Brouwers Fixpunktsatz und die Kompaktifizierung des Teichmüllerraums.

Vor 3 Wochen hatten wir die Klassifikation der Selbstabbildungen des Torus besprochen: Homöomorphismen des Torus sind entweder homotop zu einer periodischen Abbildung, oder zu einer reduziblen Abbildung (z.B. einem Dehn-Twist) oder einer Anosov-Abbildung (die in einer Richtung dehnt und in einer anderen Richtung staucht).
Wie schon mehrmals erwähnt, sieht die Klassifikation der Selbstabbildungen von Flächen mit mehreren Henkeln ähnlich aus: diese sind periodisch, reduzibel oder pseudo-Anosov.

Der Beweis (für Flächen mit mindestens 2 Henkeln) benutzt hyperbolische Geometrie und speziell den Teichmüller-Raum, d.h. den Modulraum der hyperbolischen Metriken auf der Fläche – womit wir endlich wieder beim Megathema dieser Reihe angelangt wären, nämlich dem Nutzen der Geometrisierung für das Verständnis von Flächen..

Heute wollen wir erstmal den analogen Zugang für den Torus darstellen – dort benutzt man nicht den Modulraum der hyperbolischen Metriken (die es auf dem Torus gar nicht geben kann, siehe Gauß-Bonnet, TvF 82), sondern den Modulraum der flachen Metriken.

(Der Beweis für den Torus wird nicht einfacher, sondern eher komplizierter, wenn man statt der einfachen Lineare-Algebra-Rechnungen vor 3 Wochen jetzt den Modulraum der flachen Metriken verwendet. Es geht hier nur darum, die Analogie zur späteren Verwendung des Teichmüllerraums für hyperbolische Flächen herzustellen.)


Okay, soweit war das eine wörtliche Übernahme des ersten Absatzes von letzter Woche (außer daß ich das Bild ersetzt und ‘vor 3 Wochen’ statt ‘vor 2 Wochen’ geschrieben habe.)

Nun also zur Sache, also wie man mit Hilfe des Teichmüllerraums (und seiner Kompaktifizierung) die Selbstabbildungen des Torus verstehen kann.

Kompaktifizierung des Raums der flachen Metriken

Wir hatten letzte Woche gesehen, daß der Teichmüllerraum des Torus, d.h. der Raum aller flachen Metriken (mit Flächeninhalt 1), gerade die hyperbolische Ebene H2 ist.
Jede Selbstabbildung f : T2 —> T2 gibt eine stetige Selbstabbildung des Teichmüllerraums f*: H2 —> H2: für eine flache Metrik g ist die ‘mit f zurückgezogene’ Metrik f*g ebenfalls flach.
Die hyperbolische Ebene kann man kompaktifizieren (z.B. indem man im Poincare-Kreisscheiben-Modell den Rand hinzunimmt) und wenn sich f* zu einer stetigen Abbildung dieser Kompaktifizierung fortsetzen läßt (was natürlich zu beweisen ist), dann gibt es nach dem Brouwerschen Fixpunktsatz einen Fixpunkt und man kann sich anschauen, was dieser Fixpunkt über f aussagt.

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Was bedeutet es, den Raum der flachen Metriken zu kompaktifizieren? Oder anders gefragt: warum ist der Raum der flachen Metriken nicht kompakt? In einem kompakten Raum hätte jede Folge Häufungspunkte. Gibt es Folgen flacher Metriken, die nicht gegen eine flache Metrik konvergieren? Klar ist: wenn eine Folge flacher Metriken gegen irgendeine Metrik konvergiert, dann muß die im Grenzwert erhaltene Metrik wieder flach sein. Aber: es kann passieren, daß eine Folge von Metriken nicht gegen eine Metrik konvergiert, sondern ‘degeneriert’. Typisches Beispiel: man nehme eine Folge gn von flachen Metriken, für die die Kurve a (im Bild oben) Länge 1/n und die Kurve b die Länge n hat. Die Folge kann nicht konvergieren, denn im Grenzwert müßte die Kurve a Länge 0 haben.

Um den Teichmüller-Raum der flachen Metriken zu kompaktifizieren, muß man also künstlich die Grenzwerte solcher nicht-konvergenten Folgen hinzunehmen.

Obiges Beispiel einer nicht-konvergenten Folge war deshalb nicht konvergent, weil die Länge der Kurve a gegen Null ging. Falls man statt an flache Metriken auf dem Torus lieber an Gitter L in der Ebene denkt (die flache Metrik bekommt man dann ja wie in TvF 93, indem man den Torus mit R2/L identifiziert), hat man also eine Folge von Gittern, deren Höhe 1/n und deren Breite n ist, offensichtlich konvergiert diese Folge nicht gegen ein Gitter.

Dasselbe kann man natürlich auch mit jedem anderen Gitter machen: man kann die Länge eines der beiden Vektoren mit 1/n multiplizieren, die andere mit 1, und bekommt eine nicht-konvergente Folge von Gittern. (Offensichtlich nicht nur nicht konvergent, sondern auch ohne Häufungspunkte.) Jeder Richtung im R2 entspricht also eine ‘degenerierende’ Folge von flachen Metriken.

Die Menge der Richtungen im R2 bezeichnet man als projektive Gerade P1R.
Jedes Element aus P1R entspricht also einer Folge flacher Metriken. Diese Elemente muß man also auf jeden Fall hinzunehmen, wenn man einen kompakten Raum bekommen will. Und man kann beweisen, daß dies auch schon genügt: man kann den Teichmüllerraum (der flachen Metriken auf dem Torus) mit P1R vereinigen und dort eine Topologie definieren, so daß die Vereinigung kompakt wird.

