Homotopiegruppen von Flächen.

In den letzten Wochen hatten wir über Abbildungen von Sphären in Sphären geschrieben, insbesondere über die Klassifikation (bis auf Homotopie) von stetigen Abbildungen f:Sn–>S2, also die Berechnung der Homotopiegruppen πnS2. (Die waren ziemlich kompliziert, einige Beispiele hatten wir letzte Woche angegeben.)
Die selbe Frage kann man natürlich auch für andere Flächen F stellen, zum Beispiel für den Torus T2: was sind die Homotopiegruppen πnT2, d.h. wieviele verschiedene Homotopieklassen von Abbildungen Sn–>T2 gibt es?
(Strenggenommen müßte man hier wieder zwischen den in der Definition von πn verwendeten basispunkterhaltenden Homotopieklassen und allgemeinen Homotopieklassen unterscheiden. In diesem Fall ist der Unterschied allerdings egal: es wird sich herausstellen, daß πnT2=0 für n≥2, und wegen [Sn,X]=πnX/π1X (TvF 192) folgt daraus automatisch, daß auch nicht-basispunkterhaltende Abbildungen Sn–>T2 alle homotop zueinander sein müssen.)

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Homotopiegruppen des Torus

Wir behaupten, daß man jede 2-oder höher-dimensionale Sphäre im Torus T2 auf einen Punkt zusammenziehen kann, daß also πnT2=0 für n≥2. (Für n=1 ist die Fundamentalgruppe π1T2 isomorph zu Z2, wie wir in TvF 28 mal veranschaulicht hatten.)

Um das zu beweisen, erinnern wir zunächst noch einmal (aus TvF 63), wie man eine Überlagerung der Ebene über dem Torus bekommt.

Der Torus ist ja ein Produkt zweier Kreise:

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Und die Ebene ist das Produkt zweier Geraden. In TvF 62 hatten wir gezeigt, wie die Ebene den Kreis überlagert:

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Quelle: Bergeron: Le monde automorphe de Thomas Pynchon
Also überlagert die Ebene (das Produkt zweier Geraden) den Torus (das Produkt zweier Kreise):

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Quelle: Ghys: Geometriser l’espace

Nun ist es ganz offensichtlich, daß man in der Ebene jede Sphäre auf einen Punkt zusammenziehen kann – einfach indem man die gesamte Ebene auf einen Punkt zusammenzieht, etwa mit der Homotopie H((x,y),t)=((1-t)x,(1-t)y)).

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Wir behaupten jetzt, daß man dann auch im Torus jede Sphäre auf einen Punkt zusammenziehen kann.
Dafür genügt es zu zeigen, daß sich jede Abbildung Sn–>T2 zu einer Abbildung Sn–>R2 ‘heben’ läßt: denn dann kann man die Homotopie der Sphäre ‘oben’ im R2 nehmen und sie zu einer Homotopie ‘unten’ in T2 projizieren.
Sei also f:Sn–>T2 eine stetige Abbildung. Die Sphäre Sn kann man sich zusammengesetzt denken aus Wegen vom Nord- zum Südpol. Diese Wege haben alle einen gemeinsamen Startpunkt (den Nordpol) und einen gemeinsamen Endpunkt (den Südpol) und sind ansonsten disjunkt. Man kann sich eine Abbildung der Sphäre Sn in irgendeinen Raum X also denken als das Ergebnis einer n-1-dimensionalen Homotopie von Wegen mit festgehaltenem Endpunkt, wobei Anfangs-und Endpunkt der Homotopien jeweils der selbe Weg ist:

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Durch f werden diese Wege abgebildet in Wege im Torus T2, alle mit demselben Start- und Endpunkt. Sei x∈T2 der gemeinsame Starpunkt und wähle ein X∈R2, das von der Überlagerung auf x projiziert wird. ‘Offensichtlich’ kann man jeden in x startenden Weg zu einem in X startenden Weg heben und ebenso ‘offensichtlich’ kann man jede Homotopie hochheben. (Man zerlege im ersten Fall das Intervall [0,1] bzw. im zweiten Fall das der Homotopie zugrundeliegende Quadrat [0,1]x[0,1] in hinreichend kleine Stücke, deren Bilder in gleichmäßig überlagerten (“evenly covered”) Umgebungen liegen. Dann kann man den Weg bzw. die Homotopie Schritt für Schritt nacheinander in jeder der gleichmäßig überlagerten Umgebungen hochheben.) Dasselbe funktioniert auch für ‘n-1-dimensionale Homotopien’ [0,1]x[0,1]n-1. Wenn wir uns also die Abbildung f:Sn–>T2 von der Sphäre in den Torus als Ergebnis einer n-1-dimensionalen Homotopie von Wegen mit festgehaltenem Endpunkt denken, dann kann man nicht nur jeden der Wege, sondern auch die (endpunkt-erhaltende) Homotopie zu einer Abbildung in den R2 hochheben. Insbesondere haben die Wege alle denselben Endpunkt und wir haben unsere Abbildung f:Sn–>T2 zu einer Abbildung Sn–>R2 hochgehoben.
Wie gesagt folgt daraus, daß f homotop zur konstanten Abbildung sein muß: man nimmt die offensicthliche Homotopie für die hochgehobene Abbildung im R2 und projiziert sie zu einer Homotopie im Torus.

Allgemein ist es ein bekannter (und analog zu oben elementar zu beweisender) Satz, daß eine Überlagerung p:X–>Y immer einen Isomorphismus der Homotopiegruppen πn–>πnY für n≥2 gibt. Insbesondere, wenn X kontrahierbar (TvF 40) ist, dann ist πnY=0 für n≥2. (Solche Räume Y nennt man ‘asphärisch’ oder Eilenberg-MacLane-Räume.)

Homotopiegruppen hyperbolischer Flächen

Mit diesem Argument kann man auch für alle Flächen F mit mehr als einem Henkel begründen, daß πnF=0 für n≥2.

Tatsächlich gibt es für Flächen mit mindestens zwei Henkeln ja eine Überlagerung durch die hyperbolische Ebene (TvF 66)

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Quelle: Mathworld

Ebenso wie die euklidische Ebene ist auch die hyperbolische Ebene offensichtlich kontrahierbar. Also kann man jede Abbildung einer Sphäre in die hyperbolische Ebene auf einen Punkt zusammenziehen. (D.h. sie ist homotop zu einer konstanten Abbildung.)

Mit demselben Beweis wie oben folgt dann πnF=0 für n≥2:
Jede stetige Abbildung f:Sn–>F läßt sich (mit demselben Beweis wie oben für die Überlagerung des Torus durch die euklidische Ebene) hochheben zu einer Abbildung in die hyperbolische Ebene, dort ist sie offensichtlich homotop zu einer konstanten Abbildung, diese Homotopie projiziert man zu einer Homotopie der ursprünglichen Abbildung f:Sn–>F.


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