Zorn’s Lemma, Banach-Tarski oder Residuensatz?

Auf matheplanet.com wird bis nächste Woche der Satz des Jahres gewählt. Eine Jury hatte aus 36 Vorschlägen 10 Kandidaten ausgewählt, die jetzt zur Abstimmung stehen. Bisher gibt es 1176 abgegebene Stimmen.

Die Überschrift “Satz des Jahres” finde ich etwas irreführend: es geht in Wirklichkeit nicht um den wichtigsten Satz des letzten Jahres, sondern darum, daß der zu wählende Satz dann in diesem Jahr auf “Matheplanet” in einer Reihe von Beiträgen ausführlich beleuchtet werden wird.

Tatsächlich sind die vorgeschlagenen Sätze schon relativ alt, offensichtlich wollte man nur Theoreme zur Diskussionen stellen, deren Aussage einem durchschnittlichen Mathe-Studenten verständlich gemacht werden kann. Atiyah-Singer, Geometrisierung von 3-Mannigfaltigkeiten oder die Weil-Vermutungen kommen nicht vor.

Spannender wäre ja eine Abstimmung über jeweils aktuelle (im letzten Jahr bewiesene) mathematische Sätze, aber daran würden sich vielleicht nicht so viele Leute beteiligen. Jedenfalls frage ich mich, welche 10 Sätze im nächsten Jahr zur Abstimmung gestellt werden sollen, oder ob man wieder dieselben Kandidaten (und einen zusätzlichen statt des diesmal gewählten?) nimmt.

Die Kandidaten sind
Fundamentalsatz der Algebra: Jedes Polynom hat Nullstellen (in den komplexen Zahlen), folglich kann jedes Polynom in Linearfaktoren zerlegt werden. Wurde 1799 von Gauß bewiesen, heute gibt es kurze topologische Beweise. (Ein Polynom m-ten Grades läßt sich durch f(∞)=∞ zu einer stetig diffbaren Funktion auf S2 = C U {∞} fortsetzen, deren Abbildungsgrad deg(f)=m ist. Daraus folgt Surjektivität von f, denn für nicht-surjektive Abbildungen f wäre deg(f)=0.)
Satz von Banach-Tarski: Die 2-dimensionale Einheits-Sphäre läßt sich in Stücke zerlegen, die anders zusammen gesetzt zwei 2-dimensionale Einheits-Sphären ergeben. (“Was ist ein Anagramm von Banach-Tarski?” “Banach-Tarski Banach-Tarski.”) Daraus folgt insbesondere, daß es nicht-meßbare Mengen gibt. Zuerst 1924 von Banach und Tarski bewiesen. Ein moderner Beweis des Banach-Tarski-Paradoxes benutzt, daß die freie Gruppe nicht die “Eigenschaft T” hat. (Übrigens gilt der Satz von Banach-Tarski nur, wenn man an das Auswahlaxiom glaubt.)
Residuensatz: Berechnet das Kurvenintegral von Funktionen auf der komplexen Ebene als 2πi x Summe der Residuen aller eingeschlossenen Pole. (Das Residuum einer Polstelle a ist der Koeffizient von (z-a)-1 in der Potenzreihenentwicklung.) Ein Spezialfall: für holomorphe Funktionen ist das Kurvenintegral 0 – das ist der Cauchy’sche Integralsatz. Wurde 1831 von Cauchy bewiesen, heute kann man den Residuensatz als Spezialfall des Satzes von Stokes erhalten. Mit dem Residuensatz kann man auch schwer zugängliche reelle Integrale berechnen wie z.B. von sin(x)/x.
Primzahlsatz: Beschreibt die Asymptotik der Primzahlen: die Anzahl der Primzahlen kleiner n ist näherungsweise n/log(n). Bewiesen 1896 von Hadamard und de la Vallée Poussin. Beide Beweisen benutzten wesentlich, daß die Riemannsche Zeta-Funktion keine Nullstellen s=1+it mit positivem Imaginärteil t>0 hat.
Zorn’s Lemma: Angenommen, in einer partiell geordneten Menge hat jede total geordnete Teilmenge eine obere Schranke, dann hat die Menge ein maximales Element. Bewiesen 1922 von Kuratowski. Gilt nur, wenn man das Auswahlaxiom hat. Man braucht das Lemma zum Beispiel um zu bewiesen, daß jeder Vektorraum eine Basis hat, oder für den Satz von Hahn-Banach in der Funktionalanalysis, oder für die Existenz maximaler Ideale in der algebraischen Geometrie.
Gödels Unvollständigekitssätze: Es gibt mathematische Sätze, die sich weder beweisen noch widerlegen lassen. Bewiesen 1930 von Gödel.
Banachs Fixpunktsatz: Eine kontrahierende Abbildung (auf einem vollständigen metrischen Raum) hat einen eindeutigen Fixpunkt. Man kann damit elementare Gleichungen lösen (z.B. die Wurzel aus 2 berechnen) oder Differentialgleichungen (z.B. das Picard-Lindelöf-Verfahren) oder zumindest Existenz und Eindeutigkeit von Lösungen beweisen. Zuerst 1922 von Banach formuliert, heute ist der Beweis Teil jeder Analysis I – Vorlesung.
Vier- und Fünffarbensatz: Jede Landkarte der Ebene (oder der Sphäre) läßt sich mit 4 Farben färben, so daß benachbarte Länder unterschiedliche Farben haben. Der Fünffarbensatz wurde 1890 von Heawood bewiesen, heute gibt es einen 3-Seiten-Beweis. (Noch einfacher ist der Beweis des Sechsfarbensatzes.) Den Vierfarbensatz bewiesen Appel-Haken 1976. Man führt den Beweis als Induktionsbeweis über die Anzahl der Länder, für den Induktionsschritt braucht man die Existenz bestimmter unvermeidbarer Strukturen. Beim Beweis des Fünffarbesatzes genügen 3 unvermeidbare Strukturen (Dreieck, Viereck, Fünfeck), beim Appel-Haken-Beweis des Vierfarbensatzes waren es 1825, in einer späteren Version 1478, und in einem 1996 von Robertson-Sanders-Seymour-Thomas veröffentlichten Beweis 633 unvermeidbare Strukturen.
Algebraische Charakterisierung von mit Zirkel und Lineal konstruierbaren Zahlen:
Eine Zahl z ist konstruierbar, wenn es einen Turm quadratischer Körpererweiterungen Q=K0 ⊂ K1 ⊂ … ⊂ Kn mit z∈Kn gibt. Insbesondere sind transzendente Zahlen nicht konstruierbar, weshalb zum Beispiel die Quadratur des Kreises unmöglich ist. Dagegen ist die Konstruktion des regelmäßign 17-Ecks möglich, denn für cos(2π/17) gibt es einen solchen Turm quadratischer Körpererweiterungen. Der nichttriviale Teil des Beweises, nämlich daß nur diese Zahlen konstruierbar sind, hat heute auch elementare Beweise ohne Galois-Theorie.
Eulers Identität e+1=0: Das ist ein Spezialfall der Euler-Formel e=cos(φ)+i sin(φ). In heutigen Analysis I – Vorlesungen definiert man Winkel- und Exponentialfunktionen durch ihre Reihenentwicklungen, wonach die Euler-Formel dann eine leicht zu überprüfende Identität zwischen Potenzreihen wird. Weniger offensichtlich ist die Formel natürlich, wenn man die aus der Schule bekannten Definitionen von Sinus und Kosinus verwendet. In dieser Form wurde die identität 1748 von Euler bewiesen.

