Über unterschiedliche Definitionen von Wald – Letzte Woche wurde ich nach dem Ortega y Gasset – Beitrag in einem Kommentar darauf hingewiesen, daß der Spruch “Man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht” ursprünglich nicht auf Ortega y Gasset zurückgeht (wie ich irrtümlich geschrieben hatte), sondern bereits ein Markenzeichen des Dichters C. M. Wieland im 18. Jahrhundert war.

Aus diesem Anlaß habe ich noch einmal nach Ortega y Gasset und Wald gegoogelt und dabei folgendes Zitat1 gefunden:

Da die Sprachen in verschiedenen Landschaften und unter dem Einfluß verschiedener Lebensumstände und -erfahrungen gebildet werden, ist ihre Inkongruenz ganz natürlich. So ist es zum Beispiel falsch, anzunehmen, daß das, was der Spanier bosque nennt, das gleiche sei, was der Deutsche “Wald” heißt, und doch sagt uns das Wörterbuch, daß Wald bosque bedeutet.

Um die Probe auf’s Exempel zu machen, habe ich mal bei Wikipedia nachgeschlagen.

In der spanischen Wikipedia findet man:

Un bosque es un área con una alta densidad de árboles. En realidad, existen muchas definiciones de bosque. Estas comunidades de plantas cubren grandes áreas del globo terraqueo y funcionan como hábitats animales, moduladores de flujos hidrológicos y conservadores del suelo, constituyendo uno de los aspectos más importantes de la biósfera de la Tierra.
(frei übersetzt: Ein Wald ist eine Fläche mit einer hohen Baumdichte. Es gibt viele Definitionen von Wald. Diese Pflanzengesellschaften bedecken große Flächen des Erdballs und wirken als Lebensraum von Tieren, Modulatoren des Wasserkreislaufs und Bewahrer des Bodens, womit sie einen der wichtigsten Aspekte der Biosphäre bilden.)

In der deutschen Wikipedia steht:

Ein Wald ist ein in Schichten aufgebautes Ökosystem, das dauerhaft mit Gehölzen wie Bäumen bewachsen ist. Die Welternährungsorganisation spricht von Wald, wenn die Bäume in winterkalten Gebieten mindestens drei, im gemäßigten Klima mindestens sieben Meter hoch sind. Der bewirtschaftete Wald heißt Forst.
Als juristischer Begriff ist Wald in Deutschland im Bundeswaldgesetz, in Österreich im Forstgesetz und in der Schweiz im Waldgesetz gesetzlich definiert.

Was würde Wieland dazu sagen?

1 aus “Miseria y esplendor de la traduccion”. Ich habe leider nicht die Originalquelle, aber das Zitat bezieht sich wohl einfach darauf, daß bosque auch Busch, Gehölz oder Hain bedeuten kann. Spanische Wälder, zum Beispiel Olivenhaine, haben ja mit unseren Wäldern tatsächlich nicht viel gemeinsam.

Kommentare (5)

  1. #1 waterrocks
    15. Mai 2008

    Mein Deutsch ist nicht so gut, aber “Wald” und “forest” auf Englisch scheinen mir ähnlicher zu sein, als “forest” und “bosque”. “Bosque” übersetze ich ziemlich oft mit “wood”, aber “Wald” scheint grösser — das ist nur ein Gefühl, und es hat nichts zu tun, mit der Höhe der Baumen. Stimmt das, vielleicht?

    Ich wusste nicht, dass der englische Ausdruck “you can’t see the wood for the trees” aus Deutsch kam. Sehr interessant.

    (Es tut mir Leid, wenn es viele Fehler in meinem Deutsch gibt…)

  2. #2 L. Carone
    16. Mai 2008

    @waterrocks: And I didn’ know that “you can’t see the wood for the trees” has made it into the english language.

  3. #3 Thilo Kuessner
    16. Mai 2008

    @ waterrocks:

    ja, das hätte ich auch so gedacht: Wald ist größer und dichter. Daß man Wald über die Höhe der Bäume definiert, hatte ich auch noch nicht gehört. (Aber die FAO ist eine internationale Organisation mit Sitz in Rom, mit Deutschland hat das wohl gar nichts zu tun.)

    Was im deutschen Waldgesetz habe ich leider noch nicht herausgefunden.
    Im bayrischen Waldgesetz steht:

    (1) Wald (Forst) im Sinn dieses Gesetzes ist jede mit Waldbäumen bestockte oder nach den Vorschriften dieses Gesetzes wiederaufzuforstende Fläche.

    (2) Bei Anwendung dieses Gesetzes stehen dem Wald gleich

    1. Waldwege, Waldeinteilungs- und Waldsicherungsstreifen, Waldblößen und Waldlichtungen,
    2. mit dem Wald räumlich zusammenhängende Pflanzgärten, Holzlagerplätze, Wildäsungsflächen und sonstige ihm dienende Flächen.

    (3) Bei Anwendung der Art. 17, 32 bis 36, 45 und 46 dieses Gesetzes stehen dem Wald außerdem gleich Alpenlichtungen, Gewässer, Moore, Heide- und Ödflächen, die mit dem Wald in einem natürlichen Zusammenhang stehen.

    (4) 1 In Feld und Flur gelegene Christbaum- und Schmuckreisigkulturen, Kurzumtriebskulturen, Baumschulen und Flächen, die mit Baumgruppen, Baumreihen oder Hecken bestockt sind, sowie mit Waldbäumen bestockte Flächen in Friedhöfen sind nicht Wald im Sinn dieses Gesetzes. 2 Dies gilt auch für im bebauten Gebiet gelegene, kleinere Flächen, die mit Waldbäumen bestockt sind.

  4. #4 Georg Hoffmann
    23. Mai 2008

    Ich habe also mein Weib gefragt (eine generell zu empfehlende Loesung, wenns kniffelig wird). Spanierin und Biologin praktisch die letzte Instanz in dieser Frage. Sie murmelte etwas, womit ich wieder meine Zeit verplempern wuerde und dass, was die Deutschen Wald nennen eben selva (wie in Schwarzwald eben selva negra) sei. Mehr konnte ich noch nicht herauskriegen. Ich bleibe aber dran.
    Warum hat dann der Ortega y Gasset wohl bosque benutzt? Man weiss so wenig.

  5. #5 Thilo Kuessner
    24. Mai 2008

    ‘selva’ habe ich im Spanischkurs mal mit Dschungel übersetzt bekommen.
    Also so ein Wald, wie ihn sich der Spanier in Südamerika oder im Schwarzwald vorstellt 🙂
    Jedenfalls erinnere ich mich nicht, daß die Spanier ihre eigenen Wälder so nennen würden.