Topologisch ist P1R einfach homöomorph zum Kreis S1 (das stimmt nur in Dimension 1!)
Der Teichmüllerraum der flachen Metriken entsprach ja der hyperbolischen Ebene und, ja, eigentlich ist es nicht überraschend, daß man diese durch einen Kreis kompaktifizieren kann: dies sieht man eigentlich auch ganz ohne die Degenerationen von Folgen flacher Metriken zu studieren, einfach am Poincare-Modell der hyperbolischen Ebene, welches ja eine offene Kreisscheibe ist und sich offensichtlich durch Hinzunahme eines Kreises kompaktifizieren läßt:

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Quelle

Stetigkeit

Warum ist es hilfreich, sich die Kompaktifizierung des Teichmüller-Raums gerade so zu veranschaulichen, daß man Punkte aus dem P1R hinzunimmt?

Zunächst: eine (stetige, stetig umkehrbare, orientierungs-erhaltende) Selbstabbildung des Torus entsprach ja (TvF 133) einer 2×2-Matrix (mit ganzzahligen Einträgen und Determinante 1), also einem Element aus SL(2,Z).
SL(2,Z) wirkt auf der hyperbolischen Ebene (TvF 90) und außerdem wirkt es auch auf P1R: eine 2×2-Matrix entspricht ja einer linearen Abbildung der Ebene R2 und insbesondere wird jede Richtung in eine andere Richtung abgebildet.

Wunderbarerweise passen diese beiden Wirkungen zusammen (das sieht man wohl am besten im Halbraummodell, wo der Rand gerade aus R und dem Punkt im Unendlichen besteht, was genau P1R entspricht.)
Die Wirkung eines Elements aus SL(2,Z) auf der hyperbolischen Ebene H2 und seine Wirkung auf der projektiven Gerade P1R geben zusammen gerade eine stetige Abbildung der Kompaktifizierung des Teichmüller-Raums, also der abgeschlossenen Kreisscheibe.

Nach dem Brouwerschen Fixpunktsatz (TvF 32, TvF 33 ff.) muß jede stetige Abbildung der abgeschlossenen Kreisscheibe (mindestens) einen Fixpunkt haben – dieser Fixpunkt kann im Inneren oder auf dem Rand liegen.

Was haben wir also? Zu unserer Abbildung f:T2 –> T2 haben wir eine stetige Abbildung f* des kompaktifizierten Teichmüllerraums und diese muß einen Fixpunkt haben – entweder im Teichmüllerraum selbst (d.h. es gibt eine flache Metrik g mit f*g=g), oder im Rand P1R (d.h. es gibt eine Richtung, die von der 2×2-Matrix f auf sich selbst abgebildet wird).

Fixpunkte im Inneren

1.Fall: es gibt einen Fixpunkt im ‘Inneren’, also im Teichmüllerraum der flachen Metriken. Die flache Metrik entspricht ja einer Identifikation des Torus mit R2/L für ein ebenes Gitter L.
f entspricht einer 2×2-Matrix, also einer linearen Abbildung der Ebene, und man kann sich überlegen, daß diese das Gitter auf sich abbilden muß: f(L)=L.
Es ist aber klar, daß Gitter nur wenige Symmetrien haben, höchstens 6. Eine Abbildung, die ein Gitter auf sich abbildet, muß also immer periodisch sein, sogar mit Periode höchstens 6.
in diesem 1.Fall bekommen wir also nur periodische Abbildungen.

Fixpunkte auf dem Rand

2.Fall: es gibt (mindestens) einen Fixpunkt auf dem Rand P1R, also eine Richtung, die von der linearen Abbildung f erhalten wird.
Falls die Gerade in dieser Richtung rationalen Anstieg hat (d.h. der Tangens des Anstiegswinkels rational ist) dann entspricht sie einer geschlossenen Kurve auf dem Torus. f bildet eine geschlossene Kurve auf sich ab, ist also reduzibel.
Falls die Gerade irrationalen Anstieg hat, dann geben diese Gerade und ihre Parallelen jedenfalls noch eine Blätterung des Torus durch Geraden wie in TvF 143. Diese Blätterung wird von f erhalten, d.h. f bildet Blätter auf Blätter ab.
(Tatsächlich muß es dann noch eine zweite Blätterung geben: da die 2×2-Matrix einen reellen Eigenwert hat, muß auch der zweite Eigenwert reell sein, die Richtung des Eigenvektors zum zweiten Eigenwert gibt eine zweite Blätterung, die von f erhalten wird. In diesem Fall hatte die Abbildung f* des kompaktifizierten Teichmüllerraums also 2 Fixpunkte auf dem Rand.)
Solche Abbildungen, bei denen zwei Blätterungen (die ‘stabile’ Blätterung und die ‘instabile’ Blätterung) erhalten bleiben, hatten wir im hinteren Teil von TvF 142 besprochen: das waren die sogenannten Anosov-Abbildungen. (Und diese sind die häufigsten, aber auch die chaotischsten Selbstabbildungen des Torus.)

Man bekommt also wieder die Klassifikation der Selbstabbildungen des Torus: Homöomorphismen des Torus sind entweder periodisch, oder reduzibel, oder Anosov.


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