Bis 9.3. kann man noch wählen, hier geht es zur Abstimmung.

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Kommentare (6)

  1. #1 CCS
    1. März 2011

    “Es gibt mathematische Sätze, die sich weder beweisen noch widerlegen lassen. Bewiesen 1930 von Gödel.”

    Ich muss immer schmunzeln, wenn ich das lese *g*

  2. #2 volki
    1. März 2011

    Habe gerade für Banach-Tarski gestimmt. Während meines Studiums habe ich mal eine Vorlesung darüber gehört, aber leider wieder viel zu viel davon vergessen :-(.

  3. #3 Anton
    1. März 2011

    Versteh den Einwand nicht:

    “”Es gibt mathematische Sätze, die sich weder beweisen noch widerlegen lassen. Bewiesen 1930 von Gödel.”

    Ich muss immer schmunzeln, wenn ich das lese *g*”

    Das bedeutet doch nicht, dass jeder Satz nicht bewiesen oder widerlegt werden kann. Sondern nur dass es Sätze gibt die sich weder beweisen bzw widerlegen lassen – andere Sätze lassen sich dagegen beweisen oder widerlegen.

    Vielleicht lese ich aber auch zu genau ein zweites mal, denn beim ersten mal lesen, las ich auch: “… mathematische Sätze … weder beweisen noch widerlegen lassen. Bewiesen 1930 von Gödel.” (“…” steht für fehlende Information aufgrund des schellen lesen, was aber bei mir, aufgrund Stirnrunzelns, eine Wiederholung des Lesevorgangs bewirkt). So gelesen ist der Satz auch lustiger. 😉

  4. #4 CCS
    2. März 2011

    Anton:
    Inhaltlich habe ich nichts daran auszusetzen! Ich finde die Aussage sprachlich nett. Dass die Folgerungen merkwürdig sind, ist dann noch eine ganz andere Sache…

  5. #5 Thilo
    10. März 2011

    Nachtrag 10.3.
    Inzwischen wurde die Wahl mit einem klaren Sieger beendet. Das Ergebnis:

    Residuensatz : 343
    Gödels Unvollständigkeitssätze : 214
    Euler-Identität e^(ipi)=-1 : 192
    Fundamentalsatz der Algebra : 178
    Satz von Banach-Tarski : 129
    Mit Zirkel und Lineal konstruierbare Zahlen : 111
    Banachs Fixpunktsatz : 107
    Primzahlsatz : 104
    Zorns Lemma : 93
    Vier- und Fünffarbensatz : 61

  6. #6 Clicking Here
    2. September 2014

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