Kehlmann bringt Gödel ins Theater.

Nach Gauß und Humboldt hat sich Daniel Kehlmann in seinem neuen Theaterstück “Geister in Princeton” nun Kurt Gödel und dem Unvollständigkeitssatz gewidmet, außerdem in Nebenrollen Albert Einstein und John von Neumann. Das Stück war ursprünglich für die Salzburger Festspiele vorgesehen, nach Kehlmanns berühmter Anti-Regietheater-Rede hatte man dort aber kein Interesse mehr. (Ein Zusammenhang, der von der Salzburger Festspielleitung bestritten wird.) Deshalb wird das Stück jetzt im Schauspielhaus Graz aufgeführt, Premiere war letztes Wochenende.

Ich werde sicher in nächster Zeit nicht nach Graz kommen und das Grazer Werbevideo finde ich etwas verwirrend, jedenfalls die erste Hälfte:

Einen Eindruck bekommt man aber aus den Presse-Rezensionen:
Formeln kann man nicht essen (FAZ)
Regisseure, aufgepaßt, so wird’s gemacht (Welt)
Spuk mit Witz und Scharfsinn (SZ)
Zu ernste Geister in Princeton (Die Presse)
oder auch durch das Video im ORF-Beitrag (ein Gespräch des alten mit dem jungen Gödel).

Wie schon in “Die Vermessung der Welt” geht es auch diesmal offensichtlich nicht um historische Faktentreue, sondern den Rezensionen nach wohl eher um einen Typus und eine Epoche, neben den philosophischen Betrachtungen über Raum und Zeit .
Nach dem Erscheinen von “Die Vermessung der Welt” konnte man, wenn man das Buch nicht gelesen gehabt hätte, schon am Bellen der getroffenen Hunde (Zitat: “jüngst von Kehlmann in seinem widrigen Elaborat”, gemeint ist wohl widerlichen, jedenfalls hat widrig im heutigen Sprachgebrauch eine andere Bedeutung) erkennen, daß es um einen Angriff auf die deutsche Klassik ging. Über “Geister in Princeton” scheint sich bisher niemand zu beschweren, nicht einmal die Anhänger des Regietheaters oder die Einstein-Cranks.

Kommentare (4)

  1. #1 Sw
    3. Oktober 2011

    Würde sich jemand das Ganze wirklich antun, wenn da statt Gödel und Co. “nonames” stehen würden??

  2. #2 Max
    4. Oktober 2011

    Keine Ahnung, aber wenn ich in Besprechungen sowas lese wie

    “Wer immer in der Schule in Mathe und Physik nichts kapiert hat (und wer hat das schon?), geht konform mit dieser Sicht: Das vermeintlich unwiderlegliche Wissen macht niemanden glücklich und bringt nur Leid in die Welt.”

    vergeht mir die Lust darauf ohnehin, Gödel hin oder her.

    Ist jetzt wahrscheinlich unfair Kehlmann gegenüber, der schreibt ja nicht seine eigenen Kritiken, aber wenn es das ist, was “man” aus dem Stück mitnimmt…

  3. #3 Thilo
    19. September 2020

    Es gibt das Stück jetzt auch auf YouTube und es ist wirklich sehenswert: https://youtu.be/wmpJss5YdTw

  4. #4 Thilo
    23. September 2020

    Das Stück ist ein Abriß von Gödels Leben und Werk. In (offensichtlich erfundenen) Dia- und Monologen wird Gödels Denken (und beispielsweise auch Einsteins, Schlicks und Neuraths) auch dem fachfremden Zuschauer nahegebracht.

    „Sie haben mich dann eben doch nicht vergiftet, sondern mein Wissen, dass sie mich eines Tages vergiften würden, ausgenützt um mich ohne Gift zu erwischen. Hätte ich die Vergiftung nicht kommen sehen, so hätte ich nicht aus Furcht zu essen aufgeh\”ort und sie hätten mich tatsächlich vergiften können wie ich es ja auch vorhersah. Da ich jedoch wußte ich würde vergiftet werden, wurde ich nicht vergiftet, sondern vom Hunger getötet. Andererseits, und da liegt der Hund begraben, war ich eben nicht wirklich sicher. Wäre ich es gewesen, ich hätte ja essen können, denn dann hätte ich ja gewußt dass keine Vorsicht mich vor dem Gift hätte bewahren können. Sie konnten meine Gewi\ss heit nur ausnutzen, weil ich eben doch nicht gewiss war. Und mit Recht war ich es nicht, mit Recht war ich nicht gewiss. Schließlich bin ich ja auch nicht an Gift gestorben. Also, wie man es dreht und wendet, es ist jedenfalls alles korrekt.“

    Auch sonst fällt das Stück wie bei Kehlmann gewohnt vor allem durch lustige Dialoge auf, die weniger mit Gödels Werk zu tun haben, sondern der Veranschaulichung seiner persönlichen Skurillitäten dienen.
    Leute, die ihn sprechen wollten, habe er zu Dave’s Diner bestellt, dem am weitesten von seinem Haus entfernten Restaurant in der ganzen Ungebung von Princeton. “Leute, denen man absagt, stehen irgendwann trotzdem vor der Tür. Unglaubliche Hartnäckigkeit. Aber wenn man eine Zeit und einen Ort ausmacht und dann nicht hingeht, hat man wenigstens einen einzigen Moment, in dem man sicher sein kann, dass man sie nicht sehen muss.”
    Über seine Frau: “Ja, sie war immer gut zu mir, aber dass sie das morgen auch noch sein wird, ist nur ein Schluß aus Deduktion. Man weiß es nicht.”

    “Dem Wahnsinnigen hilft keine Logik und wäre er der schärfste Denker” wird dem chinesischen Assistenten in den Mund gelegt.