All the way with Gauß-Bonnet!

Erinnerung aus TvF 71: der Satz von Gauß-Bonnet gibt die Gleichung

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Dabei ist M eine Fläche (ohne Rand), K die Krümmung,
auf der linken Seite steht also das Integral der Krümmung (sozusagen die Summe über alle Krümmungen in den einzelnen Punkten)
und χ(M) ist die Euler-Charakteristik 2-2g (TvF 6),
auf der rechten Seite steht also 4π für die Sphäre, 0 für den Torus, -4π für die Brezel, allgemein 2π(2-2g) für die Fläche mit g Henkeln.

Gauß-Bonnet sagt also, daß die “Gesamtkrümmung” dieselbe bleiben wird, egal wie man die Fläche verbiegt. (Obwohl sich die Krümmung in den einzelnen Punkten ändert.)

Zum Beispiel wenn man eine “ausgebeulte” Sphäre hat, dann ist die “Gesamtkrümmung” 4π (die Euler-Characteristik der Sphäre ist ja 2), egal wie groß oder tief die Ausbeulung ist.
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Gauß-Bonnet und Geometrisierung

Mit Blick auf Geometrisierung von Flächen hat das Gauß-Bonnet-Theorem zwei Anwendungen:

zum einen sagt es, daß
– auf der Sphäre jede Metrik mit Krümmung 1 den Flächeninhalt 4π und
– auf der Brezelfläche jede Metrik mit Krümmung -1 den Flächeninhalt 4π
(bzw. allgemein für g>1: auf der Fläche mit g Henkeln jede Metrik mit Krümmung -1 den Flächeninhalt 4(g-1)π) hat.

zum anderen zeigt es, was nicht möglich ist:

– es kann auf der Sphäre oder dem Torus keine Metrik mit überall negativer Krümmung geben (weil die Euler-Charakteristik nicht negativ ist) und

– es kann auf dem Torus oder einer Fläche mit mehreren Henkeln keine Metrik mit überall positiver Krümmung geben (weil die Euler-Charakteristik nicht positiv ist).

Höherdimensionale Versionen

Das Bild oben ist das Titelbild des Band V von Spivaks Differential Geometry. In dem Buch gibt es einen Abschnitt ‘The Generalized Gauss-Bonnet Theorem and what it means for Mankind’ (Das verallgemeinerte Gauß-Bonnet Theorem und was es für die Menschheit bedeutet.) In Wirklichkeit geht es in dem Abschnitt, trotz der grandiosen Überschrift, allerdings nur um Differentialgeometrie und die Theorie der Charakteristischen Klassen, selbst für inner-mathematische Anwendungen reicht der Platz nicht.

Charakteristische Klassen bzw. charakteristische Zahlen geben Invarianten von Mannigfaltigkeiten (bzw. ursprünglich von Vektorbündeln). Die Euler-Charakteristik ist das einfachste Beispiel einer charakteristischen Zahl.
Es gibt eine (auf Chern zurückgehende) höher-dimensionale Verallgemeinerung des Gauß-Bonnet-Theorems, die einen Zusammenhang zwischen charakteristischen Zahlen und Integralen von Krümmungen herstellt. Noch wichtiger als diese spezielle Formel ist in der heutigen Mathematik wohl die Chern-Weil-Theorie, die charakteristische Klassen allgemein mit Hilfe der Krümmung berechnet.
Chern-Klassen spielen heute in sehr vielen Zweigen der Mathematik eine zentrale Rolle, z.B. auch in Algebraischer Geometrie oder nichtkommutativer Geometrie. Um hier auch einmal ein aktuelles Resultat zu erwähnen: für algebraische Flächen, d.h. Lösungsmengen eines komplexen Polynoms in 3 Variablen, kann man Chern-Zahlen definieren und es war bis vor kurzem eine offene Frage, welche Chern-Zahlen topologische Invarianten solcher algebraischer Flächen sind (d.h. wenn zwei Polynome homöomorphe 4-Mannigfaltigkeiten geben, sind dann auch die Chern-Zahlen dieselben?) In einer letzten Monat erschienenen Arbeit hat Kotschick jetzt gezeigt, daß die Euler-Charakteristik die einzige topologisch invariante Chern-Zahl solcher algebraischen Flächen ist.

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