Zur Jahrtausendwende hatte das Clay-Institut jeweils 1 Million Dollar für sieben mathematische Probleme ausgelobt, von denen in der Zwischenzeit erst eines (die Poincaré-Vermutung) gelöst wurde. Manjul Bhargava, frischgebackener Fields-Medaillist, hat heute auf dem ICM eine 66,48-prozentige Lösung eines weiteren Millionenproblems – der Birch-Swinnerton-Dyer-Vermutung – vorgestellt, die ihm freilich keine 66,48% des Millionenpreises einbringen wird…

Es geht um Gleichungen der Form

y^2=f(x)

für ein Polynom f. Wenn das Polynom Grad 3 spricht man von einer elliptischen Kurve, Polynome vom Grad mindestens 5 geben hyperelliptische Kurven. Solche Gleichungen beschreiben eine Kurve, die rationalen Lösungen der Gleichung bezeichnet man als rationale Punkte der Kurve. (Nach dem Satz von Faltings haben hyperelliptische Kurven nur endlich viele rationale Punkte, neuere Arbeiten zeigen, dass mehr als die Hälfte aller hyperelliptischen Kurven gar keine rationalen Punkte haben.)

Auf elliptischen Kurven kann man eine “Addition” definieren (das hatten wir in der Kryptographie-Reihe mal beschrieben), womit die elliptische Kurve E und auch ihre rationalen Punkte E(Q) zu einer abelschen Gruppe werden. Nach dem Satz von Mordell ist die abelsche Gruppe E(Q) endlich erzeugt, also von der Form

E({\mathbb Q})={\mathbb Z}^r\oplus T

für eine endliche Gruppe T. (T heißt Torsionsgruppe, sie hat höchstens 16 Elemente und für “100%” aller elliptischen Kurven ist sie trivial.) Die Zahl r heißt der Rang der elliptischen Kurve.

Die Vermutung von Birch und Swinnerton-Dyer besagt, dass man den Rang der elliptischen Kurve aus ihrer L-Funktion L(s) berechnen kann, nämlich als deren Nullstellenordnung in s=1, die deshalb auch als “analytischer Rang” der elliptischen Kurve bezeichnet wird. (Für den Beweis gibt es die vom Clay-Institut ausgelobte Million.)

Bhargava’s Ansatz besteht nun darin, das Problem wahrscheinlichkeitstheoretisch (oder eher abzählend) anzugehen: er zählt den Anteil elliptischer Kurven mit einer bestimmten Eigenschaft unter den elliptischen Kurven bis zu einer Höhe N, bildet dann den Grenzwert für N gegen unendlich, und kommt so zu Wahrscheinlichkeitsaussagen. (Nebenbei bemerkt, scheinen alle diesjährigen Preisträger in irgendeiner Form Wahrscheinlichkeiten angewendet zu haben. Im Zusammenhang mit Artur Ávilas Arbeiten über Wahrscheinlichkeitsaussagen zu “zufälligen” dynamischen Systemen brachte Laudator Étienne Ghys das so auf den Punkt: “Associated with Newton is the idea that you are given a differential equation, and you try to find solutions. The next stage, initiated by Poincaré, was given a differential equation, one tries merely to say something interesting about its solutions. In the 1960s, Smale and Thom went a stage further, trying to take on board the realization that often physicists don’t actually know the equation that models the phenomenon they are looking at: you are not given a differential equation and you want to say something interesting about its solutions.”)

Eine Vermutung von Goldfeld, Katz und Sarnak besagt, daß mit dieser Wahrscheinlichkeitsverteilung 50% der elliptischen Kurven Rang 1 und 50% Prozent der elliptischen Kurven Rang 0 haben. (Eine Vermutung, die übrigens von numerischer Evidenz bisher nicht gedeckt wird.)

Bhargava hatte in gemeinsamen Arbeiten mit Shankar und Skinner bewiesen, daß es auf jeden Fall eine positive Wahrscheinlichkeit für beide Alternativen Rang 0 und Rang 1 gibt und daß der durchschnittliche Rang einer elliptischen Kurve positiv und kleiner als 0,89 ist.

