Im Januar-Heft der Annals of Mathematics findet sich eine Arbeit eines hinduistischen Mönchs über den Beweis der Cannon-Thurston-Vermutung für Flächen: “Cannon-Thurston maps for surface groups”.

Eine Methode zur Konstruktion von Fraktalen mit vielen Symmetrien sind Limesmengen Kleinscher Gruppen: man nimmt eine diskrete Gruppe von Isometrien des hyperbolischen Raumes, schaut sich den Orbit eines Punktes unter dieser Gruppenwirkung an und definiert die Limesmenge als diejenigen Punkte in der Sphäre (dem “Rand im Unendlichen” des hyperbolischen Raumes), die sich durch Punkte im Orbit beliebig gut annähern lassen. (Oder formal ausgedrückt: man nimmt den Abschluss des Orbits und schneidet ihn mit der Sphäre im Unendlichen.) Wenn die Gruppe nur von einer einzelnen Isometrie erzeugt wird, besteht die Limesmenge nur aus maximal zwei Punkten. Im Allgemeinen können diskrete Gruppen von Isometrie des hyperbolischen Raumes aber sehr kompliziert sein und entsprechend kompliziert sehen dann auch die Limesmengen aus.
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Eine naheliegende Frage ist dann, wieweit die fraktale Geometrie der Limesmenge schon durch die algebraischen Eigenschaften der Gruppe bestimmt wird. Einerseits findet man leicht Beispiele von abstrakt isomorphen Gruppen, deren Limesmengen sehr unterschiedlich aussehen (siehe unten Beispiele von Fundamentalgruppen von Flächen, deren Limesmengen Kreise oder zum Beispiel auch Peano-Kurven sein können), andererseits hatte Thurston aber vermutet, dass für jede zu einer geometrisch endlichen Gruppe isomorphen Gruppe die Limesmenge sich als stetiges Bild der Limesmenge der geometrisch endlichen Gruppe darstellen läßt. (Im Fall der Fundamentalgruppen von Flächen heißt das, dass sich jede Limesmenge einer solchen Gruppe durch den Kreis parametrisieren läßt.)
Eine andere eng mit der vorherigen zusammenhängende Vermutung von Thurston war, dass für jede endlich erzeugte Kleinsche Gruppe mit zusammenhängender Limesmenge die Limesmenge sogar lokal zusammenhängend ist. (Lokaler Zusammenhang ist in der fraktalen Geometrie oft eine wichtige und schwer zu beweisende Eigenschaft. Zum Beispiel ist der Rand der Mandelbrotmenge lokal zusammenhängend, was zahlreiche Anwendungen in der komplexen Dynamik hat.)
Diese Vermutung (und die vorhergehende im Falle von Fundamentalgruppen von Flächen) ist jetzt in Mj’s Arbeit bewiesen worden.
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Galerie (McMullen)

Die Limesmenge einer Gruppe Γ kodiert Informationen über den Quotientenraum \Gamma\backslash H^3. Zum Beispiel: wenn \Gamma\backslash H^3 endliches Volumen hat, dann ist die Limesmenge die gesamte Sphäre (und damit aus Sicht der fraktalen Geometrie natürlich eher uninteressant).

3-dimensionale Mannigfaltigkeiten wie M=\Gamma\backslash H^3 untersucht man in der Topologie oft, indem man sich in der 3-Mannigfaltigkeit liegende inkompressible (d.h. π1-injektive) Flächen S\subset M anschaut.

Der einfachste Fall sind totalgeodätische Flächen S\subset M: deren Hochhebung in die universelle Überlagerung \widetilde{M}=H^3 entspricht einer hyperbolischen Ebene H^2\subset H^3 und die Limesmenge von \pi_1S\subset \Gamma ist (falls S ebenfalls endliches Volumen hat) einfach der diese hyperbolische Ebene im Unendlichen berandende Kreis.
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In der Regel sind Flächen in hyperbolischen 3-Mannigfaltigkeiten nicht total-geodätisch. In jedem Fall låßt sich eine π1-injektive Abbildung S\to M aber zu einer Abbildung \widetilde{S}\to\widetilde{M} hochheben, nach Wahl (irgend)einer hyperbolischen Metrik auf S ist das eine Abbildung H^2\to H^3.

Wenn zum Beispiel M ein Faserbündel über dem Kreis mit Faser S ist, dann kann man leicht zeigen, dass die Limesmenge der Gruppe \pi_1S\subset\pi_1M=\Gamma die gesamte Limesmenge von Γ (im Fall einer Mannigfaltigkeit endlichen Volumens also die gesamte Sphäre) sein muss.

Andererseits ist der Rand im Unendlichen von \widetilde{S}=H^2 aber einfach ein Kreis. Wenn man die Abbildung \widetilde{S}\to\widetilde{M} auf den Rand im Unendlichen fortsetzen könnte, hätte man also einerseits eine Abbildung S^1\to S^2 (also eine geschlossene Kurve) andererseits müßte diese Abbildung als Bild die gesamte Sphäre haben (weil die Limesmenge die ganze Sphäre ist), man hätte also eine sphärenfüllende Kurve.

Nun weiß man natürlich seit mehr als 100 Jahren, dass es solche sphärenfüllenden Kurven gibt (Stichwort Peano-Kurven, siehe TvF 29), aber diese hier sollen zusätzlich noch sehr hohe Symmetrie haben, nämlich unter dem Bild von \pi_1S in der Isometriegruppe des hyperbolischen Raumes invariant sein.

