Nochmal die Selbstabbildungen des Torus – diesmal komplizierter beschrieben.

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Vor 2 Wochen hatten wir die Klassifikation der Selbstabbildungen des Torus besprochen: Homöomorphismen des Torus sind entweder homotop zu einer periodischen Abbildung, oder zu einer reduziblen Abbildung (z.B. einem Dehn-Twist) oder einer Anosov-Abbildung (die in einer Richtung dehnt und in einer anderen Richtung staucht).
Wie schon mehrmals erwähnt, sieht die Klassifikation der Selbstabbildungen von Flächen mit mehreren Henkeln ähnlich aus: diese sind periodisch, reduzibel oder pseudo-Anosov.

Der Beweis (für Flächen mit mindestens 2 Henkeln) benutzt hyperbolische Geometrie und speziell den Teichmüller-Raum, d.h. den Modulraum der hyperbolischen Metriken auf der Fläche – womit wir endlich wieder beim Megathema dieser Reihe angelangt wären, nämlich dem Nutzen der Geometrisierung für das Verständnis von Flächen..

Heute wollen wir erstmal den analogen Zugang für den Torus darstellen – dort benutzt man nicht den Modulraum der hyperbolischen Metriken (die es auf dem Torus gar nicht geben kann, siehe Gauß-Bonnet, TvF 82), sondern den Modulraum der flachen Metriken.

(Der Beweis für den Torus wird nicht einfacher, sondern eher komplizierter, wenn man statt der einfachen Lineare-Algebra-Rechnungen vor 2 Wochen jetzt den Modulraum der flachen Metriken verwendet. Es geht hier nur darum, die Analogie zur späteren Verwendung des Teichmüllerraums für hyperbolische Flächen herzustellen.)

Modulraum der flachen Metriken

Was ein “Modulraum” ist, hatten wir in TvF 95 mal ausführlich erläutert. Im Prinzip geht es darum, eine Menge mathematischer Objekte ‘modulo’ einer Äquivalenzrelation zu beschreiben. Wir interessieren uns hier für die Menge der flachen Metriken auf dem Torus, d.h. Riemannsche Metriken (TvF 51), die flach sind (Krümmung = 0), wie wir sie in TvF 63 beschrieben hatten. Wir betrachten zwei solcher Metriken als äquivalent, wenn es eine Isometrie gibt.

Wie in TvF 63 beschrieben, bekommt man flache Metriken auf dem Torus dadurch, daß man den Torus in der Form R2/L mit einem Gitter L schreibt. Wir bekommen damit die Gleichheit zwischen dem Modulraum der flachen Metrik und dem Modulraum der Gitter in der Ebene aus TvF 95. (Außerdem hatten wir in TvF 93 auch mal erklärt, daß diese Modulräume mit dem Modulraum der elliptischen Kurven übereinstimmen. Das werden wir heute aber nicht benötigen.)

Den Modulraum von Gittern in der Ebene hatten wir ebenfalls in TvF 95 beschrieben – er ist der Quotient der hyperbolischen Ebene bzgl. der in TvF 90 beschriebenen Wirkung von SL(2,Z).

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Teichmüller-Raum der flachen Metriken

Statt den Modulraum der flachen Metriken, also die Menge der flachen Metriken ‘modulo’ Isometrie, zu betrachten, kann man sich natürlich auch einfach die Menge aller flachen Metriken (ohne irgendeine Äquivalenzrelation) anschauen.
Das ist dann der Teichmüller-Raum der flachen Metriken auf dem Torus und der Modulraum ist also ein Quotientenraum des Teichmüller-Raums.
Die Bezeichnung Teichmüller-Raum stammt eigentlch aus der Funktionentheorie und bezeichnet dort die Menge der konformen Strukturen auf einer Fläche. Im Fall des Torus ist das dasselbe wie die Menge der flachen Metriken.

Wie gehabt entsprechen die flachen Metriken den Gittern in der Ebene und die Menge der Gitter in der Ebene wird beschrieben durch die hyperbolische Ebene (d.h. die obere Halbebene).

