Wenn man den Plakaten an unseren Bushaltestellen glauben darf, werden sich Studenten in Zukunft nicht mehr mit der lästigen Definition des Lebesgue-Integrals herumschlagen müssen.


In der Schule lernt man Formeln, mit denen sich Volumen von Würfeln, Kugeln und anderen regelmäßigen Körpern berechnen lassen. Und man lernt vielleicht noch, daß sich mit dem Riemann-Integral auch Volumina vieler nicht so regelmäßiger Körper berechnen lassen.

Gibt es auch ein sinnvolle Definition von Volumen für beliebige Körper? Das bekannte Archimedische Prinzip scheint ja eigentlich zu zeigen, wie man Volumina berechnen kann. Tatsächlich dürfte wohl Hilbert’s 3. Problem (aus seiner bekannten Liste von Jahrhundertproblemen 1900) motiviert gewesen sein durch das Ziel einer ‘archimedischen’ Definition des Volumens beliebiger Körper.

Tatsächlich weiß man heute durch das Banach-Tarski-Paradox, daß es KEINE mathematisch sinnvolle Definition für das Volumen völlig beliebiger Körper geben kann. Die allgemeinste bekannte Volumen-Definition beruht auf dem Lebesgue-Integral (zuerst definiert in Lebesgue’s Dissertation 1902).

Leider benötigt Lebesgue’s Definition eine ziemlich aufwendige und künstlich erscheinende Theorie. Für die meisten Studenten ist diese Theorie sicher das unangenehmste Thema im gesamten Mathematik-Grundstudium.

Jedenfalls hat bis heute niemand eine elegantere Theorie gefunden, die sich genau so allgemein anwenden läßt. So war ich heute morgen etwas überrascht, als ein Plakat an der Bushaltestelle verkündete: ‘Volumen neu definiert’. (Zunächst dachte ich ja, es wäre wieder ein Plakat zum Jahr der Mathematik. War es aber nicht.)

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Im Netz (auch auf der Seite der betreffenden Firma) habe ich noch nichts zu der neuen Definition gefunden.

Kommentare (6)

  1. #1 Blogmarie
    4. Juni 2008

    Definition im Netzt nicht gefunden? Kein Wunder. Im Testbericht von dooyoo zum Produkt findest du die Erklärung: “Die erfolgreiche Formel wird strengstens gehütet”.

  2. #2 Rank zero
    4. Juni 2008

    Naja, dass der eigentlich sehr natürliche Lebesguesche Integrationsbegriff das Schwierigste im Grundstudium sein soll, würde ich nicht unterschreiben – zumindest stimmt dies nicht mit meinen Erfahrungen überein. Man sollte ihn m.E. vielleicht sogar – schon um ihm einen etwaigen Schrecken zu nehmen und früh ernsthafte Mathematik zu bringen – sehr zeitig und anstelle des etwas künstlichen Riemannschen Begriffes bringen (das Gefummel mit den Zwischensummen lernen die Studis ja oft im 1./2. Semester nur, um es dann wieder wegzuwerfen).

    In der Analysis bereitet aber (eigentlich auch etwas erstaunlich) die Analysis auf Mannigfaltigkeiten (obwohl ja ebenfalls sehr stringent und anschaulich) m.E. größere Schwierigkeiten, schon bei Differentialformen hakt es manchmal (freilich oft nur, weil die Leute vorher das Tensor- und wedgeprodukt nicht gut verdaut haben). Einigen Analytikern alter Schule dient das ja sogar als Ausrede, noch alles im Steinzeitformat nur 3dimensional mit div-rot-grad abzunudeln.

    Ob das Lebesgue-Integral nun wirklich der “allgemeinste” Volumenbegriff ist – da musst Du Dich mit den vielen Verallgemeinerern streiten. Aber in jedem Fall würde ich es schön finden, wenn in diesem Blog die Apostrophitis etwas weniger wüten würde….

  3. #3 Thilo Kuessner
    4. Juni 2008

    @rankzero:
    Analysi’s auf Mannigfaltigkeiten und Differentialformen gehören an vielen Uni’s gar nicht zum Grundstudium’s-Stoff (wobei das natürlich meist von den einzelnen Prof’s abhängt).
    Aber das ist jetzt ein anderes Thema.

  4. #4 Thilo Kuessner
    11. Juli 2010

    Aus gegebenem Anlaß ( https://www.scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2010/07/industrie-vs-wissenschaft-die-pepsiaffare-bei-scienceblogscom.php ) möchte ich betonen, daß es sich bei diesem Beitrag nicht um Schleichwerbung handelt, auch wenn L’Oréal einer der Sponsoren von scienceblogs ist.

  5. #5 michael
    11. Juli 2010

    > möchte ich betonen, daß es sich bei diesem Beitrag nicht um Schleichwerbung handelt,

    Wo Rauch ist, ist auch Feuer! ?

  6. #6 Robert
    26. Juli 2010

    Man sollte das Kleingedruckte lesen: “Null verklumpen, garantiert”.

    Das ganze funktioniert also nur in einer diskreten Topologie und in diskreten Räumen war es noch nie so schwer Volumen zu messen.

    Vermutlich dachten sie, sie könnten mit einem Punkt-Maß bei ihren Kunden punkten.