Andererseits bewies er, dass der analytische Rang mit jeweils positiver Wahrscheinlichkeit die Werte 0 und 1 annimmt. Daraus folgt dann – durch Bilden der “Durchschnitte” – dass mit positiver Wahrscheinlichkeit das Millionenproblem “Rang = analytischer Rang” (die Vermutung von Birch und Swinnerton-Dyer) richtig ist. In einer letzten Monat auf dem ArXiv erschienen Arbeit mit Skinner und Wei Zhang quantifiziert Bhargava diese Wahrscheinlichkeit nun noch genauer: sie beträgt mindestens 66,48%!

Die Methode, wie sie Bhargava in seinem ICM-Vortrag beschrieben hat, geht wie folgt: man bildet die rationalen Punkte der Kurve auf die Orbiten der Wirkung einer (über den ganzen Zahlen definierten) algebraischen Gruppe auf einem Vektorraum ab, und schätzt dann die Anzahl dieser Orbiten mittels Methoden aus der Geometrie der Zahlen (zur Bestimmung von Anzahlen von Gitterpunkten mit beschränkten Invarianten) ab.

Manjul Bhargava, Christopher Skinner, & Wei Zhang (2014). A majority of elliptic curves over $\mathbb Q$ satisfy the Birch and Swinnerton-Dyer conjecture ArXiv arXiv: 1407.1826v2

Nachtrag: Das Vortragsvideo ist inzwischen online. (Der Vortrag beginnt bei Minute 27, davor kommt die Laudatio für die Fields-Medaille.)

Kommentare (6)

  1. #1 MX
    17. August 2014

    Wobei zu zeigen, dass (unter den gegebenen Voraussetzungen) eine Wahrscheinlichkeit von 66,48% für die Vermutung von Birch und Swinnerton-Dyer spricht, nicht gleichbedeutend damit ist, das Problem zu 66,48% gelöst zu haben, nehme ich an? 😉

  2. #2 anon
    17. August 2014

    Die Überschrift ist wirklich irreführend.
    Siehe https://www.math.columbia.edu/~woit/wordpress/?p=7037
    Zitat: “One should note though that showing 100% of elliptic curves satisfy BSD wouldn’t be the same thing as showing all elliptic curves satisfy BSD, so wouldn’t be eligible for the $1 million Millennium prize.”

  3. #3 Thilo
    17. August 2014

    Zum Unterschied zwischen 100% und “alle” hatte ich aus Anlaß des Fukushima-Unfalls mal was geschrieben: https://scienceblogs.de/mathlog/2011/03/17/wahrscheinlichkeit-null/

  4. […] Bhargava war von den Organisatoren gebeten worden, seinen Fieldsmedaillen-Vortrag vom ICM in Seoul hier zu wiederholen, um einen "echten ICM-Vortrag" zu haben. Das bot sich natürlich auch an, weil sich der Vortrag im didaktischen Niveau sehr von üblichen ICM-Vorträgen abhob. Für mich hat das jetzt den Vorteil, dass ich hier nichts weiter über den Vortrag schreiben muß, sondern einfach auf meinen damaligen Blogeintrag verweisen kann: 66,48% vom Millionenproblem […]

  5. […] Bhargava war von den Organisatoren gebeten worden, seinen Fieldsmedaillen-Vortrag vom ICM in Seoul hier zu wiederholen, um einen „echten ICM-Vortrag“ zu haben. Das bot sich natürlich auch an, weil sich der Vortrag im didaktischen Niveau sehr von üblichen ICM-Vorträgen abhob. Für mich hat das jetzt den Vorteil, dass ich hier nichts weiter über den Vortrag schreiben muß, sondern einfach auf meinen damaligen Blogeintrag verweisen kann: 66,48% vom Millionenproblem […]

  6. #6 MBT Chaussures Hommes
    https://www.mbt-france.com/mbt-chaussures-hommes-c-4.html
    15. März 2019

    66,48% vom Millionenproblem – Mathlog
    MBT Chaussures Hommes https://www.mbt-france.com/mbt-chaussures-hommes-c-4.html