Brouwer’s Fixpunktsatz als Anwendung der Fundamentalgruppe.

Wir hatten letzte Woche über das Problem geschrieben, auf einem Stadtplan einen Punkt zu finden, dessen Lage auf dem Plan genau seiner Lage in der Wirklichkeit entspricht.

Mathematisch gesehen handelt es sich hier, wie letzte Woche erklärt, um das Problem einen Fixpunkt x einer Abbildung f, d.h. eine Lösung von f(x)=x, zu finden. f ist hierbei die Abbildung, die jedem Punkt in der Stadt seinen Bildpunkt auf der Karte (die irgendwo in der Stadt liegt) zuordnet.

Solche Fixpunktprobleme haben natürlich auch ernsthaftere Anwendungen, etwa bei der Berechnung von Preisgleichgewichten oder allgemein beim Lösen bestimmter Gleichungen. Dazu nächste Woche.

Heute soll es zunächst um den Beweis dafür gehen, daß es mindestens einen solchen Fixpunkt gibt. Dieser Beweis geht auf Brouwer (ca. 1910) zurück und benutzt die Fundamentalgruppe. Brouwer’s Beweis ist letztlich ein reiner Existenz-Beweis, der noch keine anwendbaren Methoden zum Finden des Fixpunktes liefert. (Dies hat eine gewisse Ironie, weil Brouwer in späteren philosophischen Auseinandersetzungen der 20er Jahre gerade als führender Verfechter des Konstruktivismus bekannt wurde.)

Zur Vorbereitung noch einmal kurz wiederholt die Fundamentalgruppe: die Elemente der Fundamentalgruppe π1X (eines Raumes X) sind geschlossene Kurven in X, zwei Kurven entsprechen demselben Element, wenn die eine sich stetig in die andere deformieren läßt.
Für heute brauchen wir zwei Räume: die Kreisscheibe D2 und den Einheitskreis S1 (d.h. den Rand der Kreisscheibe).
Die Fundamentalgruppe π1D2 der Kreisscheibe D2 ist 0 (d.h. besteht aus nur einem Element), weil man offensichtlich die gesamte Kreisscheibe (und erst recht jede geschlossene Kurve in der Kreisscheibe) stetig in den Mittelpunkt deformieren kann.
Die Fundamentalgruppe π1S1 des Kreises S1 entspricht den ganzen Zahlen Z. (Eigentlich brauchen wir nachher nur, daß sie nicht nur aus dem Null-Element besteht. Ein nicht-Null-Element ist z.B. die Kurve, die einmal auf offensichtliche Weise um den Kreis herumläuft, siehe unten). Wir hatten nämlich in TvF 27 gesehen, daß für die punktierte Ebene die Fundamentalgruppe den ganzen Zahlen entspricht. Und weil sich die punktierte Ebene stetig in den Einheitskreis deformieren läßt, gilt dies dann auch für de Fundamentalgruppe des Kreises. (Hier müßte man natürlich eigentlich genauer sagen, was man mit ‘stetiger Deformation’ eines Raumes meint und erklären, warum dies die Fundamentalgruppe nicht ändert. Das Stichwort ist hier Homotopieäquivalenz, dazu später mehr.)

Wir werden hier den Beweis des Brouwer’schen Fixpunktsatzes für die Kreisscheibe erklären, die allgemeine Version geht aber sehr ähnlich.

Fixpunktsatz (Brouwer): Sei f:D2–>D2 eine stetige Funktion. Dann gibt es einen Fixpunkt von f, d.h. einen Punkt x mit f(x)=x.

Beweis:
Angenommen, f habe keinen Fixpunkt.
Für jedes x sind also f(x) und x zwei verschiedene Punkte.
Damit hat man dann wie im Bild eine eindeutige Gerade durch x und f(x)

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und kann sich ihre Schnittpunkte mit dem Einheitskreis ansehen. Denjenigen Schnittpunkt, der auf der Seite von x liegt, nennen wir F(x).

Für jeden Punkt x in der Kreisscheibe bekommen wir also einen Punkt F(x) auf dem Einheitskreis (dem Rand der Kreisscheibe).
Damit haben wir eine Abbildung der Kreisscheibe auf den Einheitskreis F:D2 –> S1.

Für Punkte x, die schon auf dem Einheitskreis liegen, gilt nach Konstruktion natürlich F(x)=x.
Bezeichnen wir mit I:S1 –> D2 die Abbildung I(x)=x (die “Inklusion” des Einheitskreises in die Kreisscheibe), dann gilt also F(I(x))=x für alle x.

Den Widerspruch zur Annahme (daß f keine Fixpunkte hat) erhält man nun, in dem man andererseits mit Hilfe der Fundamentalgruppe zeigt, daß es keine stetige Abbildung F:D2 –> S1, mit F(I(x))=x für alle x auf dem Einheitskreis, geben kann.

Wenn man algebraische Beweise vorzieht, kann man jetzt einfach wie folgt argumentieren: wir haben stetige Abbildungen
S1 –> D2–> S1,
so daß die Hintereinanderausführung einfach jeden Punkt auf sich abbildet.
Wie oben erwähnt, ist π1S1=Z und π1D2=0.
Für die Fundamentalgruppe gibt das dann Abbildungen
Z –> 0 –> Z,
so daß die Hintereinanderausführung jede Zahl auf sich abbildet.
Aber jede Zahl wird bereits durch die erste Abbildung auf 0 abgebildet und die Anwendung der zweiten Abbildung gibt dann auch wieder 0, also i.A. nicht dieselbe Zahl.

Wer lieber einen geometrischen Beweis sieht: man nehme die Kurve, die einmal um den Kreis herumläuft. Durch die erste Abbildung wird sie zwangsläufig auf eine zusammenziehbare Kurve abgebildet. Deren Bild unter der zweiten Abbildung ist dann ebenfalls zusammenziehbar. Aber dieses Bild ist wieder die ursprüngliche Kurve, die nicht zusammenziehbar war.

In diesem Beweis wurde natürlich stillschweigend vorausgesetzt, daß sich die Fundamentalgruppe unter stetigen Abbildungen F so verhält, wie man erwarten würde, d.h. wenn eine Kurve dem Nullelement in der Fundamentalgruppe entspricht, dann gilt dies auch für das Bild der Kurve unter der Abbildung F. Dies ist aber tatsächlich offensichtlich: die stetige Deformation (“Homotopie”) der Kurve wird durch F auf eine Homotopie der Bildkurve abgebildet.

Man könnte natürlich fragen, weshalb man eine solche Abbildung F nicht auch dann konstruieren kann, wenn f Fixpunkte hat. Für die Fixpunkte x könnte man F(x) ja irgendwie definieren. Der Punkt ist, daß eine solche ‘beliebig’ konstruierte Abbildung F nicht mehr stetig wäre, und die Stetigkeit spielt bei dem obigen Widerspruchsbeweis eben eine entscheidende Rolle. (Übrigens müßte man strenggenommen eigentlich noch beweisen, daß F im Beweis stetig ist. Das ist anschaulich sicher überzeugend, und man kann auch eine explizite Formel berechnen, aus der sich die Stetigkeit ergibt. Diese explizite Formel findet man hier.)

Für praktische Anwendungen, etwa in den Wirtschaftswissenschaften oder für Differentialgleichungen, braucht man natürlich nicht nur den Existenzbeweis eines Fixpunktes, sondern auch Verfahren zur (zumindest näherungsweisen) Berechnung. Dafür sind dann natürlich andere konstruktivere Beweise, etwa Sperner’s, geeigneter.
Dazu und zu den Anwendungen in den nächsten Wochen.

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