Dass es solche \pi_1S-invarianten Peano-Kurven tatsächlich gibt, folgt aus den Arbeiten von Cannon und Thurston. Thurston hatte bewiesen, dass die meisten 3-dimensionalen Flächenbündel (nämlich die mit Pseudo-Anosov-Monodromie, siehe TvF 157) eine hyperbolische Metrik tragen, man also die obige Konstruktion anwenden kann und Cannon und Thurston hatten dann (in einer 1984 geschriebenen, 1998 bei “Geometry & Topology” eingereichten und 2007 veröffentlichten Arbeit) erzeigt, dass die Fortsetzung der Abbildung \widetilde{S}\to\widetilde{M} auf den Rand im Unendlichen existiert, man also tatsächlich eine sphärenfüllende Kurve bekommt.

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Die Idee im Cannon-Thurston-Beweis ist sich die stabilen und instabilen Laminierungen der Monodromie des Faserbündels anzusehen. Cannon-Thurston zeigen, dass es zu jedem Punkt in S^1 beliebig kleine Umgebungen in H^2 gibt, die von einem Blatt einer der beiden Laminierungen berandet werden. Weiterhin – und das ist dann natürlich der schwierige Teil des Beweises – zeigen sie, dass die Bilder solcher immer kleineren Umgebungen eines Punktes x\in S^1=\partial_\infty H^2 (unter der Hochhebung der Abbildung S\to M) einen gegen 0 konvergierenden Durchmesser haben, ihr Durchschnitt also einen eindeutigen Punkt i(x)\in \partial_\infty H^3=S^2 bestimmt (und dass die so definierte Abbildung i\colon S^1\to S^2 stetig ist).

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Einen expliziten Beweis in einem Spezialfall (nämlich für die Gieseking-Mannigfaltigkeit, ein Faserbündel, dessen Monodromie die bekannte Katzenabbildung ist) gibt die Arbeit von Alperin-Dicks-Porti: “The boundary of the Gieseking tree in hyperbolic three-space”. Sie erhalten dort ein explizites Verfahren, um bestimmte Zerlegungen der S^1 auf Zerlegungen der S^2 abzubilden (die Bilder unten zeigen die ersten Stufen) und auf diese Weise für immer feinere (mit Durchmesser gegen 0 konvergierende) Zerlegungen schließlich im Grenzwert die stetige Abbildung S^1\to S^2 zu konstruieren.
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Der allgemeine Fall von Flächengruppen, die nicht (wie bei Cannon-Thurston) von der Faser eines Flächenbündels stammen müssen, wurde jetzt also in der Arbeit “Cannon-Thurston maps for surface groups” (die übrigens eine ähnlich lange Geschichte hat wie die von Cannon-Thurston: erste Teilergebnisse erzielte der Autor 1998 noch unter seinem bürgerlichen Namen M.Mitra, die erste Version der jetzigen Arbeit erschien 2005 auf dem ArXiv unter dem Namen Br.Brahmachaitanya und veröffentlicht wurde die Arbeit jetzt 2014 in Annals of Mathematics unter dem Namen M.Mj) gelöst, der dort bewiesene Satz besagt:
Sei \rho eine Darstellung einer Flächengruppe H=\pi_1S in PSL(2,C) ohne akzidentell parabolische Elemente. Sei M der konvexe Kern von H^3/\rho(H) und sei i\colon S\to M eine Homotopieäquivalenz, die parabolische Elemente in parabolische Elemente abbildet. Dann läßt sich die Abbildung der universellen Überlagerungen \tilde{i}\colon\widetilde{S}\to\widetilde{M} stetig auf die Kompaktifizierung zu einer Abbildung H^2\cup\partial_\infty H^2\to H^3\cup\partial_\infty H^3 fortsetzen. Insbesondere ist die Limesmenge von \rho(H) lokal zusammenhängend.

Mahan Mj (2014). Cannon-Thurston maps for surface groups Annals of Mathematics , 179 (1), 1-80 DOI: 10.4007/annals.2014.179.1.1

Kommentare (5)

  1. #1 Uli
    3. Februar 2014

    Ich weiß schon, warum hier keiner was postet: Es hat vermutlich keine rauch nur andeutungsweise verstanden, worum es geht.

    So ging’s mir zumindest und ich bin eigentlich ziemlich Mathe-affin.

    Aber ich finde es gut, daß es Leute gibt, die das draufhaben!

  2. #2 MisterX
    4. Februar 2014

    Das interessanteste ist ja das Thilos Fachgebiet(e) auch viel mit der theoretischen Physik zu tun hat. Falls du(Thilo) interesse daran hast, kann ich dir “Mikio Nakahara -Geometry, Topology and Physics” empfehlen. Falls du das nicht schon hast, oder schon alles kennst 😉

    Gruß

  3. #3 Math Multiplication
    https://www.ipracticemath.com/math-practice
    1. April 2014

    I think if the group is created only by a single isometry, there is a limit set only a maximum of two points. In general, discrete groups of isometry of hyperbolic space but can be very complicated and correspondingly complicated then see the limit sets from.

  4. […] Raumes für die kompakt ist, ist die Limesmenge die gesamte Sphäre. Und auch für manche Flächengruppen erhält man als Limesmenge eine die gesamte Sphäre ausfüllende […]

  5. #5 Thilo
    5. Dezember 2017

    Ein Überblicksartikel für den ICM: https://arxiv.org/abs/1712.00760