Teichmüller-Raum –> Modulraum

Die Projektion eines Elements im Teichmüller-Raum auf seine Äquivalenzklasse im Modulraum entspricht also der Projektion H2 –> H2/SL(2,Z) von der hyperbolischen Ebene auf die Modulfläche.

Die Gruppe SL(2,Z), die hier auf dem Teichmüller-Raum wirkt, ist natürlich gerade die Abbildungsklassengruppe des Torus, wie wir sie in TvF 133 beschrieben hatten. Diese wirkt auf dem Teichmüller-Raum aller flachen Metriken durch ‘Zurückziehen von Metriken’ (präzise Definition hier unter ‘the pull-back metric’).

Wirkung von SL(2,Z) auf der Kompaktifizierung des Teichmüller-Raums

Langer Rede kurzer Sinn: die Abbildungsklassengruppe des Torus wirkt auf dem Teichmüller-Raum der flachen Metriken, also auf der hyperbolischen Ebene.
Das hätte man vielleicht auch einfacher haben können: da wir ja schon wissen, daß die Abbildungsklassengruppe des Torus gerade SL(2,Z) ist und da wir die Wirkung von SL(2,Z) auf der hyperbolischen Ebene kennen, hätten wir diese Wirkung auch explizit angeben können, ohne erst über den Teichmüller-Raum der flachen Metriken zu reden.

Der Punkt ist aber, daß diese ‘künstliche’ Beschreibung sich auf Flächen mit mindestens 2 Henkeln verallgemeinern lassen wird. In diesem Fall betrachtet man dann jeweils den Teichmüller-Raum der hyperbolischen Metriken und die Wirkung der Abbildungsklassengruppe auf diesem Teichmüller-Raum. (Und diese Wirkung läßt sich nicht einfacher durch eine explizite Wirkung beschreiben wie im Fall von SL(2,Z).)

Thurston benutzt dann (im Fall von Flächen mit mindestens 2 Henkeln) die Wirkung der Abbildungsklassengruppe auf einer geeigneten ‘Kompaktifizierung’ des Teichmüller-Raums, um die Elemente der Abbildungsklassengruppe (also die Homöomorphismen der jeweiligen Fläche) zu klassifizieren.

Im Fall des Torus ist der Teichmüller-Raum die hyperbolische Ebene und für die hat man eine naheliegende Kompaktifizierung:

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Statt des Halbraum-Modells kann man ja auch das Kreisscheiben-Modell der hyperbolischen Ebene betrachten und dessen Kompaktifizierung bekommt man einfach durch Hinzunahme des Rand-Kreises. (Im Halbebenen-Modell entspricht dieser Kreis dann der projektiven Gerade P1R, was nächste Woche noch eine Rolle spielen wird.)

Warum wählt man gerade diese Kompaktifizierung? Weil sich die Wirkung der SL(2,Z) stetig auf den Rand fortsetzen läßt. Man bekommt also stetige Abbildungen der abgeschlossenen Kreisscheibe und diese sind topologisch einfacher zu verstehen als Abbildungen der offenen Kreisscheibe.

Insbesondere gibt es für stetige Abbildungen der abgeschlossenen Kreisscheibe den Brouwer’schen Fixpunktsatz, der besagt, daß es zu jeder stetigen Abbildung mindestens einen Fixpunkt geben muß.

Zu jeder Selbstabbildung des Torus haben wir also eine stetige Selbstabbildung der Kompaktifizierung des Teichmüllerraums, d.h. der Kreisscheibe, und diese Abbildung muß (mindestens einen) Fixpukt haben.

Die Lage und Anzahl dieser Fixpunkte liefert Informationen über die ursprüngliche Selbstabbildung des Torus, und damit erhält man letztlich die Klassifikation der Selbstabbildungen des Torus (die wir in TvF 133 schon mit Linearer Algebra hergeleitet hatten). Den genauen Zusammenhang zwischen Fixpunkten und Klassifikation der Selbstabbildungen des Torus werden wir nächste Woche beschreiben (und Thurstons Verallgemeinerung auf Flächen mit mehreren Henkeln dann in den folgenden Wochen.)


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