Quadratische Gleichungen und hyperbolische Geometrie.

Letzte Woche hatten wir darüber geschrieben, welche Primzahlen sich als Summe zweier Quadratzahlen schreiben lassen, also welche Primzahlen p von der Form

p=x2+y2

mit ganzen Zahlen x,y sind.
(Mit 2-dimensionaler hyperbolischer Geometrie hatte das nur insoweit zu tun, daß sich die Antwort aus einer Gleichung zwischen Modulformen herleiten läßt, s. Teil 107.)

Quadratische Funktionen und ganze Zahlen

Analog kann man natürlich auch fragen, welche Zahlen sich als x2-y2 oder x2+3y2 oder x2+2xy+3y2 oder … mit ganzen Zahlen x,y schreiben lassen.

Also, allgemein formuliert:

man hat eine quadratische Funktion

Q(x,y)=px2+2qxy+ry2

(mit gegebenen ganzen Zahlen p,q,r) und man fragt, welche natürlichen Zahlen man als Werte von Q(x,y) für ganze Zahlen x,y bekommen kann.

Gauß’ Reduktionstheorie

Diese Frage wurde von Gauß in Kapitel 5 des Klassikers Disquisitiones Arithmeticae behandelt.

Der Ansatz ist, eine Liste von relativ einfachen quadratischen Funktionen zu finden, auf die sich alle anderen ‘reduzieren’ lassen.

Beispiel: Q(x,y)= 5x2+6xy+2y2
Hier läßt sich die Frage nach der Darstellbarkeit natürlicher Zahlen leicht beantworten, indem man sie auf den in TvF 107 behandelten 2-Quadrate-Satz zurückführt:
es ist nämlich

Q(x,y) = 5x2 + 6xy + 2y2 = (2x+y)2 + (x+y)2,

jede durch Q darstellbare Zahl läßt sich also als Summe zweier Quadrate schreiben.
Umgekehrt kann man nachrechnen, daß

x2 + y2 = Q(x-y,-x+2y),

jede Summe zweier Quadrate ist also auch darstellbar durch Q(x,y).
Zusammengefaßt: eine Zahl ist darstellbar durch Q(x,y) genau dann, wenn sie im Wertebereich von x2+y2 ist. (Und letzteren kennen wir aus TvF 107: 1,2,4,5,8,9,10,13,17,18,20,25,…).

Man hat hier also die Frage, welche Zahlen sich als 5x2+6xy+2y2 darstellen lassen auf die einfachere (oder jedenfalls schon beantwortete) Frage ‘reduziert’, welche Zahlen sich als x2+y2 darstellen lassen.

Abstrakt hat man folgendes gemacht: statt der quadratischen Funktion Q(x,y) hat man die quadratische Funktion P(x,y)=Q(ax+by,cx+dy) (im Beispiel mit a=2,b=c=d=1) betrachtet. Jede als P(x,y) darstellbare Zahl ist auch als Q(x,y) darstellbar.
Umgekehrt: wenn ad-bc=1, dann ist P(dx-by,-cx+ay)=Q(x,y) und jede als Q(x,y) darstellbare Zahl ist auch als P(x,y) darstellbar.
Man hat die Frage, ob sich eine bestimmte Zahl als Q(x,y) darstellen läßt, also auf die Frage reduziert, ob sich diese Zahl als P(x,y) darstellen läßt.

Nun läßt sich natürlich nicht jedes Q(x,y) wie im Beispiel auf x2+y2 ‘reduzieren’, aber jedenfalls beweist Gauß, daß es zu jedem möglichen Wert der ‘Determinante’ D=q2-4pr eine endliche Liste quadratischer Funktionen gibt, auf die sich jede quadratische Funktion Q(x,y)=px2+qbxy+ry2 ‘reduzieren’ läßt.

(Und diese endliche Liste bearbeitet er dann mit unterschiedlichen Methoden, z.B. beweist er, daß man durch Q(x,y)=x2+2y2 Primzahlen der Form 8n+1 und 8n+3 oder durch Q(x,y)=x2+3y2 Primzahlen der Form 3n+1 darstellen lassen.)

SL(2,Z) und quadratische Funktionen

Was kann diese Theorie quadratischer Funktionen mit (2-dimensionaler) hyperbolischer Geometrie zu tun haben?

Zunächst hat man hier eine Wirkung der Gruppe SL(2,Z) auf der Menge der quadratischen Funktionen. SL(2,Z) ist die Gruppe der Matrizen

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mit ganzzahligen Einträgen a,b,c,d und Determinante 1 (d.h. ad – bc = 1). Die Matrix mit Einträgen a,b,c,d bildet Q(x,y) auf Q(ax+by,cx+dy) ab. (Und man kann nachrechnen, daß die umgekehrte Substitution P(dx-by,-cx+ay)=Q(x,y) gerade der Anwendung der inversen Matrix entspricht. Hier braucht man, daß die Determinante 1 ist.)

Anwendung einer Matrix aus SL(2,Z) gibt also eine ‘äquivalente’ quadratische Funktion wie oben beschrieben (d.h. eine quadratische Funktion mit demselben Wertebereich), insbesondere bekommt man die ‘reduzierte’ quadratische Funktion durch Anwendung einer bestimmten Matrix.

SL(2,Z) und die hyperbolische Ebene

Andererseits wirkt SL(2,Z) auf der hyperbolischen Ebene, wie in TvF 90 beschrieben:

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Insbesondere wirken hyperbolische Isometrien, wie in TvF 57 beschrieben wie ‘Translationen’ entlang einer Achse: es gibt (auf dem Rand) einen abstoßenden Fixpunkt und einen anziehenden Fixpunkt, jeder Punkt bewegt sich vom abstoßenden Fixpunkt weg in Richtung des anziehenden Fixpunkts.

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Das Bild von C.Robles zeigt das Poincaré-Modell (TvF 55), im Halbebenenmodell (oberes Bild) entsprechen die Fixpunkte reellen Zahlen.

Zusammenhang von Reduktionstheorie und hyperbolischer Geometrie

Im folgenden betrachten wir nur quadratische Formen px2+2qxy+ry2 mit q2-4pr >0. Für diese gibt es bekanntlich zwei reelle Nullstellen. Diese beiden reellen Nullstellen fassen wir nun auf als Punkte im Rand der hyperbolischen Ebene auf. Es gibt eine Geodäte (‘Achse’), die diese beiden Punkte verbindet. Und man kann zeigen, daß es eine hyperbolische Matrix U in SL(2,Z) gibt, die diese Geodäte als Achse hat. (“This is not immediately obvious and rather delicate, see Exercise 38” in Svetlana Katok: “Continued Fractions, Hyperbolic Geometry and Quadratic Forms”.) Man bekommt also eine ‘Korrespondenz’ (Entsprechung, Übersetzung) zwischen quadratischen Funktionen (mit q2-4pr >0) und hyperbolischen Matrizen in SL(2,Z).

Eine hyperbolische Matrix hat zwei Fixpunte (die Endpunte der geodätischen Achse): den abstoßenden Fixpunkt F und den anziehenden Fixpunkt F+.

Man kann dann beweisen: Gauß’ ‘reduzierte’ Formen entsprechen gerade den hyperbolischen Matrizen, für die F+ größer 1 und F zwischen 0 und 1 ist.

Und es gibt einen Algorithmus (S.41/42 im zitierten Buch), der für eine gegebene Matrix die ‘reduzierte’ Matrix findet. (Was sich dann eben übersetzen läßt in einen Algorithmus, der für die quadratische Gleichung die ‘reduzierte’ Form findet.)

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