bissl sonstige geometrie.
C @B: Das war einmal frown Ich darf meinen Schülern in NRW keinen richtigen Grenzwertbegriff mehr vermitteln, wenn ich mich an die Richtlinien halte. Es wird nur noch intuitiv ein Grenzwert berechnet.
Stetigkeit von Funktionen ist ebenfalls aus dem Stoffkanon gefallen.
B: hallo, missstaende! 😉 mehr kann ich dazu nicht sagen. ich hab das ganze noch einigermassen richtig in der schule gelernt (angefangen bei folgen). abitur 2006.
A: Stetigkeit haben wir mehr oder weniger gemacht in Brandenburg. Nur der Begriff an sich war mir neu hier im Studium. Uns hat man gefragt, an welcher Stelle die Funktion nicht definiert ist und auf welche Weise sie dort reagiert (Polstelle oder hebbare Lücke)
C: Das hat etwas mit mathematischer Grundbildung zu tun. Bis ca. 1995 (in NRW) waren arithmetische und geometrische Folgen und Reihen im Stoffkanon.

[Es folgt noch eine merkwürdige Diskussion über geometrische Reihen.]

Wie gesagt, da ich selbst mit Schulen nichts zu tun habe, kann ich nicht beurteilen, ob die hier gemachten Aussagen zum heutigen Schulstoff im Einzelnen zutreffen. Aber unabhängig davon stellt sich natürlich die Frage, wie man den Widerspruch löst, einerseits im Schulunterricht alle zu erreichen und andererseits künftigen Ingenieuren oder Naturwissenschaftlern die Ausbildung zu geben, die sie im Studium eben benötigen werden.

PS: Auch wenn es dort nicht um Grenzwerte, sondern um Bruchrechnung geht, paßt dieser Artikel aus der New York Times vom letzten Freitag durchaus zum Thema.

Kommentare (6)

  1. #1 Christian
    28. April 2008

    Also einen Preis für die beste Frage (!) zu vergeben finde ich schon mal höchst kreativ und sinnvoll – schließlich sind es auch und vor allem die Fragen, die uns voranbringen – und richtig gute Fragen demnach auch auszeichungswürdig!

    Trotz mehrerer Semester Pflicht-Mathe im Informatikstudium bin ich (ärgerlicherweise) nicht firm genug, um beurteilen zu können, was in den Schulen vermittelt werden sollte und was nicht. Ein Problem aus dem Diskussions-Mitschnitt ist mir allerdings aus meinen Statistik-Vorlesungen wohlbekannt: Auch da musste ich Studenten (im fortgeschrittenen Semester) bereits ausführlich erläutern, was dieses ominöse Summenzeichen eigentlich bedeutet und wie man damit umgeht.

    Bei mir war das “damals” zur Jahrtausendwende noch im Abitur-Stoff enthalten, ebenso wie die mathematische (nicht die intuitive) Definition des Grenzwert-Begriffs oder auch Folgen und Reihen. Ist heute scheinbar in einigen Bundesländern nicht mehr auf dem Lehrplan. Schade – aber an anderen Stellen im Lehrplan wird ja auch gekürzt. Aus meiner Sicht eine Folge der ungesunden Idee, die Schüler so schnell wie nur irgendwie möglich “studienfähig” zu machen (zumindest auf dem Papier) und dann einen schnellen Bachelor-Abschluss hinterherzureichen, dessen Curriculum bereits ganz oder teilweise auf die Wünsche der Unternehmen zugeschnitten ist…..

  2. #2 L. Carone
    28. April 2008

    Also mit Mathe-GK Maschinenbau zu studieren, finde ich schon sehr mutig. Ich weiß noch, wie sehr ich gerade am Anfang des Studiums und teilweise bis heute von meinem Mathe-LK-Wissen zehre. Muss man haben, wenn man im Studium technischer Berufe nicht auf der Strecke bleiben will. Denn mathematische Defizite zu beheben, dafür hat doch an der Uni keiner Zeit.

    Aber wenn bereits im Mathe-LK die Schüler mit großen Lücken auf die Uni geschickt werden, dann sehe ich schwarz.

  3. #4 florian
    28. April 2008

    @christian: Also einen Preis für die beste Frage (!) zu vergeben finde ich schon mal höchst kreativ und sinnvoll. Bei Prof. Pietschmann (den ich im Kommentar zu deinem Zitate-Beitrag zitiert habe) bestanden die Prüfungen auch immer daraus, dass man ihm Fragen zum Stoff stellen sollte. Sich da vernünftige Fragen auszudenken war teilweise schwerer als bei einer normalen Prüfung.

    @topic: Also ich bin ja sowieso aus Österreich, kann also von Deutschland gar nichts sagen. Aber ich denke, sehr viel hängt vom Lehrer ab. Ich habe z.B. so gut wie gar keine “Mathematik” gelernt; das war viel eher “Rechnen”. Den ganzen mathematischen Formalismus habe ich erst auf der Uni kennengelernt… Auch sonst war unsere mathematische Ausbildung an der Schule eher mies. Ich glaube fast, das wir Grenzwerte gar nicht erst durchgenommen haben bzw. wenn dann nur kurz am Rande. Ich hab eigentlich erst auf der Uni Mathematik gelernt. Bei meiner ersten Prüfung bin ich dann auch prompt durchgefallen – aber ein Jahr später hatte ich dann alles richtig gut drauf und vor allem erst mal richtig gelernt, was Mathematik eigentlich ist! Seitdem macht es mir auch richtig Spaß!

    @Ludmilla: “Also mit Mathe-GK Maschinenbau zu studieren, finde ich schon sehr mutig.”. Ich war in der letzten Klasse meiner Schulzeit einer der schlechtesten in Mathe 😉 Auch mein Mathe-Abitur war nur mittelmäßig. Astronomie hab ich trotzdem studiert – und bin dann sogar zum Himmelsmechamiker geworden – auch nicht unbedingt eine Mathe-freie Zone 😉

  4. #5 L. Carone
    3. Mai 2008

    @florian: Boah, Respekt! In einem Jahr hast Du das alles aufgeholt? Ich weiß nicht, ob ich das geschafft hätte.

    Ich weiß noch wie frustriert ich am ersten Jahr der Uni nach der ersten Mathe-Klausur war, wo ich nur 9 Punkte von 40 holte. War allerdings Mathe für Mathematiker und die Fragen so umfangreich und schwer, dass ich mich mit meinen 9 Punkten mich immer noch im oberen Drittel aller Studenten befand. Und mein Mathe-Unterricht war eigentlich ziemlich gut gewesen. Mir wurde sogar von einem Mathelehrer empfohlen, ich soll doch Mathe studieren…

    Neeee 😉

  5. #6 Brennan28Susie
    1. Juli 2010

    That is well known that cash makes people free. But how to act if someone doesn’t have money? The only one way is to receive the loans or student loan.
    Werbelink gelöscht, wie immer