Jeder kennt das, auf Konferenzen oder in Kolloquien: die ersten 5-10 Minuten kann man dem Vortrag durchaus folgen und lernt ein paar Dinge, die man noch nicht wußte – und die restlichen Zeit sitzt man herum, schnappt noch ein paar Schlagworte auf, vielleicht noch das Resultat am Ende des Vortrages, aber eigentlich hat man alles, was man aus dem Vortrag mitnimmt, schon in den ersten 10 Minuten gehört und die restlichen 50 Minuten waren nur für die, die auf dem Gebiet arbeiten und mit dem Thema vertraut sind.

Darum ist es ein echter Gewinn, wenn jetzt bei wichtigen Konferenzen manche Vorträge als Video ins Netz gestellt werden: man kann den Vorträgen solange folgen, wie man noch einen Gewinn daraus zieht – und wenn man nach 10 Minuten abgehängt ist, muß man sich jedenfalls die restlichen 50 Minuten nicht mehr ansehen. (Und man kann im Video immer zurückgehen, wenn es zu schnell ging oder man eine Definition vergessen hat, die 2 Folien früher dran war.)

Videos von Konferenzvorträgen gibt es schon seit einiger Zeit am MSRI und gab es z.B. auch beim ICM 2006, und auch beim diesjährigen ICM hat man wieder die wichtigsten Vorträge (d.h. die Plenarvorträge und die Vorträge der verschiedenen Preisträger) ins Netz gestellt.

Einige Beispiele:

Artur Avila: “Dynamics of renormalization operators” In diesem Vortrag geht es darum, wie man dynamische Systeme mit Renormalisierung untersuchen kann. Avila war mit 31 der jüngste Plenar-Vortragende. Seine Arbeit “The Ten Martini Problem” (mit Svetlana Jitomirskaya) beweist, daß das Spektrum eines bestimmten Schrödinger-Operators (des in der Untersuchung des Quanten-Hall-Effektes vorkommenden Fast-Mathieu-Operators) eine Cantor-Menge ist. Seine Arbeit “Simplicity of Lyapunov spectra: proof of the Zorich-Kontsevich conjecture” (mit Marcelo Viana) beschreibt die Dynamik des Teichmüller-Flusses auf dem Modulraum flacher Metriken (mit Kegelsingularitäten) einer Fläche. Im Vortrag werden aber vor allem “klassische” Anwendungen der Renormalisierung beschrieben, also 1-dimensionale Dynamik, Feigenbaum-Phänomen, KAM-Theorie …(Das Video bekommt unfreiwillige Komik durch die ersten Minuten: während der Chairman noch die ‘Laudatio’ hält, geht der Sprecher in seinem Rücken schon nervös auf und ab.)

Irit Dinur: “Probabilistically checkable proofs” beginnt auch recht lustig, mit einer Reihe von Entschuldigungen und laut Einleitung soll es dann darum gehen, daß man doch immer sehr viel Zeit darauf verwende, Beweise zu überprüfen, die sich dann als falsch herausstellen und man deshalb gerne Verfahren hätte um sehr schnell (jedenfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit) zu erkennen, daß ein Beweis falsch ist. Die Lösung soll das PCP-Format sein: dort braucht man nur 3k Bits lesen, um mit einer Wahrscheinlichkeit unter 1/2k einen Fehler im Beweis nicht zu finden. (Natürlich funktioniert das nur für formale Beweise, nicht für Beweise, die in einer natürlichen Sprache geschrieben sind.)

Claire Voisin: “On the cohomology of algebraic varieties” sollte man sich ansehen, wenn man schon immer mal wissen wollte, was Hodge-Strukturen sind. (Der Vortrag beginnt erst bei Minute 8 des Videos.)

Richard Schoen: “Manifolds of positive curvature” beginnt mit einer ausführlichen und elementaren Einführung in den Begriff ‘Krümmung’ (über den wir in der “Topologie von Flächen”-Reihe u.a. in TvF 48 geschrieben hatten), erklärt dann Gauß-Bonnet, sphärische Raumformen, die Hopf-Vermutung, den Ricci-Fluß …

Aus der theoretischen Informatik: bei Nevanlina-Preisträger Daniel Spielman: “Algorithms, Graph Theory and Linear Equations in Laplacians” geht es um den Laplace-Operator auf Graphen (darüber hatten wir in TvF 102 mal geschrieben) und wie einem die Cheeger-Ungleichung einen schnellen Algorithmus zur Invertierung der Matrix (des Laplace-Operators) garantiert.

Und für Physik-und Astronomie-Interessierte: Cédric Villani: Interacting Particle Systems and Landau Damping beginnt mit einer Einführung in klassische Himmelsmechanik und KAM-Theorie und zeigt auch noch eine Simulation “Galaxies in collision”.

Alle Videos sind hier, das dazugehörige Programm ist hier.

Kommentare (2)

  1. #1 Webbaer
    30. August 2010

    die ersten 5-10 Minuten kann man dem Vortrag durchaus folgen … und die restliche(n) Zeit …

    Das ist eine Besonderheit der Mathematik, oder?
    Dort kann es recht schnell sehr spezifisch werden, gell.
    Wb

  2. #2 Schnappi
    31. August 2010

    “die ersten 5-10 Minuten kann man dem Vortrag durchaus folgen … und die restliche(n) Zeit …”

    Geht mir auch so, allerdings frage ich mich, warum nicht mal ein Vortrag in mein Spezialgebiet fällt. 🙂

    Andererseits kenne ich auch Vortragende, bei denen es egal ist, was ihr Thema ist, da kann ich immer was mitnehmen und nicht nur aus den ersten 10 Minuten.

    Das stärkt meine Vermutung, dass es nicht am Thema liegt.